„Vieles, was vor den Krisen im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, wird nicht erreicht werden können. Der Staat muss sich effektiv und gezielt auf die zentralen Herausforderungen konzentrieren und Lösungen finden“, unterstrichen der Präsident des DStGB, Bürgermeister Dr. Uwe Brandl (Abensberg) und Hauptgeschäftsführer Dr. Gerd Landsberg. Dazu gehöre, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit die Energiewende tatsächlich gelingt und die Versorgung der Bevölkerung auch im nächsten Winter gesichert sein wird.
Unabhängig werden mit der Energiewende
„Wir wollen die Energiewende aus Klimaschutzgründen, aber auch, um uns von russischem Gas unabhängig zu machen“, stellten Brandl und Landsberg klar. Während es beispielhaft schnell gelungen sei, in knapp zehn Monaten durch entsprechende Beschleunigungsgesetze das erste, schwimmende Flüssigkeitsterminal zu bauen, lahme der Ausbau der Windenergie weiterhin.
„Zu wenig Tempo, zu umständlich, zu wenig Speicherkapazitäten und zu wenig Übertragungsnetze gefährden den Erfolg. Die Vorsitzende des Sachverständigenrates der Bundesregierung hat deshalb einen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke für zwei bis drei Jahre gefordert. Das muss ein Alarmruf für die Bundesregierung sein“, stell-
ten die DStGB-Spitzenvertreter fest.
Deutschland steht vor einer Rezession
Deutschland stehe vor einer Rezession und damit auch vor sinkenden Steuereinnahmen für die Städte und Gemeinden. Gleichzeitig bestehe unverändert die Erwartungshaltung, dass kommunale Daseinsvorsorgeleistungen, wie eine sichere Ver- und Entsorgung, die Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums, ein ausreichendes Angebot an Schulen und Kindergärten, aber auch Kultur- und Freizeitangebote sowie ein gut funktionierender ÖPNV unverändert zur Verfügung stehen. „Das wird leider so einfach nicht funktionieren. Die Leistungsfähigkeit der Kommunen, aber auch des Staates insgesamt, ist nicht unbegrenzt.“
Eigenverantwortung ist gefordert
Die Politik dürfe nicht die Illusion schüren, dass der Staat alles ausgleichen kann. „Wir brauchen in der Krise auch mehr Eigenverantwortung der Menschen“, forderten Brandl und Landsberg und ergänzten: „Wir müssen den Realitäten ins Auge blicken und uns ehrlich machen. Die staatliche Leistungsfähigkeit ist am Limit. Wir brauchen einen politischen Kompass, um uns auf das Wesentliche zu konzentrieren, anstatt zu versprechen, dass der Staat jedes individuelle Problem lösen kann.“
So zeige sich gerade beim Thema Ganztagsbetreuung, dass der Rechtsanspruch an Grundschulen ab 2026 allein keine Probleme löse. „Niemand ist grundsätzlich gegen die Ganztagsbetreuung in der Grundschule, ganz im Gegenteil. Wenn aber weder das Personal noch die Räumlichkeiten, geschweige denn die notwendigen Finanzmittel dauerhaft zur Verfügung stehen, wird das nicht funktionieren. Wir tun, was wir können, aber wir stoßen an unsere Grenzen“, erläuterten die Verbandsvertreter.
Starke Teuerungsrate
Steigende Baukosten, Materialengpässe sowie Fachkräftemangel führen derzeit dazu, dass die gesteckten Ziele von 400.000 neuen Wohnungen bzw. 100.000 geförderten Wohnungen pro Jahr in Deutschland nur schwer zu erreichen sein werden. So ist es bereits im Jahr 2021 zu einer starken Verteuerung der Bauleistungen im Neubau gekommen. Die Teuerungsrate lag bei 9,1 Prozent. Diese Preissteigerungen haben sich in Folge des Ukraine-Kriegs auch im Jahr 2022 fortgesetzt. Umso wichtiger ist es aus Sicht des DStGB, dass die beeinflussbaren Faktoren beim Thema Wohnungsbau zügig angepasst werden. Bund und Länder seien gehalten, unter Berücksichtigung der Anforderungen des Klimaschutzes und der Klimaanpassung die baulichen Standards und das bauliche Anforderungsniveau im Sinne von notwendigen Mindeststandards kritisch zu überprüfen. Hierzu zähle auch die Einrichtung einer unabhängigen Stelle zur Folgekostenabschätzung in Normungsprozessen sowie die gezielte Förderung des seriellen Bauens. So sollten einmal erteilte Typengenehmigungen grundsätzlich bundesweit gelten, sofern keine zwingenden landesrechtlichen Aspekte dagegenstehen.
