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(GZ-12-2021)
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► 45 Jahre Städtebauförderung in Lichtenfels:

 

Tradition und Zukunft

Ganzheitliche Impulse verbinden was zusammengehört

 

Lichtenfels ist die Deutsche Korbstadt; das ist bei einem Spaziergang durch die Altstadt nicht zu übersehen. An den ungewöhnlichsten Orten grüßen zahlreiche geflochtene Märchenfiguren; die Straßenlaternen auf dem Marktplatz sind mit Weidenästen umwunden und Bänke in Korboptik laden zum Verweilen ein. Es gibt viel zu entdecken und es macht Spaß sich die 20.000-Einwohner-Stadt anzusehen. Dass hinter der unverkennbar sehr hohen Aufenthaltsqualität der Stadt viel Arbeit und ein langer Atem steckt, erfuhr GZ-Chefredakteurin Constanze von Hassel bei einem Gespräch mit Stadtbaumeister Gerhard Pülz, Citymanager Steffen Hofmann und der Sanierungsbeauftragten der Bayerngrund, Rita von Frantzky.

Marktplatz und Rathaus in Lichtenfels: Die Deutsche Korbstadt. Bild: Ulrike Präcklein, uligraphics
Marktplatz und Rathaus in Lichtenfels: Die Deutsche Korbstadt. Bild: Ulrike Präcklein, uligraphics

Schon in den 70er Jahren führte die Stadtverwaltung eine Bestandsaufnahme durch und erkannte als Defizite eine verfallende Bausubstanz, die aus der Altstadt abwandernde Wohnbevölkerung, untragbare Verkehrsverhältnisse, ein mangelhaftes Parkplatz- und ein unattraktives Handelsangebot. Neu ordnende Planungen wurden veranlasst, um die Möglichkeiten der Stadterneuerung aufzuzeigen. Seit 1974 wurden 155 Maßnahmen mit einer Gesamtinvestition von 35 Mio. Euro umgesetzt, davon kommen 13 Mio. Euro Fördermittel aus Bund und Land. Jetzt, mehr als 45 Jahre später, zahlt sich das frühzeitige Eingreifen aus.

Seither wurde stetig eine Verbesserung der Lebensverhältnisse und die Stärkung des Einzelhandels angestrebt. Ein erster Schritt war die Neuregelung des Durchgangverkehrs und die Verlagerung des Parkplatzangebots. Attraktive Grünflächen und genügend Platz laden Fußgänger zum Verweilen ein. Wohlwissend, dass jede kommunale Investition private Investitionen nach sich zieht, setzt die Stadt immer wieder identitätsstiftende Ankerpunkte. Mit der Sanierung des Stadtschlosses und der ehemaligen Synagoge war der Anfang gemacht, neue visionäre Projekte sind das Forschungs- und Anwendungszentrum für digitale Zukunftstechnologien (FADZ), eine Wohngemeinschaft für Senioren sowie Menschen mit Behinderung, die Stadtbibliothek und das Archiv der Zukunft.

Eine Weide erstellt mit einem Metall-3D-Drucker dient als identitätsstiftender Ankerpunkt im Herzen von Lichtenfels. 2022 wird das „Archiv der Zukunft“ eingeweiht. Bild: © Architekturbüro Peter Haimerl, München
Eine Weide erstellt mit einem Metall-3D-Drucker dient als identitätsstiftender Ankerpunkt im Herzen von Lichtenfels. 2022 wird das „Archiv der Zukunft“ eingeweiht. Bild: © Architekturbüro Peter Haimerl, München

Additive Manufacturing, künstliche Intelligenz, Big Data, Cloud Computing, Industrie 4.0 sind nur eine kleine Auswahl von Schlagworten, mit denen sich große Industriekonzerne aber auch heimische Betriebe konfrontiert sehen. Das FADZ schlägt, als gemeinsame Forschungs- und Transferstelle regionaler Unternehmen und der Hochschule Coburg im Sinne eines „Joint Research Centers“, die Brücke zwischen Herausforderungen der Digitalisierung und der heimischen Wirtschaft. Heimat der Einrichtung wird die zentral gelegene Industriebrache „Kirschbaummühle“ sein. Steffen Hofmann, Citymanager und Leiter des Amtes für Wirtschaft, Tourismus und Kultur freut sich, denn „jede Behördenverlagerung und jeder neue Hochschulstandort hält den ländlichen Raum am Leben“.

