Die Rolle deutscher Kommunen als entwicklungspolitische Akteure erlangt zunehmende Aufmerksamkeit, sind sie es doch, die über das Wissen, Fertigkeiten und Erfahrungen verfügen, die vor Ort gebraucht werden. Deswegen hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) Anfang 2016 die Initiative „Kommunales Know-how für Nahost“ gestartet, mit der es die kommunale partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Aufnahmekommunen in Jordanien, im Libanon und in der Türkei und deutschen Kommunen fördert.
München und die türkische Provinzhauptstadt Mardin, die im Südosten der Türkei in nur 40 Kilometer Luftlinie von der syrischen Grenze entfernt liegt und derzeit ca. 100.000 Flüchtlinge aus Syrien und ebenso viele Binnenflüchtlinge beherbergt, werden als erste Kommunen in der neuen Initiative zusammenarbeiten. Anlässlich eines Besuches von Repräsentanten der Stadt Mardin in München fand kürzlich im Rathaus ein Pressetermin mit dem Bundesminister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller statt.
Beitrag zur Entlastung
Unter dem Titel „Kommunale Entwicklungszusammenarbeit – Münchens Know-how in der Flüchtlingskrise gefragt“ stellte Müller die von der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) der Engagement Global gemeinsam mit der Städteplattform Connective Cities (CC) umgesetzte Initiative vor. Wie der Bundesminister deutlich machte, finden von den rund fünf Millionen syrischen Flüchtlingen, die mittlerweile ihr Heimatland verlassen mussten, 90 Prozent Schutz in den Nachbarländern Jordanien, Libanon und Türkei. Die aufnehmenden Kommunen gerieten durch den kurzfristigen Zuzug aber zunehmend unter Druck. Deutsche Kommunen könnten hier mit ihrem Know-how, ihren Erfahrungen und Fertigkeiten einen Beitrag zur Entlastung der Aufnahmekommunen leisten.
Auch soll langfristig ein Beitrag zum Wiederaufbau syrischer Kommunen geleistet werden. Müller: „Wir müssen vor Ort in den Städten diese Kommunen stabilisieren und den Menschen helfen. Zunächst geht es ums Überleben und dann um eine Perspektive, damit sie Zuhause in der Nähe bleiben können.“
Internationale Partnerschaft
Im Rahmen der Auslandskomponente der Initiative werden Müller zufolge folgende Instrumente angeboten, um deutsche Kommunen und kommunale Akteure in die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Aufnahmekommunen in Jordanien, Libanon und der Türkei einzubinden:
1. Lern- und Erfahrungsnetzwerk: Das multilaterale, kommunale Netzwerk bietet Kommunen Gelegenheit zum praxisorientierten Erfahrungsaustausch. In verschiedenen Dialogformaten kommen Praktiker und kommunale Akteure aus Deutschland und den Partnerländern zusammen, tauschen sich zu Schwerpunktthemen der nachhaltigen Stadtentwicklung aus und erarbeiten gemeinsam Lösungsansätze.
2. Expertenpool: Im Rahmen des Expertenpools werden kommunale Fachleute vermittelt, die sich für internationale Einsätze in Projekten in den Partnerländern zur Verfügung stellen, um ihre praktischen Erfahrungen aus deutschen Städten einzubringen.
3. Kommunale Projektpartnerschaften: In Know-how Partnerschaften (bilateral) erarbeiten Kommunen aus Deutschland und den Partnerländern Projektideen zu kommunalen Kernthemen und nachhaltiger Entwicklung. Diese werden gemeinsam umgesetzt. Die Ausgestaltung der kommunalen Partnerschaftsarbeit wird von der SKEW fachlich begleitet und finanziell sowie personell unterstützt.
4. Im Rahmen der Inlandskomponente bietet die SKEW das Projekt „Qualifizierung von Geflüchteten in deutschen Kommunalverwaltungen“ an. Beim Wiederaufbau der Herkunftsländer von Geflüchteten spielt der Aufbau funktionierender Kommunalverwaltungen eine bedeutende Rolle. Deutsche Kommunen können hier schon frühzeitig in Deutschland unterstützen, indem sie Geflüchteten eine Qualifizierung in der Kommunalverwaltung anbieten. Geflüchtete könnten sich in der Folge gezielt und qualifiziert am Aufbau von Kommunalverwaltungen in ihren Herkunftsländern beteiligen.
