Kommunalverbändezurück

(GZ-13-2024 - 4. Juli)
gz bayerischer staedtetag

► Bayerischer Städtetag in Kempten:

 

Gutes Altwerden braucht gute Orte

 

Fit und gesund, wohlhabend und gut gelaunt, so würde wohl jeder am liebsten älter werden. Jedoch gehört zur Wahrheit, dass ältere Menschen gebrechlich und dement werden können und manche ein einsames und von Depressionen begleitetes Dasein fristen. Das Altersspektrum ist breit gestreut – vom Renteneintritt bis ins teilweise sehr hohe Alter. „Dies bringt ein Bündel an Herausforderungen für die Städte und Gemeinden, birgt aber auch großes Potenzial“, erklärte der Vorsitzende des Bayerischen Städtetags, Straubings Oberbürgermeister Markus Pannermayr bei der Jahrestagung des Verbandes in Kempten.

„Gutes Altwerden braucht gute Orte. Gestalten wir unsere Städte weiter so, dass wir dort im Alter gerne leben“, betonte Pannermayr vor knapp 400 Delegierten und Gästen aus der Europa-, Bundes- und Landespolitik. „Immens ist der Bedarf an altersgerechten Wohnungen, die barrierefrei, schwellenarm und bezahlbar sind. Bauliche Veränderungen und digitale Lösungen können dazu beitragen, lange in den eigenen vier Wänden zu leben“, erklärte der Präsident: „Wohnungen sollen die Chance bieten, aktiv am Leben teilzuhaben. Nötig sind hierfür unter anderem eine auskömmliche und planbare Mittelausstattung der bayerischen Wohnraumförderung, mehr Flexibilität bei den Bestimmungen über die Barrierefreiheit von Wohnraum oder die Unterstützung alternativer Wohnformen.“

Bedürfnisse von Senioren verstärkt berücksichtigen

Darüber hinaus gelte es, bei der Infrastruktur in den Städten und Gemeinden die Bedürfnisse von Senioren verstärkt zu berücksichtigen. Neben einem „demenzsensiblen Stadtbild“ könnten hier etwa Hitzeschutzpläne, die einige Städte bereits auf den Weg gebracht haben, hilfreich sein. Da Innenstädte und Ortszentren emotionaler Mittelpunkt einer Kommune seien, müssten Ortskerne als Versorgungszentren erhalten bleiben. „Ziel sollte eine Stadt der kurzen Wege sein, mit einer guten Infrastruktur an Läden, Gasthäusern, Cafés, Apotheken, Ärzten, Banken und Kultureinrichtungen, so Pannermayr. Hierfür sollte die Städtebauförderung aufgestockt werden.

Ältere Menschen in die Gesellschaft integrieren

Wichtig sei es außerdem, ältere Menschen weiterhin in die Gesellschaft zu integrieren. Benötigt würden Orte der niedrigschwelligen und zwanglosen Begegnung, sog. Dritte Orte. Dabei handle es sich um Häuser, Räume, Grünflächen oder Parks, die allen Menschen und Generationen offenstehen, um sich zu treffen, auszutauschen und zu unterstützen. Ein lebenswerter Raum für alte Menschen sei ein Gewinn für alle Generationen. Das Ehrenamt oder Mehrgenerationenhäuser könnten dabei wertvolle Hilfe leisten.

Selbstständigkeit bewahren

Neben dem selbstständigen Wohnen im eigenen Zuhause ist die eigenständige Mobilität für Seniorinnen und Senioren wichtig, unterstrich der Fürther Oberbürgermeister Dr. Thomas Jung, erster stellvertretender Vorsitzender des Bayerischen Städtetags. „Mobilität bedeutet Lebensqualität und hat viele Gesichter: Gehen, Fahrradfahren, E-Bike, E-Rollator, Auto, Bus, Tram und Bahn. Eine generationengerechte Mobilität funktioniert nur über die gesamte Mobilitätskette.“

Generationengerechte Mobilität

Die Mobilitätsbedürfnisse älterer Menschen sind heterogen, sie sind bestimmt von der Raumstruktur in Stadt und Land, abhängig von der Gesundheit, vom sozialen Umfeld, vom Wohnumfeld im Quartier. Kurze Wege sind entscheidend – zum Einkauf, zum Arzt, zu Konzert, Theater oder Freizeitaktivitäten. Städte und Gemeinden stehen dabei vorunterschiedlichen Herausforderungen. Während in Ballungsräumen meist ein gut funktionierender öffentlicher Nahverkehr vorhanden sei und es dort darum gehe, das Angebot seniorengerecht und barrierearm zu gestalten, ist es in ländlichen Gebieten Jung zufolge oft nicht möglich, den öffentlichen Nahverkehr adäquat anzubieten, weshalb Senioren häufig auf das Auto angewiesen seien. Bayerische Kommunen hätten sich bereits auf den Weg gemacht und böten Ruf- oder Flexibusse an, um allen Menschen mehr Möglichkeiten der Mobilität zu geben. „Künftig werden Modelle, wie autonomes Fahren, fahrerlose Züge oder Busse hinzukommen“, so der Vizepräsident.

