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(GZ-19-2022)
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► Bayerns Gesundheits- und Pflegeminister Klaus Holetschek:

 

Lauterbach muss GKV-Gesetz rasch korrigieren

Gipfeltreffen des bayerischen Gesundheitsministers mit hochrangigen Vertretern des deutschen Gesundheitswesens in München

Bayerns Gesundheits- und Pflegeminister Klaus Holetschek pocht gemeinsam mit hochrangigen Vertretern des deutschen Gesundheitswesens auf Korrekturen am geplanten GKV-Finanzstabilisierungsgesetz der Bundesregierung.

Klaus Holetschek. Bild: stmgp
Klaus Holetschek. Bild: stmgp

Der Minister traf sich in München mit dem Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Gassen, dem Präsidenten der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, dem Präsidenten der Bayerischen Landeszahnärztekammer und Vorstand der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns, Christian Berger, dem Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, Roland Engehausen, dem Vorsitzenden des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie, Dr. Hans-Georg Feldmeier, dem Vorsitzenden des Bayerischen Apothekerverbands, Dr. Hans-Peter Hubmann, dem Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, Dr. Wolfgang Krombholz, sowie der Vizepräsidentin der Bayerischen Landesapothekerkammer und des Verbands Freier Berufe Bayern, Franziska Scharpf.

Untragbarer Entwurf

Holetschek betonte nach dem Treffen im bayerischen Gesundheitsministerium: „Wir sind uns einig: Der bisherige Entwurf von Karl Lauterbach ist nicht tragbar. Der Bundesgesundheitsminister muss die Kritik und Vorschläge aus den Reihen der Verbände und der Länder ernst nehmen.“ Gemeinsam müsse man eine langfristige Lösung finden. Die Pandemie habe deutlich gezeigt, wie wichtig ein stabiles Gesundheitssystem für eine funktionierende Gesellschaft ist. Dabei sei die gesetzliche Krankenversicherung die Basis unseres Gesundheitssystems. „Eine stabile Finanzierung ist das A und O! Das Gebot der Stunde muss Stabilisierung sein – nicht Destabilisierung.“

Holetschek erinnerte daran, dass Lauterbach versprochen hat, dass die Versicherten keine Leistungskürzungen befürchten müssten. Deshalb sei an der Neupatientenregelung festzuhalten, bei der Ärzte die Behandlung neuer Patienten außerhalb der Gesamtvergütung – also ohne Budgetierung – abrechnen können. „Die geplante Streichung der Neupatientenregelung wird die Wartezeiten in den Arztpraxen eher noch erhöhen“, prognostiziert der Minister. Im zahnärztlichen Bereich müssten die geplanten Regelungen zur Rationierung der gerade erst aufgenommenen Parodontitistherapie gestrichen werden.

Der Minister kritisierte zudem dass der Gesetzentwurf vorsieht, dass nur noch bestimmte Berufsgruppen in der Pflege in Krankenhäusern durch die Kostenträger vollständig refinanziert werden. Dies werde aber die große Belastung der Pflegekräfte nicht lindern, sondern sogar weiter verschärfen.

Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, ist froh, dass dieses breite Bündnis zustande gekommen ist. Auch er sprach sich für den Erhalt der Neupatientenregelung aus. Sogar Lauterbach selbst habe sich 2019 für diese Regelung eingesetzt. Würde sie jetzt gestrichen, wäre die Folge ein enormer Vertrauensverlust bei den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen. „Wir brauchen sichere und verlässliche politische Rahmenbedingungen, keine willkürlich anmutenden Schnellschüsse“, so Gassen.

Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, fürchtet, dass durch die jetzt geplante Rücknahme der Neupatientenregelung der Patientenversorgung rund 400 Millionen Euro fehlen werden. „Diese Honorarkürzungen für Ärztinnen und Ärzte sind nichts anderes als Leistungskürzungen für Patientinnen und Patienten durch die Hintertür. Statt undurchdachter Rotstiftpolitik zur kurzfristigen Stabilisierung der Kassenfinanzen brauchen wir nachhaltige, strukturelle Reformen bei der Krankenkassenfinanzierung. Dazu gehört eine dauerhafte Anhebung und Dynamisierung des Bundeszuschusses an den Gesundheitsfonds zum Ausgleich der versicherungsfremden Leistungen.“ Für denkbar hält Reinhardt, dass Teile der Einnahmen aus der Alkohol- und Tabaksteuer als zweckgebundene Abgabe für die GKV-Finanzierung herangezogen werden. „Zur Entlastung der Kassen muss der Bund endlich seiner Verantwortung gerecht werden und die Gesundheitsversorgung von ALG-II-Empfängerinnen und -Empfängern kostendeckend refinanzieren.“ Wenn der Gesetzgeber den Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel von jetzt 19 Prozent auf sieben Prozent reduzieren würde – so wie schon jetzt bei Grundnahrungsmitteln und Tierarzneimitteln – wären die Krankenkassen um rund sechs Milliarden Euro pro Jahr entlastet und das gesamte System nachhaltig stabilisiert.

Christian Berger, Vorsitzender des Vorstands der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns, wertet das geplante GKV-Finanzstabilisierungsgesetz als „Frontalangriff auf die zahnärztliche Patientenversorgung“.

