Kommunalverbändezurück

(GZ-8-2022)
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► Online-Diskussionsveranstaltung des Wirtschaftsbeirats Bayern in München:

 

Bayerns Flächen im Spannungsfeld

 

„Die Fläche bleibt immer gleich, es kommt nur darauf an, in welcher Form sie genutzt wird.“ Mit dieser Aussage umschrieb Hermann Steinmaßl, Altlandrat und MdL a.D., bei einer Online-Veranstaltung des Ausschusses Regionale Wirtschaftspolitik des wbu treffend das Spannungsfeld, in dem sich die Flächen Bayerns befinden. Mit 70.000 Quadratkilometern ist der Freistaat das größte Flächenland in Deutschland. Etwa 86 Prozent der Fläche werden land- und forstwirtschaftlich genutzt, 12 Prozent sind Siedlungs- und Verkehrsflächen. Der tägliche Flächenverbrauch beträgt 11,6 Hektar.

Hermann Steinmaßl, Michaela Kaniber, Stefan Schelle.
Hermann Steinmaßl, Michaela Kaniber, Stefan Schelle.

Laut Ausschussvorsitzendem Steinmaßl, der als Moderator der Diskussionsrunde mit Michaela Kaniber, MdL, Bayerische Staatsministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, sowie Oberhachings Bürgermeister Stefan Schelle, Vorsitzender des Regionalen Planungsverbands München, fungierte, ist Bayerns Attraktivität ungebrochen: Prognosen zufolge steigt die Einwohnerzahl in den kommenden 20 Jahren voraussichtlich um fast vier Prozent auf rund 13,7 Millionen Menschen. Das Wachstum liegt vor allem am Zuzug. Entsprechend steigen die Herausforderungen.

„Die Pandemie hat uns vielfältig vor Augen geführt, dass wir gerade in Bayern Rahmenbedingungen brauchen, um die Wirtschaft in allen Landesteilen in allen Facetten zu sichern und dynamisch zu halten und dem Verfassungsartikel ‚gleiche Lebensbedingungen in allen Landesteilen‘ gerecht zu werden“, betonte Steinmaßl. Mit dem Zuzug von Flüchtlingen aus der Ukraine kämen weitere Aufgaben auf Bayern zu.

Kaniber fordert Kehrtwende

Angesichts des russischen Überfalls und der gravierenden Auswirkungen auf Agrarmärkte und Lebensmittelpreise forderte Ernährungsministerin Michaela Kaniber ein Umdenken beim Umgang mit land- und forstwirtschaftlichen Flächen. „Auch wenn die Versorgung mit Nahrungsmitteln bei uns derzeit gesichert ist, zwingt uns Putins schrecklicher Krieg zum Umdenken: Können wir einfach weiter Flächen stilllegen und die Ernährungssouveränität Europas riskieren? Wir dürfen keinesfalls den Fehler machen wie bei der Energieversorgung und von Importen abhängig werden.“

Neu geprüft werden müssten zudem die sonstigen vielfältigen Ansprüche an landwirtschaftlichen Boden. „Die Versorgungssicherheit zu erhalten, muss angesichts der vielen widerstreitenden Ansprüche oberste Priorität bekommen“, erklärte Kaniber. Die Herausforderung sei, gleichzeitig die Ziele Klimaschutz und Artenvielfalt nicht aus den Augen zu verlieren. Hier gelte es, smarte Lösungen anzuschieben. Der Freistaat zeige beispielsweise mit seinem erfolgreichen Kulturlandschaftsprogramm, wie die Produktion von Nahrungsmitteln mit Umwelt und Klimaschutz auf einer Fläche vereinbart werden könne.

Flächensparender planen

Auch der Druck durch Ausweisung von neuen Siedlungs- und Verkehrsflächen muss nach den Worten der Ministerin reduziert werden. „Für mich ist ganz klar, es muss flächensparender geplant werden. Neue Flächen dürfen erst in Anspruch genommen werden, wenn es im Innenbereich keine Möglichkeiten mehr gibt oder auch alle bestehenden Industriebrachen reaktiviert sind. Aber auch beim naturschutzfachlichen Ausgleich muss eine Kehrtwende her. Wir brauchen einen intelligenten Ausgleich, etwa durch Kombination verschiedener Maßnahmen auf der gleichen Fläche und ihre Integration in die Bewirtschaftung. Naturschutz und landwirtschaftliche Produktion sind auf der gleichen Fläche möglich.“

Umsicht bei der Energieerzeugung

Für eine neue Dynamik sorge der Krieg auch bei der Energiewende. Allerdings müsse man vor allem bei flächenintensiven Energiequellen darauf achten, die Energieerzeugung nicht auf Kosten der Ernährungssicherheit umzusetzen. „Wenn wir über Photovoltaik auf landwirtschaftlichen Flächen sprechen, dann sollten es vorrangig Agri-PV-Anlagen sein, also Systeme, mit denen die Flächen gleichzeitig für die landwirtschaftliche Pflanzenproduktion und die Stromerzeugung genutzt werden können. Aber zunächst müssen alle Möglichkeiten zur Solarstromerzeugung auf bereits versiegelten Flächen, wie Gebäuden, Straßen und Parkplätzen, ausgeschöpft werden“, erläuterte Kaniber. Da „die Erneuerbaren“ letztlich Energien des ländlichen Raums seien, dürfe auch die Wasserkraft nicht außer Acht gelassen werden.

