Kommunalverbändezurück

(GZ-14-2023 - 20. Juli)
Bayerischer Bezirketag
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► Vollversammlung des Bayerischen Bezirketags:

 

Zukunft des Sozialstaats

 

„Für die Bezirke sind der Fachkräftemangel sowie die Frage der Finanzierung der sozialen Leistungen die beiden derzeit größten Herausforderungen“, unterstrich Präsident Franz Löffler auf der Vollversammlung des Bayerischen Bezirketags im oberfränkischen Bindlach. Er forderte „eine ehrliche Debatte darüber, was für eine gute Versorgung für Menschen mit Unterstützungsbedarf wirklich notwendig ist. Dabei müssen wir klar trennen zwischen must-have und nice-to-have.“

Dr. Markus Söder und Franz Löffler.
Dr. Markus Söder und Franz Löffler.

Immer öfter müssten Gruppen oder ganze Stationen geschlossen werden, da das erforderliche Personal nicht zur Verfügung steht, stellte der Bezirketagspräsident im Gespräch mit Ministerpräsident Dr. Markus Söder fest. Hier wünsche er sich von der Politik vor allem mehr Flexibilität bei den ordnungsrechtlichen Vorgaben und den Personalschlüsseln.

Angebote werden zurückgefahren

Diese teils sehr starren Vorgaben zum Personaleinsatz in den Pflege- und Behinderteneinrichtungen, aber auch im Krankenhausbereich hätten zur Folge, dass Angebote zurückgefahren und Plätze gestrichen werden müssen, weil Fachkraftquoten aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal nicht erfüllt werden können. „Es geht hier nicht um eine schlechtere Versorgung der betroffenen Menschen, sondern um eine bedarfsorientierte Betreuung. Und dafür brauchen die Einrichtungen die Möglichkeit, Personal gegebenenfalls flexibel einsetzen zu können“, so der Verbandschef.

Neben einem groß angelegten Aktionsprogramm zur Gewinnung neuer Fachkräfte für Psychiatrie und Somatik, brauche es auch beschleunigte Anerkennungsverfahren für Fachkräfte aus dem Ausland sowie ein umfassendes Entbürokratisierungsprogramm im Krankenhausbereich. „Wir müssen dringend dafür sorgen, dass unsere medizinischen Fachkräfte wieder mehr am Patienten arbeiten und weniger am Computer. Hier müssen wir in Zukunft unser Potential besser ausschöpfen können. Dafür brauchen wir mehr Flexibilisierung und mehr Entbürokratisierung“, erklärte der Präsident.

Inflation und Preissteigerungen

Löffler zufolge machen auch Inflation und Preissteigerungen keinen Halt vor den Angeboten für Menschen mit Behinderung, Pflegebedarf oder psychischen Erkrankungen. Mögliche Stellschrauben sieht er beispielsweise im Bereich der Pflege. Von den fast 580.000 pflegebedürftigen Menschen in Bayern werden rund 80 Prozent zu Hause versorgt. Die häusliche Pflege wird in etwa zur Hälfte allein von Angehörigen erbracht. Hier müsse man ansetzen. Denn stelle man den Betroffenen und ihren Angehörigen möglichst frühzeitig passgenaue Hilfe und Unterstützung zur Verfügung, können diese möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben und ihre Selbstständigkeit erhalten.

„Das ist eine Win-Win-Situation. Denn Pflegebedürftige wollen solange es geht, in ihrer vertrauten Umgebung bleiben. Zudem spart es Kosten und Personal, weil keine stationäre Pflege notwendig ist“, hob Löffler hervor.

Mit dem Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege stehe man dazu bereits im Austausch. Dennoch sei das Ministerium nun am Zug dafür zu sorgen, dass die Finanzierung örtlicher Pflegestrukturen sichergestellt werde. „Es darf nicht sein, dass Menschen aufgrund steigender Kosten und stagnierender Renten im Alter zu Sozialhilfefällen werden“, machte der Verbandschef deutlich.

