Um den Zuzug besser bewältigen zu können, muss es nach Auffassung des Deutschen Städtetags gelingen, dass Flüchtlinge in den Nachbarländern der Krisenstaaten bleiben können. Auch sei der Fokus darauf zu richten, die Wanderungsbewegungen innerhalb Europas wirkungsvoller zu steuern und die EU-Außengrenzen besser zu schützen.
Beschleunigte Verfahren
Wie die Präsidentin des Deutschen Städtetages, Oberbürgermeisterin Dr. Eva Lohse aus Ludwigshafen, betonte, „tun die Städte und viele Ehrenamtliche ihr Bestes, um den Menschen, die lange bei uns bleiben, ihr Ankommen zu erleichtern und ihre Integration zu fördern. Sollten die Flüchtlingszahlen erneut ansteigen, würden allerdings die Aufnahme- und Integrationskapazitäten der Kommunen überfordert. Neben den internationalen Anstrengungen müssen Bund und Länder die vorgesehenen beschleunigten Asylverfahren zügig in die Praxis umsetzen und Menschen ohne Bleibeperspektive anschließend konsequent in ihre Heimatländer zurückführen. Das ist nötig, damit den Kommunen nur noch Flüchtlinge zugewiesen werden, die als Bürgerkriegsflüchtlinge und politisch Verfolgte unseren Schutz brauchen.“
Die Städte begrüßen grundsätzlich die Gesetzes-Vorschläge der Bundesregierung, die dazu beitragen sollen, den Flüchtlingszuzug besser zu steuern und zu reduzieren sowie eine erfolgreiche Integration der bei uns bleibenden Menschen zu unterstützen. Dazu zählen neben beschleunigten Asylverfahren in besonderen Aufnahmeeinrichtungen unter anderem auch das Einführen des einheitlichen Ankunftsausweises (Flüchtlingsausweis) sowie der Gesetzentwurf zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Asylbewerbern.
Die Aufnahme und angemessene Unterbringung der laufend weiter Zuflucht suchenden Menschen stellt laut Deutschem Städtetag die Kommunen in Deutschland, deren finanzielle Situation ohnehin zum Teil extrem angespannt ist, vor eine kaum mehr tragbare Belastung. Die Städte fordern deshalb Bund und Länder auf, die Kommunen nachhaltig finanziell zu unterstützen und dadurch die kommunale Selbstverwaltung zu sichern.
Damit die Aufgabe der Integration gemeistert werden kann, halten die Städte es weiterhin für sinnvoll, auch nach der Anerkennung von Flüchtlingen und Asylbewerbern ihre Verteilung auf die Städte und Regionen zu wahren, jedenfalls solange sie Sozialleistungen beziehen und noch keinen Arbeitsplatz gefunden haben. Der Deutsche Städtetag fordert deshalb die Bundesregierung erneut auf, die Zulässigkeit einer Residenzpflicht (Wohnsitzauflage) für Asylbewerber und Flüchtlinge zu prüfen und hierzu geeignete Vorschläge vorzulegen.
Mit Blick auf die Einstellung gegenüber Flüchtlingen in der Gesellschaft erklärte Städtetagspräsidentin Lohse: „Wir wollen eine Stimmung in der Bevölkerung erhalten, die gegenüber Flüchtlingen von Verständnis, Wohlwollen und Hilfsbereitschaft geprägt ist. Das wird uns nur gelingen, wenn wir Probleme offen ansprechen. Übergriffe gegen Flüchtlingsunterkünfte und Flüchtlinge sind eine Schande. Sie müssen konsequent geahndet werden. Genauso müssen Straftaten von Asylbewerbern entschieden verfolgt werden, auch durch Ausweisungen. Und wir müssen deutlich machen, was in unserem Land nicht verhandelbar ist, etwa das Recht jedes Einzelnen auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, die Akzeptanz unterschiedlicher Lebensformen und sexueller Orientierungen und die Glaubensfreiheit. Integration kann nur gelingen, wenn wir uns auf diesen Grundwertekatalog als Basis für ein gutes Zusammenleben verständigen.“
Der Deutsche Städtetag weist darauf hin, dass unter den Flüchtlingen auch viele alleinstehende Frauen und ihre Kinder sind. Besonders traumatisierte Frauen und Minderjährige, die Gewalt erleiden mussten oder Opfer von Menschenhandel wurden, be-nötigten besonderen Schutz und niedrigschwellige Beratung, Betreuung und Therapie. „Alle Länder sollten deshalb Mittel bereitstellen für die Schulung von Personen, die sich besonders um die Betreuung von Flüchtlingsfrauen und geflüchteten Minderjährigen kümmern. In einigen Ländern gibt es dazu bereits geförderte Projekte“, so Lohse.
Der Verband hält es zudem für dringend notwendig, die Anstrengungen zur Integration der Flüchtlinge mit Bleibeperspektive in die Gesellschaft zu verstärken. Die Städte sehen sich bei dieser Aufgabe mit Bund und Ländern in einer Verantwortungsgemeinschaft und erwarten, dass Bund und Länder die zusätzlichen Kosten durch den Flüchtlingszuzug für Integration und soziale Leistungen maßgeblich mittragen.
