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(GZ-4-2022)
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► Herrmann: Verfassungsrechtliche Garantien / Bürgerliche Demonstranten

 

Umgang mit Corona-Spaziergängen

In den vergangenen drei Monaten haben Demonstrationen gegen die verordneten Corona-Maßnahmen rasant zugenommen. Laut Innenminister Joachim Herrmann (CSU) handele es sich dabei um Menschen aus dem bürgerlichen Milieu; lediglich bei knapp sieben Prozent der Versammlungen wurden Extremisten gesichtet. Der Minister informierte die Mitglieder des Innenausschusses im Bayerischen Landtag über das Corona-Versammlungsgeschehen und appellierte an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sich an die demokratischen Spielregeln zu halten und Proteste vorher anzumelden. Er erläuterte zudem, wie Kommunen gegen „Corona-Spaziergänge“ rechtlich einschreiten können. Die Abgeordneten forderten in diesem Zusammenhang Unterstützung für kleine Kommunen.

Seit November 2021 stieg die Zahl der Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen in ganz Deutschland exponentiell an. Allein am 24. Januar hätten in Bayern 160 Protestaktionen stattgefunden, berichtete Innenminister Joachim Herrmann (CSU) dem Innenausschuss im Landtag. „Neben den Verschärfungen der Infektionsschutzbestimmungen mobilisiert vor allem die mögliche Einführung einer Impfpflicht die Menschen massiv.“ Dagegen auf die Straße zu gehen, sei das verfassungsrechtlich garantierte Recht der Bürgerinnen und Bürger. Allerdings gibt es laut Herrmann klare Regeln. So müssten Demonstrationen vorher angemeldet werden. Was allerdings nicht bedeute, dass unangemeldete Versammlungen automatisch immer unzulässig seien.

Soziale Medien unterstützen „Corona-Spaziergänge“

Ein neues Phänomen seien laut Herrmann die sogenannten „Corona-Spaziergänge“, zu denen sich teilweise mehrere hundert Menschen spontan über die sozialen Medien verabreden würden. Dies seien auch politische Versammlungen – egal, wie es die Betroffenen deklarieren. Das sehe auch das Bundesverfassungsgericht so. „Dabei werden oftmals Corona-Regeln wie Mindestabstände oder die Maskenpflicht missachtet und Einsatzkräften gegenüber sehr aggressiv aufgetreten“, sagte Herrmann.

Betroffen seien besonders München und Schweinfurt. Kommunen könnten in solchen Fällen mit einer Allgemeinverfügung Einschränkungen bei Ort, Zeit oder Teilnehmerobergrenzen erlassen. Dies sei aber nur möglich, wenn konkrete Gefahr drohe, mahnte der Minister zur Sachlichkeit.

Mehr Unterstützung für Kommunen

Stefan Schuster (SPD) beklagte in diesem Zusammenhang, dass die Kommunen beispielsweise in Erding unangemeldete Montagsspaziergänge von Kritikern mit 900 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gewähren ließen, während angemeldete Gegenveranstaltungen – wie die zur Erinnerung an die 152 Erdinger- Pandemie-Opfer – ausweichen mussten. „Ich könnte mir vorstellen, dass kleine Kommunen bei einer Allgemeinverfügung überfordert sind“, sagte Schuster und bat um Unterstützung durch das Innenministerium.

Über 1.000 Veranstaltungen mit Corona-Bezug

Die meisten Veranstalter verhielten sich laut dem Innenminister gesetzeskonform. So sei es auch bei der Demonstration mit 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Dezember in Nürnberg gewesen. „In der Regel finden sie einvernehmliche Lösungen mit Polizei und Kommunen.“ Das Teilnehmerfeld sei überwiegend aus dem bürgerlichen Milieu und friedlich.

Eine Sonderauswertung des Bayerischen Verfassungsschutzes von 1011 Veranstaltungen mit Corona-Bezug zeige, dass „vergleichsweise wenig“ Extremisten beteiligt waren. Lediglich bei 6,7 Prozent der Demonstrationen seien Rechtsextremisten, Reichsbürger, Selbstverwalter oder Personen mit demokratiefeindlichen Bestrebungen gesichtet worden. Besonders aktiv sei die Kleinpartei „Der Dritte Weg“, aber auch eine neue Gruppierung aus Nordbayern.

