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(GZ-11-2023)
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► Kommentar Jan Kiver (GZ):

 

Bayerns klimaneutraler Energietraum von 2040

 

Was der Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) mit wissenschaftlicher Unterstützung der Münchener Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) zum Frühlingserwachen 2023 präsentierte, ist aller Ehren wert. Allerdings erinnerte es auch ein wenig an Martin Luther King am 28. August 1963: „I have a dream“. Bayern hat sein politisches Traumziel mit gesetzlicher Wucht definiert: Klimaneutralität schon bis 2040 (fünf Jahre vor der Bundesrepublik) Dank konsequenter Energiewende und Verhaltensänderung. Eine solche Herkulesaufgabe zu meistern, erfordert einen unbedingten, gemeinsamen, gesellschaftlichen Willen. Zeitvorgabe, Kosten, Parteiengezänk und die persönlichen menschlichen Egoismen sind die realen, mächtigen Gegner dieses Vorhabens.

Politik und Wirtschaft (Studienprojektpartner ist die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft-vbw) sind sich wenigstens darin einig, dass eine wissenschaftliche Analyse, wie es mit der Energiewende in Bayern weitergehen müsste, überfällig war. Wie die Ziele erreicht werden sollen, bleibt in der absehbaren Realität eher nebulös. Zuviel babylonisches Polit-Sprachgewirr, wie es muss jetzt geklotzt und endlich angepackt, statt gekleckert werden, trägt wenig zur Definition des richtigen Wegs zum Ziel bei.

Die Forschungsstelle hat in ihrer seit Ende 2021 erarbeiteten Studie die ihres Erachtens entscheidenden Stellschrauben definiert und deren Auswirkungen analysiert. Die wichtigste Botschaft: Abwarten ist keine Option, unabhängig davon, welches der vier Energieverbrauchsszenario zu Grunde gelegt wird. Da der Strombedarf kontinuierlich wachsen wird, werden auch die Veränderungs- und Reparaturkosten für das Klima allein in Bayern um bis zu 50 Prozent immer dramatischer steigen, wenn es nicht gelingt, in Bälde die Stromerzeugung klimaneutral sicherzustellen.

Die FfE geht davon aus, dass der Bruttostromverbrauch im Freistaat bis 2040 sich mindestens auf knapp 160 Milliarden Kilowattstunden erhöhen wird; im „schlechtesten“ Fall könnten es aber auch mehr als 250 Milliarden Kilowattstunden sein. 2019 lag er „nur“ bei rund 85 Milliarden Kilowattstunden. Elektrizität wird die Hauptenergieform in Bayern, erzeugt ohne fossile und nukleare Brennstoffe.

Vor der endgültigen Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke erreichte der Kohlendioxidausstoß pro Kilowattstunde im bundesdeutschen Strommix aus Kohle, Gas, Noch-Atomkraft und erneuerbaren Energien mit rund 576 Gramm den höchsten Stand seit 2008, Tendenz steigend trotz Dämpfung durch den Zubau erneuerbarer Energien. Der müsste sich laut FfE im günstigsten Fall allein in Bayern bis 2040 auf knapp 100.000 Megawatt installierter Leistung verfünffachen. Das hieße, schon seit Präsentation der Studie müssten Woche für Woche bis zu 2.800 Photovoltaik-Anlagen (à zehn Kilowatt Leistung) auf bayerischen Dächern montiert werden, parallel dazu jede Woche zwei 5,5-Megawatt-Windkraftanlagen und auf über 35 Hektar Photovoltaik-Feldanlagen (entspricht 50 Fußballfeldern mit DFB-Standardmaß von 7.140 qm).

Selbst bei einem solch ambitionierten Ausbau der Erneuerbaren bleibt Bayern Stromimportland, denn knapp ein Drittel des Strombedarfs müssen durch Lieferungen aus anderen Bundesländern bzw. dem Ausland (wie zum Beispiel Atomkraft aus Tschechien, Wasserkraft aus Österreich) gedeckt werden, sofern entsprechend leistungsfähige Stromleitungen bestehen. Und es müsste spürbar effizienter mit der Energie umgegangen werden, heißt pro Woche 1.000 Wohngebäude energetisch saniert werden. Gleichzeitig sollten 5.100 PKW nicht mehr mit Benzin/Diesel fahren, sondern mit Strom oder Wasserstoff. Für dessen Erzeugung braucht es pro Woche die Inbetriebnahme eines Zwei-Megawatt- Elektrolyseurs sowie eines entsprechenden Batteriespeichers mit 3.000 Kilowattstunden Speichervolumen und natürlich entsprechende, geschützte Standorte.

Das Mantra, dass es Klimaschutz und Energiewende nicht zum Nulltarif gibt, gehört seit Jahren zum Politsprech und kann nicht oft genug wiederholt werden angesichts der von der FfE prognostizierten Kosten des bayerischen Klimarettungsprojekts 2040. Ohne den finanziellen Aufwand für Energie-Infrastrukturmaßnahmen (vor allem Netzausbau) fallen mindestens 113 Milliarden Euro Mehrkosten an und dass trotz Einsparungen durch den Rückgang von Importen fossiler Energieträger.

Damit aus den Klimaträumen nicht nur Schäume werden, wäre es dringend geboten, dass mit Weitblick Planungssicherheit für den Aufbruch in die Klimaneutralität und die dafür notwendige Energiewende seitens der Politik hergestellt wird. Das Ganze sollte zeitnah, schnell und konsequent angegangen werden, und zwar unabhängig von Zeitgeist, Politumfragen und Wahlterminen. Das Zusammenspiel von Kompetenzen in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und gesundem Menschenverstand bietet eine vielleicht letzte Chance.

Informationen rund um die Studie sowie den Abschlussbericht im Internet: https://bayernplan-energie.ffe.de/#menue

Jan Kiver

 

 

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