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(GZ-18-2024 - 26. September)
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► DLT-Jahrestagung im Kloster Seeon:

 

Landkreise in der Zeitenwende

 

„Wir Landkreise sollten uns gerade in schwierigen Zeiten als Stabilitätsanker in der Fläche begreifen. Es gilt, das Vertrauen der Menschen in staatliche Strukturen zu stärken. Von ihnen und uns hängt viel ab“, unterstrich DLT-Präsident Reinhard Sager bei der Jahrestagung des Deutschen Landkreistags in Kloster Seeon. Die Landrätinnen und Landräte müssten standhaft bleiben. „Sie sind auch Brückenköpfe der Demokratie und des Rechtsstaates“, betonte Sager, dessen Amtszeit als DLT-Präsident nach zehn Jahren endete.

Dr. Achim Brötel. Bild: DLT
Dr. Achim Brötel. Bild: DLT

Zu Sagers Nachfolger bestimmte die Mitgliederversammlung den Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises Dr. Achim Brötel. Der Fürstenfeldbrucker Landrat Thomas Karmasin, seit Mai 2022 Präsident des Bayerischen Landkreistags, wurde einstimmig zum Vizepräsidenten des DLT wiedergewählt. Als weitere Vizepräsidenten fungieren die Landkreischefs Sven Ambrosy (Landkreis Friesland), Götz Ulrich (Burgenlandkreis), Anita Schneider (Landkreis Gießen, ab 28.11.2024) und Olaf Schade (Ennepe-Ruhr-Kreis, ab 16.11.2025).

Die Politik muss mehr liefern

„Die Politik muss mehr liefern, besser kommunizieren und darf sich nicht ständig verheddern im Klein-Klein. Dafür geht es um zu viel. In der Verunsicherung der Zeitenwende ist es umso mehr Aufgabe der Politik, Wege zu finden, das Vertrauen der Bevölkerung zu stärken“, stellte der scheidende Präsident fest. Wichtig sei die Erkenntnis, dass Deutschland dezentral geprägt ist und die meisten, nämlich 57 Millionen Menschen, in der Fläche leben. Für diese müsse zuallererst Politik gemacht werden.

Mehr Gelassenheit

„Etwas mehr Gelassenheit und weniger Aufgeregtheit sind bei aller Wachsamkeit durchaus ratsam“, gab Sager den mehr als 200 Delegierten auf den Weg. „Unsere Demokratie ist sowohl stabil als auch wehrhaft. Auch sollten politische Erklärer – in Berlin, den Landeshauptstädten, den Rundfunkanstalten oder der Presse – nicht den Fehler machen, unliebsame Wahlergebnisse so zu deuten, als hätten die Leute ‚falsch‘ gewählt. Das hilft niemandem“, machte der langjährige Landkreischef deutlich.

Noch schlimmer sind aus seiner Sicht von der Bundespolitik aufgelegte „Demokratieförderprojekte“ für Ostdeutschland. Diese taugten ausschließlich dazu, die Wahlentscheidungen als Hauptbestandteil demokratischer Verfasstheit zu relativieren. „In diese Falle sind leider viele hineingetappt“, bedauerte Sager. „Stattdessen wäre hier eine vernünftige Politik insbesondere für die Menschen in den ländlichen Räumen das richtige Rezept und nicht eine Verknüpfung von Tatenlosigkeit und anschließender Wählerbeschimpfung.“

Stabilitätsanker in der Fläche

Die Landkreise unternähmen viel, um gerade in schwierigen Zeiten als Stabilitätsanker in der Fläche wahrgenommen zu werden. Es sei wichtig, das Vertrauen der Menschen in staatliche Strukturen zu stärken. Allerdings bestehe kein Grund, mit der Bundespolitik zufrieden zu sein, so der Präsident: „Es lässt sich etwa beim Heizungsgesetz, beim 49-Euro-Ticket oder in der Krankenhausversorgung sowie im Wohnungsbau nicht behaupten, dass die Bundesregierung eine Politik für das gesamte Land gemacht hat.“

