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(GZ-5-2016)
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Mammutaufgabe Flüchtlingskrise
 
KPV Podium

Bei der jüngsten Sitzung des KPV-Landesvorstandes und Hauptausschusses in München unter Leitung von Landesvorsitzendem Landrat Stefan Rößle sprachen Bayerns Sozialministerin Emilia Müller, MdL und Passaus Landrat Franz Meyer Klartext. Beide Politiker plädierten energisch für eine massive Begrenzung des Flüchtlingsstroms. Nur so sei Integration im Lande überhaupt möglich.

Landrat Meyer wies darauf hin, dass bei aller Herausforderung dieses Megathemas auch andere Aufgaben der Kreispolitik zu bewältigen seien. Gleichwohl habe sich das Passauer Landratsamt wie viele andere im Freistaat in den vergangenen Monaten vornehmlich zu einer Flüchtlingsbehörde entwickelt. Meyer zufolge sind im Landkreis derzeit über 2.000 Asylbewerber untergebracht. In den nächsten Monaten müssen etwa zusätzlich 1.000 Plätze geschaffen werden – Kapazitätsengpässe nicht ausgeschlossen. Derzeit herrsche freilich noch „Ruhe vor dem Sturm“.

Situation in der Grenzregion

Nach wie vor bekommt der Landkreis 40 bis 50 Asylbewerber zugeteilt. Niederbayern hat 10 % der ankommenden Asylbewerber in Bayern aufzunehmen, der Landkreis Passau davon 15,5 %. 2015 sind in der Grenzregion zwischenzeitlich 8.000 bis 10.000 Flüchtlinge am Tag eingetroffen.

Wie sich die Situation an einem Oktoberwochenende in der Nähe von Wegscheid darstellte, zeigte Bürgermeister Josef Lamperstorfer anhand von Bildmaterial auf. 700 Flüchtlinge tauchten an einem Samstagabend plötzlich am bislang ungenutzten alten Grenzübergang zur B 388 bei Wegscheid auf – angeliefert von 13 österreichischen Bussen, die umgehend wieder wegfuhren. In Neuhaus am Inn, ebenfalls im Landkreis Passau, drängten sich innerhalb kurzer Zeit 400 Menschen auf der alten Innbrücke. Dasselbe Bild bot sich auf der Grenzbrücke in Simbach am Inn (Landkreis Rottal-Inn). Dort zählte die Polizei sogar 700 Menschen. Und über die Passauer Innstadt marschierten ca. 250 Flüchtlinge in die Innenstadt.

Unter Hochdruck organisierte das Landratsamt gemeinsam mit der Bundespolizei Busse und Schlafplätze für die vielen Menschen. Die Unterbringungsmöglichkeiten in Passau und auch die Warteraum-Plätze des Landkreises waren am Ende voll belegt.

Der Landkreis Passau hatte laut Meyer in den vergangenen Monaten eine dreifache Herausforderung zu bewältigen: „Erstens die Aufnahme der uns zugeteilten Asylbewerber, zweitens die Aufnahme an der grünen Grenze und drittens den Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Jugendlichen, von denen uns im vergangenen Jahr etwa 3.800 von der Bundes- bzw. Landespolizei an der Grenze übergeben wurden“. Ministerin Müller sei deshalb gebeten worden, für eine bayernweite Verteilung zu sorgen, was sehr schnell umgesetzt worden sei. Der Landkreischef brachte in diesem Zusammenhang seine „Dankbarkeit für die Solidarität in der kommunalen Familie in Bayern“ zum Ausdruck. Zufrieden zeigte er sich damit, dass seit 1. November die bundesweite Verteilung der Flüchtlinge erfolgt.

„In 2016 müssen wir vor dem Hintergrund einer höheren Anerkennungsquote neben der Unterbringung weiter ankommender Asylbewerber den Fokus auf die Wohnungssuche für sogenannte Fehlbeleger richten“, führte Franz Meyer weiter aus. Im Bezirk setze man die Hoffnung auf sozialen Wohnungsbau. Das Interesse von Baugenossenschaften, privaten Bauträgern und Architekten sei grundsätzlich hoch; es müsse Aufgabe des Staates sein, sich um Unterkünfte zu kümmern.

