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(GZ-11-2024 - 6. Juni)
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► Notarztdienst:

 

Rasanter Anstieg seit zwei Jahren

2022 wurde der Notarzt im Bayern fast 403.000 Mal zu Kassenpatienten gerufen

 

Sie kommen, hat sich eine Katastrophe ereignet. Ein Zugunglück. Eine Massenkarambolage. Sie kommen bei ausgeprägter Atemnot. Bei Herzstillstand. Und starken Schmerzen. Notärzte sind ein elementarer Teil des Gesundheitswesens. Allein im bodengebundenen Notarztdienst, also ohne Rettungshubschrauber, kam es bei Kassenpatienten letztes Jahr bayernweit zu fast 385.000 Notarzteinsätzen. 2022 lag die Zahl sogar noch deutlich darüber.

Fast 403.000 Mal wurde der bodengebundene Notarzt 2022 zu Kassenpatienten gerufen. Damit waren Notärzte, landauf, landab, vor zwei Jahren jeden Tag mehr als 1.100 Mal im Freistaat im Einsatz. Die Einsatzzahl bedeutet einen erstaunlichen Ausreißer. Im Vergleich zum Vorkrisenjahr stieg sie um mehr als sieben Prozent: 2019 wurden erst knapp 376.000 Einsätze registriert. Zu Beginn der Coronakrise, 2020, kam es nachvollziehbarerweise zu einem Einbruch. 358.000 Mal fuhr der Notarzt vor vier Jahren mit Tatütata los. Die Menschen waren nicht mehr viel unterwegs. Darum sanken zum Beispiel die Unfallzahlen deutlich.

Jährlicher Zuwachs

Die Frage, warum es 2022 mit einem Mal zu einem großen Sprung kam, bleibt rätselhaft. „Ich habe dafür keine Erklärung“, sagt etwa Günther Griesche, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Zweckverbände für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung in Bayern (Arge ZRF Bayern). Günther Griesche selbst leitet den Zweckverband für die Region Ingolstadt. Auch hier gab es 2022 einen Ausreißer. 67.300 Rettungseinsätze sind für dieses Jahr registriert. 2023 sanken die Zahlen wieder auf 65.600 Einsätze. Das sind immer noch rund 1.000 mehr als 2019. Im Vergleich zum letzten Jahr vor Ausbruch der Corona-Krise wuchs die Einsatzzahl 2022 in Ingolstadt um 4,5 Prozent.

Beim Bayerischen Roten Kreuz war die Gesamteinsatzzahl 2022 ebenfalls deutlich höher als in den Jahren davor und danach. Mit über 1.300 Einsatzfahrzeugen und mehr als 6.200 angestellten Einsatzkräften wurden 2022 mehr als zwei Millionen Rettungsdiensteinsätze absolviert. Der Sprung von 2019 auf 2022 lag, ähnlich wie bei den Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung in Bayern, bei rund sieben Prozent.

Grundsätzlich ist eine Steigerung der Einsatzzahlen von Jahr zu Jahr zu beobachten. 2014 zum Beispiel leisteten die Rettungsdienstler des BRK nur gut 1,7 Millionen Einsätze ab. Der Zuwachs zum Folgejahr 2015 betrug damals schon 6,55 Prozent.

Zu berücksichtigen sind bei der Analyse der Zahlen allerdings die zahlreichen Fehl- und nicht verrrechnungsfähigen Einsätze. Rechnet man die heraus, liegt die Einsatzzahl des Bayerischen Roten Kreuzes für das Jahr 2022 bei knapp 1,35 Millionen. Im Jahr 2019 waren gut 1,33 Millionen Einsätze notwendig und wurden verrechnet. Werden die Fehleinsätze und nicht verrechnungsfähigen Einsätze berücksichtigt, beträgt der Zuwachs im gesamten Rettungsdienst des BRK in Bayern zwischen 2019 und 2022 nur noch ein Prozent.

Nicht nur Bagatellen

Doch so einfach ist die Welt nicht. Denn es fragt sich, was hinter der Formel „nicht verrechnungsfähige Einsätze“ steckt. Darüber klärt BRK-Pressesprecher Sohrab Taheri-Sohi auf. Verrechnet werden können Rettungsdiensteinsätze nach seinen Worten nur dann, wenn ein Patient transportiert wurde. Was im Übrigen nicht bedeutet, dass der Rettungsdienst in solchen Fällen leer ausginge: „Wir sind vorhaltefinanziert, das heißt, wir erhalten eine pauschale Vergütung für unseren Sicherstellungsauftrag.“

Einsätze mit Patiententransport werden allerdings am Ende höher vergütet. Wichtig bleibt, zu wissen, dass auch nicht verrechnungsfähige Einsätze Notfälle sein können. „Wenn wir also beispielsweise nur vor Ort eine Versorgung durchgeführt haben, der Patient dann aber Zuhause geblieben ist, so ist dieser Einsatz für uns nicht verrechnungsfähig”, führt Sohrab Taheri-Sohi aus. Falsch wäre es nach seinen Worten, „Fehleinsätze“ sowie „nicht-verrechnungsfähige“ Einsätze ausschließlich als Bagatellen, Lappalien oder „nicht notwendig“ zu deklarieren.

