(GZ-21-2024 - 7. November) |
► In fataler Weise abhängig: |
Informatikprofessor warnt vor Verlust der digitalen Souveränität |
Abseits der Datenautobahn zu agieren, wäre für Kommunen heute unvorstellbar. Die Digitalisierung erleichtert vieles. Doch sie birgt auch Gefahren. Vor diesen Gefahren warnt Harald Wehnes, Vorsitzender des Präsidiumsarbeitskreises „Digitale Souveränität“ der Gesellschaft für Informatik (GI). Das Thema „Digitale Abhängigkeit“, vor allem in Bezug auf Produkte der Firma Microsoft, müsste dem Professor von der Uni Würzburg zufolge eine viel höhere Priorität in Kommunen haben.
„Bei Kommunalpolitikern steht ein funktionierender, kostengünstiger IT-Betrieb im Vordergrund, und das ist auch verständlich“, so Harald Wehnes. Die meisten dürften allerdings schon von “digitaler Abhängigkeit“ gehört haben: „Manche sind wahrscheinlich sogar durch Preissteigerungen mangels fehlenden Wettbewerbes bereits Betroffene.“ Dennoch beobachtet der Experte für „Digitale Souveränität“, dass das Thema in Rathäusern und Landratsämtern keine hohe Priorität hat. Gleichzeitig, beobachtet er, gebe es kaum Kenntnisse über alternative Softwareprodukte, deren Anbieter und Supportleistungen.
Der Informatiker warnt eindringlich vor „Fehlinformationen der Marketingmaschinerie von Big Tech“. „Sie bezeichnen ihre Rechenzentren zum Beispiel als ‚souverän‘, obwohl diese für die Kunden das genaue Gegenteil bewirken, nämlich eine Verstärkung der digitalen Abhängigkeit“, erläutert er. Das Gebaren erinnert ihn an das frühere Vorgehen von Tabakkonzernen. Die dreistesten unter ihnen streuten jahrelang die Devise aus: „Raucht mehr, denn Rauchen erhöht nach medizinischen Studien die Gesundheit!“
Harald Wehnes verweist auf eine aktuelle Analyse, die zeigt: „Die digitalen Abhängigkeiten sind im Verhältnis zur Abhängigkeit von russischem Gas wesentlich kritischer zu bewerten, da sie irreversiblen Charakter haben.“ Als die Gaslieferung eingestellt wurde, habe es Sofortlösungen durch die Nutzung vorhandener Reserven, alternativer Energien und vielfältiger Sparmaßnahmen gegeben. „Sollte uns der ‚digitale Hahn‘ abgedreht werden, wofür es immer mehr internationale Beispiele gibt, verfügen wir derzeit über keine Sofortlösungen und müssen alle Konsequenzen erdulden“, so der Wissenschaftler.
Extreme Preiserhöhungen
Die aktuellen Preiserhöhungen der marktbeherrschenden Virtualisierungssoftware VMware zeige, wie Monopolstellungen wirtschaftlich ausgenutzt würden, so der Sprecher des GI-Präsidiumsarbeitskreises „Digitale Souveränität“. Die Preise für VMware-Produkte hätten sich bis zu zwölffach erhöht. Auch Kommunen seien von extremen Preiserhöhungen nicht ausgenommen. Der Steuerzahler müsse letztlich die Mondpreise blechen: „Ohne Einfluss nehmen zu können“. Das Steuergeld fehle dann für marode Brücken, Straßen, Bildung und vieles andere.
Nun ist „digitale Souveränität“ in Stadtverwaltungen durchaus ein Thema. Dies bestätigt Carla Diehl, Pressesprecherin der Stadt Aschaffenburg. Laut ihrem Leitbild habe die Stadt das klare Ziel, technologische Souveränität sicherzustellen. „Dies beinhaltet die Kontrolle und den Schutz personenbezogener Daten sowie die Autonomie bei der Nutzung digitaler Technologien und Infrastrukturen”, führt sie aus.
