(GZ-10-2025 - 15. Mai) |
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► Bayerischer Landkreistag in Bad Windsheim: |
Neustart jetzt! |
Eine konstruktiv-kritische Aufbruchsstimmung prägte die diesjährige Landkreisversammlung des Bayerischen Landkreistags in Bad Windsheim. Zwei Tage lang diskutierten Landräte, Minister, Unternehmer und Experten über den wirtschaftlichen und politischen Neustart Bayerns. In Zeiten multipler Krisen forderten die kommunalen Spitzenvertreter mehr finanzielle Spielräume, effektive Bürokratieentlastung, eine praxisnahe Gesetzgebung sowie Investitionen in eine zukunftsfähige Infrastruktur.
V.l.: Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, MdL, Dr. Christiane Heunisch-Grotz, Geschäftsführende Gesellschafterin Gießerei Heunisch GmbH, Holger Grießhammer, MdL, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag, Landrat Thomas Karmasin, Präsident des Bayerischen Landkreistags und Moderator Julian von Löwis. Bild: Riedel
Die zentrale Botschaft war deutlich: Ohne starke Kommunen keine starke Gesellschaft. Landkreistagspräsident Thomas Karmasin fand klare Worte: „Die Landkreise brauchen Geld, Geld, Geld – und vor allem Beinfreiheit.“ Nur mit mehr finanziellen Mitteln und Entscheidungsspielräumen könnten die Kommunen ihre wichtige Rolle als Motor der Wirtschaft erfüllen. Die alarmierenden Negativrekorde bei den kommunalen Finanzierungssalden verdeutlichten den Handlungsbedarf.
Karmasin zufolge müssten sich politische Entscheidungen in den Kommunen bewähren: „Was in München oder Berlin beschlossen wird, muss in unseren Landratsämtern funktionieren – sonst scheitert es.“ Der Landkreistagspräsident warnte vor einer gefährlichen Entkopplung von politischer Strategie und operativer Umsetzbarkeit. Förderprogramme müssten verständlich, Verfahren entschlackt und kommunale Expertise ernst genommen werden.
Mehr Vertrauen ist gefragt
Gerade vor dem Hintergrund multipler Krisen – von Fachkräftemangel über Migrationsdruck bis zur Digitalisierung – brauche es mehr Vertrauen in die Gestaltungskraft der Landkreise. „Die Vollzugsebene muss in der Legislative mit am Tisch sitzen. Praxiswissen darf nicht länger ignoriert werden.“ Karmasin plädierte für einen „Mentalitätswandel in unseren Häusern, aber auch in der Gesellschaft“.
Bürokratiedruck
Das Allgemeinwohl müsse wieder mehr in den Vordergrund gestellt werden, Partikularinteressen würden zu stark in den Fokus genommen.
Als besonders drängenden Punkt bezeichnete Karmasin den anhaltenden Bürokratiedruck. Er verlangte die Einführung eines „Regelungs-TÜV“, der bestehende Gesetze und Verordnungen systematisch auf Praxistauglichkeit und Verwaltungsaufwand überprüft. „Wir dürfen nicht neue Vorschriften schaffen und gleichzeitig hunderte Seiten an Leitfäden produzieren, weil niemand mehr versteht, was eigentlich gilt.“ Der Bayerische Landkreistag habe über 300 konkrete Vorschläge zur Bürokratieentlastung eingebracht, die nun endlich umgesetzt werden müssten.
Zudem dürfen Digitalisierung und Datenschutz aus Sicht des Verbandschefs keine Gegner mehr sein. Daten müssten umfassend genutzt werden können. Erforderlich sei eine drastische Reduzierung der unzähligen „Datentöpfe” auf eine zentrale Stelle nach skandinavischem Vorbild.
Kostentreibende Vorschriften abbauen
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger betonte die Notwendigkeit, kostentreibende Vorschriften abzubauen, um Investitionen vor Ort zu ermöglichen. In seinem Plädoyer für mehr Eigenverantwortung sagte er wörtlich: „Wollen wir einen mündigen Bürger oder wollen wir eine bevormundete Gesellschaft?“ Aiwanger übte scharfe Kritik an der früheren Bundesregierung, insbesondere an ihrer Energiepolitik und den aus seiner Sicht zu hohen Industriestrompreisen. „Wir müssen wieder lernen, Probleme praktisch zu lösen und nicht ideologisch zu verwalten“, stellte der Minister klar. Bayern setze auf Pragmatismus, regionale Wertschöpfung und die Stärkung des Mittelstands. Gleichzeitig mahnte er zur politischen Verantwortung über Parteigrenzen hinweg: Eine Bundesregierung, so Aiwanger, müsse funktionieren – Scheitern sei keine Option, „weil wir uns das als Gesellschaft nicht leisten können“.
