Kommunalverbändezurück

(GZ-8-2018)
gz bayerischer landkreistag

► Jahrestagung des Deutschen Landkreistages:

 

Neue Regierungspolitik für Deutschland und Europa?

 
Aktuelle politische Entwicklungen standen auf der Agenda der Jahrestagung des Deutschen Landkreistags in Wiesbaden. Unter dem Titel „Neue Regierungspolitik für Deutschland und Europa“ reichte der thematische Bogen von einer zukünftigen Politik für die ländlichen Räume über Breitbandausbau und Digitalisierung sowie Integrationspolitik bis zur Frage der angemessenen Finanzausstattung von Städten, Landkreisen und Gemeinden.

Der ebenso wie die gesamte Verbandsspitze wiedergewählte DLT-Präsident Landrat Reinhard Sager forderte die Große Koalition auf, in den Jahren bis 2021 eine kommunalfreundliche Politik zu verfolgen. „Der Koalitionsvertrag nimmt zahlreiche berechtigte Forderungen des Deutschen Landkreistages auf. Das betrifft etwa den Ausbau mit Glasfaser oder eine konsequente Integrations- und Flüchtlingspolitik. Hier gilt es, schnell etwas zu erreichen, denn die Vorschläge liegen auf dem Tisch und müssen nun rasch umgesetzt werden.“

Kernforderung nach Stärkung der kommunalen Steuerbasis

Allerdings wies Sager auch darauf hin, dass sich die Landkreise von den Koalitionären teilweise mehr erwartet hätten: „Unsere Kernforderung nach einer Stärkung der kommunalen Steuerbasis hat im Vertragstext keine Berücksichtigung gefunden. Damit bleibt die kommunale Ebene weiter in hohem Maße abhängig von Finanzspritzen und Investitionshilfen des Bundes.“

Ausbau mit Gigabit-Netzen

Für die Landkreise spiele die Digitalisierung eine ständig größer werdende Rolle. In diesem Kontext sei der angekündigte flächendeckende Ausbau mit Gigabit-Netzen bis 2025 unter Betonung des Netzinfrastrukturwechsels hin zur Glasfaser ausdrücklich zu begrüßen. „Das wollen wir doppelt unterstreichen: Ohne Glasfaser keine Gigabit-Gesellschaft“, so Sager. Sicherzustellen sei, dass damit tatsächlich Glasfaser bis ins Gebäude gemeint ist. Ebenso müsse die maßgebliche Rolle der Landkreise bei der Umsetzung
der geplanten Förderung in Höhe von 10 bis 12 Mrd. Euro aus Versteigerungserlösen gewährleistet werden. „Es ist unbestreitbar: Um dieses gerade für die ländlichen Räume sehr wichtige Ziel erreichen zu können, muss sich der Bund weiterhin in erheblichem Maße auf abgesicherter Grundlage finanziell engagieren, und zwar mit deutlich mehr Mitteln als bisher und vermutlich mit mehr als den zu erzielenden Versteigerungserlösen“, verdeutlichte der Präsident.

Wichtige Digitalisierungsvorhaben

Ein weiterer bedeutsamer Punkt ist Sager zufolge eine flächendeckende 5G-Mobilfunkversorgung, die gemeinsam mit Glasfaser Bedingung dafür sei, wichtige Digitalisierungsvorhaben bei Bildung, Gesundheit, Mobilität und in der mittelständischen Wirtschaft umzusetzen. Im Rahmen der Vergabe der Frequenzen für den Ausbau von Mobilfunknetzen der nächsten Generation müssten wirksame Auflagen zur flächendeckenden Versorgung vorgegeben werden. Eine digitale Spaltung von Stadt und Land sei von vornherein zu vermeiden.

Integration erfordert Durchhaltevermögen

Mit Blick auf die Flüchtlingspolitik meinte der DLT-Chef: „Die Integrationsaufgabe wird den Landkreisen noch viel Engagement und Durchhaltevermögen abverlangen. Es ist ein langer und im Regelfall steiniger Weg, schaut man auf mangelhafte Sprachkenntnisse, nicht verwertbare Bildungsabschlüsse oder nur rudimentäre Berufserfahrungen vieler zu uns kommenden Menschen. Hier gilt es, die gesamte kommunale Tatkraft einzusetzen, um diese Aufgabe bewältigen zu können.“
Andererseits erfordere Integration einen konsequenten Umgang mit denjenigen Menschen, die kein Bleiberecht besitzen. Laut Sager ist die Rückführung ausreisepflichtiger Personen auch Voraussetzung für die Akzeptanz von humanitärer Aufnahme und die Bereitschaft, Schutzsuchende hierzulande willkommen zu heißen und zu integrieren. Der Koalitionsvertrag enthalte hier konkrete Ankündigungen: So solle beispielsweise die Bearbeitung von Asylverfahren künftig in zentralen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen erfolgen. „Es wird darauf zu achten sein, dass Antragsteller grundsätzlich für die gesamte Dauer ihres Verfahrens dort untergebracht und – im Falle der Ablehnung ihres Antrags – auch von dort aus zurückgeführt werden. Nur Schutzsuchende mit gesicherter Bleibeperspektive dürfen auf die Kommunen verteilt werden. Integration und konsequente rechtsstaatliche Rückführung sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.“

