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(GZ-18-2022)
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► Energieministertreffen in Hannover:

 

Aiwanger präsentiert Zehn-Punkte-Plan

Ganz im Zeichen der Energiepreiskrise stand das jüngste Treffen der Länderenergieminister in Hannover. Sie forderten die Bundesregierung einstimmig auf, zeitnah ein Modell zur Begrenzung von Energiepreissteigerungen für Gas, Strom und Wärme auf Grundlage europäischer Vereinbarungen zu entwickeln, beispielsweise eine Energiepreisdeckelung. Zudem soll es Hilfen für Stadtwerke geben.

Hubert Aiwanger. Bild: StMWi
Hubert Aiwanger. Bild: StMWi

Um den Ausbau Erneuerbarer Energien weiter zu beschleunigen und insbesondere die Akzeptanz für den Ausbau zu erhöhen, verständigten sich die Energieminister darauf, dass der Bund die finanzielle Beteiligung der Kommunen nach Möglichkeit verbindlicher gestalten soll. Demnach soll die Bundesregierung prüfen, ob die kommunale Beteiligung am Ausbau von Windenergie- und Freiflächen-Photovoltaikanlagen über das Erneuerbare-Energien-Gesetz bundesweit verpflichtend gestaltet werden könnte.

Existenzkrise

Bayerns Energieminister Hubert Aiwanger warnte, die aktuelle Energiekrise sei für viele Unternehmen längst eine Existenzkrise und das wirtschaftliche Überleben eine Frage von wenigen Wochen. Schon jetzt hätten Betriebe ihre Produktion um bis 15 bis 20 Prozent gedrosselt. Noch vor Weihnachten müssten entweder die Strom- und Gaspreise spürbar gesenkt werden oder der Staat übernehme einen Teil der Kosten. Ansonsten werden diese Unternehmen dichtmachen. „Deshalb muss jetzt vom Bund schnellstmöglich ein durchdachtes Hilfsprogramm auf den Weg gebracht werden mit dem Ziel, dass Energie wieder bezahlbar und Schäden für die Wirtschaft minimiert werden. Gas einsparen, indem ganze Branchen ihre Produktion herunterfahren ist keine seriöse Energiepolitik.“

Stresstest-Ergebnisse

Gesprächsthema waren auch die Ergebnisse des so genannten Stresstests. Aiwanger zufolge „müssen wir auch bei der Kernenergie alle Register ziehen und eine zeitliche begrenzte Laufzeitverlängerung ermöglichen. Die drei verbliebenen Kernkraftwerke können entscheidend sein, um die prognostizierten Versorgungslücken in Höhe von 91 Stunden zu überbrücken. Ich bin überzeugt: Wäre Isar 2 ein Kohlekraftwerk mit derselben Leistung, würde es weiter am Netz bleiben.“

Maßnahmenpaket

Konkret fordert Bayerns Energieminister von Bund und Europäischer Union folgendes Maßnahmenpaket:

1. Biogas-Potenzial ausschöpfen: Die geplanten Erleichterungen bei der Höchstbemessungsleistung für Biogasanlagen und bei den Vorgaben zum Gülleanteil gehen nicht weit genug. Die Änderungen zur Höchstbemessungsleistung müssen für die gesamte Biomasse und auch für Biomethan gelten. Sie erzeugen Strom, Wärme und Gas, die wir im kommenden Winter dringend benötigen. Zudem müssen die starren Vorgaben zur Vergärungsdauer mit 150 Tagen im gasdichten System aufgehoben werden, unabhängig von Einsatzstoff oder Einsatzstoffgemisch. Für eine erhöhte Strom- und Wärmeerzeugung müssen zudem die Genehmigungsregeln im Bundesimissionsschutzrecht angegangen werden.

2. Mehr Photovoltaik-Stromerzeugung und Wertschöpfung vor Ort ermöglichen: Bei Agri-PV wird eine Länderöffnungsklausel für eine bauplanungsrechtliche Privilegierung nach § 35 Absatz 1 BauGB sowie ein separates Ausschreibungssegment in den EEG-Ausschreibungen benötigt. Auch müssen die zu niedrigen Fördersätze und zu strengen Fördervorgaben bei Parkplatz-PV und Floating-PV ein Ende haben, um den Markthochlauf anzuschieben. Um die Akzeptanz vor Ort zu stärken, sind eine Verdoppelung der Kommunalbeteiligung von 0,2 auf 0,4 ct/kWh und die Einführung bundeseinheitlicher Regelungen zur direkten Bürgerbeteiligung ratsam. Mit Blick auf PV-Dachanlagen sind die zeitnahe Umsetzung der vom Bundesfinanzministerium angekündigten steuerrechtlichen Vereinfachungen sowie die Prüfung weitergehender Anpassungen etwa für gewerbliche Anlagen erforderlich. Zudem soll der Bund dringend das in Bayern bestens bewährte PV-Speicherprogramm auf nationaler Ebene auflegen, mit dem in Bayern 100.000 Speicher und Dachanlagen angeschoben wurden.

3. Versorgungssicherheit durch Atomkraft verbessern, Planungssicherheit für die Laufzeitverlängerung schaffen: Die „Einsatzreserve“ ist keine Lösung und verunsichert Bürger und Unternehmen. In der aktuellen Lage ist eine sofortige Änderung des Atomgesetzes für die Laufzeitverlängerung die einzig sinnvolle Lösung. Die Bestellung neuer Brennstäbe ist wegen einer Lieferzeit von ca. zwölf Monaten schnell geboten, um auch die Stromversorgung im Winter 2023/24 abzusichern.

