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(GZ-5-2021)
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Klare Öffnungsperspektiven gefordert

 

Eine verbindliche Öffnungsperspektive, eindringliche Appelle zu mehr Gleichberechtigung und Chancengleichheit sowie zur Einberufung von Expertenrunden – Brandbriefe mit konkreten Forderungen in der Diskussion um die Möglichkeiten für Osterurlaub und die Beendigung des Lockdowns erreichen aktuell Ministerpräsident Markus Söder und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger. Unter den Absendern sind Bürgermeister, Verbände, Einzelhändler, Unternehmer und Landräte in ganz Bayern. Söder warnt hingegen vor überstürzter Hektik beim Tempo der Öffnungen und setzt auf einen „Sicherheitspuffer“ für Mutanten in der Corona-Strategie.

Ein Schreiben mit einer langen Unterschriftenliste für Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger übergab Michelaus 2. Bürgermeister Jochen Weber (re.) mit der Bitte um Weiterleitung an Landrat Christian Meißner. Bild: Landratsamt Lichtenfels / Heidi Bauer
Ein Schreiben mit einer langen Unterschriftenliste für Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger übergab Michelaus 2. Bürgermeister Jochen Weber (re.) mit der Bitte um Weiterleitung an Landrat Christian Meißner. Bild: Landratsamt Lichtenfels / Heidi Bauer


Der Lockdown trifft vor allem die Tourismusregionen in Bayern besonders hart. Sieben Bürgermeister aus tourismusgeprägten Gemeinden haben daher in einem Brandbrief an Ministerpräsident Markus Söder verbindliche Öffnungsperspektiven gefordert. An dem Schreiben beteiligten sich die Bürgermeisterin von Garmisch-Partenkirchen sowie die Bürgermeister von Oberstdorf, Schönau am Königssee, Berchtesgaden, Ramsau, Marktschellenberg, Bischofswiesen und der Verbandsvorsitzende des Zweckverbands Tourismusregion Berchtesgaden-Königsee.

Wie tief die Gemeinden in der Krise stecken, belegen die Bürgermeister im Brief mit aktuellen Zahlen: „Die touristischen Umsatzverluste in Oberstdorf bis Mitte März 2021 betragen rund 150 Millionen Euro. Nicht eingeschlossen sind die nicht getätigten Umsätze im Rahmen der FIS Nordischen Skiweltmeisterschaften Oberstdorf/Allgäu.

Beherbergungsbetriebe, Gaststätten, Einzelhandel und viele weitere Dienstleister gehen hier weitgehend leer aus – weil keine Zuschauer zugelassen sind. Allein in der Region Bergerlebnis Berchtesgaden und im Markt Garmisch-Partenkirchen gibt es rund 3.000 Beherbergungsbetriebe, in Oberstdorf stehen 16.000 Gästebetten zur Verfügung. Zwei Drittel dieser Betriebe sind nichtgewerbliche Privatvermieter oder Ferienwohnungsbesitzer, die aber, wie jeder andere Betrieb, Steuern und weitere Gebühren abführen müssen.“

Effiziente Hygienekonzepte

In ihrem Brief fordern die Bürgermeister die Staatsregierung dazu auf, „für einen raschen Vollzug der beschlossenen finanziellen Hilfen für die Unternehmen zu sorgen.“ Denn die touristischen Betriebe hätten in den Regionen verlässliche Hygienekonzepte entwickelt, die ihre Effizienz und Effektivität bereits beweisen konnten.

„Wir sind als Regionen grundsätzlich bereit, destinationsspezifische Gesundheits- und Hygienekonzepte mit entsprechenden Maßnahmen zur Prävention, als auch für das Management von Verdachtsfällen und bestätigten Covid-19 Fällen für unsere Destination systematisch und strukturiert auszugestalten. Dafür benötigen wir aber auch die Unterstützung der Bayerischen Landesregierung, indem beispielsweise die Kosten einer detaillierten Abwasseranalyse auf Coronaviren in allen touristischen Regionen übernommen werden“, appellieren die Bürgermeister im Brandbrief an den Ministerpräsidenten.