Die Krankenhausreform beispielsweise werde die Menschen in den Landkreisen direkt und in negativer Weise betreffen. Sager: „Zwar hat der Bund noch immer nicht die von uns geforderte Auswirkungsanalyse vorgelegt. Aber man muss kein Prophet sein, um jedenfalls generell abzusehen, was da auf uns zukommt: ein Abbau bei den stationären medizinischen Versorgungsstrukturen in ländlichen Räumen. Wir befürchten, dass am Ende in den Landkreisen vorwiegend nur noch die „Sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen“ bestehen werden. Das können in einzelnen Gebieten durchaus leistungsfähige medizinische Einrichtungen sein. Sie sind aber längst nicht überall geeignet, gerissene Lücken in der Krankenhauslandschaft zu füllen. Vor allem aber verweigert die Bundespolitik seit fast zwei Jahren den Krankenhäusern die notwendige ausreichende Finanzierung. Dies führt dazu, dass flächendeckend fast alle Krankenhäuser in den Roten Zahlen sind.“

Landkreise müssen mit Milliarden einspringen

Die Landkreise in Deutschland brächten allein für ihre eigenen Krankenhäuser im Jahr 2024 einen Betrag von mindestens zwei bis drei Milliarden Euro auf, um diese vor der Insolvenz zu bewahren. Dies seien Gelder, die für andere ebenso wichtige, aber eigene Aufgaben der Landkreise nicht zur Verfügung stehen. In einem solchen Szenario eine Reform durchzuziehen, sei weder sachlich noch politisch nachvollziehbar, stellte Sager fest. Auf völliges Unverständnis treffe auch die Reform des Rettungsdienstes. Dafür sei entgegen den ursprünglichen Absichten kein ordentliches Gesetzgebungsverfahren mehr geplant.

Vielmehr wolle der Bundesgesundheitsminister nun über Fraktionsänderungsanträge im laufenden Verfahren zur Notfallreform Beteiligungsrechte umgehen und auf Abstimmungen mit Ländern und kommunalen Spitzenverbänden verzichten. Auch dies sei ein weiterer Schlag ins Gesicht der Kommunen, deren fachlich berechtigter Kritik man offenbar elegant versuche, aus dem Weg zu gehen.

Auch in der Migrationspolitik lasse der Bund Konsequenz, Ordnung und Steuerung vermissen, fuhr der DLT-Chef fort. Die Belastungssituation in den Landkreisen sei ungeachtet der aktuell leicht rückläufigen Asylzahlen nach wie vor zu hoch. Zahlreiche Antragsteller aus dem vergangenen Jahr warteten noch auf ihren Bescheid. Hinzu kämen die rund 1,2 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine.

Die Akzeptanz in der Bevölkerung sei gering und sinke weiter. Von der im vergangenen Jahr ausgerufenen Rückführungsoffensive sei nur wenig zu spüren. Darüber hinaus seien keine Kapazitäten für eine gelingende Integration vorhanden, um die es ja eigentlich gehen sollte. „Neben schnelleren Asylverfahren brauchen wir daher dringend geringere Zuzugszahlen. Dazu dauerhafte Grenzkontrollen und mehr Migrationsabkommen mit Drittstaaten, auch mit der Türkei. „Und der Bund versagt uns seit Anfang 2022 den Vollausgleich der flüchtlingsbedingten Unterkunftskosten. Da reden wir bis heute über mehr als 7 Milliarden Euro“, erläuterte Sager.

Rücklagen werden aufgebraucht

Er wies zudem darauf hin, dass ohne ordentlich finanziell ausgestattete Landkreise und Gemeinden kein Staat zu machen sei. „Von den 294 Landkreisen haben im letzten Jahr 189 ihren Haushalt nicht oder nur unter Rückgriff auf ihre Rücklangen ausgleichen können. Das sind zwei Drittel. 2024 werden dies 281, also fast alle Landkreise sein. Vielfach werden die Rücklagen in Milliardenhöhe damit vollständig aufgebraucht sein.“ Die Länder, aber über die Stärkung der kommunalen Steuerbasis auch der Bund, müssten für eine aufgabenangemessene Finanzausstattung der Kommunen sorgen.

