Kommunale Praxiszurück

(GZ-24-2020)
gz kommunale praxis

► Gegen Hass und Hetze:

 

Wehrhafte Demokratie

Diskussionsveranstaltung der Hanns-Seidel-Stiftung

 

Demokratie verlangt oft ein kräftezehrendes Ringen zwischen entgegengesetzten Meinungen. Die Bürde scheint jedoch mit dem Bedeutungszuwachs von Social Media im Kommunikationsalltag noch beschwerlicher geworden zu sein: Viele Engagierte verstummen angesichts einer drohenden, beleidigenden und bisweilen gewalttätigen Online-Öffentlichkeit. Im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung der Hanns-Seidel-Stiftung (Moderation: Richard Gutjahr) kamen insbesondere Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker zu Wort, die sich vor Ort für unsere Demokratie einsetzen und dafür angefeindet werden.

Tatsache ist: Hass und Hetze im Netz haben viele Gesichter und können jeden treffen. Wie eine sprachliche und ethische Verrohung in den sozialen Netzwerken Einzug hält, stellte der KPV-Landesvorsitzende und Landrat von Donau-Ries, Stefan Rößle, am Beispiel einer Stellenanzeige für das örtliche Jobcenter dar, die das Landrats-

amt in den sozialen Medien geschaltet hatte. Obgleich ein alltäglicher Vorgang, reagierte ein Nutzer ausfallend und forderte, politische Entscheidungsträger in ein „Arbeitslager zu stecken“ und sie dann, „wenn sie vor Erschöpfung am Boden liegen, mit einem Genickschuss zu erlösen“.

Konsequent gegen Einschüchterungen vorgehen

Soziale Medien bieten laut Rößle die Möglichkeit, unter dem Deckmantel der Anonymität Hassbotschaften und persönliche Attacken loszuwerden. Würden diese geteilt und entstehe daraus ein Shitstorm, fühlten sich die Täter bestätigt und es bestehe die Gefahr tätlicher Übergriffe. „Ich kann nur allen den Tipp geben, sich nichts gefallen zu lassen und konsequent gegen diese Strategie der Einschüchterung im Netz vorzugehen“, unterstrich Rößle. Liegt ein Straftatbestand vor, müsse konsequent Anzeige erstattet werden. Mit Information und Aufklärung könnten die Kommunalpolitiker dafür sensibilisiert werden, sich an Anlaufstellen wie die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus, kurz BIGE, zu wenden.

Die junge Fürstenfelder CSU-Kreisrätin Thuy Wegmaier berichtete, wie ihre Teilnahme an einer Antirassismus-Kampagne dazu führte, dass sie über eine Woche hinweg mit abwertenden und beleidigenden Kommentaren förmlich bombardiert wurde. Sie habe auch viel Unterstützung und Zuspruch erfahren, aber „bei 3.000 teilweise hasserfüllten Kommentaren bekommt man schon Angst und ist verunsichert“, betonte Wegmaier. Mit dieser Reaktion, die etwa eine Woche lang anhielt, habe sie nicht gerechnet. Viele Bürger hätten sich solidarisch mit ihr gezeigt, manche hatten aber auch Angst, ihr zu Hilfe zu kommen, weil sie fürchteten, zwischen die Fronten zu geraten.

Plattform „hassmelden“

Für Lea Richter von der Plattform „hassmelden“ sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache. „Seit wir im März 2019 online gegangen sind, wurden uns über 100.000 Beiträge gemeldet und wir haben mehr als 26.000 Anzeigen auf den Weg gebracht“, informierte sie. Dies sei freilich nur die Spitze des Eisbergs, da viele Nutzer Hasskommentare im Netz nicht (mehr) melden würden. Bedrohte Personen schieden aus dem digitalen Diskurs aus und ließen Platz für die hasserfüllten Stimmen, die ihr menschenverachtendes Weltbild verbreiten wollen.

Sowohl bayerisches Justiz- als auch Innenministerium arbeiten daran, gemeinsam Hass und Hetze im Netz noch konsequenter zu verfolgen und potenzielle Täter abzuschrecken. Dafür haben sie weitreichende Maßnahmenpakete geschnürt, um kommunale Mandatsträger besser zu schützen.

Ein wichtiges Angebot der Justiz ist das Online-Meldeverfahren für Online-Straftaten. Abgeordnete, die wegen ihres politischen Amts oder Mandats im Internet oder per Mail bedroht oder beleidigt worden sind, können künftig Anzeigen und Prüfbitten unbürokratisch online an die Justiz übermitteln.

Ansprechpartner bei den Staatsanwaltschaften

In der Folge übernimmt der Hate-Speech-Beauftragte der bayerischen Justiz, Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Hartleb. Er ist bei der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) bei der Generalstaatsanwaltschaft München angesiedelt. Die Ermittlungsverfahren werden von ihm oder einem der bayerischen Sonder-Dezernenten geprüft.

Bei allen 22 Staatsanwaltschaften des Freistaats wurden zudem Ansprechpartner für Kommunalpolitiker und Abgeordnete, die Opfer von Hate-Speech geworden sind, benannt, wie Justizminister Georg Eisenreich erläuterte. Aus seiner Sicht „endet die Meinungsfreiheit dort, wo das Strafrecht beginnt“. Der lebendige, manchmal auch scharfe Meinungsstreit sei in einer Demokratie elementar wichtig, fände seine Grenzen aber in Fällen von übler Nachrede, Beleidigung, Verleumdung oder Volksverhetzung.