Lockerungen zu Ostern prüfen

Kritisch beurteilen die Bürgermeister eine Öffnung ausschließlich von Beherbergungsbetrieben. Sie geben zu bedenken, dass durch das Schließen von Ausflugszielen und der Gastronomie die Urlaubsregionen „stark an Attraktivität“ verlieren könnten. Außerdem befürchten sie eine Abwanderung von qualifiziertem Fachpersonal, wenn beliebte Reiseziele in unmittelbarer Umgebung von Bayern früher wiedereröffnen. Die Bürgermeister werben daher „mit fester Überzeugung und großem Nachdruck dafür, ernsthaft eine Lockerung aller Betriebe in der Beherbergung, Gastronomie und Freizeitwirtschaft zu Ostern 2021 zu prüfen.“

Kritik an Ungerechtigkeit

Die Bürgermeister der Tourismusregionen sind nicht die Einzigen, die einen Brandbrief an die Staatsregierung adressieren und auf diese Weise Öffnungsperspektiven einfordern. Auch Einzelhändler und Unternehmen in der Gemeinde Michelau in Oberfranken wandten sich Mitte Februar mit einer Unterschriftenliste an Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger.

„Eine derartige Ungleichbehandlung der kleinen Einzelhändler vor Ort gegenüber den großen Vollsortimentern ist nicht nachvollziehbar. Es kann nicht sein, dass große Discounter Nonfood-Artikel verkaufen dürfen, während die kleinen Geschäfte vor Ort geschlossen bleiben, obwohl sie Hygienevorschriften viel besser einhalten könnten. Durch die Verlängerung des Lockdowns wird diese Situation nochmals verschärft“, betonte Jochen Weber, der amtierende Zweite Michelauer Bürgermeister.

Er übergab Landrat Christian Meißner einen Brief und eine entsprechende Unterschriftenliste von Einzelhändlern und Unternehmern aus der Gemeinde Michelau zur Weiterleitung an den Bayerischen Minister Aiwanger.

Landrat Meißner zeigte Verständnis für den Unmut: „Die Unternehmen vor Ort stehen mit dem Rücken zur Wand – nicht zuletzt auch durch diese mehr als ärgerliche Regelung. Es lässt sich gut nachvollziehen, dass die Leute sauer sind. Hier muss seitens der Verantwortlichen in München und Berlin umgehend Abhilfe und mehr Gleichberechtigung geschaffen werden. Denn hier geht es um Existenzen!“

Appell nach Rundem Tisch

Auch der Verein zum Erhalt der bayerischen Wirtschaftskultur (VEBWK) hat sich mit einem offenen Brief an Aiwanger gewandt. Darin wird der Wirtschaftsminister aufgefordert, einen Runden Tisch mit Verbänden einzuberufen, um gemeinsam eine klare Öffnungsstrategie zu erarbeiten.

„Die Forderungen der ‚NoCovid‘-Bewegung sind definitiv nicht akzeptabel“, so VEBWK-Geschäftsführerin Dr. Ursula Zimmermann, „wir brauchen echte Perspektiven für die Bürger und Unternehmen!“ Anstatt die Maßnahmen weiterhin an willkürlich gewählte Inzidenzwerte zu koppeln, fordert der Verein, beispielsweise auch die Belegung von Intensivstationen, eine Inzidenz nach Risikogruppen, die Belastung des Gesundheitssystems sowie die Einbeziehung der Sterbefälle. Zudem sollen vulnerable Gruppen wie Bewohner von Alten- und Pflege-
heimen besser geschützt werden.

„Politik bricht Versprechen“

Der Unternehmer und CSU-Gewerbereferent Manfred Herz aus Gilching schrieb ebenfalls an Ministerpräsident Markus Söder. Darin warnte der Kreisrat vor einer „Corona-Pleitewelle im Einzelhandel“ und bedrohten Existenzen auch im Landkreis Starnberg – selbst bei Firmen, die vor der Pandemie solide und nachhaltig aufgestellt gewesen und nun durch den erneut verlängerten Lockdown in „Schieflage“ geraten seien.