Der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Holger Grießhammer, forderte eine Erhöhung der Verbundquote und massive Investitionen in die Infrastruktur, um die Herausforderungen der Landkreise zu meistern. Er betonte, dass die Wirtschaft nicht allein durch Global Player getragen werde, sondern durch das Zusammenspiel von lokalem Mittelstand, qualifizierten Fachkräften und kommunaler Daseinsvorsorge. Digitalisierung, Wohnraum, Mobilität und Kinderbetreuung seien Standortfaktoren, die wesentlich von der Leistungsfähigkeit der Kommunen abhingen. Dafür brauche es gezielte Unterstützung vom Land – sowohl finanziell als auch im Abbau von Verwaltungshemmnissen.
Wirtschaft klagt über teure Energie und Bürokratie
Dr. Christiane Heunisch-Grotz, Geschäftsführende Gesellschafterin Gießerei Heunisch GmbH, schilderte die herausfordernde Lage der energieintensiven Industrie in Bayern. Ihre Gießerei, ein traditionsreiches Unternehmen im Familienbesitz, spüre die Effekte der Energiekrise – volatile Strompreise, hohe Abgabenlast, schleppende Genehmigungsverfahren und zunehmende Unsicherheit bei Investitionsentscheidungen – nach wie vor massiv. Heunisch-Grotz sprach sich klar gegen weitere bürokratische Auflagen und für technologieoffene Lösungen aus und machte deutlich, dass ohne verlässliche politische Rahmenbedingungen und Entlastungen ein schleichender Rückzug industrieller Produktion aus Deutschland mit dramatischen Folgen für Wertschöpfung, Beschäftigung und Ausbildung vor Ort drohe.
Neben Mittelstand und Industrie nahm die Versammlung auch das Thema Gründertum in den Blick. CSU-Landtagsabgeordneter Dr. Stefan Ebner hob die zentrale Rolle der Kommunen hervor: „Hier schlägt das Leben. Startups sind der Mittelstand von morgen und Bayern ist bereits das Startup-Land Nummer eins in Deutschland.“ Grünen-Landtagsabgeordneter Johannes Becher forderte: „Es muss einfach sein, in Bayern ein Unternehmen zu gründen. Weniger Bürokratie und mehr Gründergeist sind entscheidend, um das volle Potenzial auszuschöpfen.“ Magdalena Oehl, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands Deutsche Startups, ergänzte: „Bayern kann Gründerland Nummer eins in Europa werden, wenn wir Mut zeigen und Startups die Bedeutung geben, die sie haben.“
V.l.: Landrat Dr. Christian von Dobschütz, Erster Bürgermeister Jürgen Heckel, Ministerpräsident Dr. Markus Söder gemeinsam mit Landrätepräsident Thomas Karmasin. Bild Riedel
Am Tag 2 der Landesversammlung tauschten sich die Landräte mit Ministerpräsident Dr. Markus Söder aus. Dieser sicherte zu, dass die Kommunen substanziell vom Bundes-Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro profitieren sollen. „Wenn es den Kommunen gut geht, geht es auch dem Land gut“, so Söder. Die Mittel sollen in Schulen, Kitas, Straßen und Krankenhäuser fließen. Landrat Stefan Rößle (Donau-Ries) forderte, mindestens 70 Prozent der Mittel müssten bei den Kommunen ankommen – schließlich trügen diese auch den Großteil der Infrastrukturlast.
Debatten um das Sondervermögen
Söder zeigte sich grundsätzlich einverstanden, verwies aber auf die Komplexität der gesetzlichen Ausgestaltung. In der Diskussion um die Krankenhausfinanzierung schlug Rößle vor, der Freistaat solle für zwölf Jahre die Umlage übernehmen. Söder hielt dagegen, eine vollständige Zentralisierung sei nicht zielführend – kommunale Mitsprache bleibe entscheidend.
Auch beim Thema Migration, Sozialausgaben und Bürgergeld forderte Söder Reformen. Leistungen müssten stärker an Mitwirkungsbereitschaft geknüpft werden, zugleich brauche es mehr Sprachförderung, einfachere Standards im Kita-Bereich und klare Prioritäten. Zudem plädierte der Ministerpräsident für mehr Technologieförderung.
Nichts hält Söder dagegen von überbordenden Bürgerentscheiden, „wenn sie die zentrale Infrastruktur blockieren“. Das Verbandsklagerecht solle eingeschränkt werden, um Planungen nicht zu lähmen. „Mehr Vertrauen in Staat und Verwaltung durch sichtbare Leistungsfähigkeit“ sei das Ziel.
