Schwerpunkt der diesjährigen Landkreisversammlung des Bayerischen Landkreistags in Wunsiedel i. Fichtelgebirge war die Energie- und Verkehrswende. Zudem beherrschten kommunale Dauerthemen wie Kommunalfinanzen, Sozialausgaben, Aufgabenkritik und die Lage der Krankenhäuser die zweitägige Konferenz.
V.l.: Landrat Thomas Karmasin, Präsident des Bayerischen Landkreistags und Ministerpräsident Dr. Markus Söder.
„Wir wollen gemeinsam mit den Gemeinden bei der Energieversorgung vorankommen. Der notwendige Ausbau der Erneuerbaren ist nur gemeinsam zu schaffen. Zusammen wollen wir vor Ort für Akzeptanz, Wertschöpfung und Versorgungssicherheit sorgen“, unterstrich der Präsident des Bayerischen Landkreistags, Landrat Thomas Karmasin (Fürstenfeldbruck).
Nur im Einvernehmen mit den Gemeinden
Um eine kommunal getragene und akzeptanzorientierte Energiewende zu stärken, müsse den bayerischen Landkreisen die Energieerzeugung und -vermarktung im Einvernehmen mit ihren Gemeinden umfassend möglich sein. Ihre direkt und überörtlich gewählten Repräsentanten stünden für den gesellschaftlichen Willen vor Ort, gäben der Energiewende ein Gesicht und schafften in besonderer Weise die notwendige Identität. Dort, wo sie die Errichtung und den Zusammenschluss überörtlicher und damit wettbewerbsfähiger kommunaler Energieunternehmen freiwillig gestalten, würden die gesellschaftliche Akzeptanz, der Erhalt des Wirtschaftsstandorts und das strukturelle Gelingen der Energiewende in ihrer Gesamtheit in den Mittelpunkt gestellt.
Keine unnötigen bürokratischen Hürden
Im Gegenzug sollten keine unnötigen bürokratischen Hürden aufgebaut werden. Die Grundlagen für eine umfassende energiewirtschaftliche Betätigung der Landkreise seien nun mit der Änderung des Bayerischen Klimaschutzgesetzes gelegt worden und müssten nun auch gelebt werden.
Die bayerischen Landkreise fordern einen technologieoffenen und mengenbezogenen Aus- und Umbau der regenerativen Energien. Statt scharfer Flächenvorgaben, Überbetonung einzelner Erzeugungsarten und einem ungesteuerten Ausbau müssten die Maßnahmen vor Ort an den unterschiedlichen regionalen Stärken und Bedürfnissen orientiert werden dürfen.
Wichtige Grundlastfähigkeit
Die Nutzung grundlastfähiger regenerativer Energien, wie der Wasserkraft, von Biomasse oder der Geothermie, dürfe in einem Gesamtkonzept keine nur nachgeordnete Rolle spielen. Die Definition ableitbarer regionaler Zielmarken sei dabei nicht nur Voraussetzung für einen kommunal gesteuerten Ausbau regenerativer Energien, sondern auch Grundlage einer bedarfsgerechten und vorausschauenden Netzinfrastrukturplanung. Gesetzesänderungen zugunsten von Privilegierungstatbeständen, wie zuletzt im Bereich der Photovoltaik, wirkten dem notwendigen gesteuerten Umbau des Energiesystems hingegen diametral entgegen.
Statt Nord-Süd-Debatten über Strompreiszonen zu führen, verlangen die bayerischen Landkreise eine gerechte Verteilung der Lasten und Nutzen des Umbaus des Energiesystems. Beispielsweise müsse der Ausbau der Photovoltaik gleichermaßen in Stadt und Land erfolgen, vor allem seien bereits versiegelte und überbaute Flächen stärker zu nutzen. Dort, wo die notwendige Energie am Ort des Verbrauchs erzeugt wird, könnten Infrastrukturkosten wesentlich reduziert werden. Es gelte, Hemmnisse im Denkmalschutz sowie im gemeindlichen Satzungsrecht zu überwinden. Nicht zuletzt müssten ausschließlich den ländlichen Raum treffende Lasten des Ausbaus regenerativer Energien sowie von überörtlichen Infrastrukturmaßnahmen in Form einer dauerhaften und verpflichtenden kommunalen Strukturabgabe ausgeglichen werden. Akzeptanzfördernde Direktzahlungen von Investoren sollten rechtssicher ermöglicht werden.