Konsequente Umsetzung des integrierten Stadtentwicklungskonzepts (ISEK)

Trotz aller Sorgfalt gibt es auch in Lichtenfels Entwicklungen, die sich im Nachhinein als unglücklich erwiesen haben. Schon vor vielen Jahren entstanden zwei Seniorenheime am Stadtrand. „Im Nachhinein“, so der Stadtbaumeister, „hätte man die alten Menschen nicht ins Grüne verfrachten dürfen, wo vielleicht zweimal am Tag ein Bus fährt und die Wege nicht rollatorgerecht angelegt sind.“ „Auch unsere Seniorinnen und Senioren wollen Abwechslung und Unterhaltung, tragen zu einer lebendigen Ortsmitte bei und gehören deshalb auch genau dort hin“, fasst von Frantzky die Lage zusammen. Daher unterstützt die Stadt einen privaten Bauherrn, der mitten in der Altstadt auf rund 2.000 qm eine ambulant betreute Senioren-Wohngemeinschaft, eine ambulant betreute Wohngruppe für Menschen mit Behinderung, vier weitere Wohneinheiten sowie Räume für den Bereich einer medizinischen Dienstleistung projektiert hat.

Weitere Projekte, die Lichtenfels ein neues Gesicht geben, sind der Neu- bzw. Umbau von Bibliothek und Touristeninformation gegenüber dem Rathaus. Hier wird gleichzeitig ein direkter Zugang zum Stadtschloss geschaffen, also ein Ort der Kommunikation, der Marktplatz, Rathaus und Stadtschloss miteinander verbindet und die Zugänge erleichtert.

Ein Ort der Verbindung und der Kommunikation wird der Neu- und Umbau von Bibliothek und Touristeninformation. Bild: Studio Gründer Kirfel
Ein Ort der Verbindung und der Kommunikation wird der Neu- und Umbau von Bibliothek und Touristeninformation. Bild: Studio Gründer Kirfel

Besonders stolz präsentieren von Frantzky und Pülz das „Archiv der Zukunft“, ein Verwaltungs- und Versammlungsgebäude der Firma R+G Beteiligung GmbH, das derzeit am Marktplatz entsteht und für dessen Entwurf der Architekt Peter Haimerl verantwortlich ist. Die Firma ist bekannt für Modelle im Maßstab 1:1 und hat sich auf 3D-Druck spezialisiert. Mittels dieser Technologie sollen auf dem Marktplatz große Weiden aus Metall gedruckt werden und so die Geschichte Lichtenfels‘, die Flechttradition, mit der Zukunft, dem 3D-Druck, verbinden.

V.l. Steffen Hofmann, Citymanager und Leiter des Amtes für Wirtschaft, Tourismus und Kultur und Stadtbaumeister Gerhard Pülz. Bild: Tim Birkner
V.l. Steffen Hofmann, Citymanager und Leiter des Amtes für Wirtschaft, Tourismus und Kultur und Stadtbaumeister Gerhard Pülz. Bild: Tim Birkner

In Lichtenfels wurde frühzeitig auf geeignete Maßnahmen geachtet. Seit 2010 verfügt die Stadt über ein integriertes Stadtentwicklungskonzept (ISEK). „Wichtig“, so Stadtbaumeister Pülz, „ist die konsequente Umsetzung dieser Strategie.“ Ausgerichtet ist das ISEK auf die Stärkung des Stadtkerns und auf die Wiederbelebung des lokalen Handels. Außerdem ist es mehr als hilfreich in der Bayerngrund einen externen und unabhängigen Sparringspartner zu haben, der von außen die Dinge im Blick hat. Die Beraterfunktion der Bayerngrund wird mit Mitteln aus der Städtebauförderung zu 60 % bezuschusst.

Sorgfältige Analysen und kreative Werkzeuge für eine lebendige Ortsmitte

Da die Bevölkerungszahlen in Lichtenfels zwar langsam aber dennoch sinken, sind sorgfältige Analysen Gold wert. Citymanager Steffen Hofmann ist hier bestens vorbereitet: „Wenn zu uns ein neuer Lebensmittelhändler kommen will, dann prüfen wir genau, ob die Kaufkraft ausreicht und welcher Standort geeignet wäre.“

V.l. Stadtbaumeister Gerhard Pülz und Stadtsanierungsbeauftragte Rita von Frantzky, Bayerngrund. Bild: GZ
V.l. Stadtbaumeister Gerhard Pülz und Stadtsanierungsbeauftragte Rita von Frantzky, Bayerngrund. Bild: GZ

Pülz präsentiert aber noch ein weiteres von ihm in Eigeninitiative entwickeltes Werkzeug. Mittels eines GIS-Systems, das mit der Einwohnerdatenbank verknüpft ist, hat er eine Übersicht erarbeitet, wie viele Personen auf welchen Grundstücken gemeldet sind. So kann er auf einen Klick sehen, welche Immobilien leer stehen und welche nur noch von einer Person bewohnt werden. Wenn also eine Anfrage kommt, neues Bauland auszuweisen, dann kann er sofort graphisch darstellen, welche Baugrundstücke in der Stadt verfügbar sind und im Sinne des Flächensparens vorrangig genutzt werden sollen, denn neue Baugebiete auszuweisen und die erforderliche Infrastruktur bereitzustellen, ist teuer. Zusätzlich steckt in bereits bestehenden Gebäuden graue Energie. Ökologisch erstrebenswert wäre, diese Ressourcen einer neuen Nutzung zuzuführen und nicht neu auf der grünen Wiese zu bauen.

