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(GZ-15/16-2024 - 1. August)
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► GVB-Verbandstag in München:

 

Als „Möglichmacher“ den Wandel gestalten

 

Die Bedeutung von Zusammenarbeit und Anpassungsfähigkeit in Zeiten des Wandels stand im Mittelpunkt des 123. Verbandstags des Genossenschaftsverbands Bayern in München. Vor 800 Gästen bezeichnete der scheidende GVB-Präsident Gregor Scheller Genossenschaften als „Möglichmacher“, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt förderten.

Nach seinen Worten sind Genossenschaften durch ihre Nähe zum Kunden, engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Nutzung digitaler Möglichkeiten anpassungsfähig und können zudem passgenaue Produkte anbieten. „Unsere Genossenschaften sind bestens aufgestellt, um den Wandel zu gestalten und den Anforderungen der jungen Generation gerecht zu werden“, zeigte sich Scheller überzeugt.

Zunehmende gesellschaftliche Spaltung

Sorge bereitet dem GVB-Präsidenten allerdings die zunehmende gesellschaftliche Spaltung. Umso wichtiger sei in diesen Zeiten, „dass Genossenschaften verbinden, anstatt zu spalten“. Sie seien nah am Menschen und in der Region verwurzelt, stünden in engem Kontakt mit ihren Mitgliedern und fänden Lösungen. Mit Blick auf das Übermaß an Regeln und Verordnungen für Unternehmen erklärte Scheller: „Der Staat will mich verwalten und ich habe keinen Raum mehr zu gestalten.“

In seiner Begrüßung hatte Dr. Gerhard Walther, ehrenamtlicher Verbandspräsident und Vorsitzender des Verbandsrats Genossenschaftsverband Bayern, darauf verwiesen, dass nach einer Phase der Konsolidierung der GVB seit 2022 einen Gründungsboom bei Genossenschaften verzeichnet. In dieser Zeit seien 76 Genossenschaften gegründet worden. Allein im laufenden Jahr waren es bis zum 30.06.2024 bereits 22 neue Genossenschaften – ein Großteil von ihnen Wärmegenossenschaften, die ihren Mitgliedern dezentral aus regenerativen Quellen kostengünstige Wärmeenergie zur Verfügung stellen.

1.200 Mitglieder

Als 1.200stes Mitglied im Verband könne man nun die im Juni gegründete Pabst Pflanzenbau eG mit Sitz in Vierkirchen im Landkreis Dachau willkommen heißen. Sie wickelt den Verkauf der selbst erzeugten landwirtschaftlichen Produkte und Erzeugnisse der Pabst Einzelbetriebe ab. Mithilfe der Vermarktungsgenossenschaft sollen Verwaltung und Abrechnung erleichtert und die Verhandlungsposition gegenüber Abnehmern verbessert werden. Zudem übernimmt die Genossenschaft die Aufbereitung und den Transport der Produkte an die Endkunden.

Auch Walther hob die Rolle der Genossenschaften als Stabilitätsanker in Krisenzeiten hervor: „Sie repräsentieren unsere Wirtschaftsleistung, unsere Heimat, unsere Tradition.“ Er forderte die Politik auf, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Flexibilität und Eigenverantwortung unterstützen. „Die Bürokratie belastet die genossenschaftlichen Unternehmen, den gesamten Mittelstand und auch die Regionalbanken in nie dagewesenem Ausmaß. Wir sehen das in unserer Gruppe als die größte Sorge des Mittelstands – mehr noch als den Fachkräftemangel“, mahnte Walther. Sein Appell: „Bürokratische Hürden hemmen unsere Innovationsfähigkeit und belasten die wirtschaftliche Entwicklung. Wir brauchen mehr Spielraum für unternehmerische Entscheidungen.“

Gestalterische Kraft

Als weiteres Beispiel für die gestalterische Kraft der Genossenschaften bezeichnete der ehrenamtliche Präsident die Energiewende. Er plädierte für Anreize statt starrer Vorgaben, um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen, und betonte die Notwendigkeit flexibler Regelungen für ländliche Gebiete sowie die Unterstützung von Bürgerenergiegenossenschaften durch lokale Behörden.

Prof. Dr. Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, sprach in seinem Festvortrag über die Herausforderungen des Standorts Deutschland und betonte die Bedeutung von Innovation und Anpassungsfähigkeit. Er forderte die Politik zum Handeln auf: „Die Wirtschaft stagniert. Uns fehlen die Aufträge in der Industrie und am Bau. Die wirtschaftliche Lage stabilisiert sich, aber wir erreichen keinen Auschwung. Um wieder angemessene Wachstumsraten zu erreichen, braucht Deutschland ein umfassendes wirtschaftspolitisches Reformpaket. Es geht um die Stärkung des Arbeitsangebots, der Investitionsbereitschaft und der Innovationen.“

Der demografische Wandel führe zu weniger Erwerbstätigen, erläuterte Fuest. Dies sei „Gegenwind für das Wachstum“. Hinzu komme, dass in Deutschland im Jahr pro Beschäftigen am wenigsten gearbeitet wird. Da Arbeitskräfte zwingend erforderlich seien, gelte es, sich mit der Frage zu befassen, weshalb so viele Menschen Teilzeit arbeiten wollen. Das betreffe vor allem Frauen bzw. Mütter.