Seinen Ausführungen zufolge müssen Bund und Freistaat die Investitionen mit mehr Regionalisierungsmitteln und mit der besseren Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs deutlich erhöhen. Nur so könne der öffentliche Nahverkehr einen besseren Beitrag in Stadt und Land leisten.

Bund und Freistaat sind gefordert

Generationengerechte Mobilität umfasse Verkehrsanlagen an Bahnhöfen, Haltestellen für Bus, Tram und U-Bahnen, akustische und visuelle Signale an Haltestellen und in Bussen, Toiletten an Bahnhöfen und Plätzen. Und schließlich müssten die Ziele barrierefrei sein – Ärztehäuser, Krankenhäuser, Verwaltungsgebäude, Geschäfte, Konzerthallen, Schwimmbäder. Barrierefrei müsse auch das Ticket für Bus und Bahn sein, „denn Digitalisierung ist kein Allheilmittel“, bemerkte Jung.

„Kommunen geben Hilfe zur Selbsthilfe, um Seniorinnen und Senioren durch Höhen und Tiefen zu begleiten“, unterstrich der zweite stellvertretende Vorsitzende, Weilheims Erster Bürgermeister Markus Loth. Wichtig für ein langes gesundes Leben seien Prävention und Vermeidung von Risikofaktoren. Die Förderung körperlicher Aktivität und Mobilität sei elementar – in der Reha, im Pflegeheim und Zuhause.

Pflege fit für die Zukunft und bezahlbar machen

Wenn Prävention nicht mehr hilft, müsse für Seniorinnen und Senioren eine flächendeckende wohnortnahe medizinische Versorgung gesichert sein, was sich derzeit jedoch ungünstig entwickelt, so Loth: Bei Krankenhäusern stünden Kommunen vor enormen Herausforderungen, sie seien als Träger oft zu Ausfallbürgen geworden. Bei hausärztlicher Versorgung gälten 25 von 204 Planungsbereichen in Bayern bald als unterversorgt. Die Zahl der Apotheken sinke, Lieferservice und Internet seien nur bedingt Alternativen, da die persönliche Beratung häufig fehlt.

„Eine große Welle rollt bei der Pflege auf uns zu. Immer mehr Pflegebedürftige kommen auf immer weniger Pflegepersonal. Es ist höchste Zeit, die Pflege fit für die Zukunft zu machen“, bemerkte der stellvertretende Verbandschef. Es brauche zusätzliche Unterstützung für Angehörige und ein System vernetzter Versorgungsformen, um die pflegenden Angehörigen zu entlasten. Ein wichtiger Baustein sei die wohnortnahe ambulante und stationäre Pflege. Der Pflegeberuf müsse attraktiver sein. Bürokratie sei abzubauen, etwa bei der Anerkennung von ausländischen Pflegeabschlüssen. Mut für neue Wege, wie die Einführung einer Gemeindeschwester, die mit Hilfestellungen die Pflegebedürftigkeit lindern kann, sei vonnöten.

Die Pflege muss für Pflegebedürftige bezahlbar sein. Es dürfe nicht zur Regel werden, dass der Sozialhilfeträger einspringen muss, betonte Loth. Steigende Sozialhilfekosten schränkten kommunale Handlungsspielräume ein. Hier sei die Pflegeversicherung angemessen auszugestalten. Auch sei die Finanzierung der Langzeitpflege sicherzustellen.

Die angesprochenen Schwerpunktthemen fanden auch Eingang in eine Podiumsdiskussion, an der Sozialministerin Ulrike Scharf, die Neu-Ulmer Oberbürgermeisterin Katrin Albsteiger, ihre Regensburger Amtskollegin Gertrud Maltz-Schwarzfischer, der Hersbrucker Bürgermeister Robert Ilg und Professor Dr. Andreas Kruse, Psychologe und Gerontologe von der Universität Heidelberg, teilnahmen.

Verbesserte Förderung in Bayern

Wie Staatsministerin Scharf betonte, lebten in Bayern aktuell 2,8 Millionen Bürger im Alter von über 65 Jahren in Bayern. In 20 Jahren werden es bereits 3,5 Millionen sein, d.h. ein Viertel der Bevölkerung. Diesem Umstand gelte es Rechnung zu tragen. So habe das bayerische Sozialministerium zum 1. Juni 2024 eine Neufassung der Förderrichtlinie „Selbstbestimmt Leben im Alter – SeLA“ veröffentlicht. Neu ist insbesondere ein verbessertes Förderangebot für finanz- und strukturschwache Kommunen. Sie können künftig für seniorengerechte Quartierskonzepte nach Ablauf der vierjährigen Anschubfinanzierung eine jährliche Anschlussförderung beantragen.

