Kommunalverbändezurück

(GZ-23-2021)
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► Hauptversammlung des Deutschen Städtetags:

 

Den Wandel lebenswert gestalten

 

Im Zeichen von Neuwahlen und gesellschaftlichen Transformationsprozessen stand die Hauptversammlung des Deutschen Städtetags in Erfurt. Unter dem Motto „Was das Leben ausmacht. Die Städte in Deutschland“ rief der Verband die Ampel-Parteien in Berlin dazu auf, in der entscheidenden Phase der Koalitionsverhandlungen bei essenziellen Themen wie Klima, Wohnen und Verkehr die Rolle der Städte zu beachten und zu stärken. Rund 800 Delegierte und Gäste aus dem gesamten Bundesgebiet nahmen an der alle zwei Jahre stattfindenden Tagung teil.

Auftakt-Pressekonferenz: Plenum mit (v. l.): Andreas Bausewein, gastgebener Oberbürgermeister Erfurt; Oberbürgermeister Markus Lewe, Vizepräsident des Deutschen Städtetages; Oberbürgermeister Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städtetages; Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer Deutscher Städtetag; Daniela Schönwälder, Stellvertretende Pressesprecherin Deutscher Städtetag. Bild: Stadtverwaltung Erfurt/Vitalik Gürtler
Auftakt-Pressekonferenz: Plenum mit (v. l.): Andreas Bausewein, gastgebener Oberbürgermeister Erfurt; Oberbürgermeister Markus Lewe, Vizepräsident des Deutschen Städtetages; Oberbürgermeister Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städtetages; Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer Deutscher Städtetag; Daniela Schönwälder, Stellvertretende Pressesprecherin Deutscher Städtetag. Bild: Stadtverwaltung Erfurt/Vitalik Gürtler

Zum neuen Präsidenten des Deutschen Städtetags wählten die Delegierten Markus Lewe, Oberbürgermeister der Stadt Münster. Als Vizepräsident fungiert nun der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung, der seit Juni 2019 das Präsidentenamt innehatte und turnusgemäß abgab. Zum ersten Stellvertreter des Präsidenten wurde Heidelbergs Oberbürgermeister Prof. Dr. Eckart Würzner bestimmt. Zu den weiteren Stellvertretern zählt der Straubinger Oberbürgermeister Markus Pannermayr. Außerdem wurde der ehemalige Präsident des Deutschen Städtetags und langjährige Nürnberger Oberbürger­meister Dr. Ulrich Maly einstimmig zum neuen Ehrenmitglied des Kommunalverbandes gewählt.

Wahl des neuen Ehrenmitglieds Dr. Uli Maly: Der Oberbürgermeister a. D. der Stadt Nürnberg, Dr. Uli Maly (r.), ist neues Ehrenmitglied des Deutschen Städtetages. Vizepräsident Markus Lewe (l.) überreicht Maly in Anwesenheit seiner Frau Petra nach dessen einstimmiger Wahl zum Ehrenmitglied die Urkunde. Bild: Stadtverwaltung Erfurt/Vitalik Gürtler
Wahl des neuen Ehrenmitglieds Dr. Uli Maly: Der Oberbürgermeister a. D. der Stadt Nürnberg, Dr. Uli Maly (r.), ist neues Ehrenmitglied des Deutschen Städtetages. Vizepräsident Markus Lewe (l.) überreicht Maly in Anwesenheit seiner Frau Petra nach dessen einstimmiger Wahl zum Ehrenmitglied die Urkunde. Bild: Stadtverwaltung Erfurt/Vitalik Gürtler

Lebenswerte Städte, klimafreundlich, digital, mit bezahlbaren Wohnungen, guten Bildungsangeboten, bürgernahen Verwaltungen und vernetzt in Europa: Diesen Zielen und den laufenden Transformationsprozessen wollen sich die Städte stellen. Nötig ist aus Sicht des Deutschen Städtetags dafür die Unterstützung durch die künftige Bundesregierung und die Länder. In einer „Erfurter Erklärung“ wurden die wichtigsten Positionen verabschiedet.

