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(GZ-21-2023 - 9. November)
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► Notwendige Aufarbeitung:

 

Hätte man mehr wissen können?

Corona-Untersuchungsausschuss wird überwiegend für nicht notwendig erachtet

 

Gab es zu viel Panikmache? Waren die Entscheidungsprozesse zu intransparent? Rund um die Corona-Politik stellen sich tausend Fragen. Ein Untersuchungsausschuss könnte Licht ins Dunkel bringen. Doch der ist auf Bundesebene unerwünscht. Die Mehrheit der Bundestagsmitglieder sprach sich im April dagegen aus. In Brandenburg hingegen gibt es einen solchen Ausschuss. Für Hessen ist er angedacht. Sollte es ihn auch in Bayern geben?

Fragen am Münchner Geschwister-Scholl-Platz. Bild: StreetviewPhotography
Fragen am Münchner Geschwister-Scholl-Platz. Bild: StreetviewPhotography

Durch Untersuchungsausschüsse haben Parlamente die Möglichkeit, das Handeln der Regierung, insbesondere der Exekutive, zu untersuchen und Missstände aufzudecken. Oft werden solche Ausschüsse von der Opposition gefordert. Häufig werden sie abgelehnt. So scheiterte am 5. Juli der Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu Cum-Ex. Seit mehr als einem Jahr hingegen läuft ein Untersuchungsausschuss, der den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zum Thema hat. Ab 2014 wurde die NSA-Affäre untersucht. 2007 ging es um die Frage, inwieweit Deutschland zumindest mittelbar am Irak-Krieg beteiligt war.

„Es ist für unsere Gesellschaft und für den Staat wichtig, aus der Pandemie zu lernen“, sagt auf Anfrage der Bayerischen Gemeindezeitung Danny Eichelbaum zum Corona- Untersuchungsausschuss in Brandenburg. Der 49-jährige Christdemokrat sitzt dem Ausschuss vor. Angeregt wurde der von der AfD als jener Partei, die während der gesamten Corona-Krise auf Bundes- und Länderebene kritische Anfragen zur Corona-Politik stellte.

Auch dem Antrag auf einen Corona-Untersuchungsausschuss in Brandenburg lag ein umfangreicher Fragenkatalog bei. Etliche Fragen betreffen die Impfstrategie, die Wirkungen und Nebenwirkungen der Impfung sowie die Impfwerbung. Die Parlamentarier möchten eruieren, welche Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit der in Brandenburg angewendeten Covid-Impfstoffe der Landesregierung vorlagen. Außerdem soll untersucht werden, welche und wie viele Impfschäden und Impftote es in Brandenburg bisher gibt. Schließlich soll es um den politischen Umgang mit kritischen Stimmen gehen.

Als Feind betrachtet

Kritiker der Corona-Politik haben bald gemerkt, dass sie sich den Mund verbrennen, äußern sie ihre Bedenken zu offen. Die zum Teil brachiale und in dieser Qualität vollkommen neue Ausgrenzung und Diffamierung von Bürgern, die zu einem andern Schluss gekommen sind als die Regierungen, wurde europaweit schon früh beklagt. „Jeder, der es wagt, von der erlaubten Erzählung abzuweichen, ja jeder, der sich weigert, ihre radikalste Version zu vertreten, gilt als Fanatiker“, konstatierte die polnische Zeitung „Rzeczpospolita“ bereits Ende 2020. Befürworter einer anderen Sichtweise würden „immer häufiger nicht als Gegner, sondern als Feinde“ angesehen.

Für Danny Eichelbaum ist es wichtig, kritische Fragen zu stellen und Antworten zu finden. Allerdings hält der Landtagsabgeordnete die Landesparlamente nicht für den richtigen Ort, um Untersuchungsausschüsse einzurichten. „Die Grundsatzentscheidungen in der Corona-Krise wurden von der Bundesregierung und der Ministerpräsidentenkonferenz getroffen“, erläutert er. Wünschenswert wäre für ihn deshalb die Einsetzung einer Enquete-Kommission auf Bundesebene. Hier sollte umfassend mit Sachverständigen geprüft werden, „welche Maßnahmen gegen die Pandemie sinnvoll gewesen sind und welche nicht“.

Hält man sich vor Augen, dass zwei Jahre lang mehr oder weniger jeder, der die Maßnahmen mit Verweis auf unberücksichtigte Fakten infrage stellte, als nicht ganz bei Trost galt, ist die Forderung nach einer umfassenden Prüfung ein großer Fortschritt. Grundsätzlich habe er den Eindruck, betont Danny Eichelbaum jedoch, dass Deutschland „trotz der vielen Einschränkungen und Beschränkungen der Grundrechte gut durch die Corona-Krise gekommen ist“. Es seien allerdings auch Fehler gemacht worden.

