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(GZ-6-2022)
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► Krieg in der Ukraine:

 

Wege aus der Krise

Die Dimensionen sind gewaltig: Seit der russischen Invasion in die Ukraine haben nach Angaben der Vereinten Nationen bereits mehr als 2,5 Millionen Menschen das Land verlassen. Immer mehr Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine kommen auch hierzulande an. Offiziell haben knapp 150.000 Menschen (Stand 12.3.) Zuflucht in Deutschland gesucht, davon etwa 45.000 in Bayern, überwiegend Frauen und Kinder.

Ministerpräsident Dr. Markus Söder und Innenminister Joachim Herrmann haben sich im Ankunftszentrum in München ein Bild von der Aufnahme und Unterbringung gemacht und mit geflüchteten ukrainischen Familien getroffen. Der Freistaat gehört zu den Hauptzugangsländern von Geflüchteten aus der Ukraine. Um die ankommenden Flüchtlinge bestmöglich unterzubringen und zu versorgen, arbeiten staatliche und kommunale Behörden laut Herrmann auf Hochtouren. Bild: Sammy Minkoff
Ministerpräsident Dr. Markus Söder und Innenminister Joachim Herrmann haben sich im Ankunftszentrum in München ein Bild von der Aufnahme und Unterbringung gemacht und mit geflüchteten ukrainischen Familien getroffen. Der Freistaat gehört zu den Hauptzugangsländern von Geflüchteten aus der Ukraine. Um die ankommenden Flüchtlinge bestmöglich unterzubringen und zu versorgen, arbeiten staatliche und kommunale Behörden laut Herrmann auf Hochtouren. Bild: Sammy Minkoff

Da keine Grenzkontrollen an den Binnengrenzen stattfinden, könne die Zahl der Kriegsflüchtlinge tatsächlich wesentlich höher sein, teilte das Bundesinnenministerium mit. Bayerns Staatsminister Joachim Herrmann rechnet im Freistaat in den kommenden Wochen mit insgesamt ca. 100.000 Geflüchteten – mit erheblichen Folgen für die Kommunen. Die Zeitenwende hat begonnen.

Überwältigende Hilfsbereitschaft

Viele, so Herrmann, dürften von der Größe der Herausforderung noch gar nichts ahnen. Indes: Die Welle der Hilfsbereitschaft in der bayerischen Bevölkerung ist überwältigend. Aktuell, so Herrmann, sei die Unterbringung in vorhandenen Gemeinschaftsunterkünften sichergestellt, doch sei dies keine dauerhafte Lösung. Die Staatsregierung kündigte inzwischen zusätzliche Unterkünfte an, zum Beispiel Neuanmietungen, Containerbauten, Sporthallen, leerstehende Gebäude und Traglufthallen. Zahlreiche Geflüchtete kamen inzwischen auch privat unter, etwa bei Verwandten oder Freunden.

„Damit die Hilfe dort ankommt, wo sie wirklich benötigt wird“, gab der Innenminister den Startschuss für die Website

www.ukraine-hilfe.bayern.de

Hier können Bürgerinnen und Bürger unkompliziert ihre Hilfsangebote hinterlegen.

Gefragt sind insbesondere Dolmetscher und Personen mit ukrainischen Sprachkenntnissen, die bei Behördengängen oder Ähnlichem unterstützen können. Zudem ist es möglich, auf der Website Angebote für Wohnungen sowie Transportdienstleistungen hochzuladen. Koordiniert und gebündelt werden die Angebote sodann von den Regierungen und Kommunen, die bei Bedarf auf die Anbieter zukommen.

Konzept für die Verteilung von Kriegsflüchtlingen

Wirkung gezeigt hat die dringende Aufforderung Bayerns, ein Konzept für die Verteilung von Kriegsflüchtlingen in Deutschland und Europa zu entwickeln. Nur so könne man verhindern, dass einige Staaten oder Regionen überfordert und einseitig belastet werden, erklärte Herrmann. Nach einer Besprechung mit den Innenministern der Länder und Vertretern der kommunalen Spitzenverbände wurde vereinbart, Flüchtlinge aus der Ukraine, die nicht privat in Familien oder bei Bekannten unterkommen können, nun verstärkt nach dem Königsteiner Schlüssel zu verteilen. Dieser richtet sich zu zwei Dritteln nach dem Steueraufkommen und zu einem Drittel nach der Bevölkerungszahl.

