Extremisten knüpften – wenn auch mit unterschiedlichen Zielsetzungen und Erklärungsmustern – vor allem an die im Netz kursierenden Verschwörungsmythen über den Ursprung der Pandemie an.
„Sie wollen auf allen Ebenen die Unzufriedenheit mit dem demokratischen System weiter schüren und so mehr Zustimmung für ihre extremistischen Ziele erreichen“, betonte Herrmann.
Die Bandbreite reiche dabei von Schuldzuweisungen an bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Migranten oder Juden, bis hin zu einer angeblichen geheimen „Weltregierung“. Dabei würden auch, wie beim aus den USA stammenden Verschwörungsmythos ‚QAnon‘, antisemitische Vorurteile geschürt.
Untergangsszenarien und Schuldzuweisungen
„Rechtsextremisten versuchen, sich die Corona-Krise zu Nutze zu machen. Sie positionieren sich zu diesem Thema und versuchen, ihren Standpunkt medienwirksam und milieuüberschreitend zu inszenieren, um so Sichtbarkeit in der Debatte insgesamt zu erzielen. Derzeit lässt sich erkennen, dass rechtsextremistische Akteure in zunehmendem Maße Verschwörungsmythen aufgreifen bzw. verbreiten“, erläuterte der Minister.
Vor allem im Internet wollten Rechtsextremisten dadurch auch bei Personengruppen Gehör finden, die bislang durch offen rassistische und fremdenfeindliche Agitation nicht ansprechbar waren. Sie nähmen die Pandemie zum Anlass, um das Vertrauen in die Regierung zu untergraben und Untergangsszenarien zu entwerfen, um so Zustimmung zu extremistischen Positionen zu erzeugen.
Rechtsextremisten verbreiteten insbesondere Verschwörungsmythen, die Schuldzuweisungen an Asylbewerber, Migranten bzw. Juden enthalten. Unter Schlagwörtern wie „Corona-Diktatur“ oder „Quarantäne-Diktatur“ wird Regierungsverantwortlichen und staatlichen Stellen unterstellt, sie würden die Corona-Pandemie dazu ausnutzen, um die Bürger zu entrechten und zu überwachen.
Es werde dabei, so die Darstellung von Rechtsextremisten, bewusst gegen die Interessen des „deutschen Volkes“ gehandelt. So fände grundsätzlich eine Ungleichbehandlung der „Deutschen“ gegenüber Migranten statt. Die „Identitäre Bewegung Deutschland“ (IBD) behauptete beispielsweise am 5. April in einer Twitter-Meldung, dass die im Rahmen der staatlichen Corona-Bekämpfungsmaßnahmen verhängten Freiheitsbeschränkungen auch über die Corona-Krise hinaus aufrechterhalten werden würden.
Demokratie- und rechtsstaatsfeindliche Ideologien
Ziel der Linksextremisten ist ebenfalls, ihre demokratie- und rechtstaatsfeindliche Ideologie auf eine größere Bühne zu tragen und über ihr eigenes Kernklientel hinaus neue Anhänger zu finden. Die zur Eindämmung der Pandemie eingeleiteten Beschränkungsmaßnahmen werden von der Szene als ein Vorwand zum angeblichen Ausbau staatlicher Repression gewertet, die jeden Einzelnen seiner Freiheitsrechte berauben wolle.
Die bestehenden Ängste vor einer Rezession und dem Verlust von Arbeitsplätzen werden darüber hinaus instrumentalisiert, um gegen eine angebliche Kumpanei zwischen Politik und Kapital zu hetzen. Als „Patent-Lösung“ aller Probleme propagiert die Szene auch angesichts der Pandemie die Zerstörung des bestehenden „unterdrückerischen, kapitalistischen Systems“.
Sinkende Hemmschwellen
„Linksextremisten begreifen die Situation als Chance, den Systemwechsel zu erzwingen, auch mit Gewalt“, unterstrich Herrmann. In diesen Zusammenhang seien auch die Brandanschläge auf Mobilfunkmasten einzuordnen. Diese Aktionen richteten sich gegen die neue 5G-Technologie als „Technik-Gefängnis-Welt“, mit der die Menschen mehr als je zuvor überwacht werden sollen.
In der Szene sinke die Hemmschwelle, Gewalt gegen Personen anzuwenden oder zumindest als „Kollateralschaden“ bei Sachbeschädigungen in Kauf zu nehmen. Die Aggression richte sich dabei in jüngster Zeit auch gegen Medienvertreter.
Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum wurden im ersten Halbjahr 2020 insgesamt 399 linksextremistisch motivierte Straftaten erfasst, darunter 22 Gewalttaten (Vorjahreszeitraum: 379 linksextremistisch motivierte Straftaten, davon 30 Gewalttaten). Somit ist trotz der pandemiebedingten Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen für 2020 im Vergleich zum Vorjahr nicht mit einem erneuten Rückgang der Gesamtzahl linksextremistischer Straftaten zu rechnen.
