Kommunalverbändezurück

(GZ-20-2022)
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► Bayerischer Gemeindetag in Neunburg vorm Wald:

 

Lösungssuche in Krisenzeiten

 

Im Zeichen von Ukrainekrieg, Energieknappheit, Flüchtlingskrise und Inflation stand die diesjährige Landesversammlung des Bayerischen Gemeindetags in Neunburg vorm Wald. Aus Sicht von Verbandspräsident Dr. Uwe Brandl „wirkt das Zusammentreffen mehrerer Krisen zur gleichen Zeit als Brandbeschleuniger zunehmender Unzufriedenheit und Radikalisierung“. Deshalb habe er „größte Sorge um den sozialen und demokratischen Zusammenhalt unserer Gesellschaft“.

V.l.: Dr. Uwe Brandl, Präsident des Bayerischen Gemeindetags, Ministerpräsident Dr. Markus Söder und Erster Bürgermeister Martin Birner, diesjähriger Gastgeber der Jahresversammlung des Bayerischen Gemeindetags. Im Hintergrund spielt die neugegründete und noch namenlose Bürgermeisterinnen- und Bürgermeister-Blaskapelle, die an diesem Tag das erste Mal gemeinsam probte und auftrat. Bild: Stadt Neunburg vorm Wald
V.l.: Dr. Uwe Brandl, Präsident des Bayerischen Gemeindetags, Ministerpräsident Dr. Markus Söder und Erster Bürgermeister Martin Birner, diesjähriger Gastgeber der Jahresversammlung des Bayerischen Gemeindetags. Im Hintergrund spielt die neugegründete und noch namenlose Bürgermeisterinnen- und Bürgermeister-Blaskapelle, die an diesem Tag das erste Mal gemeinsam probte und auftrat. Bild: Stadt Neunburg vorm Wald

Viele Menschen im Lande fühlten sich zu Recht abgehängt und unverstanden, so Brandl. Die Energiekostenentwicklung und das zögerliche Gegensteuern seien für ein akzeptanzbasiertes politisches Gemeinwesen nahezu unverdauliche Kost. Transferleistungsempfänger würden als Privilegierte empfunden, sozialversicherungspflichtige Beschäftigte sähen sich zunehmend als „Melkkühe der Nation“, von einer Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse könne mit Blick auf das 9-Euro-Ticket, offenbar angestrebtes voraussetzungsloses Grundeinkommen (Stichwort Bürgergeld) und weiteren sozialen Wohltaten nicht ansatzweise gesprochen werden. „Ich appelliere an die Politik in Bund und Freistaat: Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse hat Verfassungsrang.

Die Politik hat darauf hinzuarbeiten, diese Gleichwertigkeit zu schaffen. Das ist ein Verfassungsauftrag!“, mahnte der Gemeindetagschef an.

Brandl kritisierte ideologische Diskussionen um die richtigen Maßnahmen zur Energiewende und zur Eingrenzung der Energiekosten. Er lobte das Aus für die geplante Gaspreisumlage, forderte aber eine rasche und transparente Umsetzung der beschlossenen Gaspreisbremse. Auch der Ausbau der Stromnetze, insbesondere die Leitungen von Nord nach Süd, müssten deutlich beschleunigt werden. Planfeststellungsverfahren mit Laufzeiten von bis zu zwei Jahrzehnten seien keine geeigneten Verfahren, um die neue Energiekulisse schnell umzusetzen.

Eine deutliche Absage erteilte der Präsident auch einer eigenen Kompetenz der bayerischen Landkreise zur Energiegewinnung. Vielmehr forderte er, über gemeinsame Kooperationen zur Energiegewinnung mittels Zweckverbände aus Gemeinden und Landkreisen einen nachhaltigen Beitrag zur Energiewende zu erreichen.

KKWs weiter betreiben

Um die Energieproduktion weiter sicherzustellen, gilt es nach Brandls Überzeugung, bestehende Kernkraftwerke weiter zu betreiben, zumindest, bis die Krise überwunden sei. Wirtschaft und Bürger bräuchten endlich Sicherheit und nicht dieses „unsägliche, monatelange Rumgeeiere“. „Was“, so fragte Brandl, „ist das für ein eigenartiges Demokratieverständnis, wenn die politisch Verantwortlichen ignorieren, dass 75 Prozent der Bevölkerung die Kernkraftwerke am Netz halten wollen?“ Niemand habe bisher von einem Ausstieg aus dem Ausstieg gesprochen. „Es geht jetzt um die übergangsweise Sicherstellung des Energiebedarfs und nicht mehr!“

Mit Blick auf neue Flüchtlingsströme nach Bayern über die Balkanroute betonte Brandl: „Natürlich stecken hinter diesen Fluchtbewegungen menschliche Schicksale, aber eben auch Menschen, um die wir uns zum Teil dauerhaft kümmern müssen. Unterbringung, Ernährung, medizinische Versorgung, Bildung: Wer trägt die Folgekosten?“ Der Verbandschef forderte die Politik auf, „mehr Mut zum Nein“ aufzubringen. „Nein zu neuen Leistungsansprüchen, nein zu neuen Aufgaben, nein zu unbegrenztem Zuzug und unbegrenzten Sozialleistungen“.

