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(GZ-13-2021)
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► Dr. Gerd Müller im Münchner PresseClub:

 

Wir brauchen mehr Internationalität

 

Wie verändern Reisen in Länder des Globalen Südens den Blickwinkel? Wie wichtig ist eine eigene Impfstoffproduktion in Afrika zur Eindämmung der Krise und welche Chancen bietet das Lieferkettengesetz? Darüber spricht Entwicklungsminister Gerd Müller im PresseClub München und zieht eine Bilanz seiner acht Regierungsjahre.

V.l.: Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und Vorstandsmitglied im Münchner PresseClub, Manfred Otzelberger.
V.l.: Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und Vorstandsmitglied im Münchner PresseClub, Manfred Otzelberger.

„Ich bin in sechs Tagen durch Himmel und Hölle gegangen, aber ich habe auch viel Licht gesehen“ – mit diesen eindrücklichen Worten stieg Entwicklungsminister Dr. Gerd Müller gleich zu Beginn des Gesprächs im Münchner PresseClub in das Thema ein, das ihn seit Jahren umtreibt. Dazu erzählte er von seiner jüngsten Reise durch vier Länder in Westafrika, von der er erst vor wenigen Tagen zurückgekehrt ist.

Reisen geben Kraft

Ein Aperçu am Rande: Dem Minister wird auf seinen Reisen stets viel Begeisterung entgegengebracht – hin und wieder auch weil er fälschlicherweise für den bekannten Fußballspieler und Namensvetter Gerd Müller gehalten wird.

Hoffnung, Zuversicht und Optimismus

„Ich sehe auf jeder Reise Hoffnung, Zuversicht und Optimismus und ich bekomme Kraft, Mut und Aufbruchsstimmung. Probleme zu lösen – das ist die Botschaft. Aber wir sind wohlstandsfaul geworden“ bedauerte Müller. In seinem Amt als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung setzt er sich mit einer leidenschaftlichen Hingabe ein. Die Ungerechtigkeiten der Globalisierung zu verringern zählt zu einer seiner zentralen Herzensangelegenheiten.

In allen vier Merkel-Kabinetten war Müller Staatssekretär oder Minister. Unter ihm wurden die Ausgaben des Ministeriums von sechs auf zehn Milliarden Euro gesteigert. Mit dem Marshallplan für Afrika hat der Entwicklungsminister die soziale Marktwirtschaft in die Länder des Globalen Südens gebracht. Im PresseClub erläutert er, war-um ihn Reisen wie die vergangene so optimistisch stimmen.

„In Bayern übersieht man leider immer, wie viele privilegierte Partnerschaften es gibt und mit welchen Initiativen die Situation vor Ort positiv verändert werden kann“, sagte Müller. Als Beispiel nannte er seinen Besuch in Sierra Leone. Eigentlich sollte die Zusammenarbeit auslaufen. Doch das persönliche Treffen mit Verantwortlichen vor Ort hat dazu geführt, dass im Rahmen von Kommunalpartnerschaften in den kommenden fünf Jahren die Abfallentsorgung neu organisiert und rekultiviert werden soll.

Impfstoffproduktion im Senegal

Der Allgäuer kämpft auch für eine gerechte Verteilung der Impfstoffe gegen Corona. „Die Covid-Bedrohung in Afrika steigt. Derzeit steigen die Neuinfektionszahlen pro Woche um 20 Prozent. Die Delta-Variante hat 14 afrikanische Länder erreicht. Aber erst 35 Millionen Menschen haben auf dem ganzen Kontinent eine erste Impfung erhalten. Notwendig ist eine Impfstoffoffensive in Afrika, um 30 Prozent der Menschen bis Ende des Jahres zu impfen. Dafür ist eine Verzehnfachung der Anstrengungen erforderlich. Denn das Virus ist nicht in einigen Monaten vorbei. Wir brauchen dringend Impfstoff ‚Made in Africa‘.

Ich bin überzeugt: Afrika braucht eine eigene Impfstoffproduktion, um die Bedrohung zu bekämpfen“, beteuerte Müller. Jetzt gibt es erstmals die realistische Chance des Aufbaus eigener Produktionsstrukturen. Das Konzept des Institut Pasteur sieht in der ersten Phase die Abfüllung von Impfstoffen ab April 2022 vor, parallel dazu den Aufbau einer Produktionsanlage für Covid-Impfstoffe. Deutschland unterstützt die Initiative mit 20 Millionen Euro.