Zudem nimmt die Schwere linksextremistischer Straftaten eher zu als ab. Nicht nur die Sachbeschädigungen mit zum Teil enormen Schadenssummen mehren sich, vielmehr sinkt auch die Hemmschwelle, Leib und Leben von Personen, auch Unbeteiligter, zu gefährden. Dies zeigt sich vor allem in der zunehmenden Verrohung der Sprache.
Islamistischer Terrorismus
Auch Islamisten reagieren auf die Corona-Pandemie. Für die Sicherheit westlicher Staaten ist laut Herrmann dabei weniger die vorgenommene propagandistische Umdeutung der Pandemie eine Gefahr, sondern vielmehr die Schlussfolgerung, die vor allem Jihadisten aus der aktuellen globalen Krise ziehen:
„Die Corona-Pandemie hat aufgezeigt, wie verwundbar Staaten, Gesellschaften und die Weltwirtschaft angesichts einer solchen Notlage sind. Vor diesem Hintergrund könnte das Bedrohungsszenario des Bioterrorismus neue Aktualität entfalten.“
Der islamistische Terrorismus stelle weiterhin eine Bedrohung für die Sicherheit dar. Leider zeigten die Anschläge im ersten Halbjahr 2020 in Frankreich und Großbritannien, dass Europa und damit auch Deutschland weiterhin im Zielspektrum jihadistischer Organisationen und radikalisierter Einzelpersonen stehen.
Im Übrigen sei feststellbar, dass die Grenzen zwischen dem sogenannten legalistischen Islamismus und dem Salafismus zunehmend verschwimmen und sich die einzelnen islamistischen Strömungen gegenseitig beeinflussen und letztlich transformieren können. Die übergeordnete Zielsetzung und das verbindende Kernelement der Errichtung eines scharia-basierten Staats blieben dabei weiterhin bestehen.
Maßnahmen der Sicherheitsbehörden
Bundesweit werden dem salafistischen Spektrum aktuell 12.150 Personen zugerechnet (Quelle: Bundesverfassungsschutzbericht 2019). In Bayern liegt das Potenzial derzeit bei 770 Personen. Davon lassen sich ca. 20 % dem gewaltorientierten Spektrum zurechnen.
Durch zahlreiche Maßnahmen der Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren und die erfolgreiche Eindämmung salafistischer Propaganda jenseits des Internets, wurde ein zunehmender Rückgang öffentlichkeitswirksamer Aktionen salafistischer Akteure festgestellt. In Bayern finden die ehemals weit verbreiteten (Street-)Da’wa-Aktionen nicht mehr statt. Auch Infotische in Fußgängerzonen sind aus den Stadtbildern nahezu verschwunden.
Reichsbürger und Selbstverwalter
Reichsbürger und Selbstverwalter wiesen ihrerseits bereits vor der Corona-Pandemie eine besondere Affinität zu Verschwörungsmythen auf. Aktuell sehen sie sich nun in ihrer Sichtweise bestätigt, zugleich finden die von ihnen verbreiteten Verschwörungsmythen eine größere Reichweite.
Zu den Ursachen, der Ausbreitung und den Folgewirkungen des Corona-Virus werden in diesem Phänomenbereich Fake-News verbreitet, die mit verschwörungsmythischen Elementen verwoben werden. Behauptet wird beispielsweise, es handle sich bei Covid-19 um eine gezielt entwickelte Krankheit mit dem Ziel, die Weltbevölkerung zu dezimieren. Das Virus sowie ein Impfstoff dagegen wären bereits patentiert.
Corona wird in Frage gestellt
In einer anderen Lesart werden der Verbreitungsgrad sowie die Letalität des Virus in Frage gestellt. Den handelnden Politikern wird vorgeworfen, Bürger- und Freiheitsrechte ohne rechtliche Grundlage einschränken zu wollen. Ein kriegsähnlicher Zustand würde erzeugt werden, indem Angst und Schrecken manipulativ verbreitet würden, um Recht und Gesetz außer Kraft zu setzen.
Die Einschränkung der Bürgerrechte wird in diesem Zusammenhang als strategisches Element eines bestehenden Plans, initiiert von „geheimen Mächten“, zur Entrechtung der Menschen in Deutschland gedeutet. Die zu erwartende wirtschaftliche Rezession in Folge der Pandemie wird als im Plan vorgesehenes notwendiges Element gedeutet, damit die Mehrheit der Menschen in Deutschland eine Entmündigung billigend in Kauf nimmt.
DK
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