Kommunalverbändezurück

(GZ-18-2019)
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► Kraftzentrum ländlicher Raum:

 

Kraftzentrum ländlicher Raum

 

Für rasche Fortschritte im Hinblick auf gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land hat sich der Bayerische Landkreistag bei seiner Jahrestagung in Merseburg (Saalekreis) ausgesprochen. Nach den Worten von DLT-Präsident Landrat Reinhard Sager „haben wir es spätestens seit den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen mit einer anderen politischen Landschaft zu tun. Umso mehr müssen Lösungen her für die drängenden Herausforderungen unserer Zeit. Dazu zählen Digitalisierung, wirtschaftlicher Strukturwandel, sozialer Zusammenhalt und Klimaschutz. Bei all diesen Themen geht es auch um die Frage, wie wir in 10, 20 Jahren in Stadt und Land leben wollen.“

Bund, Länder und Kommunen müssten gemeinsam den Schulterschluss suchen, um die Fläche fit für die Zukunft zu machen. Eine bloße Problembeschreibung und Benennung von Maßnahmen ohne finanzielle Zusagen des Bundes und ohne eine echte Priorisierung würden die Erwartungen enttäuschen. „Das stärkt am Ende nur das Gefühl, dass der ländliche Raum in allerletzter Konsequenz eben gerade nicht ernst genommen wird. Daher geht es uns um die konkrete gemeinsame Umsetzung von Maßnahmen. Nur das hilft.“

Zukunftsfähige Infrastruktur

Zentral ist Sager zufolge eine zukunftsfähige Infrastruktur. „Wir brauchen eine belastbare Zusage des Bundes, dass der flächendeckende Ausbau von Glasfaser und Mobilfunk bis spätestens 2025 umgesetzt wird.Alles andere ist doch nur Second-Best“, so der DLT-Präsident. Der Staat habe sich in vielen Bereichen der Daseinsvorsorge aus der Leistungserbringung zurückgezogen und auf eine bloße Gewährleistungsfunktion beschränkt.

„Das war nicht richtig. Mit dem Anspruch einer flächendeckenden Versorgung ist der Markt jedenfalls in weiten Teilen überfordert.“

Die grauen Flecken gelte es, schnellstmöglich mit Glasfaser zu versorgen, wobei die Bundesförderung mindestens mit der im Koalitionsvertrag genannten Summe von 12 Mrd. Euro ausgestattet werden müsse. „Dafür werden über die 5G-Auktionserlöse hinaus zusätzliche Bundesmittel notwendig sein.“

Des Weiteren sei eine bessere Förderung von lebendigen Ortskernen sowie von kleinen Betrieben notwendig. Schließlich seien die Erfordernisse bei Landwirtschaft, Dorferneuerung, Flurneuordnung oder Wegebau heute völlig andere als in den 1960er Jahren. Die Antwort auf diesen Strukturwandel müsse zumindest auch eine Verbreiterung des Förderspektrums der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur (GAK) sein. „Das heißt natürlich auch: eine Mittelaufstockung durch den Bund.“

Grundgesetzänderung notwendig

Dafür ist nach Sagers Ansicht eine Grundgesetzänderung notwendig. „Dadurch könnten dann auch mittelständische Unternehmer wie Elektriker, Kfz-Mechaniker oder Handwerker unterstützt werden, die ebenso

wie Metzger, Bäcker und Friseur für eine Grundversorgung der Bevölkerung wichtig sind.“ Hier gehe es deutschlandweit nicht um Milliarden-, sondern um dreistellige Millionenbeträge. „Das wäre eine gute Investition, weil vor allem Arbeitsplätze geschaffen würden.“

Gerechte Finanzausstattung

Zu gleichwertigen Lebensverhältnissen zähle ebenso grundlegend die Finanzausstattung der Kommunen.  „Wir werben seit langem für einen höheren Anteil der Kommunen an der Umsatzsteuer. Und zusätzlich für eine direkte Steuerbeteiligung der Landkreise als Hauptaufgabenträger in der Fläche. Wir wollen diesen Zuwachs gerechter, und zwar nach Einwohnern verteilen. Solidarität und Verteilungsgerechtigkeit sind auch zwischen Kommunen wesentlich und ein Schlüssel zu mehr Gleichwertigkeit.“