Schwierige Umstellung auf Open-Source-Produkte
Bei Betriebssystemen und Office-Anwendungen setzt die Stadt dennoch weitgehend auf Microsoft-Produkte. „Viele der eingesetzten Fachanwendungen sind auf Microsoft-Betriebssysteme ausgelegt“, erläutert Carla Diehl. Klar ist der Stadtverwaltung aber: „Die hohe Abhängigkeit von Microsoft-basierten Lösungen, insbesondere bei zentraler Verwaltungssoftware, macht eine Umstellung auf Open-Source-Produkte schwierig.“
Die Entscheidung, vorwiegend auf Microsoft-Produkte zu setzen, basiert aber auch auf einer Kosten-Nutzen-Analyse. “Eine Umstellung auf Open-Source-Systeme wie Linux würde bedeuten, dass zahlreiche bestehende Fachverfahren entweder nicht mehr unterstützt würden oder aufwendige und kostenintensive Anpassungen erforderlich wären“, so Carla Diehl. Zudem wäre die Schulung der Mitarbeiter sowie der Administratoren mit erheblichem Aufwand verbunden. Was zu zusätzlichen Kosten führen würde.
Daten „On-Premise“
Ähnliches verlautet aus der Stadt Nürnberg. “Digitale Souveränität ist unserer Stadtverwaltung sehr wichtig”, betont IT-Referent Thorsten Brehm. Deshalb würden derzeit alle Daten „On-Premise“, also im eigenen Rechenzentrum gehalten: „Eine Speicherung der Daten in der Cloud erfolgt nur in Ausnahmefällen.“
Grundsätzlich stehe der städtische IT-Bereich vor der Herausforderung, mit den vorhandenen finanziellen und personellen Ressourcen sowohl fachliche Anforderungen zu erfüllen als auch eine zuverlässige IT-Infrastruktur zu betreiben. Deshalb müsse auf „übliche Standards“ gesetzt werden. „Im Client-Umfeld ist es derzeit nicht möglich, mit Linux alle Anforderungen zu erfüllen“, erklärt Thorsten Brehm. Beispielsweise gebe es Fachsoftware, die nur unter MS Windows lauffähig ist: „Dazu gehören auch vorgeschriebene Produkte der Bundesdruckerei im Bereich des Passwesens.“
Linux habe bei Desktop-Computern derzeit lediglich einen Marktanteil von 4,5 Prozent. MS Windows hingegeben liege bei über 73 Prozent. „Für die Hersteller von Softwareprodukten ist dieser kleine Marktanteil zu wenig attraktiv, um Desktop-Software anzubieten, die für die Aufgabenstellungen im öffentlichen Dienst geeignet ist“, so der IT-Referent. Der hohe Marktanteil an Windows-Installationen biete im Übrigen den Vorteil, dass die große Mehrheit der städtischen Beschäftigten entsprechende Erfahrungen aus Schule, Ausbildung oder Studium mit MS-Windows-Betriebssystemen mitbringt.
Eine einheitliche Windows-Umgebung im Desktopbereich minimiere schließlich administrative Aufwände. Es sei im vom Fachkräftemangel geprägten IT-Markt viel einfacher, Windows-Administratoren zu gewinnen. Im Serverbereich seien die Auswirkungen hingegen nicht derart erheblich, sodass die Stadt Nürnberg hier sowohl Windows als auch Linux als Serverbetriebssysteme einsetzt. Linux werde im Serverbereich sogar vorzugsweise genutzt.
Harald Wehnes weiß um die Skepsis gegenüber Open Source in öffentlichen Verwaltungen. Sie basiert nach seiner Beobachtung häufig auf mangelndem Wissen über Open Source-Produkte sowie auf fehlender Erfahrung mit Open Source-Supportmodellen. Linux gilt nach seinen Worten als äußerst stabil und absturzsicher. Die Software sei außerdem bekannt dafür, sehr ressourcenschonend zu arbeiten: „Linux benötigt oft weniger Arbeitsspeicher und CPU-Leistung als Windows.“
Eine Umstellung, um mehr digitale Souveränität zu erlangen, sei selbstverständlich aufwändig. Doch durch Open Source-Software könnten im Gegenzug erhebliche Kosten gespart werden: „Open Source-Software ist in der Regel deutlich wirtschaftlicher, da sie keine Lizenzkosten erfordert und an spezifische Bedürfnisse angepasst werden kann.“ Zudem könnten Wartung und Weiterentwicklung an lokale IT-Firmen ausgelagert werden, was den heimischen Markt und die lokale Wertschöpfung fördert.
