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(GZ-9-2021)
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► Lobbyregister:

 

„Die Demokratie steht nicht still!“

 

Wie hat die Pandemie die parlamentarische Arbeit verändert und kann ein Lobbyregister Vorkommnisse wie die Masken-Affäre verhindern? Antworten darauf gab Landtagspräsidentin Ilse Aigner im PresseClub in München. Im Gespräch mit Kerstin Tschuck, der stellvertretenden Vorsitzenden des PresseClubs, stellte sie fest: „Die Pandemie hat auch zu einem ‚Revival‘ der Demokratie geführt!“

Landtagspräsidentin Ilse Aigner. Bild: Hans Schwepfinger/PresseClub München
Landtagspräsidentin Ilse Aigner. Bild: Hans Schwepfinger/PresseClub München

Seit über einem Jahr befindet sich Deutschland in einer Art Ausnahmezustand. Einschränkungen, Lockdown, Masken-Affäre. Die Kritik am politischen Krisenmanagement wird auch in Bayern immer lauter. Politikerinnen und Politiker verlieren zunehmend an Ansehen. Eine herausfordernde Zeit für Landtagspräsidentin Ilse Aigner.

Zukunft Lobbyregister

Über das Ansehen der Demokratie, das unter den jüngst bekanntgewordenen Fällen der Maskenaffäre leidet, zeigte sich Aigner besorgt:

„Es macht mich wütend, wenn ich sehe, dass Fehlverhalten einzelner Abgeordneter ein schlechtes Licht auf 99,9 Prozent der Abgeordneten in Deutschland wirft, die einen sehr guten Job machen. Das schadet unserer Demokratie. Und ich muss wirklich sagen: Das tut mir in der Seele weh!“

Aigner hatte bereits angeregt, dass sich der Bayerische Landtag am künftigen Lobbyregister des Bundestags orientiere, jedoch ohne es automatisch zu kopieren und zu übernehmen:

„Wir müssen prüfen, ob es effektiv genug, aber auch noch praktikabel ist. Genauso wichtig ist es, dass wir uns die Verhaltensregeln für Abgeordnete anschauen und sie gegebenenfalls anpassen. Nicht alles, was womöglich legal ist, ist auch moralisch legitim. Die Verfehlungen der jüngsten Zeit hätten allein durch ein Lobbyregister nicht verhindert werden können.“

Ausschüsse arbeiten unter Hochdruck

Aigner betonte, dass sich die parlamentarische Arbeit durch die Krise verändert, aber es zu keiner Zeit einen Lockdown im Bayerischen Landtag gegeben haben.

„Die Demokratie steht nicht still. Wir tagen zwar in halber Besetzung und es kommen derzeit keine Besuchergruppen in den Landtag. Aber die Arbeit in den Ausschüssen geht weiter. Mein Anliegen ist zudem, dass das Parlament mitdiskutiert. Daher haben wir eine Befragung der Staatsregierung eingerichtet und es gibt die Möglichkeit zur Einreichung von Dringlichkeitsanträge.“

Unter welchem Hochdruck die Mitglieder der Ausschüsse arbeiten, dokumentiert beispielsweise die Anzahl der abgehaltenen Sitzungen. Abgesehen vom Haushaltsausschuss ist der Gesundheitsausschuss aktuell der Rekordhalter – im vergangenen Jahr waren es insgesamt 23 Sitzungen. Grund ist vor allem die Corona-Pandemie, die sich in mehreren Hinsichten auf die parlamentarische Arbeit auswirkt: Zum Beispiel bei der Zahl der eingereichten Anträge der Fraktionen und der behandelten Gesetzentwürfe. Im vergangenen Jahr lag sie bei 79 Anträgen und zwei Gesetzentwürfen, die allein das Thema Corona betrafen. Und auch von den bisher insgesamt 825 eingereichten „Corona“-Petitionen ist der Gesundheitsausschuss für rund die Hälfte (403) maßgeblich zuständig.