Demgegenüber sorgten Förderprogramme von Bund und Ländern für Modellprojekte, Konjunkturprogramme oder zuletzt der Digitalpakt für neue Abhängigkeiten anstatt für tragfähige Strukturen auf kommunaler Ebene. „Immer wieder werden mit neuen Programmen nur Strohfeuer entfacht. Was wir aber brauchen, ist eine ordentliche Grundausstattung“, hob der Präsident hervor.

Erforderlich sei auch, dass die Länder dauerhaft die finanzielle Mindestausstattung jeder einzelnen Kommune garantieren. Andernfalls sei zu befürchten, dass die ungerechtfertigten Forderungen der Länder an den Bund für eigene Versäumnisse niemals aufhören. „Auch erwarten wir, dass die Länder für bundesgesetzlich neu gestaltete oder erweiterte kommunale Aufgaben wie beim Bundesteilhabegesetz finanziell eintreten“, stellte Sager klar.

Zentrale Rolle beim Klimaschutz

Mit Blick auf das Thema Klimaschutz komme den Landkreisen etwa bei den erneuerbaren Energien, beim Wald oder beim Umbau des Energiesystems eine zentrale Rolle zu, fuhr der Verbandspräsident fort. Klimaschutz und Energiewende dürften nicht auf Kosten der ländlichen Räume gestaltet werden. Als Standorte für Windenergieanlagen, Photovoltaik-Freiflächen, Biogasanlagen und Überlandleitungen trügen die ländlichen Räume besondere Belastungen.

Bei möglichen neuen Instrumenten wie einer CO2-Bepreisung bedürfe es deshalb auch eines besonderen Ausgleichs für die ländlichen Räume. Zudem gelte es, umgehend in moderne Mobilitätsinfrastruktur wie Schienenwege, bedarfsgerechte und flexible Angebote, Radwege und vieles mehr zu investieren.

Vor dem Hintergrund, dass sich die Energiewende vor allem im ländlichen Raum entscheide, zeigte sich Sager überzeugt, dass es ein falscher Weg wäre, mit Verboten statt mit Anreizen zu operieren und beispielsweise Treibstoffe höher zu besteuern. „Das führt lediglich zu höheren Kosten für die Verbraucher, die auf das Auto angewiesen sind. Und diese finden wir nicht in den großen Städten mit ihrem engen ÖPNV-Netz. Nein, die davon betroffenen Pendler leben in den Landkreisen und vielfach im ländlichen Raum.“

Infrastruktur für E-Mobilität

Gleiches gelte für die Mobilitätswende, die der Klimawandel immer dringlicher werden lasse. Sie betreffe nicht nur Berufspendler, auf die in der laufenden Debatte besonderes Augenmerk gerichtet werden sollte.

„Von einer Verteuerung der Autonutzung betroffen wären die allermeisten Haushalte in den Landkreisen. Denn hier – und das ist ein großer Unterschied zu den Großstädten – verfügt nahezu jede Familie über mindestens ein Auto.“ Solle beispielsweise Elektromobilität breite Akzeptanz finden, müsse deshalb die entsprechende Infrastruktur mit Unterstützung von Bund und Ländern noch weiter und verstärkt flächendeckend ausgebaut werden. Auch autonome Fahrzeugkonzepte sollten gerade in der Fläche erprobt werden.