Besseres System zur Fachkräftezuwanderung

Neben einem gemeinsamen europäischen Asylsystem plädierte der Präsident für ein besseres System zur Fachkräftezuwanderung. „Wir brauchen qualifizierte Zuwanderung, die sich deutlich von der humanitären Aufnahme der Flüchtlinge unterscheidet. Im ländlichen, mittelständisch geprägten Raum gibt es viele Hidden Champions und Handwerksbetriebe, die bereits heute nur schwer Fachkräfte finden.“ Voraussetzung einer solchen Zuwanderung seien Sprachkenntnisse, ein Ausbildungs- oder Arbeitsvertrag sowie die Fähigkeit, den Lebensunterhalt eigenständig zu sichern.

Klar zu kritisieren sei demgegenüber, dass ein Rechtsanspruch auf Betreuung im Grundschulalter im SGB VIII verankert werden soll. Gleichwohl dürfe man sich nichts vormachen: „Der Rechtsanspruch wird kommen. Wir erwarten daher, dass der Bund den Ländern die Gelder zur Verfügung stellt, die sie benötigen, um im Rahmen der bestehenden Konnexitätsverpflichtungen den mit den Ausbau- und Betriebskosten belasteten Kommunen jeweils die entstehenden Mehrausgaben zu erstatten“, hob Sager hervor.

Der Koalitionsvertrag jedenfalls kündige lediglich an, dass der Bund für den investiven Bereich 2 Mrd. Euro zur Verfügung stellen wolle. „Das lässt befürchten, dass es am Ende wie beim Ausbau der Kindertagesbetreuung darauf hinausläuft, dass die Kommunen auf erheblichen Kosten sitzenbleiben. Dann hätten die Kommunen einmal mehr den Schwarzen Peter eines bundesgesetzlich beschlossenen Rechtsanspruchs gezogen“, stellte der Verbandschef fest.

Augenfällig sei zudem, dass die Koalition keine Maßnahmen zur Stärkung der originären kommunalen Finanzausstattung vorsehe. Die Bundesregierung schlage stattdessen einen falschen Weg ein: „Anstelle einer Stärkung der originären kommunalen Finanzausstattung setzt sie auf die Etablierung und Fortführung von auflagengebundenen und nur teilfinanzierenden Förderprogrammen. An dieser Stelle hat der Koalitionsvertrag in seiner Umsetzung eher schädliche Wirkungen vor Ort.“

Wachsende Abhängigkeiten der Kommunen vom Bund

Zwar sei anzuerkennen, dass zum Teil erhebliche Geldbeträge zugunsten der Kommunen bereitgestellt werden sollen. „Allerdings darf dies nicht den Blick dafür verstellen, um welchen Preis. Denn der Bund sichert sich in nahezu allen kommunalrelevanten Bereichen erhebliche Einwirkungs- und Kontrollrechte bei kommunalen Aufgaben. Das bedeutet, dass die Abhängigkeiten der Kommunen vom Bund weiter wachsen.“

Obendrein würde den Kommunen womöglich noch weitere Steuerkraft entzogen, fuhr Sager fort: „Denn die Länder verfolgen offenbar das Ziel, den geplanten Wegfall der erhöhten Gewerbesteuerumlage in Frage zu stellen. Das wäre aus kommunaler Sicht nicht hinnehmbar, geht es dabei doch um eine seit Langem nicht mehr zu rechtfertigende Abschöpfung originärer kommunaler Einnahmen in Höhe von 3,5 Mrd. Euro jährlich. Hierauf müssen wir vor allem gegenüber den Ländern, aber auch dem Bund erhebliche politische Energie verwenden, um nicht vollends unter die Räder zu kommen.“

Beim Thema Entwicklung ländlicher Räume forderte Reinhard Sager eine kraftvolle Politik des Bundes ein. „Wir blicken erwartungsvoll auf die Legislaturperiode. Neben der immensen Unterstützung städtischer Strukturen muss die Entwicklung ländlicher Räume in diversen Bereichen vorangetrieben werden. Nach seinen Ankündigungen muss das Heimatministerium nun liefern. Es geht dabei um handfeste Strukturpolitik für 68 Prozent der deutschen Bevölkerung in den 294 Landkreisen.“ Insofern müsse der medial breit besprochene Heimatbegriff auf seinen sachlichen Kern zurückgeführt werden. Mit dem neuen Ressortzuschnitt bestehe zudem eine gewisse Chance, die entsprechenden Politiken des Bundes besser zu koordinieren und integriert zu verfolgen. Dadurch könne neuer Schwung für eine effektivere Politik zur gleichberechtigten Entwicklung von Stadt und Land entstehen.