Stärkere Politisierung

Auch wenn der parlamentarische Betrieb weiterlaufe stellte Aigner heraus, wie sehr ihr der persönliche Austausch mit den Menschen fehle:

„Politische Botschaften werden aktuell viel mehr über die Medien transportiert. Dadurch, dass die Debatten in den Ausschüssen und im Plenum per Livestream übertragen werden, können die Menschen direkt verfolgen, wie diskutiert wird. Dabei zeigt uns die Pandemie, wie sehr sich politische Entscheidungen direkt auf das Leben der Menschen auswirken. Und deshalb stelle ich aktuell eine Politisierung fest, eine Art ‚Revival‘ der Demokratie, da durch die aktuelle Situation deutlich wird: Politik hat direkt mit den Menschen zu tun.“

Beste Heilung: gemeinsamer Erfolg

Mit Blick auf die Diskussionen um die Ambitionen ihres Parteichefs Markus Söder als Kanzler zu kandidieren – die Entscheidung um die Kanzlerkandidatur war zum Zeitpunkt des Gespräches noch nicht abschließend geklärt – sagte Aigner:

„Es ist eine schwierige Phase. Aber es ist daraus entstanden, dass die Umfrageergebnisse über Wochen und Monate eine klare Sprache für Markus Söder sprechen. Das derzeitige Hauptproblem in der Frage der Kanzlerkandidatur ist, dass man es bisher versäumt hat ein Verfahren festzulegen, wie über den künftigen Kanzlerkandidaten entschieden wird. Das dürfte eine Lehre sein für das nächste Mal. Dass unter Schwesterparteien gestritten wird ist normal, am Ende rauft man sich wieder zusammen. Das Beste, was so einen Prozess heilt, ist der gemeinsame Erfolg“, prophezeite Aigner.

Den Grünen, die mit Annalena Baerbock ohne Zerwürfnis ihre Kanzlerkandidatin vorgestellt haben, attestierte Aigner eine „perfekte Inszenierung“. „Ich bin ganz klar für eine Kanzlerkandidatin, aber ich bin auch gespannt, inwieweit sie die Show aufrechterhalten können“, gab sich die Landtagspräsidentin vorsichtig. Die mangelnde Regierungserfahrung könne für Baerbock zum Makel werden.

Einheitliche Regeln

Die Landtagspräsidentin bedauerte jedoch, dass die Defizite, die Kinder und Jugendliche aufgrund der Pandemie erleiden, zu wenig im Fokus stehen. In der Diskussion um bundesweit einheitliche Hygieneschutzmaßnahmen sprach sie sich für offene Debatten im Parlament aus:

„Wir brauchen beides – Bund und Länder. Diese Eingriffe, auch in Grundrechte, müssen aber im Parlament diskutiert werden. Denn sowohl eine parlamentarische Debatte als auch eine parlamentarische Entscheidung sind wichtig. Und da sind wir im Bayerischen Landtag gut aufgestellt, weil wir die Entscheidungen der Staatsregierung bezüglich der Coronaregeln diskutieren. Aber wir brauchen auch gleichzeitig klare einheitliche Regeln. Ich verstehe sehr wohl, wenn die Menschen erschöpft sind. Aber wir hören auch die Hilferufe der Mediziner in den Intensivstationen und da müssen wir reagieren.“

Rückkehr in normales Leben

Die zunehmende Anzahl an Verschwörungstheoretikern bezeichnete die Landtagspräsidentin als eine hochgefährliche Entwicklung, da einige Anhänger auch gewaltbereit seien:

„Nicht jeder, der Maßnahmen hinterfragt, ist Verschwörungstheoretiker. Aber Verschwörungstheorien dürfen nicht unwidersprochen bleiben. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Gesellschaft eine Gesellschaft des Vertrauens bleibt - und das Misstrauen nicht überhandnimmt.“

Aigners Augenmerk für die Zukunft liegt in einer erfolgreichen Impfkampagne.

„Ich bin überzeugt davon, dass Impfungen die Menschen schützten. Es sind jedoch immer noch zu wenige Impfstoffe verfügbar. Und da ich bin froh, dass wir in Bayern u. a. durch die Forderungen von Markus Söder zusätzliche Impfdosen für stark betroffene Grenzregionen erhalten haben. Mein Wunsch ist jetzt, dass wir die dritte Welle brechen und wieder in ein normaleres Leben zurückkehren.“

 

 

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