Schwieriger sei die Situation bei kommunalen Nutzfahrzeugen und Elektrobussen, so Sager weiter: „Die EU hat hier unlängst ambitionierte Vorgaben gemacht, die vorsehen, dass bis 2025 bzw. 2030 ein großer Teil der beschafften Busse und Lkw ‚saubere Fahrzeuge‘ sein müssen. Das ist allerdings im ländlichen Raum ohne massive Unterstützung auch durch Bund und Länder im Zuge der anstehenden Beschlüsse des Klimakabinetts nicht darstellbar – den Verkehrsbetrieben drohen sonst unverhältnismäßige Kosten. Das bringt den ÖPNV in der Fläche nicht voran, schlimmstenfalls sogar zum Erliegen.“

Kritik am Bundesgesundheitsministerium

Entschieden wies Sager darüber hinaus den Vorschlag des Bundesgesundheitsministeriums für eine Reform der Notfallversorgung zurück. Unlängst hatte es einen Gesetzentwurf vorgelegt, der den Ländern durch eine Änderung des Grundgesetzes die Verantwortung für den Rettungsdienst entziehen will. Das hätte erhebliche Auswirkungen auf die bestehende Struktur, die Finanzierung und die Weiterentwicklung des kommunalen Rettungsdienstes. Die jederzeitige schnelle Hilfeleistung unter der Nummer 112 soll durch unklare Regelungen gefährdet und das gute Zusammenwirken von Kommunen, Hilfsorganisationen und Kostenträgern künftig durch bundesweite Vorgaben gelenkt werden.

Kommunaler Rettungsdienst funktioniert

Wie Sager darlegte, sei es absolut indiskutabel, an dieser Stelle anzusetzen. „Reformbedarf besteht gerade nicht in Bezug auf den kommunalen Rettungsdienst. Vielmehr ist es so, dass der kassenärztliche Bereitschaftsdienst strukturell nicht gut aufgestellt, nicht ausreichend leistungsfähig und vielerorts nicht bekannt genug ist. Daher erwarten die Menschen eine entscheidende Verbesserung genau an dieser Stelle.“

So sei immer wieder zu beobachten, dass Rettungswagen für Beschwerden gerufen würden, die nicht lebensbedrohlich – und damit auch keine akuten Notfälle – seien und stattdessen in die Verantwortlichkeit des Bereitschaftsarztes gehörten. Ebenso seien die Rettungsstellen der Krankenhäuser mitunter überfüllt mit Patienten, die von der Möglichkeit der Konsultation bestimmter diensthabender Hausärzte abends und am Wochenende nichts wissen.

Leitstellen der Kommunen aufwerten

Die Lösung sei daher darin zu suchen, den funktionierenden Teil, also den Rettungsdienst und die Leitstellen der Kommunen, entsprechend aufzuwerten. Es sei deshalb eher darüber zu diskutieren, den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst in den kommunalen Leitstellen zu disponieren.

„Damit würde man die Problemlösung an eine funktionierende Leistellen-Struktur andocken. Das wäre vernünftig und nachvollziehbar“, verdeutlichte der DLT-Präsident.
Stattdessen schlage das Bundesgesundheitsministerium vor, den Rettungsdienst so zu behandeln wie andere Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung: zum Beispiel mit bundesweiten Vorschriften zur Planung der Rettungswachen-Standorte.

Die Entscheidung der Landkreise in Bezug auf den Bedarf an Fahrzeugen, die Lage der Rettungswachen und die Auswahl der Leistungserbringer würde beseitigt. „Kurzum: Bedarfsgerechte örtliche Planungen zum Standort von Rettungsfahrzeugen und Rettungswachen durch die Kreistage würden unmöglich.“

Enge Verzahnung von Rettungsdienst, Feuerwehr und Katastrophenschutz

Völlig ausgeblendet werde schließlich die enge Verzahnung des Rettungsdienstes mit der Feuerwehr und dem Katastrophenschutz, wie sie in der gemeinsamen Notrufnummer 112 und den integrierten Leitstellen zum Ausdruck komme.

„Der Gedanke der kommunalen Leitstellen geht damit weit über den Rettungsdienst hinaus, sondern betrifft gerade auch Großschadenslagen wie Waldbrände, Überflutungen oder schwere Straßen- und Schienenverkehrsunfälle. Auch insofern würden die Vorschläge des Bundesministeriums viel Schaden anrichten und funktionierende Strukturen in Frage stellen“, schloss der Verbandspräsident seine Ausführungen.

DK

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