Kommunale Praxiszurück

(GZ-18-2023 - 28. September)
gz kommunale praxis
GZ-Plus-Mitgliedschaft

► Flüchtlingssituation in Bayern:

 

Neue dramatische Ausmaße

Landräte schlagen Alarm: Ausgelastete Ankerzentren, überforderte Bevölkerung

 

Angesichts hoher Flüchtlingszahlen drohen in Bayern Engpässe bei der Unterbringung und massive Schwierigkeiten bei der Integration der vielen Menschen. Nach Auskunft der Bezirksregierungen sind die Ankerzentren im Freistaat entweder überfüllt oder nahezu komplett ausgelastet. Zudem ist die Situation in allen Bereichen – von der Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge bis zur Kinderbetreuung – extrem angespannt. „Bundeskanzler Olaf Scholz muss die Flüchtlingspolitik endlich zur Chefsache machen und einen neuen Kurs einschlagen!“, lautet deshalb die Forderung der bayerischen Landräte. Der „fortwährende Notfallmodus“ müsse beendet werden.

Landrätepräsident Thomas Karmasin. Bild: Bayerischer Landkreistag
Landrätepräsident Thomas Karmasin. Bild: Bayerischer Landkreistag

Konsequente Einwanderungsstrategien für Europa, Deutschland und Bayern, die auf einer strikten Trennung zwischen Asyl, Flucht und regulärer Migration aufbauen, seien das Gebot der Stunde. „Der illegale Zustrom muss begrenzt und gesteuert werden.

Zeitnahe Rückführung

Nicht aufenthaltsberechtigte Ausländer müssen konsequent und zeitnah rückgeführt werden. Deutschland braucht eine kohärente legale Ausländerpolitik. Zudem muss die Bundespolizei lückenlos die Grenzen sichern und überwachen“, stellt der Präsident des Bayerischen Landkreistags, Landrat Thomas Karmasin, Fürstenfeldbruck, fest.

Berlin muss Kommunen entlasten

„Berlin muss unsere Kommunen bei der Unterbringung, Versorgung und Integration besser unterstützen und entlasten“, betont Karmasin und ergänzt: „Unsere Bevölkerung ist von der Situation überfordert … Menschen, die vor einem Krieg flüchten und deren Leben in der Heimat bedroht ist, müssen in Europa echten Schutz finden können und nicht aufgrund einer fehlgeleiteten Migrationspolitik in einer Turnhalle auf engstem Raum und bedroht von Krankheitsausbrüchen ihr Dasein fristen.“ Der Bund verschließe seit einem Jahr Augen und Ohren, anstatt endlich echte Lösungen zur Begrenzung und Steuerung zu liefern. Nach dpa-Angaben meldet die Regierung der Oberpfalz derzeit (Stichtag: 19. September) eine Belegung mit rund 1.900 Menschen – allerdings gibt es eigentlich nur 1.450 Plätze.

Ankerzentren bereits deutlich überbelegt

Auch das Ankerzentrum in Mittelfranken mit seinen Niederlassungen sei aktuell ausgelastet. Knapp 1.800 Betten stünden zur Verfügung, die Auslastung liege bei 110 Prozent, teilte ein Sprecher der Regierung mit. Aufnahmefähig könne die Einrichtung nur bleiben, wenn Menschen in die so genannte Anschlussunterbringung wechseln können. Doch auch diese Einrichtungen seien ausgelastet, hieß es. Ähnlich sieht es im unterfränkischen Ankerzentrum aus: Die Einrichtung in Geldersheim/Niederwerrn (Landkreis Schweinfurt) hatte zuletzt fast 1.600 Menschen beherbergt. Platz ist jedoch nur für 1.200 Menschen. Die Zahl der Geflüchteten im Ankerzentrum war vor einem Jahr und zum Jahreswechsel bereits ähnlich hoch und lag bei knapp über 1.400.