Präsident Lewe zufolge wollen die Städte in Deutschland zunächst die Lebensqualität vor Ort verbessern. Nur die Städte können mit ihrer gestaltenden Politik Orte schaffen, an denen sich die Menschen zu Hause fühlen. Sie wollen sichern und leisten, was das Leben ausmacht: Begegnung und Teilhabe im Alltag, im öffentlichen Raum, auf dem Spielplatz, im Stadion, im Verein, in kulturellen und sozialen Einrichtungen. Das Lebensgefühl der Menschen entscheidet über Identifikation und Teilhabe. Die Städte sind Impulsgeber und strahlen weit in die Region aus. Hier zeigt sich Veränderungsdruck, aber auch die kreative Kraft der Städte. „Diese kreative Kraft wollen wir einbringen.“

Auch gilt es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern. Die Städte stehen ein für demokratische Werte, offenen Diskurs, Beteiligung, Vielfalt und Toleranz sowie Gleichstellung aller Geschlechter. Sie stellen sich ausdrücklich gegen Haltungen, die diese Werte nicht anerkennen und unterminieren, und damit gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Stadtpolitik ist nah dran, kann Konflikte lösen und verhindern helfen.

Die Gemeinwohlorientierung zeichnet die Städte aus, sie ist sinnstiftend, schafft die Grundlagen für ein gesellschaftliches Zusammenleben und die eigene Entfaltung. Stabile Stadtgesellschaften entstehen durch die Kraft aller und im gegenseitigen Respekt. Sie sind unabdingbar für ein stabiles Land. „Die Stadt als Raum von Zusammenhalt steht und fällt mit der Glaubwürdigkeit der lokalen Politik. Das ist und bleibt unser Anspruch.“

Zudem soll der Klimaschutz noch stärker vorangetrieben werden. Die Weltklimakonferenz ist Aufforderung für die Städte, noch mehr und schneller Maßnahmen für den Klimaschutz anzugehen. Klimaschutz ist eine dringliche Aufgabe für alle. Die Städte investieren in erneuerbare Energien und die energetische Gebäudesanierung, fördern Ressourcen- und Energieeffizienz und mildern die Folgen des Klimawandels vor Ort. Sie haben mit den Stadtwerken starke Partner und dezentrale Strukturen, um etwa bei den Wärmenetzen schneller CO2-neutral zu werden und die Energiewende voranzutreiben. Der CO2-Preis muss schnell auf mehr als 50 Euro pro Tonne Kohlendioxid angehoben und die Einnahmen müssen konsequent in den Klimaschutz gesteckt werden. Der höhere CO2-Preis darf die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Wirtschaft und Gewerbe nicht über Gebühr belasten; Klimaschutz muss sozial gerecht ausgestaltet sein.

Des Weiteren will der Deutsche Städtetag in der Verkehrspolitik stärker umsteuern. Der ÖPNV ist Motor und Taktgeber für eine nachhaltige Mobilität. Wir müssen mehr Anreize und wo nötig auch Regeln setzen, das Auto stehenzulassen. Das geht nur mit einem gut ausgebauten Netz von Bussen und Bahnen mit emissionsfreien Antrieben, einer engeren Taktung, attraktiven Angeboten sowie guten Verbindungen ins Umland. Fuß- und Radwege müssen einen höheren Stellenwert erhalten. Benötigt werden mehr Handlungsspielräume für autonome verkehrspolitische Entscheidungen vor Ort, z. B. bei Tempo 30. Der Güterverkehr muss nachhaltig abgewickelt werden. Für all das ist eine nie dagewesene gemeinsame Investitionsoffensive und das Erweitern von nachhaltigen Mobilitätsangeboten von Bund, Ländern und Kommunen nötig. Dafür braucht es einen Ausgleich der coronabedingten Einnahmeausfälle und eine Erhöhung der Regionalisierungsmittel um mindestens 1,7 Milliarden Euro.

