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(GZ-19-2024 - 10. Oktober)
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► Vernetzungsveranstaltung im Bayerischen Landtag:

 

Ehrenamtliche Bürgermeister im Gespräch

 

Knapp 200 ehrenamtliche Rathauschefs aus dem Freistaat fanden sich im Maximilianeum zu einer großen Vernetzungsveranstaltung ein. Die Veranstaltung „Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Gespräch“, kurz BiG, bot eine Mischung aus thematischen Podiumsdiskussionen sowie verschiedenen Panels und gab breiten Raum für Diskussion, Netzwerken und einen intensiven Austausch zwischen Kommunal- und Landespolitik.

Landtagspräsidentin Ilse Aigner begrüßte im Maximilianeum knapp 200 ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Bild: Matthias Balk/Bayerischer Landtag
Landtagspräsidentin Ilse Aigner begrüßte im Maximilianeum knapp 200 ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Bild: Matthias Balk/Bayerischer Landtag

Landtagspräsidentin Ilse Aigner würdigte das unverzichtbare Engagement der Kommunalpolitiker. In rund 800 Gemeinden stünden ehrenamtliche Bürgermeister an der Spitze der Kommunalverwaltung und gestalteten die Zukunft ihrer Heimat mit. „Ihr Einsatz ist nicht nur für die hohe Lebensqualität in Bayern entscheidend. Er ist auch entscheidend für die Zufriedenheit mit unserer Demokratie“, erklärte Aigner und ergänzte: „Sie pflegen das Wurzelwerk der Demokratie, gemeinsam mit den rund 37.000 Frauen und Männern in den Gemeinderäten und Kreistagen, die dort ehrenamtlich tätig sind. Und nur wenn die Wurzeln gesund sind, können in der Höhe Triebe sprießen und Blüten wachsen. Das ist Ihre Leistung, die Sie in der Regel neben Ihren Jobs, neben Familien- und Pflegearbeit erbringen. Und dass Sie sich neben den persönlichen Dingen, wo einem allein schon der Kopf schwirren kann, dann noch um das Gemeinwohl kümmern, das hat Anerkennung verdient. Und darum geht’s mir heute auch mit BiG: Es ist ein kleines Dankeschön für Ihre großen Verdienste im Freistaat.“

Neben Landtagspräsidentin Ilse Aigner nahmen unter anderem der Bayerische Staatsminister des Innern, für Sport und Integration, Joachim Herrmann, Abgeordnete aller Fraktionen des Bayerischen Landtags, Vertreter der kommunalen Spitzenverbände sowie zahlreiche weitere Expertinnen und Experten teil. Die Moderation des Kongresses übernahm der Leiter der Redaktion Landespolitik des Bayerischen Rundfunks, Dr. Achim Wendler.

10-Punkte-Katalog

Mit seiner Keynote zum Thema „Überlebenschancen von Kommunen in Zeiten knapper Haushaltskassen“ von Dr. Jürgen Busse, Geschäftsführer der Bayerischen Akademie für Verwaltungs-Management, und einem Podiumsgespräch über aktuelle haushälterische Herausforderungen startete der fachliche Teil des Kongresses. Busse legte dabei einen 10-Punkte-Katalog mit Erwartungen der Kommunen an den Bayerischen Landtag vor. Darin wird die Einbindung von Vertretern der kommunalen Spitzenverbände zu aktuellen kommunalen Themen, etwa in Form von Runden Tischen, ebenso gefordert wie die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, d.h. Abbau von
Bürokratie, Kontrollpflichten, Dokumentationspflichten, und neuen Standards.

