Kommunalverbändezurück

(GZ-10-2023)
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► Bayerischer Landkreistag in Cham:

 

Krisen als Chancen

Große Krisen haben sich in den vergangenen Jahren bis tief in die Struktur der Landkreise ausgewirkt und in großem Maße Ressourcen gebunden. Gerade die Kommunen können sich aber ein ausschließliches Agieren im Krisenmodus nicht leisten. Auch in Zeiten knapper Kassen sind sie mit ihrem Auftrag der Daseinsvorsorge und dem Ziel gleich guter Lebensverhältnisse gefordert. Die diesjährige Landkreisversammlung in Cham richtete den Fokus darauf, wie künftig aus Krisen Chancen werden können.

Erster Vizepräsident Thomas Habermann, Zweite Vizepräsidentin Tamara Bischof, mit dem neu gewählten Dritten Vizepräsidenten, Landrat Sebastian Gruber (Freyung-Grafenau), Geschäftsführendes Präsidialmitglied Andrea Degl und Präsident Thomas Karmasin. Bild: Bayerischer Landkreistag
Erster Vizepräsident Thomas Habermann, Zweite Vizepräsidentin Tamara Bischof, mit dem neu gewählten Dritten Vizepräsidenten, Landrat Sebastian Gruber (Freyung-Grafenau), Geschäftsführendes Präsidialmitglied Andrea Degl und Präsident Thomas Karmasin. Bild: Bayerischer Landkreistag

In einem Intensiven Gedankenaustausch zwischen Ministerpräsident Dr. Markus Söder und dem Präsidenten des Bayerischen Landkreistags, Thomas Karmasin, bat der Fürstenfeldbrucker Landrat zunächst beim Thema Asyl- und Flüchtlingspolitik um Unterstützung, sei dieses in Berlin doch nach wir vor nicht angekommen.

Kommunen werden ignoriert

Briefe würden nicht beantwortet, die Kommunen würden schlichtweg ignoriert. „Dabei sind wir mittlerweile in einer Situation, in der wir die Zuwanderung begrenzen müssen. Ohne diese wird die Integration auf kommunaler Ebene scheitern. Staat und Gesellschaft werden durch einen weiteren ungesteuerten und ungebremsten Zuzug überfordert. Integration wird zum Zufallsprodukt.“ Karmasins Appell: „Wir brauchen dringend eine steuernde wie auch begrenzende Asyl- und Flüchtlingspolitik. Leider verhallen unsere Appelle in Berlin ungehört.“

Söder versprach, die Kommunen nicht allein zu lassen: „Eine dauerhafte Integration setzt eine bessere Steuerung, eine bessere Planbarkeit und bessere Strukturen voraus. Die Bundesregierung meint, der Job sei erfüllt, wenn die Menschen in Zelten untergebracht sind. Dabei müssen wir Menschen, die bei uns leben dürfen, in der Integration begleiten. Die Zuwanderung nach Deutschland muss anders gestaltet werden. Insbesondere müssen Straftäter konsequent abgeschoben werden.“

Weiteres Schwerpunktthema war eine aufgabengerechte Finanz- und Personalausstattung der Landratsämter.

Karmasin forderte ein Umdenken bei der Vergabe von Fördermitteln – weg von der kleinteiligen Verteilung, hin zu Budgets. Ein großes Anliegen ist ihm die Personalausstattung der Landkreisbehörden, nachdem die regionalen Verwaltungen immer mehr Aufgaben zugewiesen bekämen. Exemplarisch verwies er auf die Situation in der eigenen Verwaltung: Zu seinem Amtsantritt 1996 seien 40 Mitarbeiter in der Ausländerbehörde und 60 im Jugendamt beschäftigt gewesen. Mittlerweile seien es doppelt so viele.

Teurer Vollzug staatlicher Aufgaben

Das von den Landkreisen selbst zu schulternde jährliche Defizit aufgrund der Personalkosten beim Vollzug staatlicher Aufgaben, wie etwa die Bewilligung von Anträgen für das von der Ampel heuer eingeführte Wohngeld plus, belaufe sich inzwischen auf 4,5 Millionen Euro, informierte der Verbandschef. Damit habe sich der Betrag seit den Zeiten vor Corona mehr als verdoppelt. Diese Entwicklung gelte es zu stoppen, „wir können nicht immer mehr Stellen mit immer mehr Geld schaffen.“ Langfristig müsse man eben „Standards abbauen oder auf Liebgewordenes verzichten“. Auch hier kam Söder den Landräten entgegen und sagte ihnen ein kräftiges Plus an staatlichen Stellen zur Erledigung ihrer Aufgaben zu, damit unter anderem Straßen-, Breitband-, Digitalisierungs- oder Klimaschutzprojekte auch weiter zügig umgesetzt werden können.