Notwendige Aufarbeitung

Früh war eigentlich klar, dass rein von einem pädagogischen Gesichtspunkt aus betrachtet wochenlange Kita-, Schul- und Spielplatzschließungen tabu sein sollten. Auch für Danny Eichelbaum sind die Schließungen ein Fehler gewesen. Solche Fehler gelte es, aufzuarbeiten. 

Der Kinderschutzbund in Bayern hat sich laut seiner Geschäftsführerin Gudrun Gölz „intensiv damit auseinandergesetzt“, ob man sich zur Frage nach Sinn und Zweck eines Corona-Untersuchungsausschusses positionieren möchte. Man kam zum Schluss, dies zu unterlassen: „Aus Kapazitätsgründen wollen wir uns nur zu Kernthemen des Kinderschutzes äußern.“ Auch der Bayerische Landkreistag will kein Statement abgeben, da die Entscheidung über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses als Kernelement parlamentarischer Kontrolle ausschließlich dem Landtag obliege.

Der Evangelische KITA-Verband Bayern (evKITA) hingegen hat eine klare Meinung: Es sollte, sagt er, keinen bayerischen Corona-Untersuchungsausschuss geben. „Niemand konnte zu Beginn der Pandemie voraussagen, dass die langen Kita- und Schulschließungen nicht in dem Umfang nötig gewesen wären“, meint Christiane Münderlein, evKITA-Vorständin für Bildung und Soziales. Die damaligen Entscheidungen hätten den aktuellen Wissensstand wiedergegeben.

„Man hat es nicht besser wissen können“: Dies ist eine gebetsmühlenartige Behauptung, die den objektiven Tatsachen widerspricht. Auf EU-Ebene zum Beispiel existiert seit 2007 ein „Grünbuch über die Biogefahrenabwehr“. Im Mittelpunkt steht Bioterrorismus – man denke an die Anthrax-Briefe von 2001. Doch schon 13 Jahre vor Ausbruch der Corona-Krise dachte man in diesem Grünbuch auch darüber nach, wie man damit umgehen könnte, wenn „mit Vorsatz tödliche Erreger freigesetzt würden oder eine natürliche Krankheit ausbrechen oder aus einem Drittland in die EU eingeschleppt würde“.

Man hätte wissen können

2007 wurde vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) die Sicherheitsübung „Lükex 07“ durchgeführt. Übungsannahme war eine weltweite Influenza-Pandemie, also eine Grippewelle mit schwerwiegenden Auswirkungen auf Staat und Gesellschaft. Alles, was dann 2020 relevant wurde, wurde damals schon simuliert, erfährt man auf der Seite des BBK. Es ging bei der Übung um die Umsetzung von abgestimmten Notfallplanungen und Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge sowie die Aufrechterhaltung lebensnotwendiger Funktionen bei krankheitsbedingtem Ausfall des Personals.

Geübt wurde weiter die bundesweite Koordinierung knapper Ressourcen wie z. B. Schutzausrüstung. Schließlich ging es um „eine breit angelegte, abgestimmte aktive Medienarbeit zur situationsgerechten Information der Bevölkerung“. 3.000 Personen waren an dieser Übung beteiligt.

Der zweiteilige Nationale Pandemieplan das Robert-Koch-Instituts erschien in den Jahren 2016 und 2017. In diesen Plänen geht es nicht zuletzt um das pandemische Potenzial „zoonotischer Infektionen“. Detailliert wird beschrieben, wie man sich auf eine pandemische Krise vorbereitet und was vom ersten Tag einer Krise an zu tun ist.

Ende 2013 trat die „Allgemeine Verwaltungsvorschrift über die Koordinierung des Infektionsschutzes in epidemisch bedeutsamen Fällen“ in Kraft. Auch der Verein „Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit“ (ZOES), dem Sicherheitsexperten, Wissenschaftler und Wohlfahrtsverbände angehören, machte sich bereits früh Gedanken über den Umgang mit einer Pandemie. Im ZOES-Grünbuch von 2008 ging es um potenzielle Risiken und Effekte einer Influenza-Pandemie. Das durch SARS-CoV-2 verursachte Lungenleiden Covid-19 sei als Szenario vorweggenommen worden, heißt es im Grünbuch-Update von 2020.

Manches mag während der Corona-Krise aus dem und jenem Grund nicht ganz rund gelaufen zu sein. „Von einem Corona-Untersuchungsausschuss in Bayern verspreche ich mir jedoch gar nichts“, sagt Mario Kunz. Der Pastoralreferent sitzt der Konferenz für Katholische Gefängnisseelsorge in Bayern vor. Als Gefängnisseelsorger hatte er es mit Menschen zu tun, die besonders heftig unter der Corona-Krise gelitten hatten. So gab es Gefangene, die monatelang durch „gute Führung“ darauf hingearbeitet hatten, Lockerungen und damit Ausgang oder ein freies Wochenende zu erhalten. Kurz vor dem Ausbruch der Corona-Krise war dies in greifbare Nähe gerückt.