Karmasin an Habeck: Weniger Vorschriften, mehr Geld und ein stärkeres Mitspracherecht
Im digitalen Austausch mit Dr. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, machte Karmasin deutlich: „Wir brauchen weniger Vorschriften, mehr Geld und ein stärkeres Mitspracherecht zur Frage, was vor Ort Sinn macht. Eine Umfrage im Vorgriff auf unsere Landkreisversammlung unter allen 71 Landkreisen zeigt, dass 90 Prozent der bayerischen Landkreise der Auffassung sind, dass der Gesetzgeber nicht immer die richtigen Weichen für die Energiewende gestellt hat. Als diejenigen, die die Gesetze vollziehen sollen, wissen wir oft nicht mehr, was gilt. Aufgrund wechselnder Vorgaben herrscht ein investitionsfeindliches Klima. Das kann so nicht weitergehen!“
Laut Habeck ist die Unterstützung der Kommunen zentral für den Erfolg der Energiewende. Sie seien etwa bei Planungs- und Genehmigungsverfahren für Erneuerbare Energien-Anlagen, beim Netzausbau oder der Wärmewende unverzichtbare Partner. Die damit verbundene Bürokratie müsse auf ein notwendiges Maß reduziert werden.
Der Bundesminister appellierte an die bayerischen Regionen, den Ausbau erneuerbarer Energieanlagen nicht zu verschleppen, da dies mit negativen wirtschaftlichen Folgen behaftet sei. Insbesondere bei Windkraftanlagen habe der Freistaat Aufholbedarf. Er warb in diesem Zusammenhang dafür, die Bevölkerung beispielsweise über Bürgerwindparks stärker auch an den Renditen zu beteiligen. Zudem wies Habeck darauf hin, dass der Bund plane, für das nächste Jahr Änderungen an der Verteilung der Netzentgelte vorzunehmen. Demnach sollen vor allem Kommunen im ländlichen Raum, die sich intensiv am Ausbau der erneuerbaren Energien beteiligen, entlastet werden.
Auch bei der Verkehrswende ging es um politische Ziele, die sich am realistisch Machbaren orientieren. „Mobilität ist trotz immer sparsamerer Fahrzeuge einer der größten Verursacher von Treibhausgasen in Deutschland. Da die Einsparziele in den letzten Jahren verfehlt wurden, versuchen EU und Bund, den CO2-Ausstoß durch die verpflichtende Umstellung auf alternative Antriebe einzudämmen. Die Umsetzung trifft die Landkreise insbesondere im ÖPNV unmittelbar. Egal ob Fahrzeuge selbst beschafft oder an Busunternehmen Verkehrsverträge vergeben werden, sind die Vorgaben zu erfüllen“, stellte Landrat Franz Löffler (Cham), Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Verkehr beim Bayerischen Landkreistag, fest.
Teure Alternativbusse
Busse mit alternativem Antrieb seien doppelt so teuer wie Dieselbusse und deren Reichweite sei wesentlich geringer, weshalb zusätzliche Busse und mehr Fahrer wegen kürzerer Umlaufstrecken notwendig sind, so Löffler. Bei unveränderten Rahmenbedingungen werde es mangels finanzieller und personeller Ressourcen zu einem Angebotsabbau im ÖPNV kommen. „Wir benötigen zusätzliche staatliche Mittel, um die Antriebswende und den Angeboteausbau möglich zu machen“, erklärte der Landrat.
ÖPNV-Unterstützung durch den Freistaat
Nach den Worten von Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter unterstützt der Freistaat die Kommunen beim Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs: „Die bayerischen Kommunen sind auf einem guten Weg. Viele haben mit Unterstützung des Freistaats flexible Bedienformen wie Rufbusse eingerichtet, wir greifen bei der Umstellung auf nachhaltigere Klimabusse unter die Arme und haben die ÖPNV-Zuweisungen im Vergleich zu 2017 nahezu verdoppelt. Allerdings laufen die Kosten gerade in allen Bereichen davon, deshalb brauchen wir auch ausreichend Finanzmittel durch den Bund, der sich gerade bei den Regionalisierungsmitteln und auch bei der Förderung von Bussen mit alternativen Antrieben aus der Affäre zieht.“
Themenwechsel. Mit Blick auf die stark steigenden Sozialausgaben erklärte Landkreistagschef Karmasin: „Wir erleben, dass immer mehr Menschen hilfs- und pflegebedürftig vor unseren Türen stehen. Zugleich hat die Bundesregierung den Hang zur Erfindung ständig neuer Wohltaten. Der ungebremste Anstieg dieser Kosten ist gigantisch und dauerhaft kommunal nicht mehr zu bewältigen.“ Deshalb gelte es, umzudenken.