Neben der Erhöhung des kommunalen Anteils am allgemeinen Steuerverbund (derzeit 12,75 Prozent), der Beteiligung an lnvestitions- und Betriebskosten von Kinderbetreuungseinrichtungen und der Wahrung des Konnexitätsprinzips (z.B. Änderung des Schulfinanzierungsgesetzes zur digitalen Bildung) sind laut Busse die Sicherung der Krankenhausfinanzierung bei Umsetzung des Lauterbach-Konzepts und die Gewährleistung der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum zwingend notwendig. Darüber hinaus nannte er die Unterstützung der Kommunen beim Klimaschutz (z.B. Wärmenetz, Förderung von Beteiligungsmodellen bei Anlagen zur regenerativen Erzeugung), die Unterstützung der Kommunen bei der Umsetzung der Digitalisierung (weniger ist mehr), die Vereinfachung des Vergaberechts sowie die staatliche Finanzierung der Aufnahme und Integration von geflüchteten Menschen.

Erneut Spitze beim FAG

Bayerns Innen- und Kommunalminister Joachim Herrmann verwies darauf, dass der kommunale Finanzausgleich 2024 trotz angespannter Haushaltslage erneut ein Spitzenniveau erreichen konnte. Neben verschiedenen Fördermitteln seien auch die Schlüsselzuweisungen um 4,1 Prozent angehoben worden, rund 2,8 Milliarden Euro gingen dabei an die Gemeinden. „Zur allgemeinen Stärkung der kommunalen Investitionskraft erhalten die bayerischen Gemeinden und Landkreise zudem Investitionspauschalen in Höhe von insgesamt 446 Millionen Euro, die frei für Investitions-, Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen an kommunalen Einrichtungen verwendet werden können“, ergänzte Herrmann und unterstrich: „Unser oberstes Ziel ist, dass die Finanzlage der Kommunen auch in schwierigen Zeiten solide bleibt!“ 

Best Practice-Beispiele

In den anschließenden Panels ging es unter anderem um Best Practice-Beispiele zu den Themen „Gesundheit und Senioren“, „Energiewende“ und „Eindämmung von Flächenverbrauch“ sowie um Möglichkeiten, Frauen für die Kommunalpolitik zu gewinnen. Auch die aktuellen Herausforderungen, die die fortwährende Zuwanderung für Kommunen mit sich bringt, wurden in einer Keynote und einem Podiumsgespräch ausführlich behandelt.

Für Reinhard Streng, Erster Bürgermeister der mittelfränkischen Gemeinde Langenfeld (Landkreis Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim) ist der vorausschauende Umgang mit dem demographischen Wandel unverzichtbar.

Mit der Dorflinde Langenfeld hat er ein Mehrgenerationenhaus geschaffen, das dabei helfen soll, Abwanderung und Überalterung im ländlichen Raum zu bekämpfen. Bewusst wurde alte Bausubstanz im Ortskern saniert, um das Dorfzentrum zu stärken. Konsequent wurde die Infrastruktur auf die Bedürfnisse der kommenden Generationen angepasst, so dass Projekte wie das Mehrgenerationenhaus mit Tagescafé, das Mehrgenerationenwohnen mit Tagespflege, ein großer Dorfladen mit vielen weiteren Angeboten der Grundversorgung sowie ein Gasthaus realisiert werden konnten. Ein Unterstützerkreis von über 100 ehrenamtlich Engagierten hilft in dem 1.000 Einwohner-Ort bei haushaltsnahen Dienstleistungen im Sinne der Nachbarschaftshilfe.

Medizinische Versorgung

Mit dem Ziel, Hausarztpraxen in Form medizinischer Gesundheitszentren zu betreiben, hat Peter Schmitt, Erster Bürgermeister der Stadt Amorbach (Landkreis Miltenberg), das erste gemeinwohlorientierte hausärztliche Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) unter dem Dach einer kommunalen Genossenschaft in Bayern – die Campus Co eG – ins Leben gerufen. Das genossenschaftliche Medizinische Versorgungszentrum der Odenwald-Allianz bietet die Möglichkeit, gerade auch in einer ländlichen Region der nachwachsenden Ärztegeneration ein attraktives Arbeitsumfeld zu schaffen und die Niederlassung auf diese Weise zu erleichtern. Im April vergangenen Jahres wurde das erste MVZ in Schneeberg in Betrieb genommen. Wenn das in Amorbach geplante neue Gebäude für das Gesundheitszentrum steht, soll das MVZ als Ankermieter dorthin verlagert werden.