4. Investitionen in gesicherte Leistungskapazitäten und Speicher ermöglichen: Der Verzicht auf die Brückentechnologie Erdgas erfordert den Aufbau diversifizierter und flexibler Kraftwerksleistungen, die zu jeder Stunde des Jahres einsatzbereit ist. Bestehende Kraftwerke müssen beispielsweise für den künftigen Einsatz von Wasserstoff bereitgemacht werden. Beim Ausbau der Speicherkapazitäten können Pumpspeicherwerke die Hauptrolle spielen. Hierzu müssen die Rahmenbedingungen verbessert werden, damit diese in die Rentabilität und damit Umsetzung kommen.

5. Fuel-Switch von Unternehmen ermöglichen und finanziell fördern: Unternehmen müssen in der Lage sein, möglichst schnell, rechtssicher und rentabel von Gas auf andere Energieträger umzustellen, falls dies technisch möglich ist. Eventuelle Kostenmehrungen müssen vom Bund gefördert werden. Die notwendigen Anpassungen im Immissionsschutzrecht will der Bund nun endlich angehen. Die Formulierungshilfe für einen entsprechenden Gesetzentwurf greift viele Themen aus der bayerischen Bundesratsinitiative auf. Wichtig ist jetzt, dass das Gesetz möglichst schnell verabschiedet wird. Entscheidend und sicherheitsrelevant für die Genehmigung von LPG-Flüssiggastanks oder auch Heizöltanks ist die fachtechnische Prüfung. Was beim Aufbau der LNG-Terminals möglich war, muss der Bund auch auf andere Verfahren übertragen.

Wasserstofftankstellen ausbauen

6. Ausbau der Wasserstofftankstellen intensivieren: Der Bund muss den Wasserstofftankstellenausbau für Pkw und Nutzfahrzeuge sowie für Elektrolyseure flächendeckend durch kontinuierliche Förderungen unterstützen und bestehende Mittel dafür aufstocken. Deutschland ist von einer flächendeckend verfügbaren Infrastruktur noch meilenweit entfernt. Mit seinem Förderprogramm für Wasserstofftankstellen für Nutzfahrzeuge hat Bayern dieses Problem bereits in Angriff genommen.

7. Bundesweite WasserstoffInfrastruktur ausbauen: Die Planungen für den Aufbau eines Wasserstoffleitungsnetzes im Rahmen der Bundesförderung werden sich nur auf den Norden und Westen Deutschlands konzentrieren. Das zeigt der aktuelle Wasserstoffbericht der deutschen Fernleitungsnetzbetreiber. Bayern und der ganze süddeutsche Raum dürfen nicht abgehängt werden. EU und Bund müssen jetzt endlich dafür sorgen, dass der Aufbau eines europäischen Netzes flächendeckend und zügig beginnen kann. Solange die Netzbetreiber keine Investitionssicherheit haben, werden auch keine Pipelines gebaut oder umgerüstet. Es ist weltfremd und kontraproduktiv, wenn die jetzigen Betreiber der Erdgasnetze nicht auch die künftigen Wasserstoffnetze betreiben dürfen, wie es die EU derzeit vorsieht.

Geothermie fördern

8. Geothermie fördern und Wärmenetzförderung deutlich aufstocken: Die neue Bundesförderung für effiziente Wärmenetze ist ein wichtiger Schritt für deren Dekarbonisierung. Jetzt muss das Programm mit deutlich mehr Mitteln als bisher ausgestattet werden, um Wärmenetze und Wärmeverbundleitungen flächendeckend in Deutschland auszubauen. Da der Umbau mehrere Jahrzehnte erfordert, ist die Programmlaufzeit der Förderprogramme deutlich zu verlängern. Allein in Bayern könnten 25 Prozent des Wärmebedarfs durch Geothermie bereitgestellt werden. Die Regierung ist aufgefordert, die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen und zu prüfen, ob und wie eine sog. Fündigkeitsversicherung eingeführt werden kann. Eine solche bundesweite und staatliche Versicherung gegen Erschließungsrisiken kann der Geothermie zum Durchbruch verhelfen.

9. Investitionsbedingungen für Pumpspeicher verbessern: Pumpspeicher sind heute die einzige nennenswerte und bewährte Großspeichertechnologie für elektrische Energie und liefern einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit. Unter den aktuellen Marktbedingungen sind sie aber praktisch nicht wirtschaftlich zu betreiben, weshalb der Bund die Bedingungen für Investitionen in Pumpspeicherkraftwerke deutlich verbessern muss. Vor allem ist das Vergütungssystem des Strommarktes so zu reformieren, dass sich die Leistungen von Pumpspeicherkraftwerken wie Bereithaltung, Netzdienlichkeit und Kaltstartfähigkeit bei Stromausfällen am Markt endlich rentieren. Bayern hätte knapp 20 gute Standorte für Pumpspeicher.

Stromsteuer auf europäisches Mindestmaß senken

10. Strompreise schnell und unbürokratisch senken: Stromsteuer und die Energiesteuern auf Heizöl und Erdgas müssen noch in diesem Jahr auf das europäische Mindestmaß gesenkt werden. Dasselbe gilt für die Mehrwertsteuersätze auf Sprit, Erdgas, Strom und Fernwärme. Steigende Übertragungsnetzentgelte müssen durch Bundeszuschüsse reduziert werden. Darüber hinaus muss endlich ein Industriestrompreis eingeführt und ein umfangreicher, unbürokratischer Carbon-LeakageSchutz sichergestellt werden. Es gilt, einen grundsätzlichen Kurswechsel einzuleiten, weg von politisch gewollten, aber ruinösen hohen Energiepreisen hin zu bezahlbaren Energiepreisen. Sonst fährt die Bundesregierung die Wirtschaft und Gesellschaft an die Wand.

DK

 

 

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