Die Landkreise arbeiten eng und partnerschaftlich mit der Wirtschaft zusammen. Gemeinsames Ziel ist es, die regionale Anziehungskraft für talentierte und engagierte Menschen zu stärken, Fachkräfte zu halten und Fachkräfte zu gewinnen. Über dieses Thema berieten über 300 Land- und Kreisräte, Vertreter der Landespolitik, der Verbände und Wirtschaftsakteure auf ihrer zweitägigen Jahreshauptversammlung im unterfränkischen Bad Kissingen.
„Der ländliche Raum hat sich längst vom agrarisch geprägten Hinterland zur Heimat vieler kleiner und mittelständischer Unternehmen und als auch Global Players entwickelt. Es besteht aber kein Anlass sich auf dieser Erfolgsgeschichte auszuruhen“, unterstrich der Landkreistagspräsident, Deggendorfs Landrat Christian Bernreiter und ergänzte: „Jetzt müssen die Weichen gestellt werden, damit wir in 2030 gleichwertige Lebensbedingungen in unseren Landkreisen mit einer prosperierenden Wirtschaft vorfinden.“
Die Versammlung verdeutlichte, wie wichtig ein enges und partnerschaftliches Zusammenarbeiten von Wirtschaft, Forschung und Politik auf Landes- und Bundesebene ist. Die Landkreise bewiesen sich regelmäßig als dynamische Akteure; stetig steigende Sozialausgaben hemmten sie aber dabei, neue Projekte zur künftigen wirtschaftlichen Gestaltung zu initiieren. Deshalb nutzte Bernreiter die Verbandstagung auch als Gelegenheit, seine Forderungen in Richtung Bundespolitik zu wiederholen: „Die finanzielle Entlastung bei der Eingliederungshilfe von schwer behinderten Menschen sowie bei den flüchtlingsbedingten Mehrausgaben, insbesondere der KdU, muss für die Kommunen endlich zuverlässig geregelt werden.“
Qualifizierte Fachkräfte, beste flächendeckende Bildung sowie eine modern vernetzte Infrastruktur im ländlichen Raum sind aus Sicht der Landräte Grundvoraussetzungen, um den Herausforderungen von Demographie, Globalisierung, Digitalisierung und Integration einer großen Anzahl von Flüchtlingen positiv begegnen zu können. Dies bekräftigten sie in einem Positionspapier zur Versammlung. Darin heißt es unter anderem: „Über die allgemeinbildenden und weiterführenden Schulen hinaus, die das Fundament sind, sichern die berufliche Bildung sowie Hochschulen und Universitäten ein hohes Niveau an Qualifizierung. Die High-Tech-Offensive Bayerns hat entscheidende Entwicklungsimpulse in den ländlichen Räumen ausgelöst. Außenstellen von Fachhochschulen, Cluster und Technologiezentren müssen ausgedehnt werden. In ihnen findet eine Symbiose von Wirtschaft und Wissenschaft statt. Abgestimmt auf die Stärken der Unternehmen und des Handwerks im jeweiligen Landkreis profitieren Innovationsbereitschaft der Betriebe und wissenschaftliche Kompetenz der forschenden Einrichtungen voneinander. Der enge Austausch von Theorie und Praxis ist Katalysator für werthaltige Arbeitsplätze und qualifizierte Arbeitskräfte.“
Die Entscheidung für die ländlichen Räume hänge für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in hohem Maß von den infrastrukturellen Rahmenbedingungen ab, lautet eine weitere These. „Dies gilt für die sog. weichen Standortfaktoren, wie Natur und Landschaft, Kultur, Freizeitmöglichkeiten usw. in gleicher Weise wie für ‚harte Faktoren‘, etwa Mobilität oder digitale Vernetzung. Die Versorgung für den täglichen Bedarf durch Handel und Dienstleistungen, aber auch eine ausreichende medizinische und zunehmend pflegerische Versorgung wird vorausgesetzt. Hochleistungsfähige Mobilfunk- und Internetverbindungen geben oftmals den Ausschlag für Standort-entscheidungen. Landkreise und Gemeinden können gemeinsam dazu beitragen, mit Unterstützung von Bund und Land sog. weiße Flecken der digitalen Versorgung zu beseitigen. Digitalisierung eröffnet Zukunftschancen. Das erfordert beste Netze in Glasfasertechnik.“
Neben der Beleuchtung der Wirtschaftsperspektiven und der Sicherung der Lebensqualität im ländlichen Raum geht es auch um die große Herausforderung, Asylsuchende und Flüchtlinge mit Bleiberecht zu integrieren. „An vorderster Stelle stehen dabei die Vermittlung ausreichender Deutschkenntnisse, um die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu verbessern und Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu eröffnen“, erklärte Bernreiter. „Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Flüchtlinge häufig handwerklich geschickt sind, deren berufliche Erfahrungen aber nicht unseren Standards entsprechen. Hier müssen Staat, Wirtschaft und Kommunen gemeinsam durch spezielle Sprach- und Berufsbildungsmaßnahmen die Qualifizierung dieser Gruppe voranbringen, um sie schnellstmöglich in den Arbeitsmarkt zu integrieren.“
Auch der Chamer Landrat Franz Löffler unterstrich, dass der Grundpfeiler für den wirtschaftlichen Erfolg in den Schulen gelegt wird. Wichtig sei eine sehr gut vernetzte und hervorragende Plattform für das Thema Bildung in der Region. Schulen, Kommunen, Unternehmen und Institutionen müssten hier strategisch sehr eng zusammenarbeiten.