Entwickelt wurde das Konzept der Campus Co eG im Jahr 2015 von Christine Becker, Inhaberin und Geschäftsführerin „SalutoConsult“. Die Soziologin, die sich als „Brückenbauerin“ versteht, berät Kommunen zur wohnortnahen Gesundheitsversorgung. Ihr Augenmerk liegt dabei auf der Förderung von Lebensqualität, Standortattraktivität sowie medizinischer und pflegerischer Versorgungssicherheit vor dem Hintergrund demografischer Entwicklungen und unter Einsatz vorhandener digitaler Technologien.

Energie- und Heimatdorf

Als Best Practice-Beispiel zum Thema Energiewende diente das „Energie- und Heimatdorf“ Wildpoldsried. Wie Günter Mögele, Zweiter Bürgermeister der Gemeinde im Oberallgäu, ausführte, setze Wildpoldsried auf das Zusammenspiel von Ökonomie und Ökologie. So produziere die Gemeinde achtmal so viel Strom, wie sie verbraucht. Auch bei der Wärme aus regenerativen Energien erwirtschafte das Dorf einen Überschuss von ca. 60 Prozent, wodurch Nah- und Fernwärme sowie Stromversorgung durch den Mix von Sonne, Wind und Biogas mehr als sichergestellt werden.

Bevölkerungsrückgang gestoppt

Sein Erfolgsrezept einer flächenbewussten Kommune stellte Bernd Sommer, Erster Bürgermeister der Stadt Waldsassen (Landkreis Tirschenreuth) vor. Die Klosterstadt hat sich mit einem Grundsatzbeschluss des Stadtrats dazu verpflichtet, Innenentwicklung vor Außenentwicklung zu priorisieren, und damit trotz reger Bautätigkeit kaum neue Flächen verbraucht und den Bevölkerungsrückgang gestoppt.

Waldsassen war Standort der keramischen Industrie. Anfang der 1990er Jahre kam plötzlich das Aus. Nach und nach folgten weitere Industriezweige. Gleichzeitig stand die Klosteranlage kurz vor dem baulichen Kollaps. Sinkende Einwohnerzahlen und wirtschaftliche Probleme stellten sich ein. Mit Hilfe der Städtebauförderung führte die Stadt kontinuierlich Stadterneuerungsmaßnahmen durch. Es wurde ein Konzept entwickelt, mit den vorhandenen Flächen auszukommen und dennoch Entwicklung zu ermöglichen.

Neuer Wohnraum im Zentrum

„Wenn Gebäude marode werden, brach liegen und sich kein Käufer findet, dann nehmen wir es in den Fokus. Wir suchen Investoren oder erwerben selbst die Immobilien, räumen die Fläche frei oder sanieren. Wir haben auch ein Leerstandskataster erstellt, damit vom Leerstand bedrohte beziehungsweise brach liegende Wohngebäude erfasst und frühzeitig erkannt werden können. Viele dieser Gebäude sind inzwischen saniert und neu belebt“, erläuterte Sommer. Neuer Wohnraum, überwiegend mitten im Stadtzentrum, sei entstanden und werde auch weiterentwickelt. Trotz reger Bautätigkeit mussten kaum neue Flächen genutzt werden. Die Stadt ist heute aufgeräumter als vor Jahren, da marode Bausubstanz gewichen ist. Für dieses herausragende Engagement wurde Waldsassen 2019 als eine der ersten bayerischen Kommunen mit dem neuen staatlichen Gütesiegel „Flächenbewusste Kommune“ ausgezeichnet.