„Wir wollen die Rahmenbedingungen für lebendige Zentren setzen“, heißt es zudem. Wohnen, Leben, Arbeiten und Erleben ist die Vision für die Innenstädte. Die Städte gestalten Plätze und Orte, an denen sich die Menschen gerne aufhalten und begegnen. Sie bringen die Akteure zusammen, schieben nachhaltige Investitionen in die Vielfalt von Nutzungen an, helfen dem Einzelhandel bei der Digitalisierung, fördern Kooperationen und schaffen Raum für kreative Lösungen. Über das Bundesprogramm Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren hinaus braucht es in den nächsten fünf Jahren Fördermittel von jährlich 500 Millionen Euro.

Auch liegt das Augenmerk darauf, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Die Städte wollen steuern, was wann und wo gebaut wird. Kommunale Bodenfonds, in die auch Bund und Länder nicht mehr benötigte Grundstücke einbringen, helfen ebenso wie erleichterte Planungsverfahren. Grundstücke der öffentlichen Hand sind Teil des Gemeinwohls. Sie sollten an die Kommunen nur vergünstigt verkauft werden. Eine Zielmarke von 400.000 neuen Wohnungen jährlich ist richtig und ambitioniert. Von den 300.000 Wohnungen ohne Sozialbindung müssen mindestens 20 Prozent im preisgünstigen Bereich liegen.

„Bildungschancen und Chancengerechtigkeit sichern“ lautet eine weitere Maxime. Von der Kita und schulischen Ganztagsangeboten über die Volkshochschulen bis hin zum Jobcenter schaffen die Städte die Voraussetzungen für individuelle Zukunftschancen, Integration und lebenslanges Lernen. Als Schulträger treiben sie die Digitalisierung in der Bildung voran. Ein Masterplan muss Zuständigkeiten und Finanzierung zwischen Bund, Ländern und Schulträgern neu festlegen und alle Bildungseinrichtungen einbeziehen. Medienkompetenz zu vermitteln und digitale Teilhabe sicherzustellen, ist eine Zukunftsaufgabe, die nur gemeinsam gelingen kann.

Darüber hinaus wollen die Städte innovative und moderne Dienstleister sein. Wie Gesetze wirken, zeigt sich, wenn sie umgesetzt werden. Dabei kommt es auf Strukturen und Abläufe an, noch wichtiger aber ist die Kultur der Verwaltung. Werte und Tugenden der öffentlichen Verwaltung müssen neu diskutiert werden. Erforderlich sind Stabilität und Kontinuität ebenso wie Neugier und Offenheit. Verwaltungsprozesse müssen durchgängig digitalisiert werden. Für einheitliche Bundesangelegenheiten sollte der Bund auch zentrale technische Prozesse und IT zur Verfügung stellen, zum Beispiel beim Führerschein, dem Personalausweis, Elterngeld und Wohngeld.

„Wir wollen unserer Rolle in Europa und der Welt gerecht werden“, heißt es weiter. Entscheidungen vor Ort wirken schon längst nicht mehr nur lokal. Wir alle tragen Verantwortung für unseren Planeten und ein friedliches Zusammenleben. Die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und die Leipzig Charta 2.0 sind dabei Richtschnur und Verpflichtung. Ohne die Städte im europäischen und globalen Schulterschluss ist die Jahrhundertaufgabe Klimaschutz nicht zu meistern. Die Städte leben Völkerverständigung und globale Solidarität vor. Ihre Rolle muss im europäischen Gesetzgebungsprozess und in der außenpolitischen Arbeit der Bundesregierung stärker gewürdigt werden.

Für all diese Ziele sind stabile Finanzen und Entscheidungsspielräume unverzichtbar. Der Bedarf an Investitionen ist riesig. Die Städte sind unverändert größter öffentlicher Investor. Benötigt werden ein höherer Anteil am Steueraufkommen und ein Ausgleich der Einnahmeverluste durch Corona. Allein in den Jahren 2021 bis 2023 fehlen den Kommunen knapp 8 Milliarden Euro an Steuereinnahmen. Ein Einbruch der kommunalen Investitionen muss unbedingt verhindert werden. Die Finanzpolitik von Bund und Ländern muss der zentralen Rolle der Städte Rechnung tragen. Es darf keine neuen Aufgaben zu Lasten der Städte ohne Ausgleich mehr geben. Altschulden dürfen die Gestaltungsmöglichkeiten der betroffenen Städte nicht länger erdrücken. Förderprogramme müssen praktikabel ausgestaltet werden. Auch sind weitaus größere Spielräume notwendig, selbst entscheiden zu können, was vor Ort erforderlich und gewünscht ist – etwa für nachhaltige Mobilität und Klimaschutz.

