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(GZ-22-2019)
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► Hemmschwelle gesunken:

 

Zielscheibe Kommunalpolitik

 

Globale Entwicklungen sind für Bürger oft nicht greifbar, deshalb trifft es Kommunalpolitiker immer häufiger: Sie werden zu Opfern von enttäuschten Bürgern, die ihnen Morddrohungen schicken, sie beleidigen oder sogar handgreiflich werden. Nach einer Umfrage des Bayerischen Städtetags hat bereits ein Drittel der kommunalen Mandatsträger im Freistaat Erfahrung mit Hassbotschaften und Gewalt gemacht. Das entscheidende Problem für die Kommunen ist dabei: Im Ort erleben Politiker oft keine Solidarität und geben ihre kommunalen Ämter deshalb auf. Grüne und SPD forderten im Innenausschuss mehr Beratungsstellen und Personal in der Justiz.

Im Rahmen einer Expertenanhörung hat sich der Innenausschuss mit der Bedrohungslage für Kommunalpolitiker in Bayern befasst, die sich in der vergangenen Zeit immer mehr verschärft hat. Detaillierte Statistiken liegen zwar gegenwärtig nicht vor, aber die Tendenz zunehmender Fälle ist alarmierend. Auslöser waren der Mordanschlag auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke sowie mehrere bekannt gewordene Mordandrohungen gegen Politiker und Fälle von Beleidigungen und tätlichen Übergriffen.

„Die Hemmschwelle ist gerade durch das Internet gesunken, auch Mitarbeiter in Rathäusern und Landratsämtern sind inzwischen betroffen“, berichtete Andrea Gehler vom Bayerischen Städtetag. Erschreckend sei, dass die Sprache verrohe und gerade Frauen immer häufiger sexistisch und extrem frauenfeindlich angegangen würden. Die Berliner Rechtsanwältin Dr. Saskia Ostendorff wies darauf hin, dass nicht nur Einzeltäter verantwortlich seien, sondern zunehmend systematisch über das Internet verbundene Gruppen. Sie sprach von einer Form der Organisierten Kriminalität.

Keine Solidarität

Hans-Peter Meyer vom Bayerischen Gemeindetag verwies auf das Gefühl der Ohnmacht vieler Betroffener. Zum einen erlebten diese im Ort oft kaum Solidarität, zum anderen würden die meisten Strafanzeigen im Sande verlaufen. „Wer Anzeige erstattet, erlebt oft, dass im Verfahren nichts herauskommt“, sagte Mayer. Silvia Kugelmann, Bürgermeisterin von Kutzenhausen im Landkreis Augsburg, die selbst Bedrohungen und Anfeindungen erlebt hat, sprach davon, dass die Übergriffe „zerstörend“ für die Psyche und Leistungsfähigkeit im Amt sei. „Das frisst einen auf“, sagte sie. Viele Betroffene fühlten sich weder wahr- noch ernstgenommen und überlegten, ihr kommunales Amt aufzugeben. Gehler und Mayer bestätigten diese Tendenz.

Unmut über Politik

Seitens der Wissenschaft wurden die Eindrücke der Kommunalpolitiker bestätigt. Rupert Grübl, Direktor der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, erklärte, man stelle eine „Verschiebung des Sagbaren“ fest. Kommunikationsregeln und der zivilisierte Umgang miteinander würden immer häufiger missachtet. Einer der Gründe sei laut Professor Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, ein „allgemeiner Unmut“ über Politik, der von Teilen des Parteienspektrums mit einer gezielten „Anti-Institutionen-Haltung“ noch verstärkt werde. Die Kommunalpolitik werde vor diesem Hintergrund zur Zielscheibe, weil sie im Gefühl der Ohnmacht gegenüber der globalen Entwicklung für den einzelnen Bürger greifbar sei.

Anzeige zur Prävention

Trotz der hohen Zahl an Verfahrenseinstellungen rieten die Experten den Kommunalpolitikern, verbale oder körperliche Übergriffe konsequent anzuzeigen. „Wir können nur aktiv werden, wenn die Fälle auch angezeigt werden“, erklärte der Leitende Oberstaatsanwalt Hans Kornprobst. Das Strafrecht leiste einen wichtigen Beitrag dazu, Anfeindungen zu bekämpfen. Petra Sandles, Vizepräsidentin des bayerischen Landeskriminalamts, sprach von der präventiven Wirkung einer Anzeige. Auch wenn es am Ende nicht zur Verurteilung eines Verdächtigen komme, schrecke oft schon der Besuch der Polizei und das Wissen, im Fokus der Ermittler zu stehen, vor weiteren Taten ab.

Als Hilfs- und Gegenmaßnahmen empfahlen die Experten Beratungsstellen für betroffene Kommunalpolitiker und die Sensibilisierung von Polizei und Justiz für die Tragweite und demokratiegefährdende Wirkung der Fälle. Auch eine intensivere politische Bildungsarbeit sei hilfreich, in der Meinungspluralismus und eine angemessene Diskussionskultur eingeübt werden müssten. Bürgermeisterin Kugelmann riet zur Entwicklung eines Leitfadens zum Umgang mit verbalen und körperlichen Übergriffen. Vertreter von Polizei und Justiz plädierten für mehr Personal zur Bearbeitung der Fälle. Zur Sprache kamen auch erweiterte Ermittlungsbefugnisse für die Sicherheitsbehörden vor allem zur Bekämpfung anonymer Hass-Postings im Internet sowie punktueller Verschärfungen im Strafrecht.

Grüne fordern Studie

Die Abgeordneten im Ausschuss stellten sich weitgehend hinter die Forderungen der Experten. Johannes Becher (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) plädierte für die Erhebung von aussagekräftigeren statistischen Daten und eine Studie zur Aufhellung des Dunkelfeldes. Einen „Schulterschluss der rechtstreuen Bürger“ gegen die Anfeindungen mahnte Alfred Grob (CSU) an. Sein Fraktionskollege Holger Dremel sprach sich für längere Speicherfristen von Internet-Verbindungsdaten aus, um die Urheber von Hass-Postings leichter aufspüren zu können. Richard Graupner (AfD) warnte dagegen vor einer „Einengung des Sagbaren im demokratischen Diskurs“, schloss sich aber den Aussagen an, nach denen zum Schutz der Kommunalpolitiker ein gesamtgesellschaftlicher Handlungsbedarf bestehe. Der kommunalpolitische Sprecher SPD-Landtagsfraktion Klaus Adelt forderte eine zentrale Anlaufstelle für Betroffene zu schaffen. Die SPD-Landtagsfraktion sehe es zudem als notwendig, in den Schulen durch verpflichtenden Sozialkundeunterricht über das Thema verstärkt aufzuklären. „Zudem brauchen wir mehr Personal in der Justiz, um Strafverfahren zu beschleunigen. Wir dürfen uns mit Gewalt, in welcher Form auch immer, nie und nimmer abfinden, sondern müssen ihr entschieden entgegentreten“, sagte Adelt.

Anja Schuchardt

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