Auch bei der Aufnahme von Geflüchteten und Vertriebenen brauche es mehr Ehrlichkeit. Viele Städte und Gemeinden seien längst an der Grenze ihrer Kapazitäten, wenn es darum geht, zusätzliche Personen aufzunehmen und zu integrieren. „Vor dem Hintergrund von Klimawandel und kriegerischen Auseinandersetzungen auf der ganzen Welt müssen wir uns darauf einstellen, dass Flüchtlingsbewegungen eher zu- als abnehmen.
Deshalb sollte sich die Bundesregierung mit Nachdruck für einen fairen Verteilungsschlüssel von Asylbewerbern auf der europäischen Ebene einsetzen“, erklärten Brandl und Landsberg. Notwendig sei zudem ein umfangreiches System von effektiven Erstaufnahmeeinrichtungen, um auf neue Herausforderungen vernünftig reagieren zu können. Hier seien Bund und Länder in der Pflicht. „Die Kommunen wollen und werden helfen, aber wir erwarten auch eine nachhaltige Gesamtstrategie von Bund und Ländern“, machte die Verbandsspitze deutlich.
Klage über permanente Neuverhandlungen
Es könne nicht sein, dass die Kommunen jedes Jahr aufs Neue mit Bund und Ländern verhandeln müssen, um die anfallenden flüchtlingsinduzierten Mehrkosten erstattet zu bekommen. Zur Finanzierung gehöre auch die Übernahme der Kosten für die geduldeten Flüchtlinge. Die Verabredung von Bund und Ländern aus dem November 2022, nach der der Bund den Ländern für ihre Ausgaben für die Geflüchteten aus der Ukraine im Jahr 2023 einen Beitrag von 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung stellt sowie für das Jahr 2022 1,5 Milliarden Euro sowie für 2023 eine allgemeine flüchtlingsbezogene Pauschale in Höhe von 1,25 Milliarden Euro, sei ein Schritt in die richtige Richtung, werde die Kosten der Kommunen aber aller Voraussicht nach nicht abdecken.
Digitalisierung zu langsam und zu schwerfällig
Im Bereich der Digitalisierung stellte Landsberg dem staatlichen Handeln insgesamt kein gutes Zeugnis aus. „Wir sind zu langsam, zu schwerfällig“, so der DStGB-Hauptgeschäftsführer. Die Realität liege weit hinter den Zielen des Onlinezugangsgesetzes zurück.
Nur ein geringer Teil der ursprünglich geplanten 575 Verwaltungsleistungen stehe im Januar 2023 digital zur Verfügung. Auch wenn im Laufe dieses Jahres noch weitere digitale Verwaltungsleistungen bereitgestellt werden, an denen bereits gearbeitet wird, bleibe die Bilanz weit hinter den geweckten Erwartungen zurück. Unter anderem kranke die Umsetzung des Gesetzes an der Vielzahl der Vorhaben und dem fehlenden Fokus auf die meistgenutzten Verwaltungsservices. Dringend erforderlich sei außerdem eine einheitliche „digitale Identität“ der Bürger. Zudem gebe es nach wie vor zu viele unterschiedliche Systeme und parallele Digitalisierungsansätze. Hier forderte Landsberg mehr Kooperation zwischen allen staatlichen Akteuren und darüber hinaus. Exemplarisch regte er an, Geldautomaten von Sparkassen und anderen Banken als Bürgerterminals zu nutzen, um hier dezentral einzelne Verwaltungsleistungen abrufbar zu machen.
Nutzbringende Verwaltungsleistungen prioritär digitalisieren
Die nächsten Schritte auf dem Weg zur digitalen Verwaltung sind derzeit noch nicht abschließend festgelegt, ein Gesetzesentwurf für ein „OZG 2.0“ befindet sich in der Abstimmung und soll im Laufe des Jahres 2023 beschlossen werden. Aus kommunaler Perspektive sollten Bund und Länder aus den Fehlern der OZG-Umsetzung lernen und die Kommunen enger und umfassender am Umsetzungsprozess beteiligen. Der überwiegende Teil der Verwaltungsleistungen wird auf kommunaler Ebene umgesetzt, Städte und Gemeinden haben also den größten Teil zu einer erfolgreichen Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland beizutragen. Zudem erscheint es sinnvoll, sich bei den nächsten Schritten auf die wirkliche nutzbringenden Verwaltungsleistungen zu konzentrieren und diese prioritär zu digitalisieren.