Die Frage, inwieweit auch Flüchtlinge und Asylsuchende zur Linderung des Fachkräftemangels beitragen können, stand ebenso auf der Agenda. ?Nach den Worten von Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), „können wir kurzfristig nur zehn Prozent der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integrieren“. In einem Modellprojekt habe die vbw diese Quote auf gut 32 Prozent erhöhen können. Tatsache sei, dass mittel- und langfristig Jugendliche und junge Erwachsene die besten Perspektiven auf eine Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt haben.
Das Pilotprojekt IdA 120 war laut Brossardt die Basis für weitere, umfangreiche Aktivitäten. Die vbw habe im Oktober vergangenen Jahres gemeinsam mit der Bayerischen Staatsregierung, der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit und den bayerischen Kammerorganisationen die Vereinbarung „Integration durch Ausbildung und Arbeit“ unterzeichnet. Gemeinsames Ziel sei es, bis Ende 2016 20.000 Flüchtlingen einen Praktikums-, Ausbildungs- oder Arbeitsplatz anzubieten und bis Ende 2019 60.000 Asylbewerber in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Dem Fachkräftemangel auf dem Land entgegenwirken wollen die bayerischen Landkreise mittels Integrationskursen für alle Flüchtlinge. Diese müssten so schnell wie möglich in den Arbeitsmarkt integriert werden, hob Präsident Bernreiter hervor. Die Kurse sollen vom Bund finanziert werden. Die Kommunen seien bereit, organisatorisch zu helfen, die Bundesregierung sei aber für Flüchtlinge verantwortlich, unterstrich der Bad Kissinger Landrat Thomas Bold.
Fachkräftemangel ist freilich nicht nur ein Problem der Wirtschaft, sondern betrifft auch die Personalgewinnung an den Landratsämtern. Bernreiter zufolge „setzen die Landkreise mit einer neuen Internetstellenbörse ein in der öffentlichen Verwaltung in Bayern bislang einmaliges Zeichen, um den Wettbewerb um die besten Köpfe erfolgreich zu bestehen“. Die Stellenbörse unter dem Motto „Mit Sicherheit spannend“ wurde auf Initiative des Bayerischen Innovationsrings beim Bayerischen Landkreistag entwickelt und aktuell online gestellt. Sie bietet einen bayernweiten Überblick über die von den Landratsämtern aktuell ausgeschriebenen Stellen. Bereits am ersten Tag konnte auf 50 Stellenangebote -vom Verwaltungsangestellten und Informatiker über Straßenwärter bis zum Sozialpädagogen - zugegriffen werden.