Nur 10 Prozent weibliche Bürgermeister in Bayern

Frauen auf dem Chefsessel im Rathaus sind in Bayern eher rar, obwohl Frauen die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Nur knapp 10 Prozent der Bürgermeister in Bayern sind weiblich. Damit sich das ändert, sind gezielte Unterstützung und Ermutigung potenzieller Kandidatinnen nötig, wie Dr. Birgit Kreß, Erste Bürgermeisterin Markt Erlbach, zweite Vizepräsidentin des Bayerischen Gemeindetags und Sprecherin der bayernweiten Arbeitsgemeinschaft „Frauen führen Kommunen“ feststellte. Die seit 2016 bestehende AG will ein Forum für Austausch, Vernetzung und Bündelung der Interessen der Bürgermeisterinnen sein. Gleichzeitig sollen die Bürgermeisterinnen auch nach außen hin besser sichtbar werden, um einen Anreiz für junge Frauen und Mädchen zu bilden, selbst in die Kommunalpolitik einzusteigen.

Steigende Flüchtlingszahlen

In seiner Keynote beschäftigte sich Prof. Hannes Schammann vom Lehrstuhl Politikwissenschaft, Schwerpunkt Migrationspolitik (Universität Hildesheim) mit dem Thema „Kommunale Flüchtlingspolitik – Herausforderungen und Gestaltungsmöglichkeiten“. Schammann wagte einen „Blick in die Glaskugel“, demzufolge die aktuellen politischen Versuche, Fluchtzuwanderung zu reduzieren, noch mindestens bis 2016 anhalten werden „und auch vorübergehend erfolgreich sein können“. Gleichwohl sei davon auszugehen, dass die Flüchtlingszahlen weltweit weiter ansteigen werden. Wolle man mit restriktiven Mitteln die Zahlen für Deutschland und Europa langfristig drücken, stelle sich die Frage nach dem Preis, insbesondere dem Austritt aus internationalen Verträgen und den Nebeneffekten für andere Felder und Zielgruppen (u.a. Diskussion um „menschenwürdiges Existenzminimum“).

„Pragmatismus vor Ort kann auch bei emotionalen Debatten erhalten werden“, unterstrich Schammann. „Für eine aktive Kommune in der Aufnahme Schutzsuchender braucht es starke Allianzen zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft. Das kann selbst ungünstige Startchancen transformieren.“ Die offene Frage laute: „Gelingt es, die Debatte, wo nötig, zu „demigrantisieren“ und der Falle des dauerhaften Politikversagens zu entgehen?“

In Deutschland werden die Flüchtlinge nach dem „Königsteiner Schlüssel“ auf die Bundesländer verteilt. Wie Bernd Buckenhofer, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied im Bayerischen Städtetag, bei einer abschließenden Podiumsdiskussion mit Petra Guttenberger, MdL, Vorsitzende des Ausschusses für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Integration, Karl Straub, MdL, Integrationsbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung, Walter Jonas, Regierungspräsident der Oberpfalz, Marion Fleischmann-Hilton, Erste Bürgermeisterin Burgpreppach, und Hans-Peter Mayer, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Bayerischen Gemeindetags, betonte, sei Bayern hier „gut unterwegs“. Nach dem deutschlandweiten Verteilungsschlüssel habe der Freistaat 15,56 Prozent aller Geflüchteten aufzunehmen. 24 von 25 kreisfreien Städten lägen weit über 100 Prozent dieser Quote, ebenso die Landkreise.

Gleichmäßige Verteilung

Buckenhofer zufolge muss eine gleichmäßige Verteilung in alle Regionen Bayerns, in alle Landkreise und alle Städte und Gemeinden auch weiterhin das Ziel sein. Statt über Umverteilungen nachzudenken, müsse der Bund wirkungsvolle Instrumente zur Steuerung der Migration einrichten. Auch sei die kommunale Leistungsfähigkeit durch eine bessere Finanzausstattung zu stärken.

„Kommunikation über die staatliche Ebene in die Kommunen hinein ist wichtig“, unterstrich Gemeindetags-Geschäftsführer Hans-Peter Mayer. Die Bürgermeister dürften in der Flüchtlingskrise nicht allein gelassen werden. „Nur gemeinsam schaffen wir diese Herausforderung“, hob Mayer hervor und plädierte deshalb einmal mehr für eine „aktive Bürgergesellschaft“.

DK

 

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