Beim Thema Ganztagsbetreuungsanspruch für Grundschüler ab dem Schuljahr 2026/2027 machte Brandl deutlich: „Der Staat kann so viel Geld nehmen und übers Land streuen, wir werden es schlicht nicht schaffen, den Betreuungsanspruch sicherzustellen.“ Bis 2026 werden die Kommunen aller Voraussicht nach nicht über genügend Betreuer verfügen, aktuell rechne man mit 10.000 fehlenden Fachkräften für die Ganztagsbetreuung. „Wo sollen die herkommen? Die können wir uns nicht einfach schnitzen“, stellte der Gemeindetagspräsident fest und ergänzte: „Kinderbetreuung ist im Übrigen auch und primär Aufgabe der Eltern. Hören wir endlich damit auf, der Menschheit zu suggerieren, dass der Staat ab Geburt des Kindes für Bildung und Betreuung allein zuständig ist. Auch hier gilt die Subsidiarität. Jeder hat seinen Beitrag zu leisten: Staat, Kommune und auch Eltern.“

Die Krisen meistern

Als weiteren wichtigen Aufgabenpunkt definierte Brandl die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen und preiswerten Trinkwasserversorgung. Die neuen klimatischen Bedingungen erforderten, der Realität ins Auge zu blicken und zu lernen, „in diesem Bereich aus dem Kirchturmkreis herauszugehen“. Hilfreich könnte es etwa sein, Notverbundsysteme mit Nachbarn zu schaffen. Zudem müsse im Rahmen eines „richtig angesetzten Sturzflutmanagements“ darüber nachgedacht werden, wie die Wasservorkommen sichergestellt werden können. „Regenereignisse zu nutzen und gleichzeitig Überflutungen zu vermeiden, indem wir Wasser speichern, wäre ein Ansatz“, hob der Präsident hervor.

Optimistisch gestaltete sich schließlich Brandls Ausblick: „Bayerns Gemeinden und Städte werden es auch diesmal wieder schaffen, die aktuellen Krisen zu meistern. Wir sind flexibel und anpassungsfähig. Wir haben leistungsfähige Verwaltungen und genießen in der Bevölkerung das meiste Vertrauen aller politischen Ebenen. Die Bürgerinnen und Bürger können darauf vertrauen, dass dies so bleiben wird.“

Söder: Gemeinden sind Seele des ländlichen Raums

Zur Freude des Hausherrn, Bürgermeister Martin Birner, war Ministerpräsident Dr. Markus Söder in die Pfalzgrafenstadt gekommen, um vor knapp 150 versammelten Delegierten das Hohelied der Gemeinden als Seele des ländlichen Raums anzustimmen und sich in das Goldene Buch der Stadt Neunburg einzutragen. „Wir stehen fest an der Seite unserer Gemeinden, gerade in diesen schwierigen Zeiten“, betonte Söder. „Bei der Energie lösen wir mit dem bayerischen Härtefallfonds unser Schutzversprechen ein. Aber auch die Klimakrise, die digitale Transformation und die Schaffung von Wohnraum werden vom Freistaat aktiv angegangen. Wohlstand für alle muss besonders in Bayerns ländlichem Raum weiterhin unser Zukunftsversprechen bleiben: Unsere Gemeinden sind das Musterbeispiel für eigenverantwortetes Gestalten unserer Heimat.“

„Dieses Jahrzehnt stellt uns dauernd vor Herausforderungen“, konstatierte Söder. Die Corona-Pandemie habe die Kommunen vor enorme Aufgaben gestellt, die gemeinsam gut gemeistert wurden. Nach Expertenschätzung seien etwa 130.000 Leben gerettet worden. Nunmehr setze Bayern auf Sicherheit, Freiheit und Eigenverantwortung. Jeder habe die Möglichkeit, sich durch Impfung, das Tragen einer Maske und Tests zu schützen.

Bund muss Zusagen einlösen

Mit Blick auf die Unterbringung von Geflüchteten appellierte der Ministerpräsident an den Bund, seine finanziellen Zusagen einzulösen. Gänzlich offene Grenzen ohne jegliche Kontrollen, wie aktuell von manchen Politikern gefordert, seien in diesen Zeiten das falsche Signal. „Wir bleiben solidarisch, aber wir müssen es vernünftig organisieren“, unterstrich Söder.