In den Städten seien zusätzliche Plätze in Kindergärten und Schulen nötig, mehr bezahlbare Wohnungen, ausreichende Angebote für Sprachunterricht und Integrationskurse sowie Hilfen für den Einstieg ins Arbeitsleben. Nur wenn die Finanzierungsfragen gelöst werden, könnten die Kommunen die Integrationsangebote bereitstellen, ohne ihre Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger stark einzuschränken oder Einnahmen massiv zu erhöhen.
Laut dem Vizepräsidenten des Deutschen Städtetages, Nürnbergs Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly, „verlangt Integration Anstrengungen von den Menschen, die sich in unsere Gesellschaft mit unseren bewährten Freiheitsrechten, unseren Werten von Demokratie, Religionsfreiheit und Gleichberechtigung einfügen. Und Integration ist auch anstrengend für die aufnehmende Gesellschaft. Deshalb müssen wir für die schon lange hier lebenden Menschen die gleiche Aufmerksamkeit zeigen wie für Flüchtlinge. Bei allen Schritten zur Integration darf es keine Konkurrenzen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen geben.“
Volle Kostenübernahme
Lohse und Maly forderten kommunale Integrations- und Sozialleistungen, den Ausbau von Kindertagesstätten und Schulen sowie eine bessere Förderung für den Wohnungsbau. Konkret soll der Bund die zusätzlichen Kosten der Unterkunft im Sozialgesetzbuch II (Hartz IV) voll übernehmen, die durch den Flüchtlingszuzug entstehen. Der Deutsche Städtetag rechnet in diesem Bereich im Jahr 2016 mit bis zu 1,5 Milliarden Euro zusätzlichen Ausgaben der Kommunen für anerkannte Asylbewerber. Damit die Leistungen dort ankommen, wo sie benötigt werden, könnte der Weg einer Sonderbedarfs Bundesergänzungszuweisung gewählt werden. Dieses Verfahren wurde bereits in den ostdeutschen Ländern angewandt, um Sonderlasten im Bereich der Arbeitslosigkeit auszugleichen. Die Länder müssten dabei verpflichtet werden, die Bundesmittel gezielt an die betroffenen Kommunen weiterzuleiten.
Mehrbedarf werde zudem im Bereich Jugendhilfe anfallen, zum Beispiel für Leistungen für Familien, Hilfen zur Erziehung sowie Beratungsangebote. Zur gezielten Finanzierung sei ebenfalls der Weg über die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisung geeignet. Das Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder und Jugendliche sollte auch für Integrationsleistungen gelten, zum Beispiel für Sprachunterricht von nicht schulpflichtigen Kindern oder Nachhilfe. Hierbei müsse sichergestellt werden, dass auch die Betreuungseinrichtungen selbst solche Leistungen anbieten können.
Die Länder blieben aufgefordert, die Ausgaben für unbegleitete ausländische Kinder und Jugendliche vollständig zu finanzieren. Eine regional ausgewogene Verteilung dieser Flüchtlinge sollte erreicht werden. Die Städte fordern den Bund auf, die Mittel für Integrationskurse noch stärker aufzustocken, um dem hohen Bedarf Rechnung zu tragen.
In der Kinderbetreuung geht das Bundesfamilienministerium aktuell von einem zusätzlichen Bedarf von 80.000 Plätzen aus. Deshalb sollte der Bund ein angemessenes Investitionsprogramm auflegen und dafür das Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ aufstocken. Die Länder sind dem Deutschen Städtetag zufolge gefordert, ihre Beteiligung an den laufenden Betriebskosten der Kitas zu erhöhen. Der Verband fordert die Länder auf, Sondermittel für den Bau und die Ausstattung von Schulräumen zur Verfügung zu stellen und Programme dafür aufzulegen. Die Länder sollten im Rahmen ihrer Verantwortung für Bildung auch die Mittel für das dringend benötigte zusätzliche schulische Ergänzungspersonal wie Sozialpädagogen, Schulpsychologen und Dolmetscher sichern.
Von Bund und Ländern gemeinsam erwartet der Städtetag, dass sie die durch den Bevölkerungszuwachs erforderlichen Investitionen bei der ohnehin unterfinanzierten kommunalen Infrastruktur sowie im sozialen Wohnungsbau finanzieren. Vor allem in Ballungszentren mit starker Wohnungsnachfrage werde mehr bezahlbarer Wohnraum benötigt.
Die Städte begrüßen, dass der Bund für den Zeitraum von 2016 bis 2019 zusätzliche Mittel zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus in Höhe von jährlich 500 Millionen Euro bereitstellt. Diese Bundesmittel müssten von den Ländern für die Wohnraumförderung eingesetzt und darüber hinaus durch eigene Mittel aufgestockt werden. Bund und Länder blieben aufgefordert, die Höhe der Mittel dem faktischen Bedarf in den Regionen mit knappem Wohnungsangebot anzunähern.
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