In der Stadt Pfaffenhofen an der Ilm zahlen Bürgerinnen und Bürger eine gesplittete Abwassergebühr. Wer wenig oder gar kein Niederschlagswasser in die Kanalisation fließen lässt, wird mit geringeren Abgaben belohnt. Für alle anderen bietet sie einen Anreiz, Freiflächen zu schaffen, in denen das Regenwasser versickern kann oder in Zisternen gesammelt wird. Thomas Herker, Bürgermeister der Stadt Pfaffenhofen a. d. Ilm, zeigt mit dieser Initiative, wie’s funktionieren kann: ein wassersensibler Umgang mit Regenwasser. Dieses Thema stand im Fokus der Diskussionen im Rahmen der Pressekonferenz.
Herker setzt bei der Umsetzung von ressourcenschonenden Maßnahmen auf breiten Konsens: „Was es bei all diesen Vorhaben braucht, ist der politische Wille und eine Verwaltung die mitmacht. Es braucht Planer, Architekten und Ingenieure, die nicht nur nach ‚Schema F‘ verfahren, sondern innovative Ideen einbringen und es braucht engagierte Bürger, Anlieger, Eigentümer und Investoren.“
Bürgermeister wie Herker bezeichnete Dr. Juliane Thimet als Generalisten, die in diesem Thema „Unglaubliches leisten müssen“. Sie nahm als Stellvertreterin des Geschäftsführenden Präsidialmitglieds beim Bayerischen Gemeindetag und in Vertretung für den Bayerischen Städtetag an der Konferenz teil.
Was ist eine Schwammstadt?
Die Anpassung an den Klimawandel ist für Städte und Gemeinden eine der größten Herausforderungen. Dabei wird der Umgang mit dem Rohstoff Wasser im aktuellen Spannungsfeld zwischen Hochwasserkatastrophen und Dürren sowie der Schaffung von mehr Biodiversität und Lebensqualität als wesentliches Schlüsselelement gesehen. Gemeinden sind dadurch auf vielen Ebenen gefordert, diese globalen Themen auf lokaler Ebene anzupacken.
Neuer Leitfaden
Ein neuer Leitfaden mit einer Vielzahl an zukunftsweisenden Impulsen soll Bayerns Städte und Gemeinden dabei unterstützen, Planungen darauf auszurichten und die Infrastruktur bei Neubau und im Bestand anzupassen. Als ein wichtiger Lösungsbaustein gilt die Schwammstadt. Dabei trifft Regen nicht auf versiegelte Fläche, sondern versickert oder wird gespeichert – beispielsweise durch begrünte Dächer oder Fassaden, eine begrünte Mulde oder ein Rückhaltebecken, das auch als Spielplatz geplant werden kann. Dadurch entstehen Kühlung und Dürrevorsorgung, Grundwasserneubildung und Hochwasserschutz.
Die Elemente der Schwammstadt müssen aber schon bei den ersten Ideen zur Siedlungsentwicklung eine Rolle spielen. Denn nur dann können multifunktionale Flächennutzungen sorgfältig geplant werden und der Aufwand begrenzt bleiben.
Appell nach mehr Ruhe
Thimet machte deutlich, dass Gemeinden an dieser Stelle eine „Klammerwirkung“ erfüllen. Denn sie seien von allen wesentlichen Aufgaben der Daseinsvorsorge betroffen: Sie sind zuständig für städtebauliche Planungen, erteilen Baugenehmigungen und sie sind auch die Träger der Aufgaben der Wasserversorgung und Wasserentsorgung.
„Vom Einstieg in Bauprojekte bis zur Finanzierung und strategischen Planung nach Abschluss des Bauvorhabens wirken Gemeinden wie eine Klammer“, erklärte Thimet.
Deshalb sei es so wichtig, dass sie Ruhe und Weitsicht in die Planungen und Genehmigungsverfahren einbrächten. Die Novelle der Bayerischen Bauordnung, die ab Februar 2021 in Kraft tritt, kann laut Thimet jedoch Einschränkungen mit sich bringen, weil sie eine schnelle und nicht nachhaltige Abwicklung von Genehmigungsverfahren fokussiert. „Was man auf der Planungsebene übersieht, kann man nicht mehr nachholen. Doch um die Herausforderung einer wassersensiblen Siedlungsentwicklung zu meistern, müssen wir viele Partner an einen Tisch holen, der Netzwerkgedanke und das wirkliche Reindenken sind dabei ganz wichtig“, appellierte Thimet.
Genehmigungsfiktion verhindert Dialog
Sie kritisierte in dem Zusammenhang, dass Wasserversorgung und Entwässerungsplanung nicht Teil der Genehmigungsverfahren seien. Auch die Einführung der Genehmigungsfiktion, mit der Bauvorhaben schneller genehmigt werden können, vertrage sich nicht mit dem Appell nach mehr Ruhe.
