Die finanzielle Situation der Städte und Gemeinden sowie die scheinbar nicht einzudämmende Bürokratie standen im Mittelpunkt der diesjährigen Landesversammlung des Bayerischen Gemeindetags in Veitshöchheim. Hans-Peter Mayer, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Verbandes, formulierte die Sorgen und Nöte der bayerischen Kommunen und forderte einen „neuen Gesellschaftsvertrag“. Der Staat werde sich nicht mehr alles leisten können, was sich die Bevölkerung wünscht. Darüber müsse gesprochen werden.
Bayerns Finanzminister Albert Füracker gemeinsam mit Hans-Peter Mayer, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Bayerischen Gemeindetags.
Zwei Tage spannender Begegnungen und intensiver Gespräche zeigten, dass Staat und Kommunen die großen Aufgaben der Zukunft nur gemeinsam bewältigen können. Darüber waren sich die rund 120 Rathauschefs sowie eine große Zahl an Ehrengästen aus Politik, Verwaltung, Regierungen, Ministerien, Verbänden und Wirtschaft aus ganz Bayern einig.
Desolate Politik der Bundesregierung
Finanz- und Heimatminister Albert Füracker hatte zwar wie erwartet keine Geldgeschenke dabei, machte aber deutlich, dass man die kommunalen Belange ernst nehme und im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen aufeinander zugehen werde. Auch wies Füracker darauf hin, dass die vielfältigen Herausforderungen der Kommunen zu einem Großteil auf die desolate Politik der Bundesregierung zurückzuführen seien. „Der Freistaat ist und bleibt ein verlässlicher Partner und unterstützt seine Kommunen weiterhin auf höchstem Niveau – für ein starkes Bayern mit starken Gemeinden“, so der Minister.
Bayern muss sich auf hohe Mindereinnahmen einstellen
Aus der jüngst vorgelegten aktuellen regionalisierten Steuerschätzung für den Freistaat geht hervor, dass Bayern 2025 – grob geschätzt – nochmals mit rund 900 Millionen Euro weniger auskommen muss, als bislang erwartet. Auch für die Folgejahre hat sich der Freistaat auf Einnahmeausfälle gegenüber der Mai-Steuerschätzung einzustellen – für das Jahr 2026 in Höhe von rund 1,5 Milliarden Euro.
Neue Schätzungen verschärfen die angespannte Haushaltslage
„Da neben den weiter rückläufigen Steuerprognosen auch die Ergebnisse des Zensus 2022 vorläufigen Prognosen des ifo Instituts zufolge unsere finanziellen Spielräume dauerhaft in einer Größenordnung von rund 300 Millionen Euro pro Jahr weiter einschränken, muss mittlerweile auch dem Letzten klar sein: Zusätzliche Mehrausgaben sind nicht finanzierbar“, unterstrich Füracker und ergänzte:
„Unser Doppelhaushalt 2024/2025 ist solide geplant. Aber diese neuen Schätzungen verschärfen die ohnehin angespannte Haushaltslage massiv und erschweren damit die Aufstellung des Nachtragshaushalts zusätzlich.“ Aus seiner Sicht „muss der Bund die Diskrepanz zwischen Selbstwahrnehmung und Tatsachen endlich überwinden und seine ambitionslosen Minimalkompromisse zur Revitalisierung der Wirtschaft als das Erkennen, was sie sind: zu wenig, um den Herausforderungen, vor denen unser Land steht, gerecht zu werden.“ Deutschland brauche eine mutige, umfassende und schlagkräftige Agenda 2030. „Nur auf Basis von wettbewerbsfähigen und verlässlichen Rahmenbedingungen können wir unsere Wirtschaft und damit auch die Steuereinnahmen wieder auf Wachstumskurs bringen“, zeigte sich der Finanzminister überzeugt.