Die föderalen Kräfte seien insgesamt zu stärken. Das betreffe auch den Klimaschutz. „Fortschritte kann es hier nur gemeinsam mit den Landkreisen geben. Wir sehen große Wertschöpfungspotenziale in den ländlichen Räumen, zum Beispiel bei der Windenergienutzung oder bei Wasserstofftechnologien. Zudem muss die Netzentgeltregulierung so ausgestaltet werden, dass nicht die besonders intensiv die erneuerbaren Energien tragenden Landesteile die höchsten Netzentgelte leisten müssen.“

Menschen zusammenführen

Die Berliner Politik müsse sich stärker dafür einsetzen, die Menschen im Land zusammenzuführen, bilanzierte der DLT-Chef. „Wir müssen alles daransetzen, unser Land weiterzuentwickeln, seine Errungenschaften zu sichern und es für den globalen Wettbewerb zu rüsten. Ich sehe zu diesem Miteinander, dem wir wieder zu mehr Geltung verhelfen müssen, keine Alternative.“

Auch aus Sicht von Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck „müssen wir uns den Herausforderungen unserer Zeit gemeinsam stellen“. Es brauche jetzt die fortgesetzte, konzentrierte Zusammenarbeit aller demokratischen Kräfte in ländlichen Räumen und in den Städten für ein gutes gesellschaftliches Miteinander auch in herausfordernden Zeiten.

„Dabei sind die Landkreise und der Landkreistag eine entscheidende Stimme und ein zentraler Partner vor Ort, sie arbeiten Tag für Tag daran, das Leben für die Menschen vor Ort besser zu machen und die großen Herausforderungen zu bewältigen.“

Zuvor hatte Bayerns Ministerpräsident Dr. Markus Söder bei seiner Begrüßung darauf hingewiesen, dass der Freistaat Bayern ein starker Partner der Kommunen und des ländlichen Raums sei. „Nur wenn es den Kommunen gut geht, geht es dem Land gut.“

Söder: Der ländliche Raum ist die Seele Bayerns

Rund 30 Prozent des Haushalts gingen an die Kommunen. „Der ländliche Raum ist die Seele Bayerns und hat für uns den gleichen Stellenwert wie die Metropolen“, so Söder. Bedauerlicherweise lege der Bund den Kommunen aber durch praxisferne Beschlüsse und Bürokratie immer neue Steine in den Weg. Dies führe zu einer Überforderung. Gerade in der Asylpolitik, bei der Energie und der fehlerhaften Krankenhausreform werde das deutlich.

Bei der Migration brauche es in Deutschland am Ende weit weniger als 100.000 Zugänge pro Jahr, weil Integration sonst nicht mehr möglich ist. Des Weiteren müsse die Bundesregierung für mehr Abschiebearrestplätze im Land sorgen und Rückführungsverträge mit Ländern wie Syrien und Afghanistan aushandeln.

Wer offene Grenzen haben wolle, müsse auch in der Lage sein, diese zu schützen. Dafür seien Grenzkontrollen und eine Grenzpolizei, wie Bayern sie habe, vonnöten. Außerdem plädierte der Ministerpräsident für die flächendeckende Einführung einer Bezahlkarte für Flüchtlinge. Allerdings sei das Bundesgesetz so „wässrig formuliert“, dass es einige Unsicherheiten gebe. Die Bezahlkarte brauche es jedoch, um Deutschland für Zuwanderer nicht zu attraktiv zu machen.

Brötel fordert signifikante Stärkung der kommunalen Steuerbasis

In seiner Antrittsrede wies der neue DLT-Chef Achim Brötel darauf hin, dass die Landkreise wie keine zweite Ebene für lösungsorientiertes, zupackendes Handeln und damit zugleich auch für Verlässlichkeit vor Ort stünden.

„Pragmatisch, effizient und erfolgreich. Daran müssen wir die Politik immer wieder erinnern. Ohne finanziell ordentlich ausgestattete Landkreise ist kein Staat zu machen.“

Der Weg führe über eine signifikante Stärkung der kommunalen Steuerbasis, was nur durch eine dauerhafte, spürbare und insbesondere auch strukturelle Erhöhung des Umsatzsteueranteils erfolgen könne, die unmittelbar den Landkreisen zugutekommt. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sei nämlich kein leerer Programmsatz, sondern vielmehr ein eindeutiger politischer Handlungsauftrag.