Dass die Kommunen insgesamt vor besonders herausfordernden Zeiten stehen, korrespondiert laut DStGB mit den Finanzzahlen. Die Energiekrise mit rasant steigenden Energiepreisen verdoppelt die diesbezügliche Kostenbelastung voraussichtlich auf insgesamt zehn Milliarden Euro. Zudem bedeuten Tariferhöhungen eine Mehrbelastung in Höhe von 15 Milliarden Euro. Der Investitionsstau im Bereich der kommunalen Infrastruktur beläuft sich auf rund 160 Milliarden Euro. Demgegenüber ist die Einnahmesituation nur schwer kalkulierbar.
Düstere Prognosen
Bringt man die zu erwartende Einnahmen- und Ausgabenentwicklung zusammen, gestaltet sich der Ausblick äußerst düster. Städte und Gemeinden steuern auf eine veritable Finanzkrise zu. Für 2023 haben die kommunalen Spitzenverbände im Sommer des vergangenen Jahres einen negativen Finanzierungssaldo von 5,3 Milliarden Euro angenommen. Es steht zu befürchten, dass dieses strukturelle Defizit nach den Entwicklungen der vergangenen Monate sogar nochmals anwächst.
Hinzu kommt Brandl zufolge der Fachkräftemangel: Deutschland droht eine anhaltende Personalnot, die auch die Kommunen hart treffen wird. Bis zum Jahr 2035 wird Deutschland durch den demografischen Wandel rund 7 Millionen Arbeitskräfte und damit ein Siebtel des Arbeitsmarktes verlieren. In den nächsten zehn Jahren scheiden mehr als 500.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst der Kommunen aus, das entspricht etwa 30 Prozent des gesamten Personals.
Die Folgen sind heute bereits erkennbar: In vielen Verwaltungen bleiben Anträge länger unbearbeitet, Planungsverfahren verzögern sich und mancherorts wurden beispielsweise die Öffnungszeiten der Schwimmbäder eingeschränkt, weil Bademeister und Rettungsschwimmer fehlen. Besonders dramatisch ist die Situation im Betreuungs- und Pflegebereich.
Hybrides Arbeiten und Kultur der Wertschätzung
Die kommunalen Arbeitgeber haben bereits im Rahmen ihrer Möglichkeiten reagiert und investieren in attraktivere Arbeitsbedingungen, beispielsweise mit agilen Arbeitsformen, hybridem Arbeiten und vor allem einer Kultur der Wertschätzung. Bereits jetzt sollen erleichterte Quereinstiege aus der Privatwirtschaft und eine optimierte Personalgewinnung dazu beitragen, mehr Menschen für den öffentlichen Dienst zu gewinnen. Um die Verwaltung effizienter zu machen, sollen außerdem Kooperationen zwischen den Kommunen dazu beitragen, den Leistungsumfang zu optimieren. Von großer Bedeutung ist vor diesem Hintergrund eine deutlich schnellere Verwaltungsdigitalisierung. Allerdings werden alle diese Maßnahmen nicht ausreichen, befürchtet die DStGB-Spitze.
„Viele Menschen erwarten, dass Städte und Gemeinden immer mehr Leistungen für die Menschen erbringen sollen. Gleichzeitig haben wir aber immer weniger Personal. Wir müssen daher dringend gegensteuern und gleichzeitig die Potenziale der Digitalisierung besser nutzen“, forderten die Verbandsvertreter. Umso mehr sei die „Konzentration auf das Notwendige“ geboten, unterstrich Landsberg. Gleichwohl böten Krisen stets die Chance, den Fokus neu zu justieren. Die Kommunen seien „bereit, neue Wege zu gehen“, bekräftigte Brandl.
DK
Dieser Artikel hat Ihnen weitergeholfen?
Bedenken Sie nur, welche Informationsfülle ein Abo der Bayerischen GemeindeZeitung Ihnen liefern würde!
Hier geht’s zum Abo!