Politikzurück

(GZ-14-2024 - 18. Juli)
gz landespolitik

► Bayerischer Landtag:

 

Aktuelle Stunde zum Wehr- und Sozialdienst

 

In einer aktuellen Stunde im Bayerischen Landtag wurde das Thema „Für das Gemeinwohl: Verteidigungsfähigkeit herstellen – soziales Engagement stärken“ kontrovers diskutiert. In der Debatte um die Wiedereinführung von Wehr- und Sozialdienst wollen die Freien Wähler ihre Pläne für ein verpflichtendes „Gemeinschaftsjahr“ mehrheitsfähig machen. Die CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag plädiert für eine bundesweit verpflichtende „Gesellschaftszeit“ für Männer und Frauen und verabschiedete dazu eine Resolution.

Grundsätzlich soll die verpflichtende Gesellschaftszeit ein Jahr betragen, wobei es flexible Modelle geben soll. Damit sollen verschiedene Lebensentwürfe abgedeckt werden, um jungen Menschen ein möglichst breites Spektrum an Auswahlmöglichkeiten anzubieten.

Finanzieller Ausgleich

Der Vorschlag der CSU-Fraktion enthält zudem einen angemessenen finanziellen Ausgleich sowie pädagogische und fachliche Begleitung. Mögliche Einsatzorte könnten zentrale Bereiche des Gemeinwesens wie Kirchen, Hilfs- und Blaulichtorganisationen, soziale Einrichtungen und Sportvereine sein. Zudem müsse der Bund im Haushalt 2025 die nötigen Weichenstellungen vornehmen, damit bis zur Schaffung der notwendigen Strukturen für eine verpflichtende Gesellschaftszeit schon heute mit dem schrittweisen Aufwuchs der Plätze für die bestehenden Freiwilligendienste begonnen werden kann.

„Eine neu gestaltete Wehrpflicht für Männer und Frauen soll eine von mehreren Möglichkeiten sein, die verpflichtende Gesellschaftszeit abzuleisten“, heißt es weiter. Zuvor ist angedacht, die Aussetzung der Wehrplicht stufenweise zurückzunehmen.

Engagieren sich junge Menschen während der Schul- und Studienzeit oder während der Ausbildung über einen längeren Zeitraum für das Gemeinwohl, sollen davon mehr profitieren, zum Beispiel durch zertifizierte Aus- und Fortbildungen und die verstärkte Vergabe der Bayerischen Ehrenamtskarte an Nicht-Vereinsmitglieder. Darüber hinaus wird ein bayernweiter Informations- und Aktionstag für Schülerinnen und Schüler zum Thema Ehrenamt und Freiwilligendienste erwogen.

Mehr tun als die Pflicht

„Unsere Gesellschaft lebt von Menschen, die mehr tun als ihre Pflicht. Das Engagement dieser Bürgerinnen und Bürger macht das Leben in Bayern so lebenswert. Wir spüren jedoch, dass die Überzeugung, das Gemeinwesen aktiv mitgestalten zu wollen, nachlässt. Gleichzeitig müssen wir unsere Prioritäten aufgrund der Bedrohung durch Russland anders setzen. Eine Politik, niemandem etwas abzuverlangen, wird nicht mehr funktionieren“, bekräftigte CSU-Fraktionsvorsitzender Klaus Holetschek.

Der Staat sind wir alle

„In Zeiten äußerer Bedrohung durch einen Aggressor darf, ja muss es mehr Zumutungen geben. Denn der Staat sind wir alle und er kann nur erfolgreich funktionieren, wenn die große Mehrheit ihn und seine Werte trägt und sich beteiligt, die Herausforderungen gemeinsam zu meistern“, urteilte der Fraktionschef. Eine verpflichtende Gesellschaftszeit sei eine Antwort auf die große Sorge vieler Menschen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Bestehende Hürden wie zu niedriges Taschengeld oder fehlende Teilzeitoptionen ließen sich beseitigen. „Wir sind offen für eine breite Debatte zur Ausgestaltung einer Gesellschaftszeit.“

Wir müssen zusammenhalten

„Wir sind eine Gesellschaft, wir müssen alle zusammenhalten“, unterstrich der erste stellvertretende FW-Fraktionsvorsitzende Bernhard Pohl. Gerade der russische Angriffskrieg in der Ukraine habe gezeigt, „dass wir wieder stärker werden müssen – nach außen wie nach innen“. Das von den Freien Wählern favorisierte verpflichtende Gemeinschaftsjahr solle für Männer wie Frauen gelten und als „Teil gelungener Integration“ auch Migranten mit unbefristetem Bleiberecht einbeziehen. Die zum Dienst verpflichteten jungen Menschen hätten dabei die Wahl, ob sie bei der Bundeswehr dienen oder sich sozial engagieren wollen.

Dramatischer Personalmangel

„In Anbetracht des dramatischen Personalmangels in der Pflege ist es umso wichtiger, junge Menschen für soziale Berufe, insbesondere auch in der Pflege, zu interessieren und so die Bereitschaft für das Ergreifen eines Pflegeberufs zu wecken“, führte Fraktionskollege Thomas Zöller aus. Gleichzeitig könne ein gemeinnütziges Jahr das gute Gefühl vermitteln, eine sinnstiftende Tätigkeit zu leisten und zum Gemeinwohl beizutragen.

