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(GZ-20-2022)
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► Flüchtlingsgipfel in Berlin:

 

Kommunen am Anschlag

Angesichts steigender Flüchtlingszahlen haben sich Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen in Berlin zum „Flüchtlingsgipfel“ getroffen. Wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser betonte, gehe es in der aktuell sehr angespannten Situation darum, „wie wir unsere Hilfe für Geflüchtete bestmöglich koordinieren - gerade mit Blick auf die Wintermonate, die vor uns liegen“.

Von Jahresbeginn bis September haben nach Angaben des Bundes fast 135.000 Menschen einen Erstantrag auf Asyl gestellt und damit knapp 35 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Zudem müssen Flüchtlinge aus der Ukraine untergebracht werden, die ohne Visum einreisen können und für einen legalen Aufenthalt keinen Asylantrag stellen müssen.

Auf allen Ebenen unseres Staates Großartiges geleistet

Gemeinsam hätten die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland viele Menschenleben gerettet, erklärte Faeser mit Blick auf die Solidarität mit den Geflüchteten aus der Ukraine, die sich vor Putins Angriffskrieg in Sicherheit bringen mussten. „Wir haben seit Kriegsbeginn mehr als eine Million Menschen in Deutschland aufgenommen und versorgt, hier wird auf allen Ebenen unseres Staates Großartiges geleistet“, so die Ministerin. Die Bundesregierung stehe eng an der Seite der Kommunen, denn sie trügen die Hauptlast dieses Kraftakts und kämen an die Grenzen ihrer Kapazität.

Neben den bereits bereitgestellten Unterbringungsmöglichkeiten für mehr als 64.000 Menschen in Bundesimmobilien habe die Bundesregierung den Kommunen weiteren Wohnraum für etwa 4.000 Menschen angeboten. Dabei handelt es sich beispielsweise um Kasernen oder leerstehende Bundesverwaltungsgebäude. Auch finanziell könnten die Kommunen weiterhin auf Hilfe vom Bund bauen: Im November ist laut Faeser ein Treffen von Bundeskanzler und Ministerpräsidenten zur weiteren Finanzierung der Flüchtlingskosten geplant, dort werde man weitere Unterstützung vereinbaren.

Anstieg bei unerlaubten Einreisen

Neben den Asylanträgen ist in den vergangenen Monaten auch die Zahl unerlaubter Einreisen gestiegen. Zusätzlich zur großen Fluchtbewegung aus der Ukraine kommen derzeit auch über das Mittelmeer und die Balkanroute wieder erheblich mehr Menschen nach Europa. „Das macht mir Sorge, hier müssen wir klar für eine Begrenzung sorgen“, unterstrich Faeser. Deutschland werde daher die Grenzkontrollen an der Grenze zu Österreich verlängern. Die Bundespolizei kontrolliere außerdem verstärkt über die sogenannte Schleierfahndung an der Grenze zu Tschechien. Sie stehe dazu in engem Austausch mit den europäischen Partnern, versicherte die Ministerin. Dabei gehe es vor allem um die Visaerleichterungen der serbischen Regierung und einen verstärkten Einsatz von Frontex.

„Unsere Kommunen sind bei der Unterbringung am Anschlag“, unterstrich der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. Die Zugangszahlen nach Bayern sowohl von Asylsuchenden als auch von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine lägen in diesem Jahr mit weit mehr als 200.000 Personen bereits jetzt über dem Niveau von 2016.

Obgleich auf allen Ebenen der Flüchtlingsaufnahme die Kapazitäten seit Monaten massiv ausgeweitet wurden, kämen die Aufnahmesysteme zusehends an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit. Die Alarmsignale seien nicht zu übersehen. Herrmann bekräftigte, dass alle Anstrengungen unternommen würden, um diejenigen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, angemessen unterzubringen und zu versorgen. Dennoch müsse anerkannt werden, dass Aufnahmekapazitäten nicht beliebig hochgefahren werden können, sondern es sich sowohl bei Wohnraum als auch bei Personal um endliche Ressourcen handle.

Bundesregierung setzt falsche Signale

Herrmann kritisierte in diesem Zusammenhang, dass die Bundesregierung angesichts der ohnehin bereits hohen Zugangszahlen völlig falsche Signale setze, wenn sie weiter zusätzliche Aufnahmeprogramme starte oder weitere Fehlanreize setze, wie bei der Reform des Bürgergeldes oder der Einführung des Chancen-Aufenthaltsrechts. „Am Ende führt das zu einer Überlastung der Kommunen und zu einer Überforderung unserer Sozialsysteme. Im Übrigen warten wir immer noch darauf, dass der Bund endlich seiner Finanzierungsverantwortung im Bereich Asyl und Integration gerecht wird. Das betrifft sowohl die ungedeckten Kosten im Ukraine-Kontext wie auch die bislang fehlenden inhaltlichen Aussagen zu einer künftigen Bundesbeteiligung an den flüchtlingsbezogenen Kosten sowie den Aufwendungen für Integration.“ Auch warte man immer noch auf die von der Bundesregierung schon vor Monaten angekündigte Rückführungsoffensive. „Obwohl vollmundig angekündigt, ist hier praktisch noch überhaupt nichts passiert.“

