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(GZ-3-2022)
Gastbeiträge

► Aus dem DWA Mitglieder-Rundbrief:

 

Die öffentliche Kanalisation in Bayern

Zustand und Investitionsbedarf

 

Ein Beitrag von Brigitte Helmreich und Johann Müller,
Lehrstuhl für Siedlungswasserwirtschaft, School of Engineering and Design, Technische Universität München

Die Funktionsfähigkeit und der Substanzwerterhalt der öffentlichen Kanalisation ist von entscheidender Bedeutung für Kommunen. Neben der Wichtigkeit der ordnungsgemäßen und hygienisch einwandfreien Abwasserableitung gilt dies auch in finanzieller Hinsicht, da die Kanalisation i.d.R. das größte Anlagevermögen der Kommunen darstellt. Daher ist eine möglichst umfassende Kenntnis über ihren Zustand und Sanierungsbedarf zwingend erforderlich. Vor diesem Hintergrund wurde im Auftrag des Bayer. Landeamtes für Umwelt (Finanzierung: Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz) die mittlerweile dritte Studie zum Zustand der öffentlichen Kanalisation und zum Investitionsbedarf in Bayern, hier mit Datenstand 2018, durchgeführt.

Dabei wurden 330 der insgesamt 2.118 Kanalnetzbetreiber flächendeckend über ganz Bayern ausgewählt und anhand der Länge der betreuten Misch- und Schmutzwasserkanäle (MW+SW) in vier Gruppen eingeteilt, um auch größenspezifische Unterschiede zu erfassen: Gruppe 1 (>300 km), Gruppe 2 (>60 bis ≤300 km), Gruppe 3 (>30 bis ≤60 km) und Gruppe 4 (>0 bis ≤30 km). Zusätzlich zu deren Kanalnetzberichten aus 2018 wurden Daten des Bayerischen Landesamts für Statistik (LfStat) sowie ein eigens erstellter und an die beteiligten Kommunen übermittelter Fragebogen ausgewertet.

Länge und Struktur des Kanalnetzes in Bayern

Die Gesamtlänge aller Sammelkanäle (Mischwasser-, Schmutzwasser- und Regenwasserkanäle) in Bayern lag im Jahr 2018 bei ca. 106.000 km, davon waren 53% Mischwasserkanäle (sh. Abb.1).

Abb. 1: Gruppenspezifische Anteile der in Betrieb befindlichen Sammelkanäle (MW, SW, RW) mit einem Alter von über 40 Jahren. Daten entstammen Hochrechnungen basierend auf Betreiberangaben für das Jahr 2018. Graphik Helmreich/Müller
Abb. 1: Gruppenspezifische Anteile der in Betrieb befindlichen Sammelkanäle (MW, SW, RW) mit einem Alter von über 40 Jahren. Daten entstammen Hochrechnungen basierend auf Betreiberangaben für das Jahr 2018. Graphik Helmreich/Müller

Es zeigt sich, dass rund 30 % der in Betrieb befindlichen Sammelkanäle in Bayern ein Alter über 40 Jahren haben. Betreiber mit längeren Netzen (Gruppe 1) wiesen hier jedoch teils noch deutlich höhere Anteile von bis zu 55% auf, wohingegen Betreiber kleiner Netze (Gruppe 4) eine eher jüngere Netzstruktur aufweisen (18 %). Diese deutlichen Unterschiede erklären sich mutmaßlich aus der regionalen Verteilung der Betreiber der unterschiedlichen Gruppen. Die von Betreibern der Gruppe 1 unterhaltenen Kanalnetze finden sich vorwiegend in großen Städten und Ballungsräumen, in denen bereits seit vielen Jahrzehnten Kanalisationssysteme bestehen. Neuerschließungen der vergangenen 40 Jahre erfolgten vorwiegend in ländlichen Regionen, in denen viele der kleineren Betreiber lokalisiert sind.

Zustand des Kanalnetzes in Bayern

Gemäß Eigenüberwachungsverordnung (EÜV) sind die Betreiber von Kanalnetzen in Bayern zur regelmäßigen Inspektion der von ihnen unterhaltenen Kanalsysteme verpflichtet. So muss im Turnus von mindestens einmal in 10 Jahren eine eingehende Sichtprüfungen mittels Kamerabefahrung oder Begehung bei Kanälen durchgeführt werden. Für Kanäle ab einem Alter von 40 Jahren sind zudem Prüfungen auf Wasserdichtheit vorgesehen, die dann in einem Turnus von 20 Jahren wiederholt werden müssen. Es hat sich gezeigt, dass im Jahr 2018 bayernweit Sammelkanäle auf einer Länge von knapp 10.500 km einer eingehenden Sichtprüfung unterzogen wurden (gut 11% der inspektionspflichtigen Sammelkanäle). Rechnerisch gesehen wäre diese Prüfrate von 11 %/a ausreichend, um alle Sammelkanäle im Zeitraum von 10 Jahren zu prüfen. Allerdings zeigte die Studie, dass bis zum Jahr 2018 etwa 11.400 km inspektionspflichtiger Sammelkanäle noch nie einer eingehenden Sichtprüfung unterzogen wurden. Der beträchtliche Anteil dieser „ungeprüften“ inspektionspflichtigen Sammelkanälen geht dabei auf eine Minderheit der Betreiber zurück, die ihren Inspektionspflichten bis 2018 noch nicht vollumfänglich nachgekommen waren. Dies ist dringend nachzuholen.