Das Ankerzentrum in Oberbayern mit Hauptsitz in Manching (Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm) und weiteren Standorten im Regierungsbezirk sei derzeit zu 95 Prozent ausgelastet, erklärte ein Sprecher. Vor einem Jahr lag die Auslastung bei 77 Prozent, zu Jahresbeginn bereits bei 90 Prozent. Die Regierung von Niederbayern meldet für ihr Ankerzentrum eine Belegung von 88 Prozent. Das sei allerdings nur eine Momentaufnahme, die Zahlen könnten sich jederzeit ändern. Zu Beginn des Jahres waren von den 1.300 Betten lediglich rund 68 Prozent belegt.

Akute Notlage

Während die meisten Regierungsbezirke das Ankerzentrum auf mehrere Dependancen verteilt haben, gibt es in Oberfranken nur eine große Unterkunft, nämlich auf einem ehemaligen Kasernen-Areal in Bamberg. Die Anker-Einrichtung stoße schon seit längerem mit ihrer Belegung an ihre Grenzen, sagte eine Sprecherin der oberfränkischen Regierung. Dort seien derzeit rund 2.550 Menschen untergebracht. Die Regierung von Schwaben bietet rund 1.450 Anker-Plätze. Zum 19. September waren dort 1.391 Geflüchtete untergebracht. Das entspricht nach Angaben eines Sprechers nahezu einer Vollauslastung. Nach einem Rückgang der Zugänge im Frühjahr steige die Zahl der Neuankünfte seit einigen Monaten wieder stark an und sei auch kaum vorhersehbar.

30 bis 40 Prozent über den Vorjahreszahlen

Schon vor Monaten hatten die schwäbischen Landkreisvertreter gewarnt, dass sie vor Ort auf eine Notlage zusteuern, wenn sich nichts an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ändert. Laut der schwäbischen Regierungspräsidentin Barbara Schretter liegen die Flüchtlingszahlen aktuell bei 30 bis 40 Prozent über den Zugangszahlen des Vorjahres.

„Erschwerend kommt hinzu, dass uns kaum noch privater Wohnraum angeboten wird. In den einzelnen Landkreisen spüren wir deutlich, wie die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Aufnahme von Geflüchteten sinkt“, unterstreicht der Vorsitzende des Bezirksverbands Schwaben im Bayerischen Landkreistag, der Lindauer Landrat Elmar Stegmann. Hinzu komme die Problematik sogenannter Fehlbeleger: „Diese Personen haben bereits einen Aufenthaltstitel erhalten und sind dazu berechtigt, sich eine eigene Wohnung zu nehmen. Aufgrund des sehr angespannten Wohnungsmarktes in ganz Schwaben gestaltet sich diese Suche jedoch als äußerst schwierig. Viele finden keine Wohnung und belegen somit in den Unterkünften die Plätze, die dringend für die Aufnahme neu zugewiesener Flüchtlinge benötigt werden.“

Kontrolle an den Außengrenzen

Die Zuwanderung müsse bereits an den europäischen Außengrenzen kontrolliert werden, so Stegmann. „Zudem plädieren wir für die zeitnahe Rückführung der Menschen, deren Asylverfahren abgelehnt und rechtskräftig abgeschlossen ist so wie von Personen, die Straftaten begehen. Auch sollte die Bundesregierung kritisch hinterfragen, ob nicht durch die Ausweitung von Sozialleistungen Anreize für weitere Migration geschaffen werden.“ Auch die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge sowie der Familien mit einem erhöhten Jugendhilfebedarf nehme weiter zu. Dadurch stiegen die Jugendhilfekosten, die die Landkreise selbst stemmen müssen, deutlich an. „Wir können diese hohen Kosten nicht weiter tragen und fordern deshalb den Freistaat Bayern dazu auf, diese Kosten zu erstatten“, macht Stegmann deutlich.

Mit einem eindringlichen Schreiben hat sich unterdessen Sebastian Gruber, Landrat des Landkreises Freyung-Grafenau und niederbayerischer Bezirksvorsitzender des Bayerischen Landkreistags, an Bundesinnenministerin Nancy Faeser gewandt. Gruber zufolge sind aktuell ca. 1.800 Personen unterschiedlicher Herkunft im Landkreis Freyung-Grafenau untergebracht.