Plötzlich war jeder Ausgang unmöglich. „Einige Inhaftierte drehten deshalb fast durch“, hatte damals eine bayerische Gefängnisseelsorgerin berichtet. Doch auch, wenn die Konsequenzen gerade für Gefangene schlimm waren, wüsste Mario Kunz nicht, wozu ein Untersuchungsausschuss gut sein solle. „Die letzten Untersuchungsausschüsse in Bayern haben keine relevanten Ergebnisse gebracht, sondern waren meiner Beobachtung nach von parteipolitischen Aktionen geprägt“, sagt er.

Dem freiheitlichen Verfassungsstaat verpflichtet bleiben

Ein klares Nein zur Frage, ob ein Corona-Untersuchungsausschuss in Bayern nötig wäre, kommt auch von Kyrill-Alexander Schwarz, Rechtsstaatsexperte an der Uni Würzburg. Ein Untersuchungsausschuss über allgemeine politische Missstände in der Pandemie liefe Gefahr, zum „Mittel der politischen Skandalisierung“ zu verkommen. Der Juraprofessor betont, dass er selbst kein grundsätzlicher Kritiker der Corona-Maßnahmen war. „Die Politik konnte gar nicht anders, als die von ihr für richtig erachteten Maßnahmen anzuordnen“, gibt er zu bedenken. Sie hätte sich sonst dem Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung ausgesetzt.

Zu einer anderen Auffassung gelangt der Staatsrechtswissenschaftler Hans-Jürgen Papier. Für ihn ist eine rechtswissenschaftliche Aufarbeitung der Corona-Krisenzeit unumgänglich. Dies erklärte er unlängst bei einer Tagung der Denkfabrik R21.

Während der Krise scheine die Politik hintergründig von den Devisen bestimmt gewesen zu sein, dass Not kein Gebot kenne und der vermeintlich gute Zweck jedes Mittel heilige, so Papier. Dies gehe in einem freiheitlichen Verfassungsstaat selbst in Krisenzeiten nicht. Gerichte allerdings hätten Grundrechtssuspendierungen jeder Art und jeden Ausmaßes ein Plazet erteilt: „Das entspricht nicht unserer rechtsstaatlichen, freiheitlichen Ordnung.“

Heiner Bielefeldt, Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg, hält einen Untersuchungsausschuss hingegen für „unbedingt“ notwendig. Die durch die Corona-Krise verursachten „Verwerfungen“ in der Gesellschaft wirken nach seiner Beobachtung weiter. Depressionen und andere psychische Erkrankungen hätten bei jungen Leuten deutlich zugenommen. „Viele ältere Menschen haben ihre letzten Lebensjahre in Vereinsamung zugebracht, manche sind ohne Trost ihrer Angehörigen verstorben“, so der Menschenrechtsexperte.

Einschränkungen der Grund- und Menschenrechte

Aufgrund der Corona-Krise kam es laut Heiner Bielefeldt zu Einschränkungen der Grund- und Menschenrechte wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. „Betroffen waren die allgemeine Handlungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, ökonomische Freiheiten, aber auch die Religionsfreiheit, da Gottesdienste teils abgesagt werden mussten oder nur unter besonderen Auflagen stattfinden konnten“, sagt er. Bei Einschränkungen der Grund- und Menschenrechte habe der Staat besondere Sorgfaltspflichten zu wahren.

Die Eignung mancher Maßnahmen wie die Schließung von Schulen und Kitas auf Kosten der Bildungsrechte von Kindern sei von Anfang an umstritten gewesen. „Ob allgemeine Ausgangsverbote am Abend wirklich notwendig waren, bleibt mehr als zweifelhaft“, so der Politikwissenschaftler. Gelegentlich seien Demonstrationsverbote und andere Einschränkungen von Gerichten wieder aufgehoben worden. Insgesamt hätten die Gerichte der Politik aber weitgehende Handlungsfreiheit eingeräumt: „Nach Meinung mancher juristischen Fachleute ging das zu weit.“

Die meisten Menschen sind einfach nur froh, dass die Corona-Krise vorüber ist, erklärte die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch Ende Oktober im Münchner Presseclub. Doch es gebe eine Menge Gründe, warum das Thema „Corona“ einem Teil der Bevölkerung nach wie vor sehr wichtig ist: „Mir selbst ist das allerdings auch erst relativ spät in diesem Wahlkampf klar geworden.“ Politiker und Wissenschaftler seien insofern auch nur Menschen, als auch sie sich mit dem Thema Corona großenteils nicht mehr beschäftigen wollten: „Aber das müsste eigentlich gemacht werden.“ Eventuell, so Münch, hätte man auch sagen müssen: „Wir entschuldigen uns.“

Pat Christ

 

 

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