Diskussion um Impflicht

Eine Prognose über die zukünftige Entwicklung der Demonstrationen wollte Innenminister Herrmann nicht abgeben. Das hänge von der Entwicklung der Impfpflicht ab. Aktuell hätten sich die Proteste auf einem hohen Niveau verstetigt. „Bei einer Einführung ist aber durchaus eine Steigerung zu erwarten“, sagte er. Polizei und Verfassungsschutz würden sich auf alle denkbaren Maßnahmen vorbereiten.

Allerdings räumte er ein, dass die Sicherung der Versammlungen ein „gigantischer Personalaufwand“ sei. Es hätten zwischen den Jahren sogar schon Polizeibeamte aus dem Weihnachtsurlaub zurückgerufen werden müssen.

Hohes Gut der Versammlungsfreiheit

Katharina Schulze (Bündnis 90/Die Grünen) betonte in der anschließenden Aussprache das hohe Gut der Versammlungsfreiheit. „Auch in einer Pandemie muss Kritik an der Regierung auf der Straße öffentlich gemacht werden können.“ Teile der Szene würden sich aber radikalisieren.

Schulze warf Herrmann vor, diese Tatsache zu lange ignoriert zu haben, obwohl sie seit Mai 2020 bekannt sei. Daher brauche es jetzt mehr Polizeipersonal, damit die Beamtinnen und Beamten von den Demonstranten nicht „überrannt“ würden.

Demokratie muss Proteste aushalten

Alfred Grob (CSU) berichtete, dass es in vielen kleinen bayerischen Städten mehrmals pro Woche zu unangemeldeten Spaziergängen mit über 1.000 Demonstranten käme. „In der überwiegenden Zahl sind diese ohne Beanstandung verlaufen.“ Auch in seiner Heimatgemeinde habe es seit Wochen keine Ausschreitung gegeben. Solche Proteste müsse eine wehrhafte Demokratie aushalten. Die Grenze sei erreicht, wenn Kinder als Schutzschilde missbraucht würden und den Einsatz der Polizei behinderten.

Extremistische Einzelfälle

Richard Graupner (AfD) mahnte bei den Allgemeinverfügungen zu mehr Augenmaß, um das Versammlungsrecht weiterhin zu gewährleisten. „Wenn der Kommune und der Polizei wie in Schweinfurt bekannt ist, dass 5.000 Teilnehmer kommen, braucht es keinen Organisator mehr“, sagte er. Ausschreitungen durch Extremisten nannte er „Einzelfälle“. Die meisten Demonstranten seien gewöhnliche Menschen aus dem Einzelhandel, der Pflege oder der Kultur.

Spielregeln einhalten

Alexander Muthmann (FDP) nannte es ein wesentliches Grundrecht, sich zur gemeinsamen Meinungsäußerung zusammenzufinden. Er appellierte aber an die Veranstalter, sich an die Spielregeln der Demokratie zu halten. „Dass Spaziergänge wegen mancher Exzesse in Misskredit geraten sind, ist auch für die, die sich friedlich versammeln wollen, ein Problem.“ Muthmann hofft, dass die Polizei durch die Einsätze nicht an anderen Stellen zurückstecken muss.

Lob für Verfassungsschutz

„Die Zahlen zeigen, dass die meisten Versammlungen friedlich verlaufen“, resümierte Wolfgang Hauber (Freie Wähler). Er schlug vor, die Personen, die zu nicht angemeldeten Versammlungen aufrufen, offiziell als Ansprechpartner zu werten. Hauber lobte den Blick des Bayerischen Verfassungsschutzes auf die Beteiligung von Extremisten. Viele Eltern nähmen ihre Kinder mit auf die Demonstrationen. „Bei friedlichen Versammlungen ist das kein Problem, aber wenn mit Gewalt zu rechnen ist, ein großes.“

 

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