Für 2024 befürchten die Landkreise ein Rekorddefizit von 2,6 Mrd. Euro. Städte, Landkreise und Gemeinden erwarten insgesamt für das laufende Jahr ein Defizit von 13,2 Mrd. Euro. Und mit roten Zahlen im deutlich zweistelligen Milliardenbereich wird es laut DLT weitergehen, stärkten Bund und Länder nicht umgehend die Kommunalfinanzen in struktureller Weise. Hohe Personalausgaben, steigende Sachaufwände, ein üppiger Tarifabschluss und vor allem die Sozialausgaben seien die wesentlichen Kostentreiber. Der kommunale Anteil an der Umsatzsteuer muss sich nach Ansicht des Verbandes von heute knapp 8,2 Mrd. Euro auf um die 17,5 Mrd. Euro erhöhen. Dies wäre ein Befreiungsschlag, der dann zu Rückführungen zum Beispiel bei bestimmten Förderprogrammen führen könnte.

Die Bundespolitik ist nach Brötels Auffassung „ziemlich weit weg von dem, was die Menschen vor Ort bewegt“. Den Landkreisen machten vor allem die schiere Aufgabenfülle und Aufgabenvielfalt große Schwierigkeiten.

„Ein Kernthema ist die Bewältigung des immer noch zu hohen Zustroms geflüchteter Menschen, die unterzubringen, zu versorgen, vor allem aber zu integrieren sind. Hinzukommen der Klimawandel, die Zukunft des Sozialstaats, der Arbeitskräftemangel, die Energie- und Mobilitätswende, der flächendeckende Glasfaserausbau, der Pflegenotstand und vieles mehr.“

Detailverliebtheit der Gesetzgeber

Problematisch sei außerdem die „nahezu grenzenlose Detailverliebtheit der Gesetzgeber, was inzwischen in Gesetze und Verwaltungsvorschriften mündet, die an filigraner Ausdifferenzierung kaum mehr zu überbieten sind. Das ist nicht nur nicht notwendig und verkompliziert die Umsetzung vor Ort. Es hemmt und lähmt auch die Entfaltung kommunaler Selbstgestaltung, wo wir sie dringend brauchen“, hob der neue DLT-Präsident hervor und ergänzte:

„Wir müssen uns in diesen Fällen ehrlich machen, auch wenn es weh tut. Jeder Euro lässt sich nur einmal ausgeben und jede Fachkraft nur einmal einsetzen. Deshalb brauchen wir dringend den Mut zur Priorisierung. Wir müssen offen sagen, was noch geleistet werden kann, was aber umgekehrt eben auch nicht mehr zu schultern ist.“

Bayerns Bauminister Christian Bernreiter, ehemaliger Landrat des Landkreises Deggendorf und früheres Mitglied des Präsidiums des Deutschen Landkreistags, hatte zuvor über den militärischen Bundeshochbau im Freistaat informiert. Bernreiter zufolge führt Bayern als erstes Bundesland ein Gesetz zur Stärkung der Streitkräfte ein.

„Wir müssen die militärische Infrastruktur in Europa ertüchtigen“, erklärte der Minister. „Unser Ziel ist eine schnellere Umsetzung militärischer Bauvorhaben durch Entbürokratisierung und Deregulierung. Zum Beispiel werden Vorhaben auf Militärgelände verfahrensfrei gestellt. Die Bundeswehr wird von örtlichen Bauvorschriften der Standortgemeinden freigestellt. Wir appellieren an den Bund, hier weitere Vereinfachungen voranzutreiben.“

Bayern ist verlässlicher Partner für Bund und Kommunen

Die Bayerische Staatsbauverwaltung baut und erhält auch Gebäude des Bundes, der Bundeswehr und der US-Gaststreitkräfte im Freistaat. 25 bis 30 Prozent des jährlichen Bauvolumens kommen aus dem Bundeshochbau. Die USA, so Bernreiter, hätten Investitionen in Milliardenhöhe in ein neues hochmodernes Trainingszentrum für die U.S. Army Garrison Bavaria in Grafenwöhr angekündigt. Für die Umsetzung des gestiegenen Bauvolumens habe der Freistaat in den vergangenen Jahren über hundert neue Stellen für den Bundeshochbau geschaffen. Bayern bleibe somit verlässlicher Partner für Bund und Kommunen.

DK

 

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