Minister Herrmann geht davon aus, dass der Freistaat seinen Anteil von knapp 16 Prozent ohnehin bereits erfüllt: „Bayern ist selbstverständlich solidarisch. Wichtig ist aber, dass auch andere Bundesländer sich beteiligen. Aufgrund der Nähe zu Tschechien und Österreich hat der Freistaat selbst einen erheblichen Erstzugang von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine zu verzeichnen.“ Laut Bundesinnenministerium sollen Busse und Züge Flüchtlinge in andere Bundesländer bringen, um besonders Berlin, Brandenburg und Städte wie Hamburg und München zu entlasten. Für die kommenden Tage seien weitere Gespräche mit dem Deutschen Städtetag, dem Landkreistag sowie dem Städte- und Gemeindebund vereinbart, um die Aufnahme und Versorgung der geflüchteten Menschen bestmöglich zu koordinieren.

Geflüchtete sollten schnell Sozialleistungen, medizinische Versorgung und Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Da auch die humanitäre Situation in der Ukraine und allen betroffenen Krisenregionen dringend verbessert werden muss, schickt Bayern mehr als 27 Tonnen Hilfsgüter aus dem landeseigenen Pandemiezentrallager (PZB) dorthin. Wie Ministerpräsident Markus Söder bei einem Besuch im PZB in Garching bei München erläuterte, gingen die Hilfsgüter auch in die Nachbarländer Moldau und Slowakei.

Zwischenzeitlich erreichte den Freistaat auch ein Nothilfeersuchen aus Polen. Auch von dort wird um Materialien für die Unterbringung von Geflüchteten gebeten. „Die Opfer dieses schrecklichen Krieges benötigen jede Hilfe“, betonte Söder.

Freistaat erstattet die Flüchtlingskosten

Herrmann wies darauf hin, dass Bayern den Kommunen die Flüchtlingskosten voll erstatten werde, erwartet aber auch vom Bund, „dass er sich an den Kosten entsprechend beteiligt“. Leider habe sich dieser dazu bislang nicht geäußert. Auch der Bayerische Städtetag fordert angesichts der ankommenden Flüchtlinge aus der Ukraine entsprechende Unterstützung. Laut Verbandsvorsitzendem Markus Pannermayr „werden die Antworten auf Herausforderungen ganz konkret vor Ort geliefert“ – und das werde man auf Dauer nur können, wenn man dafür auch die notwendige Finanzausstattung habe.

Auswirkungen auf Schulen und Kitas

Die laut Staatskanzleichef Florian Herrmann „größte Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg“ wird sich auch auf Bayerns Schulen auswirken. Nach Einschätzung von Kultusminister Michael Piazolo müssen Bayerns Schulen zusätzliche Kapazitäten schaffen, um die aus der Ukraine in den Freistaat flüchtenden Kinder und Jugendlichen aufnehmen zu können. Vermutlich müssten neue Klassen gebildet werden, und es seien wohl auch zusätzliche Lehrkräfte erforderlich. Die Gespräche dazu liefen bereits. Zusätzlich wolle man geflohene Lehrerinnen und Lehrer aus der Ukraine einbinden, wo dies möglich sei. Auch sollen pensionierte Lehrkräfte „animiert“ werden. Dabei stehe auch das Lernen der deutschen Sprache im Vordergrund.

Ulrike Scharf. Bild: stmas.
Ulrike Scharf. Bild: stmas.

Schulpsychologen und Kriseninterventionsteams für die mutmaßlich traumatisierten neuen Schüler bereitzustellen, ist ein weiteres Ziel. Nach Angaben von Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf steht die Staatsregierung in engem Austausch mit den Kommunen, um die Aufnahme von Kindern in den Kindertagesstätten zu regeln. Gerade in den Ballungszentren, in denen derzeit die meisten Flüchtlinge ankommen, stünden freie Plätze nicht gerade üppig zur Verfügung. Auch das Problem unbegleiteter Kinder könne sich noch verstärken.

