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(GZ-10-2021)
Gastbeiträge

► Aus Tradition:

 

Nachhaltige Finanzwirtschaft – aber mit Sinn und Verstand

 

Von Prof. Dr. Ulrich Reuter, Präsident des Sparkassenverbands Bayern

Auch wenn noch immer nicht für jeden von uns offensichtlich – der Handlungsdruck angesichts des Klimawandels steigt in allen Bereichen der Gesellschaft gewaltig. Der Prozess des Umdenkens hat längst begonnen und das Ziel ist kein geringeres als die Lebensgrundlagen der Menschheit zu bewahren. Es wird für uns noch spürbarer, seit Brüssel die Ampel auf Veränderung geschaltet hat und 2019 den „Green Deal“ ausgerufen hat. In den kommenden Jahren muss erheblich mehr Kapital in nachhaltige Investitionen fließen als bisher, damit die ehrgeizigen Ziele erreicht werden können: Die EU will Klimaneutralität bis 2050 erreichen. Staaten, Unternehmen und institutionelle Anleger, private Investoren und Geldanleger sowie nicht zuletzt Kreditinstitute sollen nun gemeinsam dazu beitragen, die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft in Europa voranzutreiben.

Prof. Dr. Ulrich Reuter. Bild: Sparkassenverband Bayern
Prof. Dr. Ulrich Reuter. Bild: Sparkassenverband Bayern

Über die Offenlegung von Umwelt- und Klimarisiken in Wertschöpfungsketten und klare Vorgaben will Europa nachhaltige Investitionen steigern. Diese ganzheitliche Betrachtungsweise bezieht also konsequent auch uns Finanzdienstleister mit in das Vorhaben ein.

Aus der Logik des Systems: Kreditinstitute verfügen über gleich mehrere Hebel, um den Plan in die Fläche zu bringen – wenn man also Umweltrisiken in sämtliche Anlage- und Kreditvergabeprozesse miteinbezieht, so könnten nachhaltige Investitionen enorm beschleunigt werden.

Gesetzespakete im Werden

Mit dem „Action Plan on Sustainable Finance” hat die EU-Kommission bereits 2018 eine umfangreiche Gesetzesinitiative gestartet, mit der die Nachhaltigkeit im Finanzwesen und in der Unternehmensführung eingefordert werden soll. Er nimmt jetzt immer mehr konkrete Gestalt an, im März ist gerade die europäische Offenlegungsverordnung als einer von vielen Bausteinen in Kraft getreten. Eine europäische Sustainable Finance Strategie steht vor der Tür, eine deutsche wurde gerade von der Bundesregierung vorgelegt.

Geplant ist ein logisches System – mit dem Kapitalströme in ganz Europa gelenkt werden, Nachhaltigkeit ein Teil des Risikomanagements wird und alle Marktteilnehmer (in der EU!) nach einer gemeinsamen Taxonomie transparent darlegen, wo sie bis wann die vorgegebenen Standards erfüllen. Viele Player sollen sich hier gegenseitig stimulieren.

Hoher Druck für Banken als Transmissionsmechanismus

Das Vorhaben wirkt zunächst stringent und eindeutig. Allerdings sollte die Politik bedenken, dass Kreditinstitute zwar eine bedeutende Rolle für die Transformation zu einer klimafreundlichen und nachhaltigen Wirtschaft spielen, vor allem aber die Realwirtschaft den Ausschlag für die klimaschonende Anpassung der Produktionsprozesse und Produkte gibt. Bereits jetzt ballen sich die bürokratischen Herausforderungen aus den Regelwerken – besonders für kleine und mittelgroße Kreditinstitute als Kreditgeber der mittelständischen Unternehmen: Enorm umfangreiche Definitions- und Dokumentations- und Berichtspflichten, neue Anforderungen an das Risikomanagement und den dazugehörigen enormen Personalaufwand.

