Politikzurück

(GZ-22-2020)
gz landespolitik

► Expertenanhörung:

 

Kommunen lehnen mehrheitlich eigenständige Aufnahmepolitik ab

 

In einer von der SPD initiierten Expertenanhörung im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten des Bayerischen Landtags zum Thema Seenotrettung im Mittelmeer wurden Maßnahmen diskutiert, wie Mensch gerettet werden können und welche Rolle die Kommunen in Bayern in diesem Zusammenhang spielen. Der Sprecher der kommunalen Spitzenverbände plädierte dafür, Such- und Rettungsaktionen wieder stärker in staatlicher Verantwortung durchzuführen. Initiativen einzelner Kommunen lehnte er ab.

Derzeit wird auf verschiedenen Ebenen über ein verstärktes Engagement Deutschlands bei der Flüchtlingsaufnahme diskutiert. Dabei geht es um die Aufnahme von Flüchtlingen aus Lagern in Griechenland, ebenso wie um die Aufnahme von Personen, die aus Seenot gerettet wurden.

Etwa 20.000 Menschen sind Schätzungen zufolge seit 2014 bei ihrer Flucht über das Mittelmeer gestorben. Seenotrettung und Migration – aus Sicht der SPD-Fraktion sind die Themen so zentral, dass sich auch der Landtag damit befassen sollte. Sie setzt sich für eine staatlich organisierte Seenotrettung auf EU-Ebene ein und initiierte dazu eine Expertenanhörung mit Unterstützung der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen.

Die CSU sieht das Thema jedoch auf Ebene der Europa- und Außenpolitik und nicht auf Landesebene angesiedelt. Als Experte für die kommunale Ebene war Dr. Klaus Ritgen, Referent im Referat 21 des Deutschen Landkreistages, eingeladen.

Keine eigenständige Aufnahmepolitik

Eine Reihe von Städten sowie einige Landkreise und Gemeinden haben ihre Bereitschaft erklärt, weitere Flüchtlinge aufzunehmen; das gilt namentlich für diejenigen Kommunen, die der Aktion „Seebrücke“ beigetreten sind. Wenn einzelne Kommunen (oder auch Länder) erklärten, Geflüchtete auch jenseits existierender Verteilungsschlüssel aufnehmen zu wollen, stehe dem im Grundsatz nichts entgegen, sagte Ritgen.

Problematisch seien solche Erklärungen allerdings, wenn sie in inhaltlich bedingter Form ergehen, etwa auf besonders „erwünschte“ Flüchtlinge oder Flüchtlingsgruppen wie bspw. Familien mit Kindern oder Angehörige einer bestimmten Nationalität. So sei der Sinn von Verteilungsverfahren – nämlich die Herstellung von Belastungsgleichheit – gefährdet. Ritgen lehnte den Vorschlag ab, Kommunen eine eigenständige Aufnahmepolitik zu gestatten.

Die Auswirkungen einer Aufnahme von Flüchtlingen ließen sich nicht auf das Gebiet der aufnehmenden kommunalen Gebietskörperschaft beschränken, sondern würden Deutschland im Ganzen betreffen.

Pull-Faktoren verhindern

Hinzu komme, dass durch ein solches isoliertes Vorgehen einzelner Kommunen – dasselbe gelte für die Länder – das Signal gesendet werden könnte, Deutschland sei unbeschränkt zur Aufnahme sogenannter „Bootsflüchtlinge“ bereit. Damit würde ein weiterer Pull-Faktor geschaffen, obwohl es gerade das Ziel sein müsse, Flüchtlinge davon abzuhalten, das unkalkulierbare Risiko einer Überquerung des Mittelmeers auf sich zu nehmen.

Ritgen gab zu bedenken, dass Aufnahmeprogramme einzelner Landkreise, Städte oder Gemeinden auch den Zusammenhalt der Kommunen untereinander gefährden könnten. Daher sollten Such- und Rettungsaktionen wieder stärker in staatlicher Verantwortung durchgeführt werden sowie private und staatliche Stellen bei der Seenotrettung im Mittelmeer enger zusammenzuarbeiten.

Appell von Sea-Eye

Gorden Isler, Vorstand des Vereins Sea-Eye e.V., forderte hingegen direkte finanzielle Unterstützung – einerseits von der Staatsregierung selbst, andererseits könne sie die Grundlagen schaffen, damit Kommunen beispringen könnten. So haben die Stadt Konstanz, der Landkreis Konstanz, der Kreis Nordfriesland und die Gemeinde Schoneiche bei Berlin kommunale Patenschaften für das deutsche Rettungsschiff Alan Kurdi übernommen und fördern Sea-Eye mit Beträgen zwischen 1.500 Euro und 10.000 Euro pro Jahr. Neben finanzieller Hilfe für privat organisierte Seenotrettungsmissionen könnten sie seiner Ansicht nach auch die Aufnahme geretteter Menschen anbieten oder sogar einfordern.