Dass es im Jahr 2022 zu erstaunlich vielen Notfalleinsätzen im Rettungsdienst kam, zeigt laut Bayerischem Innenministerium der „Rettungsdienstbericht Bayern 2023“.

„Mit 1.225.890 Ereignissen wies das Jahr 2022 ein 14 Prozent höheres Aufkommen der Notfallereignisse als das Jahr 2019 auf“, heißt es darin dick hervorgehoben. Ebenfalls erstaunlich: Während die Zahl der Rettungsdienstereignisse kontinuierlich von Jahr zu Jahr wächst, abgesehen vom Ausnahmejahr 2020, gehen die Zahlen von 2022 auf 2023 plötzlich zurück. Letztes Jahr wurden bayernweit 1.187.201 Notfallereignisse registriert. Das ist ein Rückgang von über drei Prozent.

Weshalb der Notarzt vor allem gerufen wird, kann das Innenministerium nicht sagen. Auch die Frage, warum es ausgerechnet 2022 zu extrem vielen Notfallereignissen kam, vermag das Ministerium nicht zu beantworten. Es verweist auf den prinzipiell kontinuierlichen Anstieg der Anzahl der Notfallereignisse von Jahr zu Jahr.

„Anzunehmende Gründe hierfür sind unter anderem Veränderungen bei der ambulanten Versorgung, der demographische Wandel und die Inanspruchnahme des Rettungsdienstes bei minderschweren Erkrankungs- und Verletzungsbildern“, heißt es.

Kein Problem?

Nach den Recherchen unserer Zeitung wird der plötzliche Anstieg der Notfallereignisse 2022 nirgends in der „Szene“ problematisiert. Obwohl es ja um Tausende von Menschen geht, die sozusagen „zusätzlich“ zum Notfallereignis wurden. Eine Analyse wäre von daher interessant. Grund dafür, dass sie ausbleibt, mag sein, dass Rettungsdienstler genug andere Sorgen haben.

„Wie in allen medizinischen Bereichen ist auch der Rettungsdienst von sehr knappen personellen Ressourcen geprägt“, sagt Claire Banzer von der Pressestelle des BRK. Notärzte sind darum im Dauerstress. Und müssten dringend entlastet werden. Das Bayerische Rote Kreuz schlägt eine stärkere Einbindung von Notfallsanitätern in der Versorgung von Notfallpatienten vor. Sie seien so gut ausgebildet, dass sie vor Ort eigenverantwortlich zahlreiche lebensrettende Maßnahmen durchführen könnten. Die weitere ärztliche Versorgung könnte dann zum Beispiel durch einen Telenotarzt übernommen werden.

Dass es zu wenige Notärzte ergibt, liegt laut Gökhan Katipoglu, Leiter des Bereichs „Notdienste“ bei der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) nicht zuletzt an schwieriger gewordenen Rahmenbedingungen. „Die fachlichen Zugangsvoraussetzungen wurden erhöht“, erklärt er. Kurze Arbeitsverträge an Kliniken ließen die Bereitschaft sinken, sich zum Notfallmediziner weiterzubilden: „Und niedergelassene Ärzte müssen sich zwischen der Versorgung ihrer Patienten in der Praxis und dem Notarztdienst entscheiden.“ Hinzu komme, dass für die Notfallversorgung relevante Klinikstationen geschlossen wurden.

Nicht immer besetzt

„Unterm Strich stagniert die Zahl der am Notarztdienst teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte bei zirka 3.700, während gleichzeitig die Anzahl der vom einzelnen Arzt übernommenen Dienste sinkt“, so Gökhan Katipoglu. Aus diesem Grund sind die Notarztstandorte in der Regel nicht zu 100 Prozent besetzt. Im vergangenen Jahr gab es bayernweit eine Besetzungsquote von 93,1 Prozent.

Negativer Spitzenreiter war der Notarztstandort Bad Königshofen mit einer Besetzungsquote von lediglich rund 44 Prozent im Jahr 2023: „Im bisherigen Verlauf des Jahres 2024 sehen wir aber wieder eine Verbesserung der bayernweiten Besetzung.“ Sofern Dienstschichten an einem Notarztstandort nicht besetzt werden können oder wenn ein Notarzt kurzfristig ausfällt, ist die Versorgung laut Gökhan Katipoglu weiterhin durch die benachbarten Notarztstandorte sichergestellt. „Zu einem Notarzteinsatz ist, unabhängig von der jeweiligen Besetzung der einzelnen Notarztstandorte, grundsätzlich immer das am schnellsten verfügbare geeignete Rettungsmittel zu alarmieren“, so der Notdienste-Leiter.

Problematisch für Rettungsdienstler ist laut Günther Griesche, Vorsitzender der Arge ZRF Bayern, auch, dass Rettungsdienstfahrzeuge relativ häufig kaputt sind. „Das liegt daran, dass in den letzten Jahren die Lebensdauer und die Kilometerleistung in die Höhe gesetzt wurden“, erklärt er. Ein gewaltiges Problem stellten darüber hinaus Krankenhausschließungen dar: „Deswegen kann man den Patienten manchmal nirgendwo hinbringen.“ Um mehr Notärzte zu gewinnen, plädiert Günther Griesche für eine bessere Honorierung: „Der Bereitschaftsdienst der KVB wird besser bezahlt.“ Letztlich müsste das Gesundheitswesen als Ganzes reformiert werden.

Pat Christ

 

 

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