Denn die Aufsicht – EZB und BaFin – gibt eine wirklich neue Marschrichtung vor, die erst einmal verarbeitet werden muss. Der begonnene Transformationsprozess der Finanzwirtschaft betrifft fast alle Unternehmensbereiche, von der Kundenberatung über die Kreditvergabe bis zur Banksteuerung. Um die neuen Berichts- und Offenlegungspflichten zu implementieren benötigen alle Institute ausreichend Zeit. Der politische Druck führt derzeit dazu, dass die Regelwerke in hohem Tempo konkretisiert werden.

Erneut fehlende Proportionalität

Die resultierende Umsetzungsvielfalt und kurze Umsetzungsfristen bereiten mit Blick auf Kapazitäten und Budgets allen Kreditinstituten bzw. Unternehmen Sorge. Zu wenig Differenzierungen nach Risiko- und Größenordnung der einzelnen Institute führen beim Aufbau der neuen internen Systeme aber erneut zu unverhältnismäßig hohen Belastungen der kleinen Häuser.

Regionalinstitute wie die Sparkassen müssen sich in weiten Teilen genauso wie Großbanken nach den neuen Standards ausrichten und ihre Geschäftsprozesse anpassen. Wichtig wären hier angemessene, ggf. sogar gestaffelte Umsetzungsfristen, orientiert am Geschäftsvolumen und damit am Einfluss auf die Nachhaltigkeit sowie an der Leistungsfähigkeit.

Die Last des Umbaus darf nicht auf der untersten Ebene der Finanzwirtschaft abgeladen werden. An dieser Stelle sei mir eine Analogie zur Finanzkrise und der daraus folgenden Regulierungswelle erlaubt: Damals waren die Sparkassen nicht Verursacher, sondern anerkannt ein stabilisierender Faktor in der Krise – und doch haben sie regulatorisch eine ähnliche Zeche bezahlt wie Großbanken.

In der Nachhaltigkeitsdiskussion gehören die Sparkassen erneut nicht zu den Playern, die kurzfristige, gesellschaftsschädigende Entwicklungen vorangetrieben haben. Es wäre also mehr als nur angemessen, ihre Belastung aus der Umsetzung der neuen Regelwerke zu relativieren und zeitlich zu strecken.

Sparkassen: Aus Tradition nachhaltig

Gerade in kritischen Zeiten wie der Niedrigzinsphase oder in der aktuellen Pandemie-Situation zeigen Sparkassen ihre regionale Stärke. Sie sind keine „normalen“ Banken. Sie gehören nicht renditeorientierten Anteilseignern, sondern werden von den örtlichen Kommunen getragen und gehören damit den Bürgern. Für sie erfüllen die Sparkassen nachhaltig und gemeinwohlorientiert ihren Auftrag zur stabilen finanzwirtschaftlichen Versorgung ihrer Heimatregionen.

Das ist ihre soziale und gesellschaftliche Verantwortung neben den ökonomischen Notwendigkeiten. Damit sind die Sparkassen seit ihrer Gründung vor rund 200 Jahren nachhaltig im Rahmen der ESG-Kriterien.

Mit ihrer breit getragenen Selbstverpflichtung für klimafreundliches und nachhaltiges Wirtschaften bekennen sie sich heute außerdem zum aktiven Einsatz gegen den Klimawandel und achten zunehmend auf Nachhaltigkeitsaspekte in Produkt- und Risikosteuerung.

Die Sparkassen wollen ihren Beitrag zu gesellschaftlichen Aufgaben leisten, so wie sie es seit 200 Jahren tun. Als Kreditinstitute liegt ihre ureigene Aufgabe allerdings in der Versorgung der Menschen und Unternehmen in ihren Geschäftsgebieten mit Finanzdienstleistungen.

Kreditwirtschaft als Hebel?