Auch in punkto Krankenhausreform sicherte der Ministerpräsident den bayerischen Landkreischefs zu, für eine flächendeckende Gesundheitsvorsorge zu kämpfen:

„Gesundheitsvorsorge im ländlichen Raum ist Daseinsvorsorge. Das ist das, worauf ein Staat besonderen Wert legen muss.“ In diesem Zusammenhang bezeichnete es Karmasin als „völlig ausgeschlossen“, dass die Landkreise und kreisfreien Städte ab dem nächsten Jahr im großen Stil das Verbot des Einbaus von neuen Öl- und Gasheizungen kontrollieren und ahnden, wie es Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vorschwebt. Eine klare Absage erteilte der Präsident auch der von diversen Organisationen wie dem Bayerischen Landesjugendring und den Landtagsfraktionen von Grünen, SPD und FDP unterstützten Initiative zur Einführung des Wahlrechts in Bayern ab 16 Jahren.

Bei einer Gesprächsrunde mit den Landräten Stefan Rößle (Donau-Ries), Vorsitzender des Ausschusses für Finanzen und Sparkassen beim Bayerischen Landkreistag, und Franz Löffler (Cham), Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Verkehr beim Bayerischen Landkreistag, dem Bayerischen Finanz- und Heimatminister Albert Füracker, den Landtagsabgeordneten Manfred Ländner (CSU) und Robert Riedl (Freie Wähler), den Fraktionsvorsitzenden Ludwig Hartmann (Bündnis 90/Die Grünen) und Klaus Adelt (SPD), sowie vbw-Präsident Wolfram Hatz rang man hart um die besten Wege für gleichwertige Lebensverhältnisse in allen bayerischen Landkreisen. Einig waren sich alle Diskutanten, dass eine starke Partnerschaft zwischen Landkreisen, Staat und Wirtschaft Grundvoraussetzung für eine weiter gute Entwicklung ist.

Kommunalfreundliche Politik der Staatsregierung

Landrat Rößle attestierte der Bayerischen Staatsregierung eine durchaus kommunalfreundliche Politik, verwies aber auch darauf, „dass zusätzliche Aufgaben und Ausgaben in den vergangenen Jahren viel schneller steigen, als die Landratsämter an zusätzlichem Personal bekommen“. „Bund und Länder haben uns in den vergangenen Jahren eine Menge aufgebürdet, so dass wir auf die Schnelle mindestens 500 Stellen brauchen und mittelfristig zusätzlich 1.000 Stellen“, forderte Rößle.

„Wir müssen uns darüber unterhalten, wie wir das Geld effizient einsetzen und weiter steigende Kosten vermeiden können“, antwortete Finanz- und Heimatminister Albert Füracker. „Wir wollen miteinander als Kommunen und als Staat dieses Land trotz Krisen in eine gute Zukunft führen. Es gibt nicht die Lösung per se. Der Finanzausgleich ist ein sensibles Konstrukt. Uns ist es bisher immer gelungen, im Gespräch mit den vier Körperschaften eine Einigung herbeizuführen.“

Ungereimtheiten beim neuen Deutschlandticket

Von „zahlreichen Ungereimtheiten“ sprach Stefan Rößle mit Blick auf das neue Deutschlandticket. Wenngleich für 2023 die Finanzierung gesichert sei, fehle für die Folgejahre eine verlässliche Finanzierungszusage für die Kommunen. Die Landkreise könnten kein zusätzliches Defizit schultern. „Wir fordern eine klare Zusage von Land und Bund, sonst steht das Ticket auf tönernen Füßen“, so der Landrat. Zudem benötigten die Aufgabenträger für die Umsetzung schnell Klarheit, welche Kosten der Bund ausgleicht. Grundsätzlich vertrat Rößle die Auffassung, dass die Kosten für das Deutschlandticket in Höhe von 3 Mrd. Euro besser für den Ausbau des ÖPNV zum Einsatz hätten kommen sollen.

Laut Chams Landrat Franz Löffler geht es in den Flächenlandkreisen primär um den weiteren Ausbau des Angebots. „Deswegen heißt es bei uns: Angebot vor Tarif.“ Bleibe aufgrund der Subventionen für den Tarif kein Geld für den Erhalt und den Ausbau des Angebots übrig, gingen die Angebote in den Ballungsgebieten zu Lasten der Mobilität im ländlichen Raum.
Das Deutschlandticket an sich habe das Fahrtangebot um keinen Deut verbessert, so Löffler. Öffentlicher Personennahverkehr überzeuge dann, wenn das Angebot passt. Wichtig sei, von A nach B zu kommen.

Wirtschaftsstandort Deutschland in Gefahr

Wolfram Hatz, Präsident der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, warnte vor einem Abrutschen des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Eine von der vbw beim Institut der Deutschen Wirtschaft in Auftrag gegebene Studie habe ergeben, dass der Trend zu vermehrten Auslandsinvestitionen auch in der bayerischen Wirtschaft zunimmt. Zwei von fünf Unternehmen sehen danach im Ausland eine wachsende Bedeutung für sich, erläuterte Hatz.