Sorge um Finanzen

Auch die finanzielle Ausstattung der dritten kommunalen Ebene bereitet den Bezirken zunehmend Sorge. Die Ausgaben für Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege steigen seit Jahren. Zum einen wurden die Aufgabenbereiche durch bundesgesetzliche Regelungen stetig ausgebaut und die Eigenbeteiligung der Betroffenen sowie der Angehörigen zurückgenommen. Zum anderen schlagen sich die gestiegenen Preise für Waren und Dienstleistungen sowie für höhere Tariflöhne bei den Beschäftigten auch in den Pflegesätzen nieder. Wie Löffler erläuterte, „konnten wir die Kostensteigerungen in unseren Haushalten bis zuletzt noch auffangen. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass die Steuereinahmen in den kommenden Jahren nicht wie bisher steigen werden. Die Preise werden aber auf einem hohen Niveau bleiben. Wir müssen deshalb jetzt schon nach Lösungen suchen, wie wir die soziale Daseinsvorsorge in Bayern auch künftig finanzieren können.“

Knapp zwei Dutzend Forderungen

Die Forderung nach einer stärkeren finanziellen Beteiligung auch des Freistaats ist eine von knapp zwei Dutzend Forderungen, die die Delegierten aus den Bezirken bei der Vollversammlung für die Landtagswahl verabschiedet haben. Die weiteren Forderungen umfassen die Bereiche Soziales, Gesundheit, Bildung, Kultur und Umwelt.

Ministerpräsident Söder bezeichnete die Bezirke zunächst als „Teil unserer sozialen und kulturellen Identität“; der Freistaat stehe fest an ihrer Seite und unterstütze sie massiv mit dem kommunalen Finanzausgleich.

Söder: Fachkräfte im Ausland gewinnen

Die Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland ist aus Söders Sicht eine, wenn auch nicht ausschließliche Möglichkeit, dem Mangel zu begegnen. Im Balkan würden gerade Büros eröffnet, die sich um Pflege- und Fachkräfte bemühen und ihnen die Einreise in den Freistaat erleichtern wollen – beispielsweise, wenn es um Hilfestellung beim Visum oder die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen geht. In der albanischen Hauptstadt Tirana sei nun ein Vertretungsbüro eröffnet worden, das Handel und Investitionen erleichtern sowie Beschäftigungsperspektiven für den bayerischen Arbeitsmarkt ermöglichen soll. Die neue Vertretung wird von der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft getragen und von der Staatsregierung unterstützt.

„Wir suchen gezielt dringend benötigte Fachleute und gehen auf die Botschaften zu, wenn Arbeitsanbahnung stattfindet“, betonte Söder. Ziel sei eine „Fast Lane“, also ein beschleunigtes Einreiseverfahren. Söder verwies in Bindlach auch auf die teilweise Abschaffung des Numerus Clausus für Medizinstudiengänge in Bayern. Damit soll die Zahl der Ärztinnen und Ärzte steigen. Insgesamt hält der Freistaat bis zu 5,8 Prozent aller Medizinstudienplätze an den sieben medizinischen Fakultäten in Bayern für Studierende vor, die ein besonderes Interesse an der hausärztlichen Tätigkeit im ländlichen Raum haben. Dafür verpflichten sich diese, später mindestens zehn Jahre als Hausarzt in einer Region zu arbeiten, die medizinisch unterversorgt oder von Unterversorgung bedroht ist.

Klinikfinanzen:

Der Bund ist in der Pflicht

Was die finanzielle Ausstattung der Bezirkskliniken und medizinischen Einrichtungen anbelangt, so hänge diese auch von der geplanten Krankenhausreform der Bundesregierung ab, stellte der Ministerpräsident klar. Diese ist aus seiner Sicht jedoch nicht ausgereift.

„Insgesamt spüren wir gerade, dass die Kommunen überfordert sind in ihren Möglichkeiten. Und wir ärgern uns darüber, dass die Bundesregierung nichts für die Kommunen tut“, bilanzierte Söder. Eine unkontrollierte Zuwanderung sei der falsche Weg für Deutschland. Der Freistaat statte die Kommunen mit viel Geld aus. Aber letztlich müsse der Bund Sonderprogramme zur Aufnahme von Menschen aus anderen Regionen reduzieren und seine Bemühungen, kriminelle Straftäter abzuschieben, „deutlich nach vorne bringen“.