Natürlich ist es gangbar, im Einsatz gegen den Klimawandel auch die Hebel von Geldpolitik, Kapitalmarkt und Bankenaufsicht zu nutzen. Vorrangige Aufgabe von Institutionen der Geldpolitik ebenso wie von Banken und Sparkassen ist aber gerade derzeit eine andere:

Wir brauchen z.B. eine stabile Finanzpolitik als Rahmen für eine solide Kreditversorgung von Mittelstand und Bürgerschaft während der Pandemie-Zeit und danach. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu früh zu viel zur gleichen Zeit wollen. Auch der Grundsatz ‘ein Ziel – eine Politik‘ sollte nicht vergessen werden, wenn wir wirksam unterschiedliche Ziele in Einklang bringen wollen.

Mithilfe der Kreditvergabe Klimaziele erreichen zu wollen bedeutet, politische Maßnahmen nicht direkt am Problem anzusetzen, sondern über Bande zu spielen. Zielgerichtete Regulierung müsste aber direkt, klar und angebotsorientiert sein.

Ein kleiner regulatorischer Exkurs: Die Vorreiterrolle der EU in Ehren – aber wäre es nicht sinnvoller, die Taxonomie-Verordnung als globales Instrument zu etablieren? Europäische Unternehmen bzw. ganze Industriezweige würden sonst im weltweiten Wettbewerb übermäßig mit Dokumentations- und Berichtspflichten belastet, die weder den realen Umbau hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft vorantreiben noch Marktvorteile schaffen.

Kein zahnloses Bürokratie-Monster schaffen

Im Umbau der gesamten Volkswirtschaft Europas zu mehr Nachhaltigkeit spielen die Finanzinstitute letztlich nur eine mittelbare Rolle. Damit sie aber auch in Zukunft ihre Leistungsfähigkeit – gerade in der durch die EZB geschaffenen Negativzinsumgebung – erhalten können, dürfen sie und ihre Kunden jetzt nicht in den Kampf mit dem nächsten „Bürokratie-Monster“ geschickt werden. Für Anleger sind zuletzt mit MiFid II Dokumentations-Orgien ausgelöst worden, die unsere Kunden als Be- statt Entlastung empfunden haben. Hier noch eine Schippe – wohl eher eine Tonne – Papier draufzulegen, schreckt potenzielle Anleger für nachhaltige Investments eher ab.

Unternehmensfinanzierung sicherstellen

Auch detailliertere Vorgaben an die Kreditprüfung unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit können kontraproduktiv wirken. Sie können die Unternehmensfinanzierung verlangsamen oder gar beschränken, ohne einen substanziellen Beitrag zur Erreichung von Klimazielen zu leisten.

Die Überlegung der EU-Kommission zu einem sogenannten „green supporting factor“, der als Anreiz für eine erhöhte Kreditvergabe für Investitionen in ökologische Finanzprodukte eine geringere Eigenkapitalunterlegung für das Kreditinstitut vorsieht, wäre ein Schritt in die falsche Richtung. Selbst wenn die Zielsetzung im Grunde gut gemeint ist, besteht die Gefahr, dass es durch die bürokratische Belastung des Kreditvergabeprozesses zu weniger mittelständischen Unternehmensfinanzierungen käme.

Komplikationen entstehen auch dadurch, dass die Qualifizierung grüner Investments nicht immer trennscharf ist – man denke etwa an den Bereich Atomenergie oder die „nicht-grüne“ Herstellung von Windkrafträdern. Klare und beherzte Investitionsentscheidungen aber sind es, die das volkswirtschaftliche Wachstum und den Pfad zur Klimaneutralität tragen.

Daher mein Plädoyer: Wir müssen und wollen das Klima retten, doch tun wir das besser nicht mit überschießendem Regulierungs-Aktionismus, sondern mit Sinn und Verstand! Die bayerischen Sparkassen sind bereit, hier ihren Beitrag zu leisten.

Prof. Dr. Ulrich Reuter, Präsident des Sparkassenverbands Bayern

 

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