„Die Unterbringung allein fordert uns täglich, die Kapazitäten sind schon lange knapp, die Lage ist deshalb extrem angespannt“, betont Gruber und versichert: „Alle arbeiten auf Anschlag, die Belastung ist seit Jahren extrem hoch.“ Themen wie soziale Betreuung, die Integration, die Folgen für die Gesellschaft, notwendige Plätze in der Kinderbetreuung und in Schulen, ehrenamtliche Flüchtlingsbetreuung und die gesamte Koordination seien neben dem sprichwörtlichen „Dach über dem Kopf“ von besonderer Bedeutung. Doch in all den genannten Bereichen ist die Situation trotz hoch qualifizierter Aufstellung sehr angespannt. „Ja, der Bund überfordert die Kommunen und die Bevölkerung“, weiß Gruber.

Seine Kritik: „Leider gibt es auf Bundesebene keine offene und umfangreiche politische Debatte zu Asyl, zu Erwerbsmigration, zu illegaler Zuwanderung. Stattdessen haben wir aktuell einen ungezügelten Zufluss, allen voran von illegaler Migration nach Europa. Der Migrationsdruck ist daher immens, Tendenz steigend. Die Lage vor Ort, gerade in Freyung-Grafenau, ist dramatisch.“

Kein Tag ohne Aufgriffe

Verschiedene Zahlen untermauern das. Die Bundespolizeiinspektion Passau hat entlang der niederbayerisch-österreichischen Grenze von Simbach am Inn (Landkreis Rottal-Inn) bis zum Dreiländereck Deutschland – Tschechische Republik – Österreich zwischen 7.9. und 10.9.2023 insgesamt 359 Migranten und 28 Schleusungen festgestellt. Allein im Landkreis Freyung-Grafenau wurden in der ersten Septemberwoche rund 150 Migranten aufgegriffen, zum großen Teil aus Syrien, Afghanistan und der Türkei. „Es vergeht aktuell kein Tag, ohne dass es Aufgriffe gibt“, erklärt der Landkreischef.

Aus Gesprächen mit Geflüchteten sei zu vernehmen, dass sich aktuell viele Türken, im Besonderen Kurden, auf den Weg nach Deutschland machen. „Diese steuern Regionen in ganz Deutschland an, in denen bereits Verwandte und Bekannte leben, z.B. Dortmund, Gelsenkirchen, Frankfurt usw. Gleiches gilt auch für Afghanen, Syrer und andere Nationalitäten“, schreibt Gruber an die Bundesministerin. Auch wenn die Situation aktuell zunächst ein Problem der Grenzregionen sei: „Aufgrund der Kausalkette wird es aber ein ebenso großes, wenn nicht noch größeres Problem der Metropolen im gesamten Bundesgebiet.“

Söder: ,Ja´ zu Humanität, ,Nein´ zu unkontrollierter Zuwanderung

Angesichts der angespannten Lage in den Kommunen, die mit dem Flüchtlingszuzug überfordert sind, machte Ministerpräsident Dr. Markus Söder beim CSU-Parteitag in München klar: „Wir sagen ,Ja´ zu Humanität, aber ,Nein´ zu unkontrollierter Zuwanderung nach Deutschland! Wir brauchen eine Integrationsgrenze für Deutschland.“

Bayern gehe hier voran, unter anderem mit Sachleistungen statt Bargeld für abgelehnte Asylbewerber, verpflichtenden Sprachtests vor der Einschulung sowie verpflichtender gemeinnütziger Arbeit in den Kommunen für Asylbewerber. Konkret forderte Söder vom Bund die Einstellung von Sonderaufnahmeprogrammen, eine Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten sowie eine Verstärkung der Grenzkontrollen nach bayerischem Vorbild.