Online-Portal
Kommunen können zudem über ein Online-Portal schnell und unkompliziert angeben, in welchen Bereichen sie Unterstützung bieten oder brauchen könnten und sich über die Initiative informieren. Nach Müllers Worten „sind Kommunen in der Bewältigung der Flüchtlingskrise zentral. Deshalb unterstützen wir die entwicklungspolitische Zusammenarbeit deutscher Kommunen mit Kommunen in den Nachbarländern Syriens. Ich freue mich, dass München und Mardin als Pioniere unserer neuen Initiative vorangehen.“
Der für die internationale Zusammenarbeit zuständige Leiter des Referats für Arbeit und Wirtschaft, Münchens Bürgermeister Josef Schmid, stellte zunächst eine Vielzahl an Maßnahmen vor, die die Stadt München in den nächsten Jahren umsetzen wird, um einen Beitrag der Kommunen an der Bekämpfung von Fluchtursachen zu leisten.
So wurde in einem ersten Schritt eine Koordinierungsstelle für das Thema Flucht und Entwicklung eingerichtet, die ab Dezember 2016 ihre Arbeit aufnehmen soll. Die Stelle soll ein abgestimmtes Handlungskonzept für die Umsetzung des Schwerpunkts erarbeiten. Insbesondere soll sie die entwicklungspolitischen und flüchtlingsbezogenen Aktivitäten auf kommunaler Ebene vernetzen und konkrete Kooperationsprojekte mit betroffenen Kommunen im Ausland etablieren.
Neben dem Engagement in Nahost engagiert sich München auch in dem Projekt Kommunaler Wissenstransfer Maghreb-Deutschland, das auf deutscher Seite von der SKEW umgesetzt und ebenfalls vom BMZ finanziert wird. Konkret geht es um die Zusammenarbeit mit der tunesischen Stadt Kasserine.
Berufliche Qualifizierung
Bei der Projektpartnerschaft mit Mardin steht laut Schmid in erster Linie die berufliche Qualifizierung jugendlicher Flüchtlinge im Vordergrund. Das Erlernen praktischer Fähigkeiten soll ihnen ermöglichen, sich Existenzen aufzubauen und ihre Fähigkeiten gezielt einzusetzen. Mittelfristig können diese Fertigkeiten auch dafür genutzt werden, sich aktiv an künftigen Wiederaufbauprozessen in den Grenzgebieten zu Syrien oder in Syrien selbst zu beteiligen. Als erster Schritt ist die Erstellung einer Bedarfsanalyse vorgesehen, um die Projektideen weiterzuentwickeln und konkrete Projektpläne auszuarbeiten.
Münchens Bürgermeister wertete die Zusammenarbeit mit Mardin als wichtigen Schritt: „Die Landeshauptstadt München hat bereits einen großen Beitrag dazu geleistet, Bedürftige aufzunehmen und zu versorgen. Angesichts der massiven Flüchtlingsbewegungen müssen wir uns vor allem aber auch vor Ort für die Bewältigung der Flüchtlingskrise und für die Bekämpfung von Fluchtursachen engagieren. Mit ihrem Wissen kann die Stadt München mithelfen, nachhaltige Strukturen zu schaffen und die Lebensbedingungen der Menschen in den Fluchtregionen zu verbessern.“
Leman Kiraz, Verwaltungsleiterin der Stadt Mardin, verwies in Vertretung von Oberbürgermeisterin Akyol Akay auf die prekäre Situation in der Grenzregion. Es herrsche der Ausnahmezustand. Flüchtlinge seien gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Der andauernde Bürgerkrieg in Syrien habe sich zu einer riesigen humanitären Katastrophe entwickelt, so Kiraz. Die grausamen und kriegerischen Attacken des so genannten Islamischen Staates im Irak und in Syrien hätten die Situation und die Sicherheitslage in der Region nochmals verschärft. Die Zahl der in und um Mardin angesiedelten Flüchtlinge wird inzwischen auf mehrere zehntausend geschätzt. „Wir sehen diese Entwicklung mit großer Sorge“, führte Kiraz aus. Umso wichtiger und kostbarer seien humanitäre Projekte wie jenes zwischen München und der türkischen Grenzstadt.
|