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(GZ-18-2022)
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► Pressekonferenz im Münchner Presseclub:

 

Alarmstufe Rot – Krankenhäuser in Gefahr

Volle Notaufnahmen, Corona-Pandemie, Fachkräftemangel, Personalausfälle, explodierende Energiekosten und drohende Engpässe, Inflation und Sorgen um Liquidität und wirtschaftliche Defizite: Spätestens mit der Veröffentlichung des Kabinettsentwurfs des sogenannten GKV-Finanzierungsstabilitätsgesetzes steht die krankenhauspolitische Welt auf dem Kopf.

Anfang September startete eine bundesweite Protestaktion der Krankenhausverbände, um auf die massiven finanziellen Schwierigkeiten der Krankenhäuser in Deutschland hinzuweisen (siehe dazu auch http://openpetition.de/!AlarmstufeRot). Daran beteiligt ist auch die Bayerische Krankenhausgesellschaft (BKG). Die sich zuspitzende Situation in Bayerns Kliniken war auch Gegenstand einer Pressekonferenz im Münchner Presseclub mit dem Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft Roland Engehausen, der Geschäftsführerin des Katholischen Krankenhausverbandes in Bayern, Heike Gülker, und dem Geschäftsführer der München Klinik, Dr. Axel Fischer. Moderiert wurde der Meinungsaustausch von der stellvertretenden BKG-Geschäftsführerin Christina Leinhos.

Drohendes Krankenhaussterben

Angesichts gestiegener Kosten warnen Bayerns Kliniken vor einem „unkontrollierten Krankenhaussterben“. Laut BKG-Geschäftsführer Engehausen treffen die Krankenhäuser und ihre Beschäftigten nach den Belastungen der Corona-Pandemie nun die Inflation, extrem gestiegene Energiekosten sowie ein katastrophaler Mangel an Pflegepersonal mit voller Wucht. Während Unternehmen in der freien Wirtschaft ihre Kosten weitergeben können, blieben die Kliniken durch starre Bundesvorgaben auf immensen Kosten sitzen, die eine Preisanpassung verbieten.

Im Klartext verhindert eine bundesgesetzliche Regelung, dass die Verbände mit den Krankenkassen über höhere Ausgleichszahlungen überhaupt verhandeln dürfen. Der Spielraum, Zahlungen der Krankenkassen je Behandlung zu erhöhen, ist in diesem Jahr auf 2,3 Prozent gedeckelt. Trotz der aktuellen Kostenexplosion darf dieser Wert aufgrund gesetzlicher Regelungen nicht nachverhandelt werden. Die aktuellen Sachkostensteigerungen von durchschnittlich etwa 8 Prozent und ebenso explodierende Energiekosten von über 100 Prozent seien damit nicht finanzierbar, beklagte Engehausen.

Gesundheitsversorgung in größter Gefahr

Auch für 2023 schreibe der Gesetzgeber eine absurde Deckelung vor mit der Maßgabe, dass Krankenhäuser keinen Ausgleich für nachgewiesene Kostensteigerungen erhalten dürfen. Der Bundesregierung sei das Problem seit Monaten bekannt, so der BKG-Geschäftsführer. Weiteres Einsparpotenzial der Kliniken sei begrenzt, es drohten harte Einschnitte in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung.

Unfassbare Kostensteigerungen

Seit Wochen sorgt die Inflation für erhebliche wirtschaftliche Probleme in den Kliniken. Fast alle für das Krankenhaus relevanten Waren und Dienstleistungen haben sich spürbar verteuert. So berichtete eine Klinik-Beschäftigte aus dem Einkauf in einer kurzen Videosequenz beispielsweise von Skalpellen, die bisher ca. 3 Euro und nun bereits 10 Euro und mehr kosten. 

Bereits zum Jahresbeginn und damit noch vor der aktuellen Kostenexplosion ergab eine Umfrage zum Bayerischen Krankenhaustrend, dass mehr als die Hälfte der Kliniken enorme Defizite verbuchen und sämtliche Finanzpolster aufgebraucht sind. Daher bedroht die akute Situation nun die wirtschaftliche Existenz der Kliniken. „Wir brauchen dringend für die nächsten 15 Monate einen Inflationsausgleich in Form eines Rechnungsaufschlags von 4 Prozent“, appellierte Engehausen an die politisch Verantwortlichen in Berlin. Sollte eine Lösung ausbleiben, „fährt die stationäre Versorgung kurzfristig an die Wand“. Der Schaden wäre mit Blick auf die Versorgungssicherheit und auf den Fachkräftemangel unkalkulierbar. „Es droht eine enorme gesellschaftliche Vertrauenskrise, weil dies das Ergebnis der politischen Vorgaben wäre.“

Beispiel: Ein Krankenhaus mittlerer Größe wird nach aktuellen Berechnungen 2023 über 6 Millionen Euro mehr für Gas und Strom bezahlen als im Jahr 2021. Mehrausgaben in Millionenhöhe, die über die normalen Erlöse in keiner Weise gedeckt oder anderweitig kompensiert werden können. Für alle Kliniken in Bayern hat die BKG bereits im Frühjahr kalkuliert, dass dieses Jahr Kosten in Höhe von über 500 Millionen Euro nicht durch Erlöse gedeckt und für 2023 dieser zusätzliche Fehlbetrag im Freistaat auf über eine Milliarde Euro anwachsen würde. Dabei sind alle Bemühungen zur Einsparung von Energie, soweit dies in einem Krankenhaus mit einem Rund-um-die-Uhr-Betrieb überhaupt möglich ist, bereits einkalkuliert. 

