(GZ-17-2023 - 14. September) |
► Deutscher Städtetag: |
Mammutaufgaben und Stellschrauben |
Das Wachstumschancengesetz mit den geplanten Steuerausfällen für die Kommunen stößt bei den Städten auf scharfe Kritik. Wie Markus Lewe, Präsident des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeister der Stadt Münster, gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe betonte, enthalte der 10-Punkte-Plan der Bundesregierung für den Wirtschaftsstandort Deutschland mit dem Wachstumschancengesetz „eine echte Hiobsbotschaft für die Städte“.
Wenn das Wachstumschancengesetz so komme, wie es jetzt geplant ist, bedeute das für die Kommunen voraussichtlich bundesweit Steuerausfälle von mehr als sieben Milliarden Euro, so Lewe. Dies sei für die Städte kaum zu verkraften. Bei Wärmewende, Mobilitätswende, Gebäudeenergiegesetz und Klimaanpassung stünden sie vor echten Mammut-Aufgaben.
„Es ist völlig unklar, wie die Städte hier immer mehr investieren sollen, wenn uns die Bundesregierung gleichzeitig Milliarden streichen will. Wir brauchen deutlich mehr, nicht weniger Geld. Die kommunalen Investitionen würden mit diesem Wachstumschancengesetz zwangsläufig einbrechen. Der 10-Punkte-Plan soll eigentlich die Konjunktur ankurbeln. Wie das gelingen soll, wenn vor Ort die öffentlichen Investitionen zurückgefahren werden müssten, ist uns schleierhaft“, stellte der Verbandschef fest und ergänzte:
„Mit dem Wachstumschancengesetz in seiner jetzigen Form würde der Bund der Wirtschaft einen Bärendienst erweisen. Denn es schadet auch den Unternehmen und ihren Standorten, wenn die Städte etwa bei der Infrastruktur vor Ort sparen müssten.“
Kritik an vereinfachten Einbürgerungen
Kritik übt der Deutsche Städtetag auch mit Blick auf die Bundeskabinettsentscheidung zu vereinfachten Einbürgerungen (Reform des Staatsbürgerschaftsrechts). Gegenüber den Westfälischen Nachrichten wies Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy darauf hin, dass der Druck auf die Ausländerbehörden seit Jahren wachse. Dies liege u.a. an der hohen Zahl von Geflüchteten, die nach Deutschland kommen. „Mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine, mehrere hunderttausend Menschen in diesem Jahr aus Syrien, Afghanistan, der Türkei und anderen kriegs- und krisengebeutelten Ländern – das sorgt bei den Behörden vor Ort für hohe Fallzahlen. Viele dieser Menschen sind vom Aufenthaltsstatus her ‚geduldet‘ und brauchen deshalb immer wieder neue Aufenthaltstitel. Auch das erhöht den zeitlichen Aufwand bei den Ausländerbehörden.“
Stark belastete Behörden
Darüber hinaus sei in den vergangenen Jahren das Aufenthaltsrecht immer komplexer geworden. Anfang des Jahres wurde beispielsweise bereits das Chancen-Aufenthaltsrecht eingeführt. Damit können Menschen, die bisher nur eine Duldung haben, unter bestimmten Umständen eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis bekommen. Auch dies habe für viele neue Anträge bei den Ämtern gesorgt. Dedy zufolge ist es absehbar, „dass die geplante Reform des Staatsbürgerschaftsrechts zu wesentlich mehr Anträgen auf Einbürgerung führen wird. Das sind dann wieder zusätzliche Fallzahlen bei den ohnehin schon stark belasteten Ausländer- und Einbürgerungsbehörden.“
Fehlendes Personal
Die Städte bemühten sich intensiv, zusätzliches Personal für die Ausländerbehörden zu finden. Dies sei angesichts des Fachkräftemangels eine große Herausforderung, die sich nicht immer meistern lässt. „Ein Inkrafttreten der Reform schon zum 1. Januar 2024 sehen wir deshalb sehr kritisch. Wir brauchen mehr Zeit“, so der Hauptgeschäftsführer. Der Bund müsse hier für ein realistisches Erwartungsmanagement sorgen.
In der Öffentlichkeit werde die geplante Reform aktuell so wahrgenommen, dass sie Einbürgerungen nicht nur vereinfacht, sondern auch beschleunigt.
