Kommunale Praxiszurück

(GZ-7-2022)
gz kommunale praxis

► Virtuelle GZ-Expertenrunde im Rahmen des Bayerischen InfrastrukturForums 2022:

 

Heimische Rohstoffe sind unverzichtbar

Mineralische Rohstoffe sind für die industrielle Wertschöpfung und den Erhalt unseres Wohlstands von grundlegender Bedeutung. Doch kann die Rohstoffindustrie längst nicht auf alle Lagerstätten zurückgreifen, müssen doch u.a. zahlreiche konkurrierende Nutzungen, wie Wasserschutz- und Landschaftsschutzgebiete, Wohn- und Gewerbegebiete sowie Verkehrsflächen berücksichtigt werden. Nicht zuletzt stellt dieser Mangel an geeigneten Verfüllstandorten die Gemeinden bei der Entsorgung von Bodenaushub vor große Herausforderungen. Lösungen und Argumentationshilfen lieferte hierzu eine GZ-Online-Expertenrunde zum Thema „Heimische Rohstoffe“. Entwickelt wurde das praxisnahe Programm gemeinsam mit dem Bayerischen Industrieverband Baustoffe, Steine und Erden (BIV).

150 Mio. Tonnen beträgt der Bedarf an Gesteinsrohstoffen in Bayern pro Jahr, betonte eingangs Moderatorin und GZ-Chefredakteurin Constanze von Hassel. Deutschland sei in der glücklichen Lage, mit mineralischen Rohstoffen gesegnet zu sein und diese regional fördern zu können. „Das macht uns unabhängig von Importen und schont die Umwelt durch kurze Transportwege.“

Spagat zwischen Bedenken und gesellschaftlichem Auftrag

Ohne Frage sei eine Rohstoffgewinnungsstätte zunächst ein Eingriff in die Landschaft – jedoch in vielerlei Hinsicht ein positiver, so von Hassel. Kommunale Entscheider befänden sich hier oft im Spagat zwischen Bedenken der Bevölkerung und dem gesellschaftlichen Auftrag, den alltäglichen Bedarf zu decken.

Hintergrundwissen und stringente Kommunikation

Gefragt seien Hintergrundwissen und eine überzeugende Kommunikation, denn von den vielen Aspekten der Rohstoffgewinnung vor Ort könnten Gemeinden und sogar die Natur profitieren.

Ein Plädoyer für Baumaterial aus der Region hielt Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger in seinem Grußwort. Kies, Sand und Naturstein bezeichnete er als Grundlage wirtschaftlicher Aktivitäten zahlreicher mittelständischer Unternehmen, die seit Generationen in Bayern verwurzelt seien. Wohnungsbau und Infrastrukturprojekte würden boomen, hier würden Rohstoffe dringend benötigt. Wirtschaft und Politik zögen daher an einem Strang, um die Akzeptanz für die heimische Rohstoffgewinnung weiter zu erhöhen und regionale Versorgungsstrukturen voranzutreiben.

Recyclingmöglichkeiten verbessern

Dr. Bernhard Kling, Geschäftsführer des Bayerischen Industrieverbands Baustoffe, Steine und Erden e.V. (BIV), wies in seinem Impulsvortrag darauf hin, dass der jährliche Flächenbedarf zur Rohstoffgewinnung im Freistaat ca. 860 Hektar beträgt. Dies entspreche lediglich 0,01 Prozent der bayerischen Landesfläche.

Mineralische Rohstoffe kämen zum Einsatz bzw. seien Bestandteil von Gebäuden, Kanalisationen, Verkehrswegen, Denkmälern, Gebrauchskeramik, Porzellan, Unterhaltungselektronik, Landwirtschaft, Hygieneartikeln, Sportstätten und Genussmitteln. Für jeden Einwohner bedeute dies, dass er pro Tag über 30 Kilogramm benötigt – also mehr als ein Kilogramm pro Stunde.

Nur rund 10 Prozent des Bedarfs könnten allerdings mit Sekundärrohstoffen gedeckt werden, so Kling. Das für Recycling zur Verfügung stehende Material reiche nicht aus, um den hohen Bedarf insbesondere der Bauwirtschaft zu decken. Bayernweit fielen nur rund 10,5 Millionen Tonnen an Bauschutt und 4,5 Millionen Tonnen Straßenaufbruch an. „Um also auch nur in die Nähe des Gesamtbedarfs an Rohstoffen von 150 Millionen Tonnen pro Jahr in Bayern zu kommen, müssten zuvor ganze Städte abgerissen werden“, verdeutlichte Kling. Die Branche arbeite kontinuierlich an Lösungen, um die Recyclingmöglichkeiten zu erhöhen.

Rückzugsgebiete für Amphibien

Amphibien wie Kreuzkröten, Gelbbauchunken oder Laubfrösche finden in der freien Natur kaum noch Rückzugsgebiete. Diese aber können ihnen Steinbrüche sowie Kies-, Sand- oder Lehmgruben bieten. Dabei kann die Rohstoffgewinnung sogar ungemindert weitergehen. Um bedrohte Amphibien zu schützen, hat der Landesbund für Vogelschutz (LBV) gemeinsam mit dem BIV und der Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Bergbau- und Mineralgewinnungsbetriebe (ABBM) das bayernweite Partnerschaftsprojekt „Natur auf Zeit“ ins Leben gerufen.