Eine wichtige Rolle spielten neben den großen Themen Mobilität und Barrierefreiheit auch die Koordinierungsstelle Wohnen im Alter sowie die Teilhabe älterer Menschen in den Kommunen, sei es über das Ehrenamt oder Kontakte wie Mehrgenerationenhäuser.

Ehrenamtliche integrieren

Das Ehrenamt wird Rathauschef Ilg zufolge größtenteils von Menschen im höheren Alter mit entsprechend größerer Lebenserfahrung getragen. Jedoch werde in Hersbruck auch versucht, jüngere Bürger, die sich engagieren und Hilfestellung leisten, über eine Lenkungsgruppe einzubinden. Ein gutes Beispiel hierfür sei das Reparaturcafé.

„Bereits seit den 1990er Jahren verfügt Regensburg über ein eigenes Seniorenamt“, berichtete Oberbürgermeisterin Maltz-Schwarzfischer. „Wir bieten den hauptamtlichen Hintergrund für hohes Engagement in unserer Kommune.“ Exemplarisch nannte das Stadtoberhaupt den Treffpunkt Seniorenbüro, Aktivzentren für Senioren sowie das vom Seniorenamt organisierte Netzwerk „Regensburgs nette Nachbarn“, bestehend aus Kirchengemeinden, Altenclubs, Nachbarschaftshilfe, Besuchsdiensten und Stadtteilkümmerern.

Begegnungsmöglichkeiten für Jung und Alt zu schaffen, ist aus Sicht von Oberbürgermeisterin Albsteiger sehr wichtig. Im „Generationentreff“ in Neu-Ulm versuche die ältere Generation, mit Schulen und Kindergärten in Kontakt zu treten und Kooperationsveranstaltungen durchzuführen. Die Stadt biete hierfür die entsprechenden Räumlichkeiten.

Generationenübergreifende Projekte

Ein ambitioniertes Bauprojekt stellt das „Heiners“ in der Neu-Ulmer Innenstadt dar. In dem siebengeschossigen Bau sollen ab 2025 unter anderem die Stadtbücherei, rund 50 generationenübergreifende Wohnungen, ein Generationentreff mit Seniorenberatung, Cafes, Restaurants und Büros Platz finden. Angedacht ist darüber hinaus, die städtische Musikschule für Senioren ebenso zu öffnen wie auch in der VHS mehr Angebote für diese Altersgruppe zu schaffen.

Joachim Herrmann für aktive Seniorenpolitik

„Jeder Vierte in Deutschland ist aktuell 60 Jahre oder älter. Hierauf müssen wir mit einer aktiven Seniorenpolitik reagieren und die Weichen für ein gutes Leben im Alter stellen“, hatte Kommunalminister Joachim Herrmann im Rahmen des Festabends betont.

„Unsere Kommunen können hier einen großen Beitrag leisten, damit Menschen möglichst lange selbstbestimmt in ihrer vertrauten häuslichen Umgebung wohnen können.“ Dazu zähle etwa eine altersgerechte Infrastruktur, aber auch die konsequente Einbindung von Seniorenbeiräten und -beauftragten. Besonders erfreulich für Herrmann: Fast alle bayerischen Gemeinden haben bereits eine Seniorenvertretung. „Hier müssen wir auch weiter ansetzen, das Engagement von Seniorinnen und Senioren noch stärker nutzen und von ihrem wertvollen Erfahrungswissen profitieren“, betonte der Minister.

Nachwuchsgewinnung für die Kommunalpolitik

Laut Herrmann ist in diesem Zusammenhang auch die große Anzahl kommunaler Amtsträger über 60 Jahre beachtenswert: „In Bayern sind 629 von insgesamt 2.031 Ersten Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern bereits älter als 60 Jahre. In diesem Jahr kommen nochmals weitere 74 hinzu.“ In den 25 kreisfreien Städten zeige sich ein ähnliches Bild: „Auch hier werden Ende des Jahres zehn Oberbürgermeister über 60 Jahre alt sein.“ Hinzu komme, dass mehr als ein Viertel aller bayerischen Ersten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie sechs Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister bereits drei Amtsperioden oder sogar noch länger im Amt sind.

Mit Blick auf die kommenden Gemeinde- und Landkreiswahlen in weniger als zwei Jahren betonte Herrmann: „Angesichts des demographischen Wandels dürfen wir auch in der Kommunalpolitik die Nachwuchsgewinnung nicht aus den Augen verlieren.“ Gerade in der heutigen Zeit sei es wichtig, Nachwuchs zu finden, der bereit und fähig ist, sich für das Gemeinwohl einzusetzen und die Zukunft der Gesellschaft mitzugestalten. „Hier sind wir alle gefragt: Wir müssen aktiver werden und unsere Werte wie Respekt, Menschlichkeit und Toleranz hochhalten, mit Leben füllen und verteidigen. Angriffe auf Kommunalpolitiker dürfen wir keinesfalls hinnehmen“, forderte der Minister abschließend.

DK

 

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