Landkreise als Wirtschaftsstandorte voranbringen

Dem Deutschen Landkreistag gehe es darum, die Landkreise als Wirtschaftsstandorte voranzubringen – um die Digitalisierung und Flexibilisierung von Angeboten, um den Ausbau des schnellen Internets, um die Sicherstellung des öffentlichen Nahverkehrs auf Straße und Schiene auch in entlegeneren Gebieten, um attraktives Wohnen, eine flächendeckende medizinische Versorgung und passende Förderanreize bei Unternehmensansiedlungen, unterstrich der Präsident. „In diesem Anliegen haben wir große Erwartungen und werden die neue Bundesregierung ebenso unterstützen wie in Bezug auf eine besser ausgestattete und inhaltlich erweiterte Gemeinschaftsaufgabe ‚Agrarstruktur und Küstenschutz‘ sowie eine Kommission ‚Gleichwertige Lebensverhältnisse‘.“

Voraussetzung sei allerdings, dass diese Themen von der politischen Führung des Hauses mit hinreichendem Nachdruck vertreten und nicht in den Hintergrund gedrängt werden. „So kann es etwa gelingen, für die ländlichen Räume endlich zu einer besser abgestimmten Förderpolitik zu kommen, wo doch heute jedes Ministerium seine jeweiligen Programme auch als Konkurrenz zu denen anderer Ressorts versteht. Der Heimatminister kann über die neu gegründete Unterabteilung ‚Gleichwertige Lebensverhältnisse‘ auch die Demografiepolitik des Bundes vorantreiben und eine konsequente Dezentralisierungsstrategie in Bezug auf die Ansiedlung von Bundesbehörden in der Fläche verfolgen“, erklärte der Verbandschef. Im Kern werde es also darum gehen, eine Gesamtstrategie zur Entwicklung städtischer und ländlicher Räume zu verantworten.

Kannibalisierungseffekte vermeiden

Wichtig sei dabei – etwa mit Blick auf die Wohnungsbaupolitik, aber auch das anstehende neue gesamtdeutsche Fördersystem –, die Maßnahmen bedarfsgerecht auf ländliche und städtische Räume auszurichten und dabei die gegenseitigen Wechselbeziehungen zu beachten. „Es darf nicht zu Kannibalisierungseffekten kommen, was bedeutet: Werden Förderkulissen sachlich oder gebietlich ausgeweitet, müssen auch die verfügbaren Mittel entsprechend erhöht werden. Eine Schlechterstellung ländlicher Räume muss in jedem Fall ausgeschlossen werden!“

Gleiches gelte für die geplante Einsetzung einer Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“: „Es muss an dieser Stelle schnell vorangehen: Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsdefizit. Die Einsetzung der Kommission darf nicht zu einem weiteren Zuwarten führen. Denn Zeit bis Mitte 2019 – dann sollen die Kommissionsergebnisse vorliegen – haben wir zum Angehen der Zukunftsfragen in ländlichen Räumen nicht. Daher fordern wir, bereits vor Abschluss der Kommissionsarbeiten konkrete und mit Finanzmitteln untersetzte Maßnahmen zu ergreifen“, formulierte der DLT-Präsident.

Flüchtlingsfrage europäisch lösen

„Die Flüchtlingsfrage muss europäisch gelöst werden“, hob der EVP-Fraktionsvorsitzende Manfred Weber in seinem Gastbeitrag hervor. Die Bürger seien es leid, wenn sich Vertreter verschiedener politischer Ebenen den Schwarzen Peter zuschieben. Sie wollten Lösungen. Nach den Worten des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier ist die Integration der Flüchtlinge in Deutschland eine historische Aufgabe für die nächsten Jahrzehnte. Mit der deutschen Wiedervereinigung sei dies nicht zu vergleichen. Abgesehen von dem Solidaritätsbeitrag habe die Wiedervereinigung für die Menschen in Westdeutschland nur wenige Veränderungen gebracht. Flüchtlinge zu Mitbürgern zu machen, sei allerdings eine gesellschaftliche „Mammutaufgabe”, so Bouffier.

Hessens Innenminister Peter Beuth zufolge darf man die Kommunen bei der Zuwanderung und Integration nicht überfordern. Dies betreffe auch eine faire finanzielle Lastenverteilung. Es gelte, die Integrationsfähigkeit vor Ort zu erhalten. „Es als Chance begreifen, Architekt des ländlichen Raumes zu sein“, betonte seinerseits DSGV-Präsident Helmut Schleweis. Dazu zählten auch die öffentlich-rechtlichen Sparkassen. Ländliche Infrastruktur und Dezentralität müssten politische Schwerpunkte sein.

DK

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