100 Milliarden für die Bundeswehr

Im Zuge des Ukraine-Kriegs hat der Freistaat unterdessen die Bundesratsinitiative zur Begleitung des 100 Milliarden-Sondervermögens für die Bundeswehr verabschiedet. Innenminister Herrmann machte dabei deutlich, dass dieses Geld auch direkt bei der Bundeswehr ankommen müsse, unter anderem für die Vollausstattung von sechs Brigaden, die Bewaffnung von Bodenabwehrgruppen, Helikoptern etc. Dies seien kurzfristige Möglichkeiten.

Mit den 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr muss nach Ansicht von Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach auch die Verteidigung gegen Cyberangriffe verbessert werden. Deutschland müsse zudem in der Lage sein, im Falle eines Hackerangriffs auf deutsche Stromnetze oder andere wichtige Infrastrukturen nicht nur passiv, sondern auch aktiv reagieren zu können. Mindestens genauso relevant wie neue Kampfflugzeuge und Panzer seien daher die Digitalisierung der Bundeswehr und die Stärkung ihrer materiellen und personellen Ressourcen für Aufgaben der Cyberverteidigung.

Gerlach erklärte, dass auch der Einsatz von sogenannten Hackbacks nicht ausgeschlossen werden dürfe. „Wir müssen uns in diesen Zeiten darauf einstellen, dass allein eine passive Cyberabwehr nicht mehr ausreicht und wir zumindest darauf vorbereitet sein müssen, in gewissem Umfang auch aktive Abwehrmaßnahmen ergreifen zu können.“ Hackbacks sind eine Form staatlicher digitaler Angriffe auf ausländische Server und juristisch umstritten.

Vor dem Hintergrund, dass sich der Ukraine-Krieg auch auf die Energiemärkte auswirkt, hat der bayerische Ministerrat eine Bundesratsinitiative beschlossen, mit der die Energiepreise für Verbraucher wirksam stabilisiert werden sollen. Bayern startet die Initiative auf Bundesebene gemeinsam mit Nordrhein-Westfalen.

Steuern auf Energieprodukte senken

Konkret wird der Bund dazu aufgerufen, die Steuern auf Energieprodukte im Rahmen der europäischen Vorgaben abzusenken. Bayern und Nordrhein-Westfalen fordern, die Stromsteuer für private Haushalte wie auch für die Wirtschaft noch im Jahr 2022 auf das europäische Mindestmaß von 0,1 Cent pro kWh (für Privathaushalte) bzw. 0,05 Cent pro kWh (bei betrieblicher Nutzung) zu reduzieren, die Energiesteuersätze auf Heizöl, Erdgas, Diesel und Benzin schnell und substanziell abzusenken sowie zumindest befristet durch Einführung eines ermäßigten Umsatzsteuersatzes von sieben Prozent auf Erdgas, Elektrizität und Fernwärme die Mehrwertsteuer zu senken.

Darüber hinaus sollte die Entfernungspauschale rückwirkend auf 38 Cent bereits ab dem ersten Kilometer für den Veranlagungszeitraum 2022 angehoben werden. Überdies gelte es, künftig die Entfernungspauschale dynamisch an die Kostensteigerungen von Kraftstoffen anzupassen, insbesondere mit Berücksichtigung des jährlich steigenden CO2-Preises. Auch sei die von Arbeitgebern für dienstliche Fahrten der Arbeitnehmer gezahlte, steuerfreie Aufwandspauschale entsprechend anzuheben.

Aufbau neuer Lieferketten und Produktionsanlagen

Neben der Energieversorgung müssen laut Bayerischer Staatsregierung auch die Auswirkungen auf die Lieferketten sowie strategisch wichtige Rohstoffe in den Blick genommen werden. Die Bundesregierung wird daher aufgefordert, „ausreichende und angemessene Förderinstrumente bereitzustellen, um besonders betroffene Unternehmen, die unverschuldet in Not geraten sind, kurzfristig zu unterstützen und in Abstimmung mit der Europäischen Kommission Möglichkeiten zu prüfen, um Unternehmen Beihilfen oder den Aufbau neuer Lieferketten und auch eigenen Produktionsanlagen zu gewähren“.

DK

 

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