Mit Blick auf das Thema Entbürokratisierung wiesen Innenstaatssekretär Sandro Kirchner und der Beauftragte für Bürokratieabbau Walter Nussel darauf hin, dass der Freistaat mit verschiedensten Instrumenten versuche, Bürokratie einzudämmen und ihren Aufwuchs zu verlangsamen. Bezugspunkt war dabei auch nachfolgendes 10 Punkte-Forderungspapier zum Bürokratieabbau, das vom Landesausschuss des Bayerischen Gemeindetags im September beschlossen und auf der Landesversammlung vorgestellt wurde:
1. Eine umfassende Aufgabenkritik des Freistaats Bayern ist notwendig! Im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung ist eine laufende kritische Überprüfung sämtlicher Aufgaben erforderlich (Aufgabenkritik), um sicherzustellen, dass deren Wahrnehmung notwendig ist sowie ihre Erledigung garantiert und sie zweckmäßig und wirtschaftlich ausgestaltet werden kann.
2. Der Staat kann und darf sich nicht mehr alles leisten! Erforderlich ist ein gemeinsamer Dialog zwischen Staat und Kommunen, um die jeweilige Rolle neu zu definieren. Die Ergebnisse müssen den Bürgerinnen und Bürgern transparent und umfassend kommuniziert werden.
3. Kommunale Pflichtaufgaben kritisch hinterfragen! Freiräume für die Kommunen schaffen! Sie müssen und sollen sich auf die wirklich notwendigen Pflichtaufgaben im Rahmen der Daseinsvorsorge konzentrieren können.
4. Nicht immer noch eins draufsatteln! Strikter Verzicht auf höhere (Gold-)Standards bei der Umsetzung von Gesetzen!
5. Förderwesen stark vereinfachen! Um der Förderkomplexität und dem hohen Vollzugsaufwand im Zusammenhang mit Förderprogrammen beizukommen, bedarf es eines ganzheitlichen und nachhaltigen Lösungsansatzes. Vergaberechtliche Spielräume unterhalb der EU-Schwellenwerte sind massiv zu erhöhen.
6. Standards, Statistik- und Dokumentationspflichten abbauen! In zahlreichen Bereichen, insbesondere im Bau- und Umweltsektor, ist eine übermäßige Reglementierung zu beobachten, welche die Anwendung bestimmter Standards und die Einhaltung bestimmter Verfahrensschritte detailliert vorschreibt. Standards, Statistik- und Dokumentationspflichten müssen auf das notwendige Maß beschränkt werden.
7. Bürokratieabbau durch zielgerichtete Digitalisierung erreichen! Die Digitalisierung von Verwaltungsvorgängen muss mit Nachdruck vorangetrieben werden. Dadurch kann ein Abbau bürokratischer Hindernisse erreicht werden. Gesetze müssen auch einer Prüfung unterzogen werden, ob sie den Anforderungen der Digitalisierung genügen.
8. Bürokratieabbau durch Stärkung kommunaler Selbstverwaltung! Eine Regulierung bis ins letzte Detail ist nicht erforderlich. Die Entscheidung, ob Regelungen als sinnvoll erachtet werden oder nicht, sollte den Kommunen vor Ort in eigener kommunaler Selbstverwaltung überlassen werden.
9. Qualitative Entbürokratisierung statt quantitativem Bürokratieabbau! Gesetze müssen wieder leichter verständlich, kürzer und lesbarer sein und den Anforderungen an sog. „gute Gesetzgebung“ genügen. Unnötige Regelungen sind aufzuheben.
10. EU-Recht und Bundesrecht soll nicht mehr Hürde und Belastung sein! Der Freistaat Bayern muss sich über den Bundesrat für eine massive Entbürokratisierung auf EU- und Bundesebene einsetzen.