„Mit den Fiktionen gehen die Beratungsleistungen und der Dialog verloren, die Landratsämter und Gemeinden eingebracht haben. Die Gemeinden sind nicht der Feind der Bauherren, sondern machbare und innovative Lösungen stehen im Fokus, die aber auch Beratung benötigen.“
Dieser Forderung pflichtete Prof. Dr. Norbert Gebbeken, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, bei: „Wir haben immer davor gewarnt, die Planungskompetenz in den Bauämtern abzubauen, worunter die Beratungsleistung leidet.“
Kostenlose Beratungsstelle
Christine Degenhart, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, stimmte der Kritik zu. Sie deutete aber auch auf einen positiven Aspekt hin. So baue die Genehmigungsfiktion den Druck auf, den digitalen Bauantrag voranzutreiben. Damit könne die Beurteilung eines Bauantrages von mehreren Seiten parallel erfolgen und insgesamt schnellere Ergebnisse erzielt werden. Degenhart hob zudem hervor, dass gerade die Pandemie deutlich mache, wie wichtig es sei, qualitätsvolle Freiflächen zu planen, wenn Menschen in ihrer Freiheit eingeschränkt seien.
„Architekten, Stadtplaner, Landschafts- und Innenarchitekten gestalten Räume nicht nur nachhaltig und funktional, sondern sie haben dabei auch im Blick, dass sie Identität stiften und zur Baukultur beitragen“, sagte sie.
Über die Beratungsstelle Energieeffizienz und Nachhaltigkeit (BEN) können sich Städte und Gemeinden kostenfrei und unabhängig zu eigenen Vorhaben beraten lassen.
Bürgernah kommunizieren
Prof. Dr.-Ing. Norbert Gebbeken deutete in diesem Zusammenhang daraufhin, wie wichtig eine Sensibilisierung der Bevölkerung für das Thema sei:
„Die Gefahr von Starkregen wird von Hausbesitzern oft noch nicht erkannt. Deswegen müssen wir über Möglichkeiten der Gefahrenabwehr informieren. Aber auch die Kommunen sind gefordert, damit Straßen und Quartiere hochwasserangepasst entwickelt oder umgestaltet werden.“ Es gelte, multifunktionale Barrieren, wie Bäume oder Bäche, in die Stadtplanung zu integrieren. Diese werden von der Bevölkerung oft als Verbesserung der Urbanität angesehen und erfüllten gleichzeitig einen Beitrag zum Klimaschutz.
Rechtssicherheit
Prof. Dr. Wolfgang Günthert, Vorsitzender des DWA-Landesverbandes Bayern, sprach die Bedeutung der Rechtssicherheit für Kommunen an:
„Alle wasserwirtschaftlichen Maßnahmen zur Anpassung an die Klimafolgen müssen zielführend und rechtssicher sein. Ich empfehle daher die Anwendung der technischen Regeln der DWA für Planung, Bau und Betrieb der wasserwirtschaftlichen Infrastruktur, um Schäden soweit wie möglich zu vermeiden.“
Er betonte die Bedeutung des Dreiklangs aus baulichem Schutz, Objektschutz und einer Elementarschaden Versicherung für Grundstücksbesitzer. Günthert bezog sich auch auf mögliche Kooperationen mit dem Verband Garten- und Landschaftsbau Bayern (GaLaBau). „Wir arbeiten zunehmend mit GaLaBau zusammen, indem wir beispielsweise gemeinsam Entwässerungssystem auf begrünten Dächern weiterentwickeln“, sagte er.
Auch Umweltminister Thorsten Glauber betonte in einer zugeschalteten Videobotschaft, dass eine durchdachte „grün-blaue“ Infrastruktur wirkungsvolle Vorsorge leisten könne.
Leitfaden gratis bestellen
Um das Bewusstsein für den Gedanken der Schwammstadt zu fördern und Verantwortliche zu unterstützten, wurde eine Kooperation der Bau- und Planungsverbände vereinbart. Daraus ist in Zusammenarbeit mit weiteren Partnern – darunter mit dem Bayerischen Städte- und Gemeindetag, dem Landesamt für Umwelt und dem Umweltministerium – der Leitfaden „Wassersensible Siedlungsentwicklung“ speziell für Planer und Gemeinden in Bayern entstanden. Dieser zeigt die Zusammenhänge, mögliche Lösungsansätze und zukunftsorientierte Best-Practice-Beispiele wie z. B. Geländemulden in Wohnsiedlungen. Der Leitfaden wird jeder Kommune zugesandt.
Unter https://www.bestellen.bayern.de/shoplink/stmuv_wasser_018.htm oder www.bestellen.bayern.de (Stichwort: Wassersensible Siedlungsentwicklung) kann er kostenfrei bestellt oder als pdf-Datei heruntergeladen werden.
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