Der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, Roland Engehausen, sorgt sich um die Finanzen der Krankenhäuser: „Der wirtschaftliche Druck im Gesundheitswesen ist jetzt schon enorm. Die vom Bundesgesundheitsminister geplante Kürzung von 20.000 Stellen im Krankenhaus für unterstützende Tätigkeiten für die Pflege am Patientenbett würde ausgerechnet dort den Fachkräftemangel nochmals dramatisch verschärfen. Auch die geplante, massive Kürzung der GKV-Rücklagen würde die Probleme weiter zuspitzen, weil die Krankenkassen den Druck an das Gesundheitswesen weitergegeben würden. Dies muss verhindert werden.“

Dass explodierende Energie- und Rohstoffpreise sowie fragile Lieferketten die deutsche Pharmaindustrie außerordentlich stark belasten, berichtete Dr. Hans-Georg Feldmeier, Vorsitzender des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie. „Wir sind der einzige Industriezweig, der Kostensteigerungen nicht an anderer Stelle refinanzieren kann. Dazu kommen weitere Sparpläne aus dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz. Damit gefährdet der Bundesgesundheitsminister den Pharmastandort Deutschland und ein sichere Arzneimittelversorgung. Das Gesetz muss daher dringend angepasst werden!“

Planungssicherheit und angemessene Vergütungsanpassung

Dr. Hans-Peter Hubmann, 1. Vorsitzender des Bayerischen Apothekerverbandes e. V., ergänzte: „Wir weisen die neuen Sparpläne der Bundesregierung an der lokalen Arzneimittelversorgung scharf zurück und fordern stattdessen Planungssicherheit und eine angemessene Vergütungsanpassung aufgrund drastisch gestiegener Kosten. Die Apotheken vor Ort haben bewiesen, dass sie für ein krisenfestes Gesundheitswesen unverzichtbar sind. Das muss politisch jetzt endlich honoriert werden.“

Wortbruch der Berliner Politik

Dr. Wolfgang Krombholz, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, ergänzte: „Die angedrohte Rücknahme der Neupatientenregelung hat das Fass für die bayerischen Praxen zum Überlaufen gebracht. Nicht nur dieser Wortbruch der Berliner Politik sorgt für Frust: Auch das unangemessen niedrige Honorarplus, das weder die Inflation noch die explodierenden Energie- und Personalkosten in den Praxen ausgleichen wird, ein EBM, der zur Zwangsjacke der vertragsärztlichen Versorgung geworden ist, sowie eine fehleranfällige Telematikinfrastruktur, die wertvolle Zeit für die Patientinnen und Patienten kostet, sind Motivationskiller für die Praxen und alle ihre Mitarbeitenden, denen weiterhin ein staatlicher Coronabonus vorenthalten wird. Dies gefährdet nachhaltig die ambulanten Versorgungsstrukturen in Bayern.“

Unprofessionelles Spargesetz

Dr. Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, unterstrich: „Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ist ein unprofessionell gestricktes Spargesetz. Die Streichung der Neupatientenregelung muss rückgängig gemacht werden. Wir brauchen Gesetze, die nachhaltig die GKV stabilisieren und von versicherungsfremden Leistungen befreien.“

Franziska Scharpf, Vizepräsidentin der Bayerischen Landesapothekerkammer, kritisierte: „Durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz werden die Anstrengungen der Apotheken, die seit Jahren einen enormen Beitrag in der Solidargemeinschaft und im Gesundheitswesen leisten, zunichtegemacht. Es verschärft die angespannte personelle und wirtschaftliche Situation der Apotheken, nachdem auch seit Jahren keinerlei Honoraranpassungen von Seiten der Politik erfolgten. Höhere Tariflöhne, steigende Energiekosten und die allgemeine Inflation bedeuten enorme finanzielle Belastungen für die Apotheken, die nicht einfach an Patientinnen und Patienten weitergegeben werden können. Dadurch werden voraussichtlich weitere Apotheken schließen müssen, wodurch sich die wohnortnahe Arzneimittelversorgung verschlechtern würde.“

Gesundheitssystem muss zuverlässig funktionieren

Holetschek warnte dringend: „Die Menschen müssen sich in diesen turbulenten Zeiten zumindest auf ein funktionierendes Gesundheitssystem verlassen können. Es kann nicht sein, dass sie in unserem Land noch weiter finanziell belastet werden und sich gleichzeitig ihre medizinische Versorgung in vielen Bereichen verschlechtert.“

Holetschek forderte zugleich mehr Tempo bei den von Lauterbach angekündigten neuen Vorschlägen. „Nicht nur die GKV-Finanzen sind kritisch. Wir brauchen auch einen Schutzschirm gegen die steigenden Energiekosten. Klar ist auch: Die Unterstützung muss schnell und unbürokratisch kommen“, so Bayerns Gesundheitsminister.

Versorgungs-Blackout droht

Holetschek fügte hinzu: „Bayern setzt sich bereits seit Wochen dafür ein, dass die Bundesregierung die immer stärkere finanzielle Belastung der Krankenhäuser, Reha- und ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen auffängt. Deswegen haben wir auch eine entsprechende Bundesratsinitiative wegen der außerordentlichen Steigerungen bei Energie- und Sachkosten gemeinsam mit Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein eingebracht. Ich fordere Bundeskanzler Olaf Scholz dazu auf, bei der Ministerpräsidentenkonferenz endlich ein Entlastungspaket für diese Einrichtungen vorzulegen – sonst sehe ich einen Blackout der Versorgung auf uns zukommen.“

 

 

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