Auch beim Thema Wald forderte Kaniber ein Umdenken bei den Stilllegungen. Angesichts des immer weiter voranschreitenden Klimawandels habe die Anpassung der Wälder oberste Priorität. „Sie werden gebraucht. Und nur klimastabile Wälder können ihre vielfältigen Funktionen langfristig erbringen“, so die Ministerin. Als Kohlenstoffspeicher sowie nachhaltiger Rohstoff- und Energielieferant leisteten sie einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz.

Damit der nachwachsende und klimafreundliche Öko-Rohstoff Holz auch künftig in ausreichenden Mengen erzeugt werden kann, brauche es die nachhaltige, multifunktionale Bewirtschaftung. Großflächige Stilllegungen, wie sie die EU-Kommission vorantreibt, konterkarierten hingegen die Klimaschutzeffekte von Wald und Holz. „Sonst droht eine Verschiebung der Holzversorgung in Länder mit niedrigeren Umweltstandards“, warnte die Ministerin. Ihr Resümee: Ein simples „Weiter so“ könne es nicht geben. „Wir brauchen intelligentere Lösungen als Flächenstilllegungen, um Produktion, Natur- und Klimaschutz auf der gleichen Fläche in Einklang zu bringen.“

Einwohner und Arbeitsplätze

„Bezahlbarer Wohnraum wird immer mehr zur Mangelware“, konstatierte Bürgermeister Stefan Schelle, Vorsitzender des Regionalen Planungsverbands München. In allen Wohnbereichen seien Preissteigerungen zu verzeichnen, selbst die Corona-Krise habe für keinen größeren Einbruch auf dem Markt gesorgt. Zahlreiche Fachkräfte müssten aus den Ballungszentren wegziehen - mit der Folge, „dass wertvolle Kompetenz aus der Region verschwindet.“ Für die Unternehmensentwicklung stelle der Fachkräftemangel ein großes Risiko dar. Da aber nicht nur Wohnraum, sondern auch Gewerbeflächen benötigt werden, seien die wohnbauliche und gewerbliche Entwicklung aufeinander abzustimmen, um ein ausgeglichenes Verhältnis von Einwohnern und Arbeitsplätzen in allen Teilen der Region zu erreichen.

Parallel zur starken Zuwanderung in die Region müssten auch die Kapazitäten im Verkehr wachsen. „Die große Herausforderung ist, mit der Siedlungsentwicklung sowie dem Einwohner- und Arbeitsplatzwachstum Schritt zu halten“, machte der Bürgermeister deutlich. Ein gezielter Ausbau der Infrastruktur sei zu unterstützen, damit sich Wohnungen und Arbeitsplätze dezentral entwickeln. Um dies zu bewältigen, gelte es, den öffentlichen Verkehr stark auszuweiten, insbesondere tangentiale Verbindungen und Expresslinien auch über die Regionsgrenzen hinaus zu schaffen.

Mobilität von Daten und Menschen besser umsetzen

Ein weiterer Aspekt: Arbeiten Menschen von zu Hause aus, entsteht Wertschöpfung vor Ort. Arbeitsplätze in den ländlichen Raum zu verlagern, bietet große Chancen. Die Wirtschaft verfügt durchaus über Spielräume, Unternehmensbereiche outzusourcen und somit die Ballungsräume zu entlasten. Nicht wenige Unternehmen in den Metropolregionen entmieten bereits große Flächen. „Es gilt, die Mobilität von Daten und Menschen besser umzusetzen. Dann nehmen wir auch die Prosperität im ländlichen Raum mit“, unterstrich Schelle.
In diesem Zusammenhang verwies er aber auch auf die Nöte junger Menschen, die sich selbst in ihrem ländlichen Heimatort oft keinen Wohnraum mehr leisten könnten. Aufgrund diverser Regularien seien Kommunen mittlerweile oft nicht mehr in der Lage, Einheimischenmodelle in dem Maße anzubieten, wie dies früher möglich gewesen sei. „Damit gehen die soziale Struktur und die Identität einer Gemeinde verloren.“ Auch das Erbschaftsteuerrecht trage seinen Teil dazu bei und verteuere das Wohnen nochmals.

Kassensturz beim eigenen Anspruchsdenken

Schelle stimmte mit Ministerin Kaniber überein, „dass wir einen Kassensturz beim eigenen Anspruchsdenken machen sollten“. Es gelte, Wohnformen zu überdenken. In Deutschland gebe es einen anhaltenden Trend zu einem hohen Bedarf an Wohnfläche. Während vor 20 Jahren die Bürger im Schnitt eine Wohnfläche von 36 qm nutzten, sind es heute ca. 47 qm.

Im Dialog bleiben

Laut Stefan Schelle muss ein pragmatischer, konstruktiver und nachhaltiger Weg gefunden werden, wenn es darum geht, gemeinsam Gewerbe, Wohnen, Naturschutz erfolgreich unter einen Hut zu bringen. „Letztlich sind wir verantwortlich für das, was wir der nächsten Generation weitergeben.“ Bleibe man auf allen politischen Ebenen mit der Wirtschaft und den Verbänden im Gespräch, werde dies auch gelingen. „Das muss die Stärke der Demokratie sein – gerade auch in den aktuellen, schwierigen Zeiten“, so der Verbandsvorsitzende.

„Flächenstilllegung können wir uns in der jetzigen Phase nicht leisten“, ergänzte Hermann Steinmaßl. Sein Appell: „Wir müssen alles dafür tun, dass die Menschen, die hier geboren werden, auch in Zukunft wohnen und arbeiten, d.h. leben können. Diese Philosophie darf uns niemals abhandenkommen.“

DK

 

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