Wie LBV-Landesfachbeauftragter Dr. Andreas von Lindeiner berichtete, solle erreicht werden, dass der Abbau weitgehend ungestört vonstattengehen kann und die Arten sich trotzdem in einem Nebeneinander entwickeln können.

Ein Novum des Projekts sei der Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Kooperationsvertrags, der zwischen dem LBV, dem jeweiligen Abbaubetrieb und der Höheren und Unteren Naturschutzbehörde geschlossen wird. Er diene als Rechtssicherheit in Bezug auf das allgemeine Tötungsverbot nach §§ 44 ff. BNatSchG und das Verbot der Zerstörung von Lebensstätten.

Umweltgerechte Flächennutzung

Wie effiziente Flächennutzung inklusive Rohstoffgewinnung aussehen kann, schilderte Pius Geiger (Gesellschafter Wilhelm Geiger GmbH & Co. KG, Oberstdorf). Mit den firmeneigenen Kiesgruben, Werken und Steinbrüchen gewährleiste man eine umfassende Versorgung der Kunden mit hochwertigen Rohstoffen wie Sand, Kies und Steinen aus der Region.

Nach dem Abbau der Baustoffe kümmere sich das Unternehmen um eine umweltgerechte Renaturierung und Rekultivierung der Areale und sorge für eine ungestörte Erholung der Natur. Auf ehemaligen Abbauflächen entstünden teilweise wertvolle Biotope und damit Lebensraum für seltene Tier- und Pflanzenarten oder landwirtschaftliche Nutzflächen. So wird Geiger zufolge sichergestellt, dass die notwendigen Eingriffe in die Natur auch für die nächsten Generationen so verträglich wie möglich gestaltet werden.

Abfall oder Ressource?

Mit der Frage „Bodenaushub – Abfall oder Ressource?“ befasste sich Rechtsanwalt Holger Seit vom Landesverband Bayerischer Bauinnungen (LBB). Er verwies auf diverse Rechtssysteme wie Abfallrecht, Bodenschutzrecht, Wasserrecht, Immissionsschutzrecht und technisches Regelwerk, die je nach Entsorgungsart zu beachten seien, sowie zahlreiche umweltfachliche Regelungen. Ab 1. August 2023 trete die neue Ersatzbaustoffverordnung (EBV) und ab 1. Januar 2024 ein Deponierungsverbot für verwertbare Bauabfälle in Kraft.

Um den Boden als Ressource zu nutzen, empfahl Seit unter anderem die Schaffung von Zwischenlagern für nicht aufbereitetes Bodenmaterial gemäß § 18 EBV in Kooperation von Gemeinden, Landkreisen und Bauunternehmen. Zudem müssten Bauprojekte so geplant und verwirklicht werden, dass verdrängter Bodenaushub z.B. durch Höherlegung wiederverwendet wird. Empfehlenswert seien auch Materialbörsen für wiederverwendbares Aushubmaterial.

Mantelverordnung

Die Sicht der Gemeinden auf den Bodenaushub erläuterte Direktor Stefan Graf vom Bayerischen Gemeindetag. Nach seiner Überzeugung wird das Inkrafttreten der Mantelverordnung im kommenden Jahr die Bodenverwertung weiter verteuern, schaffe die neue Ersatzbaustoffverordnung doch einen komplexen Dokumentations- und Analyseaufwand, wie zum Beispiel die flächendeckende bodenkundliche Begleitung.

Hinzu komme, dass keine zusätzlichen Verfüll- und Deponiekapazitäten vorhanden seien. Seit Inkrafttreten der TA Siedlungsabfall 2005 wurden laut Graf keine neuen nennenswerten Deponiekapazitäten geschaffen; vielmehr seien zahlreiche Deponien geschlossen worden. Auch fehle es ihnen an öffentlicher Akzeptanz. Zudem hielten sich Investoren wegen langjährigen gerichtlichen Verfahren zurück. Das Deponierungsverbot für verwertbare Bauabfälle ab 2024 tue sein Übriges. Deshalb sollte aus Grafs Sicht der Bodenaushub vermieden und die stoffliche Verwertung unterstützt werden.

In Ausgabe 9 der Bayerischen GemeindeZeitung (Erscheinungsdatum: 28.04.2022 wird eine Sonderdokumentation der Online-Konferenz veröffentlicht. Bereits freigegebene Vorträge stehen unter www.bayerisches-infrastrukturforum.de zum Download bereit. Das Passwort erhalten Sie per Mail an veranstaltungen@gemeindezeitung.de.

DK

 

Dieser Artikel hat Ihnen weitergeholfen?
Bedenken Sie nur, welche Informationsfülle ein Abo der Bayerischen GemeindeZeitung Ihnen liefern würde!
Hier geht’s zum Abo!

 

GemeindeZeitung

Kommunale Praxis

AppStore

TwitterfacebookinstagramYouTube

Google Play

© Bayerische GemeindeZeitung