Gemeinsam mit Innenminister Joachim Herrmann hatte Bayerns Ministerpräsident kürzlich an einer Kontrollstelle der Bayerischen Grenzpolizei bei Freilassing angekündigt, die Bayerische Grenzpolizei weiter auszubauen. Wie Söder erläuterte, „braucht es einen Deutschlandpakt gegen illegale Zuwanderung. Solange die EU-Außengrenzen nicht effektiv geschützt werden, müssen wir unsere eigenen Grenzen sichern. Wir werden die Grenzpolizei bis 2028 um 500 neue Stellen auf 1.500 verstärken. Dabei werden auch die Polizeidienststellen in Grenznähe unterstützt. Es bräuchte in ganz Deutschland eine Grenzpolizei nach bayerischem Vorbild mit 10.000 neuen Bundesbeamten für den Grenzschutz.“

Enge Abstimmung zwischen Bundespolizei und Bayerischer Grenzpolizei

Innenminister Herrmann ergänzte: „Europaweit nehmen illegale Migration und Schleuserkriminalität weiter zu. Umso wichtiger ist die eng mit der Bundespolizei abgestimmte Arbeit der Bayerischen Grenzpolizei bei den unmittelbaren Grenzkontrollen zu Österreich und der Schleierfahndung im Grenzraum zu Österreich und Tschechien.“

Es zahle sich aus, dass die Grenzpolizei in den vergangenen fünf Jahren seit ihrer Gründung massiv verstärkt worden sei. So habe der Freistaat die Zahl der Grenzpolizisten bereits von ursprünglich 480 auf mehr als 800 erhöht. Bei der Personalzuteilung zum 1. September 2023 wurden der Grenzpolizei weitere 50 Beamtinnen und Beamten zugewiesen. „Zudem haben wir zum 1. August dieses Jahres die Grenzpolizeistation Mittenwald neu geschaffen“, ergänzte Herrmann. „Dazu kommt eine hochmoderne Ausstattung, die wir ständig weiter ausbauen, wie Drohnensysteme mit Wärmebildkameras.“

Enttäuscht ist Herrmann vom Engagement der Bundesregierung. Erst vor wenigen Tagen habe auch die Bundesinnenministerin das seit langem schon bekannte große Problem der Schleuserkriminalität erkannt und Gegenmaßnahmen angekündigt. „Auch hier ist leider zu befürchten, dass Frau Faeser wie in vielen anderen Bereichen nur mit wohlklingenden Worten glänzt, aber nicht mit konkreten Taten“, beschwerte sich Herrmann. Bei der Bundesinnenministerin liege es außerdem, alles zu unternehmen, dass die EU-Asylreform noch in dieser europäischen Legislaturperiode beschlossen wird.

„An den EU-Außengrenzen brauchen wir eine konsequente und lückenlose Einreisekontrolle“, forderte der bayerische Innenminister. „Wenn jemand ohne EU-Pass oder Visum nur mit Asylantrag einreisen will, müssen die Erfolgsaussichten des Asylantrags bereits an der EU-Außengrenze geprüft und entschieden werden.“

Großer Handlungsbedarf

Die Auswertung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zeigt nach Herrmanns Worten den großen Handlungsbedarf: 2022 wurden rund zwei Drittel der nach Deutschland gekommenen Asylsuchenden (101.000 von 151.000 Erstantragsstellern ab 14 Jahren) zuvor nicht in einem anderen EU-Land registriert. „Solange der Schutz der EU-Außengrenzen mangelhaft ist, müssen als Ultima Ratio überall dort unmittelbare Grenzkontrollen stattfinden, wo es aufgrund der aktuellen Lage erforderlich ist, wie in Bayern aktuell zu Österreich“, stellte der Minister klar.

DK

 

 

Dieser Artikel hat Ihnen weitergeholfen?
Bedenken Sie nur, welche Informationsfülle ein Abo der Bayerischen GemeindeZeitung Ihnen liefern würde!
Hier geht’s zum Abo!

 

GemeindeZeitung

Kommunale Praxis

AppStore

TwitterfacebookinstagramYouTube

Google Play

© Bayerische GemeindeZeitung