„Wir müssen aufhören, dass wir hunderttausende Menschen, seien es Deutsche oder Ukrainer, mitunter für Jahre im Bürgergeldsystem einfach faktisch stilllegen, statt sie zur Arbeit zu motivieren. Wir müssen aufhören, bei jedem noch so kleinen Thema immer und immer wieder personalintensive bürokratische Pirouetten zu drehen. Wir sind dankbar, dass die Bayerische Staatsregierung jetzt in ihrem Bemühen um Entbürokratisierung ernst macht. Wir sollten uns bei jedem Standard fragen, brauchen wir ihn? Und wenn ja, brauchen wir ihn so? Passiert wirklich etwas Schlimmes, wenn wir das einfacher machen? Deutschland ist längst Weltmeister in der Haltungsnote, jetzt müssen wir endlich einmal wieder weit springen.“
Skandalöse Ignoranz des Bundes
Zur katastrophalen Lage zahlreicher kommunal getragener Krankenhäuser meinte der Präsident: „Obwohl der Bund für die Zahlung der Betriebskosten zuständig ist, können über 80 Prozent der Krankenhäuser ihren laufenden Betrieb nicht mehr decken. Sie alle rutschen in ein Defizit der Betriebskosten, für das die Landkreise mit kommunalem Geld einspringen müssen. Das bedeutet, wir müssen kommunale Aufgaben gegeneinander ausspielen: Bauen wir noch Kindergärten, können wir den ÖPNV noch finanzieren? Und das alles nur, weil wir mit kommunalem Geld die Ignoranz des Bundes notgedrungen ausgleichen. Das ist ein unglaublicher politischer Skandal!“
Wie Bayerns Ministerpräsident Dr. Markus Söder hervorhob, lege der Bund immer neue Steine in den Weg, sei es bei der Krankenhausreform oder der Ganztagsbetreuung: „Berlin schafft an, die Kommunen sollen zahlen.“ Dies belaste gerade in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten zusätzlich. Bayern steuere mit der Krankenhausmilliarde, der Möglichkeit zur Energieerzeugung und Vermarktung durch die Landkreise und einem Rekordbetrag von 11,3 Mrd. Euro im kommunalen Finanzausgleich dagegen. Zugleich nehme die Aggression gegenüber der Politik zu. „Wir geben unseren Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern all unseren Rückhalt und wollen schnelle und harte Strafen für diese inakzeptablen Angriffe“, stellte Söder klar.
Migrationskrise
Auch die vielfältigen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Migrationskrise spielten im Austausch der Landräte mit dem Ministerpräsidenten eine große Rolle. Die kommunale Handlungsfähigkeit wird durch die Pflicht zur Unterbringung enorm eingeschränkt. Mit einer kurzfristigen Entlastung ist nicht zu rechnen. Dafür bedürfe es unter anderem eines funktionierenden Rückkehrsystems.
Zu Beginn der Verbandsversammlung hatten Wunsiedels Erster Bürgermeister Nicolas Lahovnik und Landrat Peter Berek den Wunsiedler Weg der Energiezukunft vorgestellt. Lahovnik zufolge hat die oberfränkische Stadt den ersten und größten netzdienlichen Elektrolyseur für grünen Wasserstoff gebaut – „abgesehen von einer kleineren Mobilitäts-Förderung komplett wirtschaftlich finanziert“. Dies nämlich sei die Idee des Wunsiedler Wegs: „Alle unsere Modelle müssen fliegen und Geld verdienen.“ Deswegen werde Wasserstoff auch nicht nur für die Mobilität genutzt, „sondern wir integrieren ihn sektorübergreifend und netzdienlich in unser komplettes Energiesystem“, bestehend u.a. aus Biomasseanlagen, Nahwärmenetzen und Biogasanlagen. „In Wunsiedel wurde das Thema Energie schon vor über 20 Jahren als Teil der Regionalentwicklung ernst genommen und immer weiterverfolgt”, bilanzierte Berek. Davon konnten sich Gäste der Tagung bei einer Besichtigung des Energieparks überzeugen.
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