Laut Innenstaatssekretär Kirchner stärkt eine effiziente und schlanke Verwaltung das Vertrauen in einen fähigen Staat. Europa, Deutschland und Bayern litten jedoch unter der Last unzähliger Vorschriften und Verwaltungsverfahren. „Am 13. Juni 2024 haben wir mit dem ‚Modernisierungs- und Beschleunigungsprogramm Bayern 2030‘ ein klares Signal gesetzt: Bayern packt es an!“, betonte Kirchner.
Modernisierungsprogramm
Das Modernisierungsprogramm enthalte Maßnahmen für den Bürokratieabbau wie die Streichung von mindestens 10 Prozent aller Verwaltungsvorschriften oder die Verschärfung der ‚Paragrafenbremse‘. „Für jedes neue Gesetz müssen künftig zwei alte Gesetze entfallen“, erklärte der Staatssekretär. Dabei bedeute Deregulierung nicht die Abgabe der Kontrolle, sondern eine Konzentration auf die wirklich wichtigen Regelungen, ohne eine Gefährdung der Bürger: „Das heißt: zukünftig größere Handlungs-, Beurteilungs- und Ermessensspielräume für die Behörden und Kommunen.“
Kirchner zufolge fördert besonders das Ehrenamt den Zusammenhalt in Staat und Gesellschaft, weshalb es wichtig sei, Bürokratie im ehrenamtlichen Engagement abzubauen: „Bürokratische Hürden erschweren oftmals die großartige Arbeit der Ehrenamtlichen. Auch deshalb wollen wir hier Vereinfachungen schaffen. So sollen beispielsweise ehrenamtliche Veranstaltungen genehmigungsfrei werden.“
Bürokratieabbau
Auch die Ende-zu-Ende-Digitalisierung von Verwaltungsverfahren leiste einen erheblichen Beitrag zum Abbau von unnötiger Bürokratie. „Die Gemeinden verrichten hier bereits herausragende Arbeit, aber der digitale Wandel beschleunigt sich immer weiter. Hinzu kommen Kostendruck und Fachkräftemangel. Bayern hat deshalb die Zukunftskommission #’Digitales Bayern 5.0 gegründet, um gemeinsam mit den Kommunen die Arbeit der digitalen Verwaltung schneller, einheitlicher und transparenter zu gestalten“, erläuterte der Staatssekretär. Wichtige Ziele der Zukunftskommission seien unter anderem Standardisierung, Bündelung von IT-Aufgaben und Zusammenarbeit im Bereich künstlicher Intelligenz.
Eine zum Abschluss von Hans-Peter Mayer moderierte Podiumsdiskussion, an der neben Nussel und Kirchner DStGB-Hauptgeschäftsführer André Berghegger, die 2. Vizepräsidentin des Bayerischen Gemeindetags, Bürgermeisterin Dr. Birgit Kreß (Markt Erlbach) sowie der Landesschatzmeister des Bayerischen Gemeindetags, Bürgermeister Markus Reichart (Heimenkirch) teilnahmen, zeigte auf, dass Bürokratieabbau und Deregulierung im rechtsstaatlich verfassten Mehrebenensystem eine Herausforderung darstellt. So zitierte Hans-Peter Mayer einen seinen Vorgänger, der schon im Jahr 1965 beklagt hatte, mit gesetzlichen Regelungen wahrlich nicht unterversorgt zu sein.
Getragen war die Diskussion auch von der Einsicht, dass die kommunale Familie gemeinsam mit der Staatsregierung an einem Strang ziehen muss. Es gelte, die hohen Standards abzubauen und das Förderwesen zu vereinfachen. Bei Gesetzen dürfe nicht immer noch „draufgesattelt“ werden, die Kommunen benötigten Freiräume und dürften nicht mehr mit Zusatzaufgaben belastet werden. Überdies seien eine zielgerichtete Digitalisierung und der Einsatz von KI das Gebot der Stunde. Allerdings müssten auch die Bürger wieder mehr in die Pflicht genommen und zu mehr Eigenverantwortung herangezogen werden, so der Tenor.
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