Landkreistag verlangt umgehende Lösungen

Auch der Deutsche Landkreistag forderte umgehende Lösungen ein. Präsident Landrat Reinhard Sager sagte: „Die Landkreise brauchen mehr Unterstützung bei der Unterbringung, sowohl von den Ländern als auch vom Bund. Die Aussagen der Bundesinnenministerin zur beabsichtigten Begrenzung der Zuwanderung über die Balkanroute sind sehr zu begrüßen. In der aktuellen Situation geht es nicht nur um unzureichende Kapazitäten in Aufnahmeeinrichtungen, um mangelnden Wohnraum und um fehlende Plätze in Kindergärten, Schulen oder Integrationskursen. Vielmehr stehen auch die Integrationsfähigkeit und der gesellschaftliche Zusammenhalt auf dem Spiel.“

Sager zufolge ist zu erwarten, dass sich das Fluchtgeschehen während der Wintermonate weiter intensiviert. „Feldlager oder Turnhallen sind keine Ideallösung, wenn Herbst und Winter kommen. Die Entwicklung hängt für die Ukraine zumindest auch davon ab, in welchem Umfang es gelingt, im Land selbst winterfeste Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus liegen Berichte vor, wonach in der Türkei der Druck auf dort ansässige Flüchtlinge aus Syrien wächst, die deshalb ebenfalls eine Flucht nach Europa in Betracht ziehen.“

Es gehe darum, das Ankunftsgeschehen zu begrenzen und zu steuern. „Die Situation in den Landkreisen ist vielerorts mittlerweile untragbar und spitzt sich weiter zu, die Unterbringungsmöglichkeiten gehen zur Neige. Deshalb bedarf es sowohl einer stärkeren europäischen Steuerung und Verteilung auf EU-Ebene als auch zum Beispiel einer Begrenzung von Flüchtlingsbewegungen z. B. aus Serbien, die über Österreich und Tschechien Deutschland erreichen“, so der DLT-Präsident.

Außerdem bekräftigte Sager die kommunale Forderung, dass der Bund alle flüchtlingsbedingten Mehrkosten tragen müsse: „Das betrifft vor allem die Wohnkosten für anerkannte Flüchtlinge, die der Bund ab Jahresbeginn vollständig übernehmen muss, wie es bis Ende 2021 schon der Fall war. Auch die Gesundheitskosten für Flüchtlinge belasten die Kommunen stark.“

In einem eindringlichen Appell an Bund und Länder riefen auch Deutscher Städtetag und DStGB dazu auf, mehr Verantwortung angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen zu übernehmen und mehr Kapazitäten für die ankommenden Menschen zu schaffen. Wie der Vizepräsident des Deutschen Städtetages, Oberbürgermeister Burkhard Jung aus Leipzig, hervorhob, müssten bereits jetzt einige Städte auf Turnhallen und andere Notunterkünfte zurückgreifen. Auch steige die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge.

DStGB: Gemeinsames Vorgehen von Bund, Ländern und Kommunen

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund mahnte ein gemeinsames Vorgehen von Bund, Ländern und Kommunen an. Wichtig sei nun eine rasche Verständigung über Lösungen für die sich abzeichnenden Herausforderungen in den Kommunen. Dazu zählten die Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten, wobei zur Errichtung notwendiger Unterkünfte auch Ausnahmen im Baurecht unumgänglich seien, sowie eine gesicherte und gerechte Verteilung der Flüchtlinge, auch der aus der Ukraine, zwischen den Bundesländern und innerhalb der Kommunen. Auch sei eine EU-weite Verteilung sicherzustellen.

Für abgelehnte Asylbewerber müsse, wie im Koalitionsvertrag angelegt, eine Rückführungsoffensive vorangebracht werden. Asyl- und Einwanderungsrecht dürften nicht vermischt werden. Neben der weiteren Förderung von Sprachkitas sei eine deutlich bessere Finanzausstattung vonnöten, gerade der Kommunen, die die Hauptlast der Unterbringung, Versorgung und Integration tragen. Aus Sicht des DStGB muss diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe von Bund und Länder auskömmlich und nachhaltig finanziert werden. „Der Bund muss auch weiterhin die Unterkunftskosten anerkannter Flüchtlinge zu 100 Prozent übernehmen.“

DK

 

 

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