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(GZ-9-2019)
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► Diskussion um Wahlalter:

 

Lust am Wählen wecken versus verantwortungsvolle Reife

 

Auch Kinder und Jugendliche werden zur Europawahl an die Urne gebeten. Die Stimmabgabe bei der U18-Wahl ist allerdings nur einer echten Wahl nachempfunden. Mitmachen kann jede Institution, die parteipolitisch unabhängig und demokratisch gesinnt ist. Die Initiative lenkt den Blick auf die aktuelle Diskussion, das offizielle Wahlalter auf 16 Jahre abzusenken.

Ob LBS-Kinderbarometer, Shell-Jugendstudie oder die AID:A-Studie des Deutschen Jugendinstituts – seit Jahren weisen Umfragen ein hohes Interesse der jungen Generation am Geschehen in der eigenen Umgebung nach. Über die Hälfte der Neun- bis Vierzehnjährigen will an der politischen Meinungsbildung teilnehmen, laut LBS-Kinderbarometer.

Bei Entscheidungen auf europäischer Ebene ist es immerhin noch ein Drittel. Dieses Interesse soll die U18-Wahl fördern. Von Arbeitslosigkeit über Digitalisierung und Tierschutz bis zu Zusammenhalt: Der Bayerische Jugendring (BJR) hat zusammen mit Kindern und Jugendlichen insgesamt zwölf Themen erarbeitet, die Menschen unter 18 Jahren bei der Europawahl am 26. Mai wichtig sind. Dazu wurden Fragen formuliert und die an die Parteien verschickt.

„Die Antworten sind nicht einfach aus dem Wahlprogramm kopiert, sondern gehen in verständlicher Sprache auf die Fragen der Jugendlichen ein“, sagte BJR-Präsident Matthias Fack im Europaausschuss. Mit diesen Informationen sollen Kinder und Jugendliche das nötige Rüstzeug bekommen, um bei der U18-Wahl ihr Kreuz an der für sie richtigen Stelle zu machen.

Bundesweite Initiative

Die U18-Wahl gibt es nicht nur in Bayern, sondern bundesweit zu allen Wahlen. Dabei handelt es sich um keine echte, sondern einer regulären Stimmabgabe nachempfundene Wahl. Jugendliche sollen über Wahlen aufgeklärt werden, sich mit politischen Inhalten beschäftigen und Lust am Wählen entwickeln. Der Vorsitzende des Europaausschusses, Tobias Gotthardt (Freie Wähler), betonte in der anschließenden Aussprache, BJR-Präsident Fack habe ihn schon als Botschafter für die U18-Wahl gewonnen. Auch Julika Sandt (FDP) nannte die U18-Wahl eine „super Initiative“.

Die Positionen der Parteien bei den Kommunalwahlen rufen die Partner vor Ort in der Regel zusammen mit den Schulen ab. Der Unterschied zwischen der U18-Wahl und der sogenannten Juniorwahl ist, dass Letztere ausschließlich an Schulen stattfindet.

Server brechen zusammen

Das Konzept kommt bei den Jugendlichen gut an. „Bei der ersten U18-Wahl in Berlin sind uns die Server zusammengebrochen“, berichtete Fack. Inzwischen sind die Träger, unter anderem das Deutsche Kinderhilfswerk und der Deutsche Bundesjugendring, besser auf den Ansturm vorbereitet. Ein Wahllokal kann jede Institution, die parteipolitisch unabhängig und demokratisch gesinnt ist, einrichten. Hier wächst die Nachfrage: Bei der bayerischen Landtagswahl 2013 gab es 170 Wahllokale, 2018 waren es bereits 453. Knapp 62.000 Kinder und Jugendliche machten im vergangenen Jahr von ihrer Wahlmöglichkeit Gebrauch.

Richtig zufrieden ist Fack trotz der steigenden Zahlen nicht. „Im Prinzip wäre die U18-Wahl bei der Europawahl gar nicht nötig“, erklärte er. Tatsächlich hat das Europäische Parlament bereits 2015 eine Empfehlung an die Mitgliedsstaaten ausgesprochen, das Wahlalter bei der diesjährigen Wahl auf 16 Jahre abzusenken. Der BJR-Präsident würde es begrüßen, wenn die Jugendlichen in Bayern bereits mit 16 Jahren an Kommunalwahlen teilnehmen könnten.

Klares Nein der CSU

Als Argument für die offizielle Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre nennen Befürworter nicht nur das Interesse an Politik. Häufig seien Jugendliche in dem Alter schon in einer Ausbildung, strafmündig, zahlen Steuern und eben auch von politischen Entscheidungen betroffen. Kritiker kontern, Jugendliche seien noch nicht in der Lage, die komplexen Zusammenhänge der politischen Arbeit zu verstehen. Damit begründet die CSU unter anderem ihr klares Nein zum Vorstoß des Kultusministers Michael Piazolo (Freie Wähler) für eine Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre.