Natürlich weiß er auch, welche Grundstücke zwar von der Allgemeinheit teuer erschlossen, vom Eigentümer aber bislang nicht bebaut wurden. Für diesen Fall hat der Stadtrat 2019 einen weitreichenden Beschluss gefasst: „Bisher im Flächennutzungsplan als Bauflächen ausgewiesene Grundstücke sollen entfallen, wenn diese mittel- bis langfristig nicht bebaut werden können, weil z.B. keine Verkaufsbereitschaft der Grundstückeigentümer besteht oder kein entsprechender Baudruck herrscht bzw. langfristig mit keiner Zunahme an Baubedarf zu rechnen ist.“

Die Stadt hat sich so ein durchsetzungsstarkes Werkzeug gegeben. „Die außerordentlich gute Zusammenarbeit zwischen Stadtrat und Stadtverwaltung“, lobt von Frantzky, „ermöglicht ein effektives Umsetzen mutiger und kreativer Maßnahmen.“

Für alle, die in Lichtenfels etwas bewegen wollen, setzt die Stadt mit Förderprogrammen Anreize, um die Innenstadt zu stärken. Dabei werden je nach Förderprogramm bis zu 30 %, bei der Schaffung von Freiflächen sogar bis zu 50 %, Zuschüsse bis zu – je nach Programm unterschiedlichen Maximalsummen – gezahlt.

Andreas Hügerich, Erster Bürgermeister Stadt Lichtenfels. Bild: Stadt Lichtenfels
Andreas Hügerich, Erster Bürgermeister Stadt Lichtenfels. Bild: Stadt Lichtenfels

Mit dem Stadtsanierungsprogramm werden Eigentümer von privaten Wohn- und Geschäftsgebäuden in den Sanierungsgebieten gefördert. Das Geschäftsflächenprogramm unterstützt Eigentümer und Mieter von Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistungen in den Sanierungsgebieten und das Ansiedlungsprogramm dient der Wiederbelebung bestehender Leerstände, bietet einen Anreiz zur Neuansiedlung von Einzelhandel in der Innenstadt und trägt zu Erhalt und Steigerung der Handels- und Dienstleistungsfunktion der Innenstadt bei. Außerdem gibt es immer auch die Möglichkeit sich über die Stadt durch die Sanierungsberaterin kostenfrei beraten zu lassen.

„Natürlich ist Corona ein immenser Stresstest und auch in Lichtenfels gibt es Leerstand,“ berichtet Steffen Hofmann. „Aber bei vielen Leerständen tut sich was. Dazu tragen auch die verzahnten Förderprogramme bei. Trotzdem wird sich die Stadt zukünftig ändern. Die Innenstadt braucht Multifunktionalität. Das Zentrum soll also ein attraktiver Ort für Wohnen, Arbeiten, Wirtschaft und Kultur sein. Neue Formen des Wohnens, Handelns und der Gastronomie werden gebraucht“, stellt der Citymanager fest.

Andreas Hügerich, erster Bürgermeister von Lichtenfels, weiß vor welchen Herausforderungen die Stadt steht: „Eine überalternde Bevölkerung, die klimatischen Veränderungen und die Änderung des Kaufverhaltens von regionalen Anbietern hin zum Onlinehandel, werden uns noch lange beschäftigen. Im Interesse aller gilt es darauf zu achten, nicht das schnelle Geld machen zu wollen, sondern nah an den Bedürfnissen der Bevölkerung Entscheidungen zu treffen, die den Zahn der Zeit und den Nerv der Leute treffen. Mit einem gut durchdachten ISEK, das nicht nur in der Schublade liegt, weiß die Verwaltung, was die Stadt braucht und das gilt es konsequent, bisweilen auch hart aber immer gerecht zu verfolgen.“

Weiterführende Informationen:

www.lichtenfels.de/stadtsanierung

www.bayerngrund.de

Dieser Beitrag ist als Sonderdruck in der Ausgabe 12 am 17. Juni 2021 erschienen.

 

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