Entwicklungsarbeit in den Gemeinden

Dr. August Hanning, ehemaliger BND-Präsident, appellierte, mit den nordafrikanischen Staaten enger zusammenzuarbeiten, um illegale Machenschaften zu verhindern.

Darauf bezog sich auch Christian Springer, Vorstand des Vereins Orienthelfer e.V.: „Allein in Syrien haben Menschen auf der Flucht in den vergangenen Jahren rund 40 Milliarden Euro in die Hand illegaler Schleuser gegeben“, zitierte er aktuelle Statistiken.

Er schlug vor, auch kommunale Lösungen in den Blick zu nehmen. Seine Entwicklungsarbeit basiere weitgehend auf kommunaler Entwicklungsarbeit und Engagement in den Gemeinden. Alle Ebenen europäischer Zusammenarbeit müssten gestärkt werden, besonders die unteren politischen Ebenen. Denn laut Springer bewegte die kommunale Zusammenarbeit oft weitaus mehr als bilaterale Abkommen.

Mehr Solidarität

Elena Lange-Bratanova, Referentin und Leiterin des operativen Teams in der Arbeitsgruppe M4 für Asylrecht und Asylverfahren des BMI, forderte die Solidarität von einem breiten Kreis aus Mitgliedstaaten. Sie empfahl zudem, die Verhandlung mit Entwicklungsländern wieder stärker zu führen, die geflüchtete Menschen wieder aufnehmen.

„Und wir brauchen vor allem eine Lösung für die Ausschiffung evakuierter Menschen. Darin sehe ich unsere Aufgabe im Bundesministerium.“ Karin Patock, Leiterin des Referats Resettlement, Humanitäre Aufnahme, Relocation im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, ergänzte: „Wir müssen legale Migrationswege stärker fördern, damit Menschen nicht den gefährlichen Fluchtweg über das Mittelmeer wählen.“

Reform des Asylsystems

Zu den Kernelementen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), das die EU-Kommission im September 2020 vorgelegt hat, zählen ein verpflichtender Solidaritätsmechanismus in Krisenzeiten, effizientere Grenzverfahren und Rückführungen, verstärkte Zusammenarbeit mit Drittstaaten, mehr legale Zugangswege und ein entschlossenes Vorgehen gegen Schleuser.

Johannes Schad, Sachbearbeiter in der Arbeitsgruppe M4 im Bundesinnenministerium, erläuterte, dass auch künftig in erster Linie jenes Land für die Bearbeitung der Asylanträge zuständig sei, in dem ein Asylbewerber zuerst den Boden der EU betrete. Was weiterhin dazu führe, dass einige Anrainerstaaten besonders betroffen seien.

In der geplanten Reform des Asylsystems sieht er eine Chance, eine europäische Lösung in der Migrationsfrage zu finden. Denn nach den Plänen der EU-Kommission soll ausnahmslos jeder Mitgliedsstaat verpflichtet sein, an diesem System mitzuwirken.

AfD-Experte abgelehnt

Die AfD hatte für die Anhörung – wie die anderen Fraktionen auch – einen Sachverständigen vorgeschlagen, der von der Mehrheit des Ausschusses abgelehnt worden war.

Die Begründung: Der vorgeschlagene Experte ist Vorsitzender eines Vereins, den das Bundesamt für Verfassungsschutz seit Juni 2020 als Verdachtsfall im Bereich des Rechtsextremismus einstuft.

Die AfD zog deshalb vor den Verfassungsgerichtshof, der den Erlass einer einstweiligen Anordnung aber ablehnte.

Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) erklärte, das Gericht habe in seiner Entscheidung die Rechtsauffassung des Landtags bestätigt. Es sei „nicht ausgeschlossen, dass ein Ausschuss eine von einer Fraktion vorgeschlagene Person mit einer sachbezogenen Begründung ablehnen kann“, hieß es in der Mitteilung des Gerichts.

„Dies gilt insbesondere, wenn diese einem Verein vorsteht, der vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall im Bereich des Rechtsextremismus eingestuft wird, um dieser Person kein Forum für etwaige extremistische Äußerungen in einem Landtagsausschuss zu bieten.“

 

 

Dieser Artikel hat Ihnen weitergeholfen?
Bedenken Sie nur, welche Informationsfülle ein Abo der Bayerischen GemeindeZeitung Ihnen liefern würde!
Hier geht’s zum Abo!

 

GemeindeZeitung

Politik

AppStore

TwitterfacebookinstagramYouTube

Google Play

© Bayerische GemeindeZeitung