Ans Klima anpassen

Fuest zufolge ist es erforderlich, sich an die Klimaerwärmung anzupassen. Dafür müsse man investieren und dekarbonisieren. Dies sei mit gewaltigen Anstrengungen verbunden.

Fuest plädierte auch dafür, bürokratische Vorgaben zu hinterfragen. Viele in den vergangenen Jahren beschlossene Gesetze entfalteten weder einen wirtschaftlichen noch ökologischen Nutzen, sie schadeten nur und produzierten Bürokratie. Dies gelte sicher für die EU-Taxonomie für Nachhaltige Entwicklung, die „komplett geschreddert“ werden könne.

Auch das Energieeffizienzgesetz sei ein Desaster: „Wir verabschieden Gesetze, von denen wir wissen, wir wollen diese gar nicht anwenden. Die ESG-Berichterstattung führt zu noch mehr Bürokratie und die Lieferkettensorgfaltsgesetzgebung, die geprägt ist von Misstrauen gegenüber Unternehmen, kann genauso in den Schredder, denn sie führt dazu, dass Vorschriften erlassen werden, die wir sowieso alle teilen. Wir brauchen stattdessen zum Beispiel strenge Strafen bei Kinderarbeit.“

Fuest machte abschließend darauf aufmerksam, dass die Abschaffung der Schuldenbremse keine Probleme löse. Das Augenmerk müsse auf mehr Investitionen gelegt werden. Deutschland verfüge nach wie vor über sehr viel Substanz. Dafür sorgten der Mittelstand und Hidden Champions mit einer breiten Streuung über viele Branchen. Auf diese Unternehmen müsse die Wirtschaftspolitik ihr Augenmerk richten.

Zum Abschluss des Verbandstags ergriff Stefan Müller das Wort. Der bisherige Bundestagsabgeordnete aus Erlangen wird zum 1. August Scheller als GVB-Präsident nachfolgen. Müller sieht den GVB als Impulsgeber im genossenschaftlichen Verbund und als eine der größten Mittelstandsvereinigungen des Freistaats. Er wolle weiter daran arbeiten, dass der GVB auch künftig ein starker, innovativer Dienstleister für die Mitglieder bleibe, kündigte er an.

Inzwischen übergab Gregor Scheller bei einem Festakt in München Stefan Müller offiziell die Amtsgeschäfte. Zahlreiche Ehrengäste nahmen an der Feier teil, um Schellers herausragende Leistung und seinen Einsatz für das Genossenschaftswesen zu würdigen. Als langjähriger Bankvorstand prägte er maßgeblich die Entwicklung der heutigen VR Bank Bamberg-Forchheim und engagierte sich intensiv in verschiedenen Gremien auf Bundes- und Landesebene. „In den letzten zwei Jahren hat Gregor Scheller im GVB als Präsident wichtige Weichenstellungen für die Zukunft des Verbands vorgenommen“, lobte Gerhard Walther. Für seine Verdienste erhielt Scheller die Raiffeisen-Schulze-Delitzsch-Medaille in Gold, die höchste Ehrung der genossenschaftlichen Organisation in Deutschland.

Söder: Wirtschaftliche Fundamente

Ministerpräsident Dr. Markus Söder unterstrich in seinem Grußwort Schellers unermüdlichen Einsatz für die Anliegen der Genossenschaften und würdigte seinen bedeutenden Beitrag zur Stärkung des Genossenschaftswesens in Bayern. Zudem bekannte er sich zum Mittelstand sowie zu regionalen Bankengruppen wie den bayerischen Volks- und Raiffeisenbanken:

„Der ländliche Raum ist die Seele des Freistaats. Mittelstand und Familienunternehmen sind unser wirtschaftliches Fundament und machen uns auch international stark. Dafür steht der Genossenschaftsverband Bayern in besonderer Weise. Besonders wichtig sind dabei die Genossenschaftsbanken. Sie sind ideale Partner gerade für kleine und mittlere Unternehmen. Mit ihrer regionalen Verankerung kennen sie die Verhältnisse vor Ort genau. Für sie werden wir auch in Europa kämpfen. Die Staatsregierung ist und bleibt ein starker Partner.“

Wie Verbandsratsvorsitzender Walther darlegte, bringe der neue GVB-Präsident Stefan Müller mit einer Bankausbildung und langjähriger politischer Erfahrung ideale Voraussetzungen für seine neue Aufgabe mit. „Mit Stefan Müller haben wir eine ideale Nachfolgelösung gefunden. Gemeinsam mit dem Prüfungsvorstand Alexander Leißl wird er dafür sorgen, dass der GVB auch weiterhin seiner Rolle als starker, moderner und innovativer Dienstleister und Fürsprecher für seine Mitglieder gerecht wird“, betonte Walther abschließend.

DK

 

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