Kinder- und Jugendpsychiatrie im Umbruch

Tag 2 der Vollversammlung widmete sich dem Thema „Krisen, Klippen, Konzepte – Kinder- und Jugendpsychiatrie im Umbruch“. Verschiedene Studien zeigen, dass Kinder und Jugendliche durch die Corona-Pandemie besonders belastet wurden. Das hat bei vielen jungen Menschen Spuren hinterlassen. Auch in den kinder- und jugendpsychiatrischen Fachkliniken der bayerischen Bezirke ist ein steigender Bedarf zu verzeichnen, der zuvor schon hoch war. Gleichzeitig kämpfen die bezirklichen Fachkrankenhäuser wie viele andere Kliniken auch mit dem Fachkräftemangel sowie mit stetig steigenden Kosten für Energie, Material oder Dienstleistungen. Wie in einem Brennglas zeigen sich die Auswirkungen der Krise in der Kinder- und Jugendpsychiatrie allerdings besonders deutlich, da sie mengenmäßig ein verhältnismäßig kleines Angebot darstellt, in dem Veränderungen kaum ausgeglichen werden können.

Laut Präsident Löffler „ist die Sicherstellung der psychiatrischen Versorgung für die Bezirke nicht nur ein Anliegen, sondern was die klinische Versorgung betrifft, auch ein Kernauftrag. Dennoch befinden wir uns momentan an einem Wendepunkt. Mit innovativen Ideen und neuen Konzepten müssen wir die Versorgung neu denken und für die Zukunft auf solide Beine stellen.“

Ausbau der ambulanten Versorgung

Neben der Gewinnung neuer Fachkräfte sei auch der Ausbau der ambulanten Versorgung zu forcieren. In Bayern ist man bei der ambulanten Versorgung durch Psychiatrische Institutsambulanzen (PIA) bereits auf einem sehr guten Weg. 124 PIA (83 erwachsenpsychiatrische und 41 kinder- und jugendpsychiatrische Kliniken) behandeln bayernweit ca. 200.000 Erwachsene und etwa 35.000 Kinder und Jugendliche pro Jahr. „Im Bereich der ambulanten Versorgung haben wir in den vergangenen Jahren bereits viel getan. Die sektorenübergreifende Versorgung zwischen ambulantem, teilstationärem und stationärem Bereich wird jedoch immer wichtiger. Deshalb dürfen wir in unseren Bemühungen nicht nachlassen“, unterstrich der Verbandschef.

Das ganze Spektrum der Versorgungsmöglichkeiten

Gesundheitsminister Klaus Holetschek dankte den Bezirken in seinem Gastbeitrag vor allem für ihr großes Engagement bei der Umsetzung des Bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes mit den richtungsweisenden Krisendiensten für Menschen in seelischer Not. Weiter führte der Minister aus:

„Die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung für psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche ist ein zentrales Anliegen der bayerischen Gesundheitspolitik. Wir setzen uns deshalb verstärkt für den weiteren Ausbau dieser Angebote ein. Aktuell gibt es bayernweit 827 stationäre Betten und 527 teilstationäre Plätze für psychisch kranke Kinder und Jugendliche. Weitere 131 Betten und 54 Plätze sind bereits genehmigt, aber noch nicht in Betrieb. Mit rund 118 Millionen Euro an Krankenhausfördermitteln haben wir in den vergangenen Jahren wichtige kinder- und jugendpsychiatrische Kompetenzzentren realisiert, zum Beispiel in München, Landshut, Regensburg, Ansbach, Würzburg und Kempten.“

„Klagen über fehlende Kapazitäten und mitunter längere Wartezeiten nehmen wir sehr ernst. Wir stehen deshalb kontinuierlich in engem Kontakt mit den akutstationären Trägern“, ergänzte der Minister. Neben den klassischen voll- und teilstationären Versorgungsformen gelte es auch, das ganze Spektrum der Versorgungsmöglichkeiten zum Wohle der Patientinnen und Patienten zu nutzen, wie z. B. die Stationsäquivalente Behandlung oder sektorenübergreifende Modellvorhaben. „Angesichts der hohen Bedeutung der Psychiatrischen Institutsambulanzen (PIA) in der kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung sollte auch deren bedarfsgerechter Ausbau nach Kräften vorangetrieben werden, damit Kinder und Jugendliche eine bestmögliche Versorgung erhalten.“

DK

 

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