Zu wenig Wettbewerb
Alternative Lösungen würden den aktuell mangelhaften Wettbewerb stärken, so Harald Wehnes weiter. Dies würde sich kostensenkend auswirken. Die Gefahr von überproportional steigenden Lizenzkosten bei Monopolprodukten würde dadurch reduziert.
Harald Wehnes verweist auf eine 2021 von der EU-Kommission veröffentlichte Studie, die den signifikanten Einfluss von Open Source-Software auf die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen bestätigt. Der Studie zufolge trägt Open Source einen erheblichen Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt der EU bei. „Rund eine Milliarde Euro, die Unternehmen in der EU 2018 in Open Source investiert haben, führten demnach zu einem wirtschaftlichen Mehrwert von 65 bis 95 Milliarden Euro“, so der Spezialist für Projektmanagement.
Nicht nur Microsoft hat inzwischen eine Monopolstellung. Die Monopolisierung greift um sich, alle Fäden laufen in den Händen weniger Giganten zusammen - Apple, Microsoft, Alphabet/Google, Amazon, Meta/Facebook, Eli Lilly, Visa, Novo Nordisk, Walmart, ExxonMobil, JP Morgan Chase. Alle Monopole, so Harald Wehnes, beschränken den Wettbewerb: „Was Bürgern die Vorteile eines freien Marktes wie faire Preise, bessere Produkte und Wahlfreiheit vorenthält.“
Große Gefahr durch digitale Monopole
Digitale Monopole seien besonders gefahrvoll. Der Forscher verweist auf die ZDF-Dokumentation „Wie Amazon seine Konkurrenz zerstört“. Hier werde aufgezeigt, wie Amazon vertrauliche Daten von Anbietern, die in Rechenzentren des Giganten gespeichert werden, auswertet, Produktkopien herstellt und diese „Eigenprodukte“ aggressiv auf der eigenen Plattform vermarktet. „Es stellt sich die Frage, inwieweit vertrauliche Daten in den Big Tech-Rechenzentren ausreichend vor Missbrauch geschützt sind“, so Harald Wehnes. Auch der öffentliche Sektor speichere ja sensible Daten über Bürger und Unternehmen: „Zum Beispiel Finanzämter.“
Zur digitalen Abhängigkeit kommt also die Gefahr von digitalem Missbrauch durch ungeheure Angebotsmacht. Dass digitale Monopole ihre Marktmacht zum Nachteil von Konkurrenten und Kunden missbrauchen, ist laut Harald Wehnes nicht neu. Dies habe bereits mehrfach zu Verurteilungen geführt.
Ausdehnung auf weitere Wirtschaftssektoren
Hinzu komme, dass die digitalen Monopole ihre Marktmacht rasant auf weitere Wirtschaftssektoren wie Medien, Banken, Bezahldienste, Logistik, Gesundheitswesen oder Bildung ausdehnten und auch hier immer dominanter würden. Damit einher gingen der Verlust von Wettbewerbsfähigkeit, Wertschöpfung, Wachstum und Wohlstand. Dies, so Harald Wehnes, führe zu sinkenden Steuereinnahmen und Beiträgen für die Sozialkassen.
Durch die digitale Windows-Monokulturlandschaft haben IT-Ausfälle, wie der im Juli 2024 bei Microsoft/CrowdStrike, verheerende Auswirkungen. „8,5 Millionen Windows-Systeme waren betroffen“, erinnert Harald Wehnes. Die Schadenschätzungen bewegten sich im zweistelligen Milliardenbereich. Sein Fazit: „Entweder wir kümmern uns mit Nachdruck darum, die vorhandenen digitalen Abhängigkeiten von den Big Tech-Monopolen zu vermindern und eine enkelfähige digitale Zukunft zu sichern oder wir landen in der digitalen Kolonie.“
Pat Christ
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