Großartige Unterstützung durch den Freistaat

Den Freistaat Bayern bezeichnete Meyer insgesamt als „großartig in der Unterstützung“, wies aber auch darauf hin, dass Personal- und Sachkosten nicht erstattet würden. Ganz anders fiel sein Urteil über Europa aus: „Der Kontinent hat in der Flüchtlingsfrage total versagt.“ Europa stehe am Scheideweg und sei nicht in der Lage, dieses Thema zu regeln. Meyers Appell: „Wir brauchen eine europäische Quotenregelung!“ Der Landkreis Passau habe mehr Asylbewerber aufgenommen als so manches europäische Land. Ein Unding in den Augen des Landrats.

Sozialen Frieden erhalten

Mit Blick auf Grenzkontrollen meinte Meyer: „Wenn Europa scheitert, wird eine nationale Lösung unumgänglich sein. Wir müssen auch aus Sicherheitsgründen wissen, wer ins Land kommt und sich bei uns aufhält. Dies ist auch für den sozialen Frieden von Vorteil.“

„Wir hätten die gewaltige Aufgabe nicht stemmen können, wären die Landräte und Bürgermeister nicht an unserer Seite gestanden“, bedankte sich Sozialministerin Emilia Müller. Letztlich habe das Zusammenspiel aller – Hilfsorganisationen, Helferkreise, Ehrenamtliche, Kirchen – eine „humanitäre Visitenkarte“ abgegeben.

Zuwanderung begrenzen

Bayern habe die Situation „gut gemanagt“, so die Ministerin. Die Zahl der Asylbewerber habe bundesweit im vergangenen Jahr alle Rekorde gebrochen. Fast 1,1 Millionen Asylbewerber seien nach Deutschland gelangt, 860.000 allein in Bayern angekommen. Grund hierfür sei seine Lage an den zwei Hauptfluchtpunkten Balkan-Route und Brenner-Route.

Seit 1. Januar 2016 sind 116.000 Flüchtlinge im Freistaat angekommen. Im selben Zeitraum des vergangenen Jahres waren es lediglich 30.000 Neuzugänge. Dringender denn je werde nunmehr eine wirksame Begrenzung der Zuwanderung benötigt, machte Müller deutlich. Derzeit seien etwa 155.000 Menschen in winterfesten Unterkünften untergebracht. In allen sieben Regierungsbezirken verfüge Bayern zudem über voll funktionsfähige Erstaufnahmeeinrichtungen mit über 40.000 regulären Plätzen.

Ministerin Müller ist besorgt darüber, „dass die Kosten aus dem Ruder laufen“. Insgesamt steigen die Asyl-Ausgaben im Staatshaushalt 2015/16 auf 4,5 Mrd. Euro an. Zwar erstatte der Bund seit 1.1.2016 pro Asylbewerber 670 Euro, doch reiche diese Summe bei weitem nicht, monierte sie.

Europa setze die Mängelliste fort. Dort fehle es an „Solidarität bei einer fairen Lastenverteilung“, unterstrich die Ministerin und ergänzte: „Wenn ein europaweites Kontingent von 160.000 Asylbewerbern benannt wird und davon derzeit nicht einmal 1.000 verteilt sind, ist das ein desaströser Zustand für eine Europäische Union mit ihren 28 Mitgliedsstaaten.“ Solange auf europäischer Ebene keine vernünftigen Lösungen gefunden werden, seien nationale Maßnahmen zu treffen und eine Obergrenze, wie von Ministerpräsident Seehofer gefordert, zu definieren.

Wie die Ministerin weiter anmerkte, werden die Kosten der Unterkunft in Bayern nach wie vor zu 100 % erstattet. Zudem sehe der Haushalt 632 Mio. Euro für unbegleitete Minderjährige vor. „Exorbitant gestiegen“ sei deren Zahl – 67.000 bundesweit, davon 15.400 allein in Bayern.

Unbegleitete Minderjährige

Der Freistaat habe sich als ehrgeiziges Ziel gesetzt, keine unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge mehr in den Erstaufnahme-Einrichtungen unterzubringen. Bereits heute lebten 100 Prozent der unter 16-Jährigen und 95 Prozent der 16- bis 18-Jährigen in Jugendhilfeeinrichtungen. Dort blieben allerdings auch noch zahlreiche volljährige Flüchtlinge – ein Umstand, den die Ministerin ablehnt: „Wir lehnen eine Rundum-Versorgung und ein Wohlfühlpaket für Volljährige, die in die Selbständigkeit wollen, ab. Sie müssen für ihren Lebensunterhalt kämpfen. Wir werden hier nicht für die Kosten aufkommen.“

Wie Ministerin Müller weiter mitteilte, schafft der Bund derzeit 10.000 Plätze in sogenannten Wartezentren in Bayern – 5.000 in Erding und 5.000 in Feldkirchen. Dort liegt derzeit bereits eine Kapazität von circa 2.500 winterfesten Unterkunftsplätzen vor. Von beiden Wartezenten aus sollen die Flüchtlinge direkt auf alle Bundesländer verteilt werden.