Klinikschließungen

Die zunehmende Gefahr von Klinikschließungen aus rein wirtschaftlichen Gründen bzw. weiter zunehmender Druck auf die Krankenhausbeschäftigten ist bereits seit Monaten die große Sorge der Kliniken. „Doch hat der Bundesgesetzgeber trotz nachvollziehbarer Berechnungen und klarer Argumente bisher nicht gehandelt“, betonte Engehausen. „Das ist für uns unfassbar, obwohl alle Fakten auf dem Tisch liegen und es hier schließlich um elementar wichtige öffentliche Daseinsvorsorge geht.“

Auch der Katholische Krankenhausverband in Bayern (KKVB) fordert einen finanziellen Inflationsausgleich für alle Krankenhäuser. Durch die rasant steigenden Kosten für Energie, Waren und Dienstleistungen kämen immer mehr Kliniken finanziell an ihr Limit, erklärte Heike Gülker. Die Bundesregierung müsse endlich handeln. Die Häuser stünden mit dem Rücken zur Wand, da sie die enormen Preissteigerungen nicht auf die Kostenträger umlegen können. Für freigemeinnützige Kliniken komme hinzu, dass anders als bei öffentlichen Krankenhäusern mögliche Liquiditäts- und Finanzierungslücken in der Bilanz am Ende nicht über die kommunalen Haushalte aufgefangen werden. Schnell und unbürokratisch wäre auch aus Gülkers Sicht ein Aufschlag von rund vier Prozent auf jede Krankenhausrechnung bei allen Kliniken, der vom Bund finanziert und von den Krankenkassen ausgezahlt wird.

Steigende Ausgaben sinkende Einnahmen

„Wir befinden uns momentan in einer Mangelwirtschaft“, stellte Dr. Axel Fischer, Geschäftsführer der München Klinik, fest. Zu den ohnehin bereits vorhandenen strukturellen Problemen der Krankenhauslandschaft kämen noch die UkraineKrise und weiterhin die Corona-
Pandemie. „Die Ausgaben steigen, gleichzeitig sinken die Einnahmen.“ Auch sei die Investitionskostenförderung der Länder seit Jahren viel zu niedrig, kritisierte Fischer. Er rechnete vor, dass seine Häuser am 8. September 2021, vor einem Jahr, 30 Corona-Patienten versorgt hätten. Zum 8. September 2022 seien es 90 gewesen. Vor einem Jahr seien etwa 350 Betten gesperrt gewesen, heute seien es rund 550, also etwa 20 Prozent der gesamten Kapazität. „Seit zweieinhalb Jahren befinden wir uns im Ausnahmezustand, der inzwischen der Regelbetrieb geworden ist.“

Verlust der Pflegekräfte

Nicht zuletzt müsse auch durch das Auslaufen sämtlicher Bürokratieentlastungsmaßnahmen damit gerechnet werden, „eine ganze Generation von Pflegekräften zu verlieren und dadurch in eine Versorgungskrise zu rauschen“, unterstrich Fischer. Ein „ungeordnetes Kliniksterben“ wäre die Folge. „Deshalb brauchen wir dringend eine Krankenhausstrukturreform, die nach dem Bedarf ausgerichtet ist.“ Andernfalls könne die leistungsfähige deutsche Krankenhauslandschaft die qualitativ hochwertige medizinische Versorgung nicht mehr aufrechterhalten.

Leben und Wohnen unbezahlbar

Absehbar gefährlich sind auch die Folgen, die der eklatante Mangel an Pflegepersonal nach sich zieht. „Wenn jetzt nicht umgehend gehandelt wird, bricht innerhalb von zwei bis drei Jahren unser ganzes Gesundheitssystem zusammen“, sagte ein Chefarzt. Krankenhäuser – auch in Bayern – schließen ganze Abteilungen und das nur, weil sie dafür keine Pflegekräfte haben. Die noch vorhandenen schieben Überstunden vor sich her, die sie nicht mehr abbauen können. Lebensbedrohlich Erkrankte finden im weiten Umkreis keine Aufnahme in einer passenden Klinik, einfach nur, weil die möglichen Krankenhäuser zwar über Betten, nicht aber über Personal verfügen, das die Patienten fachgerecht versorgen kann. Die „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ hat ebenso zu Personalverlusten geführt, wie die Tatsache, dass sich viele Menschen Wohnen und Leben in der Nähe der Kliniken finanziell nicht mehr leisten können. Deshalb steht auch die Forderung nach neuen Wohnheimen für das Krankenhauspersonal im Raum.

Menschen in Heil- und Pflegeberufen sind oftmals voller Idealismus und sozialem Engagement. Die äußeren Bedingungen im Gesundheitswesen haben viele von ihnen längst über ihr Limit hinaus belastet; sie sind permanent physisch und psychisch überfordert. Dass viele von ihnen nicht einmal die zugesagten Corona-Sonderzahlungen bekommen haben, von einer adäquaten Entlohnung ganz zu schweigen, sei noch am Rande erwähnt.

DK

 

 

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