Erfolgsmodell Heimatstrategie
Die Bayerische Heimatstrategie bezeichnete der Landesvater als Erfolgsmodell für den ländlichen Raum. Zudem würden mit Behördenverlagerungen neue Arbeitsplätze geschaffen. Söder: „Wir sorgen für gute Lebensbedingungen überall im Land. Der ländliche Raum ist die Seele Bayerns.“
In einer weiteren Diskussionsrunde zum Thema „Wirtschaft oder Wohlfahrt?“ unterstrich die Bayerische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales, Ulrike Scharf, MdL, die Notwendigkeit eines engen Austauschs zwischen Politik und Kommunen, um gemeinsam Lösungen zu finden. Die Stärkung der Digitalisierung und die praktische Umsetzung von Sozialgesetzen stünden dabei im Mittelpunkt. Susanne Lang, Geschäftsführende Gesellschafterin der Mekra Lang GmbH & Co.KG, verlangte mehr Freiraum für Unternehmerinnen und Unternehmer, um den Mittelstand als Rückgrat Deutschlands zu stärken und den Sozialstaat langfristig zu sichern. Bernhard Stiedl, Vorsitzender des DGB Bayern, hob hervor, wie wichtig starke Kommunalfinanzen für einen lebendigen und zukunftsfähigen Sozialstaat seien. Vor allem in strukturschwachen Regionen benötige es jetzt besondere Unterstützung.
Joachim Herrmann lobt Landratsämter
Beim Festabend der Landkreisversammlung wies Innen- und Kommunalminister Joachim Herrmann auf die „hervorragende Arbeit der Landratsämter“ hin. Neben den Gemeinden seien sie das „Aushängeschild“ der öffentlichen Verwaltung und erledigten mit ihrer Sachnähe und Kenntnis vor Ort ihre Aufgaben bürgernah mit dem nötigen Augenmaß. Damit die Verwaltung auch weiterhin dem Grundprinzip der Bürgerfreundlichkeit gerecht werden könne, müsse man sie fit für die Zukunft machen.
Als zentrale Themen der kommenden Jahre identifizierte Herrmann neben der Digitalisierung und Entbürokratisierung vor allem eine angemessene finanzielle Ausstattung der Kommunen und die Gewinnung von Nachwuchskräften. „Wir brauchen starke, finanziell auf eigenen Beinen stehende Kommunen und Menschen, die sich mit ganzem Herzen und voller Energie für ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger einbringen.“
Mit Blick auf die Kommunalwahlen im März 2026 betonte Herrmann, dass insgesamt rund 39.500 vorwiegend ehrenamtliche Mandatsträgerinnen und Mandatsträger gesucht werden. „Diese Mandatsträger dürfen kein ‚Freiwild‘ für Hetze und Drohungen sein, weder im Netz noch in der realen Welt. Politiker und ehrenamtliche Helfer müssen bestmöglich geschützt werden, daher begrüße ich die aktuellen Maßnahmen zur Erweiterung der spezialisierten Ermittlungsstrukturen auf den gesamten Bereich der Hasskriminalität und politisch motivierten Kriminalität in der bayerischen Justiz sehr.“
Mit der Kommunalrechtsnovelle 2023 habe man bereits wichtige Änderungen auf den Weg gebracht, die auch zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf führten. „Wir wollen mehr Frauen für die Kommunalpolitik gewinnen, denn diese sind in kommunalen Ämtern leider nach wie vor deutlich unterrepräsentiert“, erklärte der Minister. So könnten die Kommunen nun etwa mandatsbedingte Betreuungskosten im Falle einer Erziehungs- oder Pflegetätigkeit erstatten. Zudem sei die bisherige Höchstaltersgrenze für berufsmäßige Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Landrätinnen und Landräte aufgehoben worden.
Ältere Menschen als Chance begreifen
„Wir sollten auch die immer größer werdende Gruppe älterer Menschen als Chance begreifen und von deren reichem Erfahrungswissen profitieren“, machte Herrmann deutlich und dankte allen Kommunalpolitikerinnen und -politikern für ihr Engagement: „Sie leisten täglich einen ganz wesentlichen Beitrag für die künftige Entwicklung in unserem Land. Sorgen wir mit vereinten Kräften dafür, dass unsere bayerischen Kommunen auch in der kommenden Amtszeit starke Entscheidungsträger haben, die miteinander das Beste für unsere Bürgerinnen und Bürger erreichen wollen.“
DK
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