Die Kernenergie müsse so lange weiter betrieben werden, bis die Krise überstanden sei. Gleichzeitig sei der Ausbau der erneuerbaren Energien zu forcieren. Auch sei das Augenmerk verstärkt auf die Ertüchtigung der Wassersysteme zu legen. 

Vorangebracht werden müsse auch die digitale Transformation. Söder hob in diesem Zusammenhang das „tolle Engagement der Kommunen“ im Rahmen des Digitalpakts hervor. Gut vorangekommen sei im Freistaat der Breitbandausbau. Insbesondere der ländliche Raum verzeichne riesige Fortschritte.

Anders gestaltet sich die Situation beim Ausbau des Mobilfunknetzes. Hier gibt es aus Sicht des Ministerpräsidenten noch Luft nach oben. 

Hass und Hetze gegen Lokalpolitiker und die Spaltung der Gesellschaft standen im Mittelpunkt eines abschließenden Podiumsgesprächs mit Prof. Dr. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung, Tutzing, Dr. Andreas Hollstein, Geschäftsführer der VKU-Landesgruppe Nordrhein-Westfalen und ehemaliger Bürgermeister der Stadt Altena, Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber und Erdings Oberbürgermeister Max Gotz.

Umgang mit Zukunftsängsten

„Zum politischen und medialen Umgang mit Zukunftsängsten und Verunsicherung“ äußerte sich Prof. Münch. Aus ihrer Sicht befindet sich die Gesellschaft durchaus noch in der politischen Mitte. Diese Mehrheit sei nur eben auch leiser als die lauten Gruppen an extremen Rändern. Neben der aktuellen „Multikrise“ gebe auch der gesellschaftliche Wandel Anlass zur Sorge, bekräftigte die Politikwissenschaftlerin: Kirche, Parteien, Gewerkschaften, Verbände und Vereine verlören an Bedeutung, vertrauensstiftende Bindungen würden weniger. Zudem ermögliche die Digitalisierung eine ungefilterte Informationsflut, die mitunter nicht nur erdrückend, sondern auch ein Einfallstor für Propaganda, Extremismus und Desinformationskampagnen sei.

Um keine Verdrossenheit zu schüren, müsse die Politik nachvollziehbar und kohärent handeln, unterstrich Münch. Aufgabe der politischen Bildung sei es, aufzuzeigen, dass auch die Politik vor Probleme gestellt ist und in einer Demokratie nicht wie in einer Autokratie durchregiert werden könne. Wichtig sei es, dass sich die schweigende Mehrheit der extremistischen Minderheit entgegenstelle.

Über seine Erfahrungen mit Hass und Hetze berichtete der ehemalige Rathauschef Dr. Andreas Hollstein. 2017 wurde er in einer Dönerbude von einem jungen Mann mit einem Messer angegriffen. Vorausgegangen war sein Entschluss, im Zuge der Flüchtlingskrise in Altena freiwillig 100 Flüchtlinge mehr als vorgeschrieben aufzunehmen.

Konzepte für dezentrale Unterbringung, Integrationspaten, Sprachkurse ab Tag eins lagen vor, kurzum: Man fühlte sich für diese Aufgabe gerüstet. In der Folge wurden Hollsteins Frau und Kinder belästigt, zündeten Jugendliche eine Flüchtlingswohnung an. Die Intensität der Drohungen nahm zu und gipfelte schließlich in der Gewalttat.

Auch nach diesem Angriff zeigte der Bürgermeister Rückgrat und führte nach eigenen Angaben das Amt aus für den Staat, den es zu erhalten gilt, für die Demokratie und für die Menschen, die sich in der Mitte der Gesellschaft bewegen. Die Resonanz war überwiegend positiv: Von den 2.000 E-Mails, die den Rathauschef nach dem Angriff erreichten, waren 1.700 wohlwollend. Hollstein riet dazu, mit derartigen Bedrohungen offen umzugehen, könne man damit doch auch andere Betroffene schützen. Trete der Bedrohungsfall ein, sei es ratsam, sich über Parteigrenzen hinweg mit den Opfern zu solidarisieren.

Dr. Birgit Kreß neue zweite Vizepräsidentin

Zur neuen zweiten Vizepräsidentin des Bayerischen Gemeindetags wählten die Delegierten Erste Bürgermeisterin Dr. Birgit Kreß, Markt Erlbach (Landkreis Neustadt a. d. Aisch-Bad Windsheim, Mittelfranken). Sie tritt damit die Nachfolge von Birgit Erb an.

DK

 

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