Der Tölzer Landrat Josef Niedermaier, Leiter des Bayerischen Innovationsrings, stellte das Internetportal wie folgt vor: „Die Landkreise präsentieren sich auf der Stellenbörse als attraktive und moderne Arbeitgeber. Alle Interessenten sind herzlich eingeladen, sich unter www.mit-sicherheit-spannend.de und www.mit-sicherheit-spannend.bayern über die überraschend vielfältigen wie spannenden Aufgaben eines Landratsamts zu informieren.“
Interaktive Landkarte
Zahlreiche Such- und Filtermöglichkeiten unterstützen das Auffinden der passenden Stellen (z. B. Orts- und Umkreissuche, Suche nach Tätigkeitsgebieten oder nach Voll- und Teilzeitstellen). Neben einer reinen „Textsuche“ werden alle Stellenausschreibungen auf einer interaktiven Landkarte angezeigt, die über dieselben Such- und Filtermöglichkeiten verfügt. Interessenten können sich zudem automatisch benachrichtigen lassen, wenn eine neue Stelle veröffentlicht wird, die den zuvor hinterlegten Such- und Filterkriterien entspricht. Die Vielfalt an Aufgaben und Beschäftigungsmöglichkeiten im Landratsamt wird durch Fotomotive veranschaulicht. Landrat Armin Kroder (Nürnberger Land), zugleich Leiter der Projektgruppe „Personal und Führung“ im Innovationsring, unterstrich die Notwendigkeit, über moderne Wege Personal für die Verwaltung zu gewinnen: „Nach Hochrechnungen werden in den nächsten 10 bis 15 Jahren pro Landratsamt 100 bis 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ruhestand gehen. Die Landratsämter gehören zu den interessantesten Behörden der Welt, gleichzeitig aber auch zu den Unbekanntesten. Das wollen wir ändern.“
Die komplexe Fragestellung der Tagung beleuchtete auch Ilse Aigner, Bayerische Staatsministerin für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie, die den Beitrag des Freistaats Bayern, seine Konzepte und Ideen für eine starke Wirtschaft im ländlichen Raum vorstellte. Aigner hob zunächst die Bedeutung der Regionalförderung hervor: „Unsere Politik ist nicht nur auf die Ballungsräume, sondern auch auf die Regionen Bayerns ausgerichtet. Mit der Regionalförderung machen wir den ländlichen Raum noch attraktiver und schaffen gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Bayern. 2015 haben wir über die Regionalförderung rund 155 Millionen Euro bereitgestellt und gezielt Investitionsmaßnahmen kleiner und mittlerer Unternehmen unterstützt. Damit sichern wir bestehende und ermöglichen die Schaffung neuer Arbeitsplätze.“
Um die Spitzenposition Bayerns zu halten, sind Aigner zufolge viele Bausteine wichtig – sei es die Integration von Flüchtlingen, die Energieversorgung oder aber die Digitalisierung. Möglich sei die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt ohnehin nur aufgrund der guten wirtschaftlichen Lage und der niedrigen Arbeitslosigkeit, verdeutlichte die Ministerin. In diesem Zusammenhang erinnerte sie an die Situation vor zehn Jahren, als längst nicht alle deutschen Schulabgänger eine Lehrstelle bekamen.
Aigner verwies darauf, dass die Staatsregierung 1,5 Milliarden Euro allein für den Breitbandausbau zur Verfügung stellt. Aktuell gehe es in der dritten Stufe der Digitalisierung - nach der Bereitstellung von Informationen und der Vernetzung von Menschen - um die „Vernetzung von Dingen“: So werden in den kommenden Jahren 75 Milliarden Gegenstände - vom einzelnen Sensor bis zum Auto - vernetzt. Laut Aigner ist dies eine gewaltige Herausforderung für die Datennetze und eine Chance für die Wirtschaft.
Die Ministerin plädierte ferner dafür, gerade auf dem Land den Mobilfunk zu verbessern. Auch stelle eine sichere Stromversorgung einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. 600 Millionen Euro habe der Freistaat außerdem in die Nordbayern-Initiative investiert und allein im vergangenen Jahr habe ihr Ministerium 155 Millionen Euro an Wirtschaftsförderung ausbezahlt, davon 86 Prozent in den ländlichen Raum.
Der Zukunftsforscher Professor Dr. Dr. Dr. Franz Josef Radermacher, Universität Ulm, bestätigte die Landräte in seinem Impulsreferat darin, dass nur mithilfe regulierender wirtschaftlicher Maßnahmen sowie gesellschaftlichem Zusammenhalt stabiler Wohlstand gesichert werden kann. Beiträge der Kreativwirtschaft zur Standortsicherung von Dr. Silke Claus, Geschäftsführerin bayern design GmbH und Thomas Bade, Geschäftsführer Institut für Universal Design, beschlossen das Tagungsprogramm.
|