In seiner Abschiedsrede hatte der scheidende Städtetagschef Burkhard Jung zuvor dazu aufgerufen, der Kommunalpolitik den Rücken zu stärken. In der Corona-Pandemie sei das friedliche, soziale Miteinander auf die Probe gestellt worden. Immer wieder entstehe der Eindruck, Gemeinwohl und Einzelwohl widersprächen einander. „Das halte ich für ein fatales Signal. Das Gemein­wohl und das Wohl des Einzelnen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Das Wohl der Gemeinschaft sei nicht der Gegenspieler des Einzelwohls, sondern seine Basis. „Ohne ein ‚Wir‘ kann es in unserer Gesellschaft kein ‚Ich‘ geben“, unterstrich Jung.

Jung äußerte Verständnis dafür, dass Menschen im Zuge der Pandemie erschöpft seien, wenn der Alltag und ganze Existenzen wegbrächen. Nicht hinzunehmen sei aber, wenn bewusst falsche Tatsachen und Lügen verbreitet und Demonstrationen genutzt würden, um zu spalten und Tausende ohne Maske andere und das Wohl der Gemein­schaft gefährdeten.

Immer häufiger richteten sich antidemokratische, antisemitische, ausländerfeindliche, menschenverachtende Anfeindungen auch gegen kommunalpolitisch Engagierte und Ehrenamtliche in den Städten, fuhr Jung fort: „Wer Menschen angreift, die sich für unser Gemeinwesen einsetzen, greift immer auch unsere freiheitliche und demokratische Gesellschaft an. Das dürfen wir nicht zulassen! Unser Gemeinwohl ist in Gefahr, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr engagieren wollen im Rat, bei der Freiwil­ligen Feuerwehr, im Eltern-Café für Migranten oder im Verein.“ Mehr denn je komme es darauf an, Anstand vorzuleben, Haltung zu beziehen, Solidarität zu leben und der Kommunalpolitik und dem ehrenamtlichen Enga­gement den Rücken zu stärken.

Den Städten und Gemeinden für ihre Arbeit in der Corona-Pandemie dankte Dr. Angela Merkel, die als geschäftsführende Bundeskanzlerin per Videokonferenz an der Hauptversammlung teilnahm. Gerade in diesen „sehr schwierigen Wochen“ seien die Kommunen enorm gefordert. Ihre Gesundheitsämter seien „die Schaltstellen der Pandemiebekämpfung vor Ort“.

Merkel zeigte sich besorgt über die Lage in einigen Bundesländern. Oberstes Ziel sei, eine Überbelastung des Gesundheitssystems zu vermeiden und so Menschenleben zu schützen. Dazu gehöre, dass Corona-Patienten, aber auch alle anderen eine bestmögliche Behandlung bekommen könnten.

Jenseits der Pandemie übernähmen Bund, Länder und Gemeinden auch in anderer Weise Verantwortung für Leben und Zusammenleben, fuhr Merkel fort. Dies gelte ganz besonders auch für die Aufgabe, gleichwertige Lebensbedingungen herzustellen, und betreffe zahllose Bereiche unseres Lebens.

„Die Herausforderungen, denen wir auf kommunaler Ebene begegnen, sind und bleiben komplex und anspruchsvoll.“ Digitalisierung, Attraktivität der Innenstädte, solide Kommunalfinanzen, Sicherheit für alle Bürgerinnen und Bürger sowohl auf den Straßen, in ihren Wohnungen als auch im Netz: Dies seien nur wenige Beispiele, die zeigten, wie wichtig ein enger Schulterschluss zwischen Bund, Ländern und Kommunen sei.

DK

 

 

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