Meilenstein Lieferkettengesetz

Müller setzte bereits die Idee des Grünen Knopfs um, ein Textilsiegel, das für Mindeststandards bei der Textilproduktion in Entwicklungsländern sorgt. Jetzt hat er gemeinsam mit politischen Verbündeten das Lieferkettengesetz auf den Weg gebracht, um Menschenrechtsverbrechen in der Lieferkette zu verhindern. Denn das Gesetz nimmt Unternehmen in die Pflicht, Verantwortung für die Produktionsbedingungen auch bei ihren Zulieferern im Ausland zu übernehmen. Nichtregierungsorganisationen kritisieren, dass deutsche Unternehmen laut dem Gesetz nicht zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können und das Gesetz nur für Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitern gelte. Müller verteidigte das Lieferkettengesetz als Meilenstein.

„Ich bin überzeugt, das ist ein Qualitätssprung zur Durchsetzung und Umsetzung von Menschenrechten. Denn es kann sich kein Unternehmen – auch die nicht unmittelbar betroffen sind, in Zukunft leisten, Menschenrechte in der Lieferkette nicht zu fokussieren und bei Verletzungen einzuschreiten“, stellte der Entwicklungsminister heraus.

Global denken

Das Lieferkettengesetz sieht Müller aber nur als einen Baustein. „Wir haben Zugriff auf 90 % des Vermögens, verbrauchen 2/3 der Ressourcen und hinterlassen 60 % des Mülls, das ist nicht die Globalisierung, die trägt, Armut verhindert und Arbeitsplätze schafft. Im EU-Parlament habe ich gelernt global zu denken. Alles hängt mit allem zusammen. Ich hätte gerne mehr Internationalität in Parteiprogrammen, denn die internationale Einordnung globaler Herausforderungen wird über den Erfolg entscheiden. Die Fixierung auf Deutschland und die EU funktioniert nicht. Der Klimaschutz entscheidet sich in Afrika. Weltweit werden 1.000 Kohlekraftwerke gebaut. 600 Millionen Menschen in Afrika haben noch keinen Strom. In den kommenden 20 Jahren werden rund eine Milliarde Menschen dazukommen. Also bis 2040 brauchen 1,5 Milliarden Afrikaner Strom. Die Elektrizität ist dabei die Basis für Entwicklung“, erläuterte Müller.

1000 Schulen für unsere Welt

Auch in der Digitalisierung sieht der Entwicklungsminister eine Chance für die internationale Zusammenarbeit. Als Beispiel führt er die Gemeinschaftsinitiative „1000 Schulen für unsere Welt“ der kommunalen Spitzenverbände auf. Mit Spenden können dadurch in Ländern des Globalen Südens Schulen gebaut werden. Müller hob in diesem Zusammenhang auch das besondere Engagement von Landrat Stefan Rößle hervor. Als Initiator der Gemeinschaftsinitiative trug er maßgeblich dazu bei, dass seit dem Start im November 2018 mit Spendensammlungen von über fünf Millionen Euro mehr als 150 Schulbauprojekte angestoßen wurden. Davon sind 66 Schulen bereits eröffnet und knapp 100 vollständig finanziert.

Wissen weitergeben

Mit 66 Jahren scheidet er nach der Bundestagswahl, bei der er nicht mehr kandidiert, freiwillig aus der Bundespolitik aus, bei der UNO ist er für einen neuen Job im Gespräch. Mit welchem Gefühl geht er nun aus dem Amt?

„Ich fühle Dankbarkeit und Erfüllung, aber ich will das Wissen und meine Erfahrungen weitergeben“, bekräftigt Müller. Schließlich hat er bereits 44 afrikanische Länder besucht und Netzwerke geknüpft, die gepflegt und langfristig gefestigt werden sollen. Sein Wissen konserviert und gibt Müller in Büchern weiter, darunter die Neuerscheinung „Fokus Afrika: Partnerschaft auf Augenhöhe“. Darüber hinaus werde er sich auch weiterhin ehrenamtlich engagieren, versichert Müller zum Abschluss des Gesprächs.

 

 

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