Die Position der CSU zum Wahlalter sei unverändert, betonte Staatskanzleichef Florian Herrmann. „Wir diskutieren das in großer Regelmäßigkeit und wir halten einen Gleichklang von Volljährigkeit und Wahlalter für richtig“, sagte er gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. Die Rechte und die Verantwortung sollten miteinander korrespondieren, argumentierte er.

Ähnlich äußerte sich auch Innenminister Joachim Herrmann (CSU): Die Mitverantwortung für politische Entscheidungen solle im Interesse aller Bürger „nur denjenigen übertragen werden, bei denen aufgrund von Lebensalter und Lebenserfahrung ein gewisses Maß an politischer Urteilsfähigkeit vorausgesetzt werden kann“.

Es sei aus Sicht der Staatsregierung eine „sachgerechte Entscheidung“, dass nur Volljährige wählen dürfen. Der Innenminister wies außerdem daraufhin, dass Minderjährigen „im Rechtsverkehr“ noch kaum Verantwortung zuerkannt werde.

Applaus von der Opposition

Von der Opposition erntete der Kultusminister hingegen viel Zustimmung. „Unbedingt Wahlalter 16!“, schrieb Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze auf Twitter. Die jugendpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen Eva Lettenbauer betonte die Bedeutung von mehr politischer Bildung in den Schulen, aber auch außerhalb.

„Wer schon in jungen Jahren in der Schule intensiver als heute und mit der Aussicht auf das baldige Teilnehmen an einer Wahl über das Parteiensystem und politische Entscheidungsprozesse diskutiert, lernt den Wert der Demokratie früh kennen und bleibt als Wählerin und Wähler aktiv.“

Auch der Fraktionschef der BayernSPD-Landtagsfraktion Horst Arnold fordert ein Wahlrecht ab 16 Jahren für Kommunalwahlen in Bayern.

„Dass die Jugendlichen politisch interessiert sind und sich engagieren wollen, zeigen nicht nur die wöchentlichen Fridays for Future-Demonstrationen. Die jungen Leute sind auch in vielen anderen Bereichen aktiv, beispielsweise in Kreis- und Stadtjugend ringen“. Was aber fehle, sind echte Mitgestaltungsmöglichkeiten.

Als Ziel setzt sich die SPD daher die Einführung des neuen Wahlalters noch vor der bayerischen Kommunalwahl im März 2020 und brachte einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Landtag ein.

Auch FDP-Fraktionschef Martin Hagen lobte den Vorstoß Piazolos in den Sozialen Netzwerken: „Ja! Schön, dass sich ein bayerischer Minister hier vorwagt.“ Die FDP werde einen entsprechenden Gesetzentwurf einbringen. Ebenso die Linke in Bayern, die nicht im Landtag sitzt, befürwortete Piazolos Forderung.

Die AfD-Fraktion reagierte zunächst nicht auf den Vorstoß. In anderen Bundesländern hatte die Partei aber gegen ein niedrigeres Wahlalter gestimmt.

Wer darf wo wählen?

Bei Landtags- und Bürgerschaftswahlen haben die Länder eigene Regelungen. So darf in Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein schon ab 16 Jahren gewählt werden. Bei Kommunalwahlen hat die Mehrheit der Bundesländer das Wahlalter auf 16 festgelegt.

Nur in Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und in Sachsen darf erst ab 18 gewählt werden. Auf Bundesebene hatte sich Justizministerin Katharina Barley vor dem Hintergrund der „Fridays for Future“-Demonstrationen Anfang März für eine generelle Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre ausgesprochen. Bei der kommenden Europawahl gilt in Deutschland ein generelles Wahlalter ab 18. Nur auf Malta und in Österreich darf bereits ab 16 gewählt werden.

Bei Kommunalwahlen sieht es etwas anders aus. 16-Jährige dürfen in Finnland, Estland und Schottland wählen. Auch Kroatien und Slowenien lassen 16-Jährige über die Zusammensetzung der Gemeindeparlamente mit abstimmen, Voraussetzung ist allerdings ein Ausbildungsplatz.

Hat Piazolo mit seinem Vorstoß in Bayern Erfolg, hält er die Zulassung von Minderjährigen auf anderen politischen Ebenen für denkbar. Für die Kommunalwahlen im nächsten Jahr sei laut Minister eine Änderung des Wahlrechts nicht realistisch, aber bis zur übernächsten Wahl 2026 solle die Reform „in trockenen Tüchern“ sein. Bis dahin können Jugendliche immerhin bei der U18-Wahl ihre Stimme abgeben – auch wenn ihr Kreuz nicht zählt.

Anja Schuchardt

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