Selbst in Bayern sei im laufenden Jahr nicht viel mehr als eine stagnierende Wirtschaft zu erwarten, stellte der Präsident fest. Diese befinde sich in einem tiefgreifenden Transformationsprozess, verbunden mit einer dreidimensionalen Herausforderung: der Dekarbonisierung, der Digitalisierung und der Demografie, die den massiven Mangel an Fach- und Arbeitskräften weiter verschärfe und auch die sozialen Sicherungssysteme schwer unter Druck setze.

„Bayern hat preiswerte Wirtschaftsstandorte, und dabei muss es auch bleiben. Kommunale Steuern und Gebühren müssen in einem vernünftigen Verhältnis zu lokalen Standortqualitäten stehen“, unterstrich Hatz. Sein Appell an die Landräte: „Halten Sie Ihre Standortqualitäten hoch. Machen Sie das auch dort, wo es unbequem ist, weil kleine Bürgergruppen wichtige Projekte öffentlichkeitswirksam attackieren. Ihr Landkreis wird davon profitieren!“

Politik in Zeiten von Vielfachkrisen

„Regieren, Verwalten und Gestalten in Zeiten von Vielfachkrisen“ lautete das Thema eines viel beachteten Vortrags von Dr. Karl-Rudolf Korte, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen. Wer sich gegenüber der Bevölkerung nicht die Mühe mache, transparent zu erklären, warum Veränderungen auch Besserungen bringen, werde seine Mehrheit verlieren, machte der Politikprofessor deutlich.

Bedingungslose Daseinsvorsorge steht aus Kortes Sicht weiterhin an erster Stelle. Was bislang eher als Resilienzvorsorge im Bereich von Gesundheit angesiedelt worden sei, dehne sich in alle Bereiche der Sicherheit, vor allem aber in die Energiesicherheit aus. Die langfristige Unabhängigkeit von fossiler Energie habe jetzt nicht nur eine klimapolitische, sondern auch eine sicherheitspolitische Dringlichkeit, will man sich von russischen Lieferungen befreien.

Infrastruktur sichere aber auch Freiheit im Sinne von Demokratievorsorge. Wer sich besonders um politische Verlassenheit im ländlichen Raum kümmert, werde auf Resonanz stoßen und Vorsorge gegen politischen Extremismus betreiben. Wer hier investiert, gewinne die Mitte-Wählerschaft verlässlich zurück, so Korte.

Wehrhaftigkeit bedürfe einer Gesellschaft, die gemeinwohlorientiert agiert. Die Qualität von Öffentlichkeit sei ein Garant der Qualität von Demokratie. Dies setze den aktiven Kampf gegen Desinformationsmedien sowie Wirklichkeitsleugnern voraus. Der Kriegsbeginn in der Ukraine markiere insofern nicht nur einen Gewissheitsschwund in der deutschen Politik, sondern durchaus auch einen Neuanfang durch Wandel.

Herrmann würdigt kommunale Leistungen

„Die bayerischen Kommunen setzen sich täglich für die künftige Entwicklung in unserem Land ein. Obwohl Sie bei der Versorgung und Unterbringung der vielen Flüchtlinge bereits die Belastungsgrenze erreicht und mancherorts sogar überschritten haben, leisten Sie weiterhin Herausragendes. Der Freistaat steht als zuverlässiger Partner an der Seite der Kommunen“, hob Innen- und Kommunalminister Joachim Herrmann beim Festabend der Landkreisversammlung in Roding hervor.
Das oberste Ziel des Freistaats sei die tatkräftige finanzielle Unterstützung der Kommunen, so der Minister.

„In 2023 erreichten wir ein Rekordniveau des kommunalen Finanzausgleichs. Allein die Schlüsselzuweisungen betragen in 2023 insgesamt 4,2 Milliarden Euro, hiervon gehen 1,5 Milliarden Euro an die Landkreise. Das ist ein starkes Signal für die kommunale Familie“, unterstrich Herrmann. Darüber hinaus biete die im April vom Kabinett beschlossene Kommunalrechtsnovelle einen verlässlichen Rechtsrahmen für die Arbeit der Kommunen. Kernanliegen des Gesetzesentwurfs sei die Stärkung der Attraktivität kommunaler Ämter.

Ergänzungswahlen

Nachdem der bisherige Zweite Vizepräsident und Schatzmeister des Bayerischen Landkreistags, Landrat Herbert Eckstein (Roth), sein Amt als Landrat zum 31. März auf eigenen Wunsch niedergelegt hat, wurde im Rahmen einer sogenannten Ergänzungswahl die Kitzinger Landrätin Tamara Bischof zur Zweiten Vizepräsidentin und Schatzmeisterin des Bayerischen Landkreistags bestimmt. Ihren vormaligen Posten als Dritte Vizepräsidentin nimmt nunmehr Freyung-Grafenaus Landkreischef Sebastian Gruber ein. Seit 2020 fungiert er beim Bayerischen Landkreistag als Vorsitzender des Bezirksverbands Niederbayern.

DK

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