„Wenn die Reform aber schon in einem halben Jahr greift und Bund und Länder nicht schnell für eine deutliche Entlastung der Ausländerbehörden sorgen, wird die hohe Anzahl von Neuanträgen zunächst zu langsameren statt schnelleren Bearbeitungen führen.“
Nötig ist eine schnelle Initiative des Bundes
Laut Dedy wird eine schnelle Initiative des Bundes zur Vereinfachung des Aufenthaltsrechts und der Prozesse in den Behörden benötigt. Viel helfen würde es schon, wenn Aufenthaltstitel und Visa länger gültig wären und Bescheinigungen nicht immer persönlich übergeben werden müssten. Zudem liefen im März 2024 die bisherigen Aufenthaltstitel ukrainischer Geflüchteter aus. Dafür bräuchten die Städte dringend kurzfristig die Sicherheit, dass die Verlängerung der EU-Massenzustromrichtlinie kommt. Dann müssten die Menschen aus der Ukraine weiterhin kein Asylverfahren durchlaufen und könnten eine Arbeit aufnehmen.
„Für die kommunalen Ausländerbehörden wäre das eine große Erleichterung“, machte Dedy deutlich. Vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftsdaten kommentierte Dedy gegenüber Welt am Sonntag, dass der Deutsche Städtetag einen flächendeckenden Einbruch bei den Gewerbesteuereinnahmen aufgrund des Strukturwandels nicht befürchtet. Schließlich bedeute Strukturwandel nicht Deindustrialisierung.
Einbrüche bei Steuereinnahmen
Allerdings, so Dedy, könne man nicht ausschließen, dass es mancherorts zu regionalen Einbrüchen von Steuereinnahmen kommen kann – insbesondere dann, wenn sich in einer Region viele Unternehmen konzentrieren, die der Strukturwandel besonders fordert. Genau deshalb müsse die Transformation vor Ort gut begleitet werden.
Hier spielten die Kommunen eine wichtige Rolle. Die gute Infrastruktur für den Mittelstand und die Industrie gelte es, zu erhalten und auszubauen – und dafür müsse der Staat investieren. Jeder Euro an staatlichen Investitionen ziehe im Schnitt etwa sieben Euro private Investitionen nach sich. Davon profitierten dann auch der Mittelstand und das Handwerk in den Städten.
Sanfter Ausbau der Gewerbesteuer
Mit Blick auf die finanzielle Ausstattung der Städte fordert der Deutsche Städtetag einen sanften Ausbau der Gewerbesteuer – zum Beispiel, indem Freiberufler mit einbezogen werden. „Hier scheint der Reformwille auf Bundesebene aber nicht besonders groß zu sein“, mutmaßte der Hauptgeschäftsführer.
Ein drängenderes Problem seien für die Städte aber die schädlichen und aggressiven Steuergestaltungen einiger Unternehmen, die drastisch zugenommen haben – und bei wachsendem wirtschaftlichem Druck weiter zunehmen könnten. Immer mehr Unternehmen verlagerten steuerliche Gewinne auf dem Papier in innerdeutsche Steueroasen, also Gemeinden mit besonders niedrigen Hebesätzen. Der Schaden für die öffentliche Hand sei groß, gerade für die Kommunen.
„Da sollte die Bundesregierung auf jeden Fall ran und diese Form der Gewinnverschiebung stoppen“, hob Dedy hervor und fuhr fort: „Wenn wir den Unternehmen vor Ort gute Rahmenbedingungen bieten wollen, sollten wir auch darüber reden, wie wir Abläufe erleichtern und Bürokratie abbauen können.“ „Wir müssen Ansiedlungen und den Aufbau neuer Standorte erleichtern.
Abbau der Bürokratie
Die Städte würden zum Beispiel gerne schneller neue Gewerbeflächen ausweisen können. Das dauert aktuell oft zu lang und könnte deutlich einfacher sein. Wenn zum Beispiel bestehende Gewerbeflächen erweitert werden sollen oder ein zusätzlicher Geschäftszweig auf der bestehenden Fläche hinzukommt, wäre es hilfreich, wenn Unternehmen dafür nicht komplett neue Verfahren durchlaufen müssten. Außerdem muss die Vergabe öffentlicher Aufträge für die Kommunen einfacher werden, denn auch das hilft der Wirtschaft vor Ort. Der Schwellenwert für Direktaufträge, also Aufträge, die ohne Ausschreibung laufen können, sollte angehoben werden. Wenn dann noch die Nachweis- und Begründungspflichten bei öffentlichen Aufträgen reduziert würden und wir einfacher an Generalplaner vergeben könnten, wäre schon viel geholfen.“
Und nicht zuletzt sollte der Bund aus Sicht des Hauptgeschäftsführers auch einen Blick darauf werfen, wie wir die Unternehmen vor Ort angesichts hoher Energiepreise entlasten können. Eine einfache und schnell wirksame Maßnahme wäre, die Stromsteuer auf das europäische Mindestniveau abzusenken. Dadurch würde der Nettopreis für Strom deutlich sinken. „All das sind Stellschrauben, mit denen wir Unternehmen helfen und sie an unseren Standorten halten können“, so Dedy abschließend.
DK
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