Kooperationspflicht für die sozialen Netzwerke

Um die Verfolgung von strafbarem Hass zu erleichtern, fordert Eisenreich ein höheres Maß an Kooperationspflicht für die sozialen Netzwerke. „Mit der geplanten Weiterentwicklung des Netzwerkdurchsuchungsgesetzes wollen wir erreichen, dass es im Falle von schweren Straftaten eine Anzeigepflicht seitens der Plattformen gibt“, so der Minister. Auch das Beleidigungsstrafrecht, das im Kern 150 Jahre alt sei, müssen ans digitale Zeitalter angepasst werden.

Staatsminister Eisenreich stellte klar: „Wer Hass im Netz konsequent verfolgt, schützt gleichzeitig die Meinungsfreiheit und verhindert, dass die Menschen, die unsere Demokratie vor Ort mit Leben erfüllen, resigniert aufgeben.“

„Einen Stimmungsumschwung“

registriert der Präsident des Bayerischen Landkreistages und Landrat von Deggendorf, Christian Bernreiter. Konkret würden Autoritären nicht mehr sonderlich ernstgenommen und der Staat allgemein werde nicht mehr so anerkannt wie früher. Vieles werde in Frage gestellt. Mit dem Internet habe sich diese Entwicklung potenziert, die besonders auch Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker zu spüren bekämen.

Sicherlich brauche ein Kommunalpolitiker manchmal das sprichwörtliche dickere Fell. „Aber persönliche Anfeindungen oder Drohungen gegen diejenigen, die unseren Staat vor Ort vertreten – da ist eine rote Linie überschritten und da müssen wir klare Kante zeigen“, stellte Bernreiter klar. Denn wie der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke gezeigt habe, sei es vom Wort zur Tat manchmal nur ein kurzer Weg.

Sich mit demokratischen Mitteln wehren

Wie Bernreiter berichtete, habe er während des Kommunalwahlkampfes ein konzertiertes Vorgehen AFD-naher Personen in diesem Bereich wahrgenommen. Für viele kommunalpolitische Mandatsträger, vor allem die ehrenamtlich Tätigen, stelle sich am Ende die Frage, ob man sich wirklich diesen Anfeindungen aussetzen soll oder sein politisches Engagement dann doch lieber reduziert. Aus Bernreiters Sicht „steht der Staat und er wehrt sich mit demokratischen Mitteln. Dann fühlen sich die gewählten Volksvertreter geachtet und auch geschützt.“

Verrohung nicht nur ein digitales Phänomen

Dass die Verrohung der Gesellschaft nicht allein ein digitales Phänomen ist, darauf machte Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitalisierung im Bundeskanzleramt, aufmerksam. Analog habe man dies auf den Straßen der Republik und sogar im Parlament erleben müssen. Oftmals richteten sich Hass und Hetze auch gegen Frauen. Beinahe alle Mandatsträgerinnen, egal welcher Ebene, hätten diese Erfahrung schon gemacht. Besonders betroffen seien sie, „wenn sie auf Missstände hinweisen, Gleichberechtigung einfordern und damit auch aus einer sogenannten Rolle ausbrechen, die ihnen manche Männer zugeschrieben haben“, so Bär.

Vor der bayerischen Kommunalwahl habe sie versucht, Frauen für eine Kandidatur als Gemeinderätin oder Bürgermeisterin zu gewinnen. Angst vor Anfeindungen, potenziell auch gegen die eigene Familie, sei häufig als Ablehnungsgrund genannt worden. Damit werde auch deutlich, welches Ziel die Verursacher verfolgten: Engagierte Bürgerinnen und Bürger zum Verstummen zu bringen. Vor allem Netzwerke von Rechtsaußen setzten diese Strategie bewusst ein.

Tipps zum richtigen Umgang mit Krisen in der Online-Kommunikation gaben Anzings Erste Bürgermeisterin Kathrin Alte und Krisenkommunikationsexpertin Eva Werner. Nach ihren Worten ist eine schnelle Reaktion wichtig, jedoch müsse man sich trotzdem die Zeit nehmen, das weitere Vorgehen abzuwägen, bevor man handelt. Es sei nicht notwendig, über jedes Stöckchen zu springen. Vielmehr sei zu prüfen, ob der betreffende Online-Beitrag bei den Bürgern überhaupt auf Resonanz stößt. Auch bei persönlicher Verletzung seien emotionale Schnellschussreaktionen zu vermeiden. Ratsam sei es, sich mit vertrauten Menschen abzustimmen, die eine wertvolle Außenperspektive mitgeben können. Altes und Werners Appell: „Wenn Sie glauben, dass es sich um eine strafbare Äußerung handeln könnte oder Sie oder Ihre Familie bedroht werden: Wenden Sie sich an die Polizei!“

Zivilcourage und das scharfe Schwert des Rechtsstaates

Das scharfe Schwert des Rechtsstaates sei wichtig, um Hassrede zu bekämpfen, erklärte die stellvertretende Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung und Vorsitzende des Bayerischen Ethikrates, Susanne Breit-Keßler. Freilich könne die Justiz allein diese Aufgabe nicht stemmen. „Es liegt auch an uns, dafür zu sorgen, dass das Saatkorn des Hasses auf einen steinigen, unfruchtbaren Boden fällt. Das Internet braucht unsere Gegenrede – und ja, auch unsere Zivilcourage – damit es ein Ort der menschlichen und menschenwürdigen Begegnung bleiben kann“, stellte Breit-Keßler fest.

DK

 

Dieser Artikel hat Ihnen weitergeholfen?
Bedenken Sie nur, welche Informationsfülle ein Abo der Bayerischen GemeindeZeitung Ihnen liefern würde!
Hier geht’s zum Abo!

 

GemeindeZeitung

Kommunale Praxis

AppStore

TwitterfacebookinstagramYouTube

Google Play

© Bayerische GemeindeZeitung