Die eigentliche Aufgabe des Jahres 2016 liegt jedoch in der Integration der Menschen mit Bleibeperspektive. Müller: „Wir wollen, dass Integration gelingt. Denn nur eine gelingende Integration führt dazu, dass die Arbeitslosigkeit niedrig bleibt, der Wohlstand in Deutschland erhalten bleibt und die Gesellschaft zusammenhält. Die Balance in unserer Wertegemeinschaft zu halten ist ungemein wichtig, um den sozialen Frieden zu bewahren.“

Drei Säulen der Integration

Die Staatsregierung setze bei der Integration auf die drei Säulen Sprache, Arbeit und Wertevermittlung. 548 Millionen Euro würden investiert, damit Flüchtlinge schnell und eigenständig im Alltag zurechtkommen und eine Arbeit finden.

Um die Kinder und Jugendlichen mit Fluchthintergrund unterrichten zu können, hat der Bayerische Landtag gut 160 Millionen Euro im Nachtragshaushalt bereitgestellt. Auf dieser Basis – verbunden mit 1.079 Planstellen sowie mehreren hundert Beschäftigungsmöglichkeiten – hat das Kultusministerium die Unterrichtsangebote massiv ausgeweitet und kann sie im Laufe des Jahres flexibel und nach dem Bedarf vor Ort weiter ausbauen. Darüber hinaus wird in den Wohnungsbau investiert.

Bayern geht außerdem mit bundesweit einzigartigen Programmen voran: Das Sozialmi-nisterium hat das Modellprojekt „Deutschkurse zur sprachlichen Erstorientierung für Asylbewerber“ entwickelt. Im Jahr 2015 wurde bereits an mehr als 150 Standorten Deutschunterricht angeboten. Für 2016 ist eine Verdoppelung der Standorte vorgesehen. Der Freistaat stockt die Fördermittel von 3,75 Millionen Euro im Jahr 2015 auf 16,8 Millionen Euro für 2016 auf. Neben den hauptamtlichen Deutschkursen werden vom Freistaat ehrenamtliche Kurse mit bis zu 500 Euro pro Kurs gefördert.

Die berufliche Integration von Asylsuchenden wird ebenfalls forciert. Dazu hat die Bayerische Staatsregierung mit der Wirtschaft und der Bundesagentur für Arbeit die Vereinbarung „Integration durch Ausbildung und Arbeit“ unterzeichnet. Diese sieht für Flüchtlinge sowie für Asylbewerber und Geduldete mit guter Bleibeperspektive Bildungs- und Qualifikationsprojekte und Hilfe bei der Berufsorientierung sowie eine altersgerecht passgenaue Unterstützung der Integration durch Ausbildung und Arbeit vor.

Wie groß die Herausforderung ist, zeigen folgende Zahlen: Laut Müller „gehen wir davon aus, dass zehn Prozent eine akademische Ausbildung, 60 Prozent keine abgeschlossene Berufsausbildung haben und bis zu 20 Prozent Analphabeten sind“.

Wie Müller abschließend hervorhob, benötige Integration die Bereitschaft und die eigenen Anstrengungen der Zuwanderer. „Wir fordern von den Asylbewerbern ein klares Bekenntnis zu unserer Rechts- und Werteordnung. Dazu gehört auch, dass die Gleichstellung von Mann und Frau vorbehaltlos akzeptiert wird. Wir setzen zuerst auf Wertevermittlung.“

Grundvoraussetzung sei, „dass wir respektvoll und tolerant miteinander umgehen. Ich erwarte zum Beispiel, dass sich im Krankenhaus ein Mann selbstverständlich auch von einer Frau untersuchen lässt und umgekehrt. Und wenn sich jemand dagegen sperrt, dann muss er die Konsequenzen selbst tragen. Es ist doch keine Frage, wer sich hier nach wem richten muss“, bekräftigte die Ministerin.

DK

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