Der Landtag stimmte im Mai 2018 der Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) mit den Stimmen der CSU-Mehrheit zu. Doch das neue PAG bleibt auch nach der von der Staatsregierung eingeleiteten Präzisierung und Entschärfung an mehreren Punkten in Politik und Fachwelt umstritten. Das wurde bei einer Expertenanhörung im Ausschuss für Kommunale Fragen, Innere Sicherheit und Sport deutlich. Der Großteil der Experten forderte Verbesserungen. Im Zentrum der Kritik stand das unklare Handlungskriterium der „drohenden Gefahr“, sowie die Tatsache, dass Menschen zwei Monate lang in präventivem Gewahrsam behalten werden dürfen. Ebenfalls in der Diskussion: der Einsatz von Bodycams bei Polizeieinsätzen.
Klare Definition gefragt
„Es ist schwer zu sagen, wo die Grenze zwischen Sicherheit und Überwachung liegt. Wie sollen die Polizeibeamten im Einsatz die unklaren Unterschiede zwischen drohender und konkreter Gefahr unterscheiden?“, fragte Christoph Degenhart, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Leipzig. Den unklar definierten Fall der „drohenden Gefahr“, der Polizisten dazu berechtigen soll, die Staatsgewalt physisch oder durch Überwachung auszuüben, nahmen auch die anderen Experten in den Blick.
Ralf Poscher, geschäftsführender Direktor in der Abteilung Öffentliches Recht des Max-Planck-Instituts, kritisierte, dass die drohende Gefahr „nicht auf abstrakten Beurteilungen und vagen Einschätzungen beruhen“ dürfe. Drohende Gefahr herrscht laut aktuellem PAG, wenn „das Verhalten einer Person oder Vorbereitungshandlungen und andere Indizien“ einen „Angriff von erheblicher Intensität oder Auswirkung“ erwarten lassen.
Dazu meinte Poscher: „Jede Gefahr, auch die drohende Gefahr, muss nach den viel klareren Kriterien der konkreten Gefahr definiert werden. So ist die Verantwortlichkeit stets gesichert. Drohende Gefahr sollte außerdem nur zu weiteren Nachforschungen berechtigen.“
Handlungsspielraum für Polizei
Unterstützung für die Gesetzesnovelle kam vom Bayreuther Rechtsprofessor Markus Möstl. Er erklärte, die Einführung der Kategorie der „drohenden Gefahr“ als Rechtfertigung für polizeiliche Präventivmaßnahmen stehe auf „verfassungsrechtlich gesichertem Boden“.
Es handle sich dabei nicht um eine von der konkreten Gefahr abgegrenzte Kategorie, sondern um einen „Grenzfall der konkreten Gefahr“. Als Fürsprecher äußerte sich Martin Wilhelm, Polizeivizepräsident des Polizeipräsidiums Unterfranken:
„Muss denn immer erst etwas passieren, bevor die Polizei handelt?“ Er bedauerte, dass das neue Gesetz in seinen Regelungen zu Eigentumsdelikten und Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sogar weniger scharf gefasst wurde als vorher, „denn häusliche Gewalt und Einbruch sind häufige Einsätze“. Thomas Hampel, Polizeipräsident im Polizeipräsidium München, bestätigte, dass größerer Handlungsspielraum für die Polizei von den Bürgern erwartet werde.
„Drohende Gefahr, das sind ausgesprochene Drohungen gegen mögliche Opfer oder auch Chats, die Straftaten vermuten lassen. Die Polizei muss hier handlungsfähig sein.“ Kyrill-Alexander Schwarz, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Würzburg beurteilte das PAG als gelungen:
„Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen neueren Entscheidungen den Begriff der drohenden Gefahr übernommen, ohne verfassungsrechtliche Bedenken zu äußern.“ Außerdem habe der Gesetzgeber politische Gestaltungsfreiheit.
Mehr Bürgerrechte
Laut Innenminister Joachim Herrmann werde das neue PAG nicht nun bei der drohenden Gefahr transparenter und verständlicher. Auch die Regelungen zum gerichtlichen Verfahren seien künftig an zentraler Stelle in einem neuen Abschnitt im Gesetz zusammengefasst. So finden sich dort künftig beispielsweise eine Zusammenfassung der gesetzlich vorgesehenen Richtervorbehalte sowie zentrale Regelungen für richterliche Entscheidungen und Rechtsmittel, beispielsweise zur Einlegung einer Rechtsbeschwerde.
Der Ausbau der Rechtsschutzmöglichkeiten für Bürger zeigt sich nach Herrmanns Darstellung auch an anderer Stelle: Bei DNA-Untersuchungen und für die spätere Nutzung von Aufzeichnungen bei einem Einsatz von Body-Cams in Wohnungen werden zusätzliche gerichtliche Kontrollen verpflichtend eingeführt. Außerdem wird die maximale Gewahrsamsdauer auf höchstens zwei Monate verkürzt und bei einem längerfristigen Gewahrsam von Amts wegen ein Rechtsanwalt beigeordnet. Darüber hinaus wird der Schutz für Opfer von Straftaten durch Datenübermittlungssperren verbessert.
Rechtsbeistand gewährleisten
Mit dem Thema der anwaltlichen Unterstützung im Fall des vorbeugenden Gewahrsams befasste sich Karl Huber, ehemaliger Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs und frü-
herer Vorsitzender der Expertenkommission zur Begleitung des neuen PAG. Ein Monat vorbeugender Gewahrsam mit richterlicher Verlängerungsoption solle erlaubt sein. Doch spätestens nach 48 Stunden in der Zelle müsse dem Verdächtigen ein Rechtsbeistand gestellt werden, meinte Huber, „und zwar ohne die Option des Verzichts, da sonst so manchem Betroffenen Angst durch den Kostenfaktor gemacht wird.“
Huber merkte auch an, dass im neuen PAG nicht alle Vorschläge der beratenden Expertenkommission übernommen worden seien. „Es wird spannend, wie nun die Gerichte urteilen werden. Immerhin geht es bei den kritischen Punkten um Maßnahmen an Menschen, die keine Straftat begangen haben“, sagte er.
Pandemie verändert Haltung
Mehrere Experten forderten zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit eine „Gesamtüberwachungsrechnung“. Die Bürger müssten wissen, wann und wo sie überwacht würden. Franz Lindner, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Augsburg, hatte die von Corona traumatisierten Bürger im Blick. „Frühere Gegner des PAG verlangen plötzlich schärfere Gesetze, die Diskussion um das PAG zum jetzigen Zeitpunkt ist schwierig. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Kommission aus der Zivilgesellschaft den Prozess begleiten sollte.
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