Laut AfD-Fraktionsvize Martin Böhm fällt Verteidigungsfähigkeit nicht vom Himmel, sondern fängt in den Köpfen der Menschen an. „Doch was sind die schönsten und blumigsten Appelle wert, wenn die gesellschaftlich herrschenden Kräfte das angebliche Ziel in der Praxis permanent unterminieren?“, fragte Böhm.

Die richtigen Weichenstellungen im Bund

Verteidigungsfähigkeit bedeute auch, im Bund die richtigen Weichenstellungen vorzunehmen. Die vom Bundeskabinett im Juni 2023 beschlossene Nationale Sicherheitsstrategie sei zu spät gekommen und es habe eine entscheidende Komponente, nämlich eine parallele wirtschaftspolitische Strategie für den Rüstungsstandort Deutschland, gefehlt. „Unsere Militärtechnik, unsere Waffen und die Ausrüstung für unsere Soldaten sind aus deutschen und europäischen Quellen zu beschaffen, nicht aus Übersee“, betonte Böhm.

Florian Siekmann (Bündnis90/Die Grünen) übte Kritik an der Idee eines Pflichtjahres. Jetzt junge Menschen zu Diensten zu verpflichten, um politische Fehler bei der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr oder bei der Nachwuchsgewinnung in sozialen Berufen auszumerzen, nannte der Politiker zynisch. Die Lebenszeit junger Menschen dürfe nicht zur politischen Verfügungsmasse erklärt werden. Ohnehin wäre die Bundeswehr derzeit bei einer Rückkehr zur Wehrpflicht überfordert, was unter anderem an den fehlenden Ausbildungskapazitäten liege.

Neuer Wehrdienst

Mit dem von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius vorgelegten Plan zur stufenweisen Einführung eines neuen, auf Freiwilligkeit beruhenden Wehrdienstes, stimmte Parteigenosse Markus Rinderspacher überein. Mehr sei mit den aktuellen Strukturen der Bundeswehr derzeit nicht umsetzbar. Nach seiner Auffassung müssten auch die Sozialdienste freiwillig bleiben. Eine einjährige Pflicht für alle würde den Fachkräftemangel verschärfen, zudem sei in sozialen Berufen mehr ausgebildetes Personal und keine möglicherweise unmotivierten Pflichtdienstleister erforderlich.

Laut einer aktuellen Studie des ifo Instituts für das Bundesministerium der Finanzen könnte die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland gesamtwirtschaftliche Kosten in Milliardenhöhe verursachen. Die Studie untersucht die Kosten der Wehrpflicht in drei Szenarien. Betrifft die Wehrpflicht einen gesamten Jahrgang (100 Prozent), wäre mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung (Bruttonationaleinkommen) um 1,6 Prozent oder knapp 70 Milliarden Euro zu rechnen.

Falls ähnlich wie bei der alten Wehrpflicht knapp ein Viertel eines Jahrganges eingezogen würde, könnte die Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent oder 17 Milliarden Euro zurückgehen. Werden nur 5 Prozent eines Jahrganges eingezogen (ähnlich wie in Schweden), beträgt der Rückgang 0,1 Prozent oder 3 Milliarden Euro. „Eine Wehrpflicht im Rahmen eines sozialen Pflichtjahres würde jährlich wirtschaftliche Kosten verursachen, die in etwa so groß sind, wie die Mittel aus dem Verteidigungshaushalt und dem Sondervermögen Bundeswehr im Jahr 2024 zusammen “, erläuterte ifo-Militärexperte Marcel Schlepper. Die Kosten entstünden vor allem, weil junge Menschen erst später beginnen, Humankapital und Vermögen aufzubauen. „Als Alternative zur Wehrpflicht wäre es sinnvoller, die Bundeswehr mit mehr Mitteln auszustatten, um sie als Arbeitgeber attraktiver zu machen.

Höhere Gehälter

Denkbar wäre, den Wehrdienstleistenden höhere Gehälter zu bezahlen“, hob ifo-Forscher Panu Poutvaara, Leiter des ifo Zentrums für Internationalen Institutionenvergleich und Migrationsforschung, hervor. Dies würde zwar den Staatshaushalt stärker belasten, die gesamtwirtschaftlichen Kosten fielen aber um fast die Hälfte geringer aus als bei der Wehrpflicht: 37 statt 70 Milliarden Euro (im 100-Prozent-Szenario), 9 statt 17 Milliarden Euro (im 25-Prozent-Szenario) und 2 statt 3 Milliarden Euro (im 5-Prozent-Szenario). Die militärischen Fähigkeiten der Bundeswehr würden bei der Marktlösung in jedem Szenario im gleichen Maße wie bei der Wehrpflicht wachsen. Die Kosten einer Wehrpflicht wären zudem nicht gleichmäßig in der Gesellschaft verteilt, sondern fielen primär bei den Wehrpflichtigen selbst an.

DK

 

Dieser Artikel hat Ihnen weitergeholfen?
Bedenken Sie nur, welche Informationsfülle ein Abo der Bayerischen GemeindeZeitung Ihnen liefern würde!
Hier geht’s zum Abo!

 

GemeindeZeitung

Politik

AppStore

TwitterfacebookinstagramYouTube

Google Play

© Bayerische GemeindeZeitung