Der monatelang angestrebte Inzidenzwert 50, bei dem es endlich Lockerungen hätte geben sollen, sei auf 35 herabgesetzt worden, schreibt Herz, der auch Vorsitzender der CSU-Mittelstandsunion im Landkreis ist. Damit habe die „Politik ohne Rücksicht auf breite Berufsgruppen ein Versprechen gebrochen“, was nicht die Spur von Verlässlichkeit zeige. Herz betont, dass die Hygieneauflagen natürlich zu beachten seien und soziale Kontakte reduziert werden müssten.

Aber man könne „nicht Zehntausenden von Einzelhändlern, Gastwirten und anderen Selbstständigen ihre Existenzgrundlagen und Perspektiven nehmen“. Der Geschäftsmann verlangt, verhältnismäßig und nach Grundsätzen der Gleichbehandlung zu handeln.

Er fordert Söder auf, zu erlauben, dass spätestens von Mitte März an die Gastronomie, kulturelle Einrichtungen und der Einzelhandel mit bewährtem Hygienekonzept wieder öffnen dürfen, damit eine Verödung und beispiellose Pleitewelle in der mittelständischen Wirtschaft verhindert wird.

Auch Christoph Winkelkötter von der Gesellschaft für Wirtschafts- und Tourismusentwicklung (GWT) Starnberg spricht von einer dramatischen Situation und einem weiteren „Nackenschlag“ für die Fachhändler, was der Service „Click and Collect“ nicht kompensieren könne. „Wir müssen es schaffen, ein Öffnungsszenario und einen Lockerungsplan zu entwickeln“, so Winkelkötter.

Sicherheit für Ostbayern

Landräte in den ostbayerischen Grenzregionen fordern mit einem Fünf-Punkte-Konzept mehr Sicherheit und Perspektiven für ihre Kreise. Im ganzen Land werde über Öffnungen gesprochen, solche Perspektiven wünschten sich die Landräte auch für ihre Regionen entlang der tschechischen Grenze, heißt es im Positionspapier zum Thema „Sicherheit und Perspektive für Ostbayern“. Die vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. begrüßt insbesondere den Vorschlag, tschechische Grenzpendler unabhängig von der Systemrelevanz und unter der Voraussetzung eines negativen Coronatests und weiterer Sicherheitsvorkehrungen in Ostbayern arbeiten zu lassen.

Söder fordert Sicherheitspuffer

Nach Ansicht von Ministerpräsident Söder müsse die künftige Corona-Strategie von Bund und Ländern jedoch auch einen Sicherheitspuffer für Virusvarianten beinhalten.

„Wir dürfen nicht die Nerven verlieren. Wir brauchen ein nachvollziehbares Konzept, das sowohl bei besser werdenden Inzidenzen Öffnungen vorsieht, aber auch die Möglichkeit der Sicherheit bietet, wenn es schlechter wird“, sagte der CSU-Chef am 26.02. der Deutschen Presse-Agentur in München. Am 3. März will die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) über das weitere Vorgehen in der Pandemie beraten.

„Die Beschlüsse der MPK dürfen keine Einbahnstraße nur für Öffnungen sein, sondern sie müssen auch einen Sicherheitspuffer für den Fall haben, dass es durch die Mutationen schlechter werden wird“, betonte Söder.

Deswegen dürfe es keine überstürzte Hektik beim Tempo der Öffnungen geben. Diese müssten „in vernünftigen und belastbaren Schritten“ erfolgen. Zudem forderte Söder auch für Deutschland ein „Schnelltestkonzept“, das langfristig trägt und in der Praxis umsetzbar ist.

Dabei ist entscheidend zu klären, wie viele Schnelltests in kürzester Zeit für Deutschland mobilisierbar sind“, sagte er.

 

 

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