Bei den durchgeführten Prüfungen ergab sich, dass insgesamt ca. 20 % der Sammelkanäle einen sofortigen, kurz- oder mittelfristigen Sanierungsbedarf haben (ZK 0 bis ZK 2), also innerhalb der nächsten 5 bis 7 Jahre saniert werden müssen. Weitere ca. 23 % haben einen langfristigen Sanierungsbedarf (ZK 3). Anzumerken ist, dass der Anteil an Sammelkanälen mit sofortigem bis mittelfristigem Sanierungsbedarf (ZK 0 –ZK 2) innerhalb der letzten Jahre gestiegen ist. Zum Datenstand 2012 waren es 18 %, zum Datenstand 2006 erst 16 % der Sammelkanäle (siehe Abb. 2). Es ist schon hieraus ersichtlich, dass jedes Jahr zu wenige Kanäle saniert werden.

Abb. 2: Abschätzungen der Betreiber für die prozentualen Anteile der als ZK 0 bis ZK 2 klassifizierten Sammelkanäle aus der vorliegenden Studie und den Erhebungen mit Datenstand 2006, 2012. Graphik Helmreich/Müller
Abb. 2: Abschätzungen der Betreiber für die prozentualen Anteile der als ZK 0 bis ZK 2 klassifizierten Sammelkanäle aus der vorliegenden Studie und den Erhebungen mit Datenstand 2006, 2012. Graphik Helmreich/Müller

Sanierungsaktivitäten

Die Studie ergab, dass momentan in Bayern jährlich nur 0,8 % der Sammelkanäle saniert werden. Das liegt bereits deutlich unter der für den Substanzerhalt der Kanalsysteme erforderlichen jährlichen Mindestsanierungsrate von etwa 1,5 %/a (bei 65 Jahren mittlerer Nutzungsdauer). Zusätzlich muss aber der bestehende Sanierungsbedarf, also die Sanierung der 20 % Kanäle mit sofortigem bis mittelfristigen Sanierungsbedarf, abgearbeitet werden. Um diesen „Sanierungsstau“ abzuarbeiten, ist über einen Zeitraum von etwa sechs Jahren zusätzlich eine jährliche Sanierungsrate von 3,3 %/a erforderlich. Das heißt, dass in den kommenden Jahren insgesamt rund 5 % der Sammelkanäle jährlich saniert werden müssen, um wieder einen guten Zustand der Kanäle zu erreichen. Auch nach Abbau des Sanierungsstaus sind die Sanierungsaktivitäten deutlich zu erhöhen (auf ca. 1,5 %/a) um dem Substanzverzehr entgegenzuwirken.

Bei der Wahl der Sanierungsart zeigte sich im Vergleich der Gruppen ein relativ ausgewogenes Verhältnis zwischen Reparatur-, Renovierungs- und Erneuerungsverfahren. Hierbei stellten Reparaturen das meistgenutzte Sanierungsverfahren, mit einem Anteil von bayernweit etwa 43%, dar. Leider trägt dieses Verfahren zu keiner Verlängerung der Nutzungsdauer bei.

Abb. 3: Vergleich der Investitionskosten zur Behebung geschätzter Mängel an sanierungsbedürftigen Sammelkanälen in der vorliegenden Studie und in den Studien mit Datenstand 2006 und 2012. Graphik Helmreich/Müller
Abb. 3: Vergleich der Investitionskosten zur Behebung geschätzter Mängel an sanierungsbedürftigen Sammelkanälen in der vorliegenden Studie und in den Studien mit Datenstand 2006 und 2012. Graphik Helmreich/Müller

Investitionsbedarf

Kosten, die im Rahmen von durchgeführten Sanierungsmaßnahmen im Zeitraum 2013 bis 2018 bei den Kanalnetzbetreibern entstanden sind, wurden ausgewertet und genutzt, um den erforderlichen Investitionsbedarfs zur Behebung vorhandener Mängel abzuschätzen. Der Investitionsbedarf für die Behebung der Schäden mit sofortigem bis mittelfristigen Handlungsbedarf (ZK 0 bis ZK2) wurde auf etwa 8,6 Mrd. Euro berechnet. Hier sind nicht die Kosten zur Schadensbehebung der Anschlusskanäle, die in öffentlicher Hand liegen, eingeschlossen. Diese kommen noch hinzu. Zusätzlich werden etwa 700 Mio. Euro zur Vorbeugung des Substanzverzehrs pro Jahr in Bayern benötigt. In Abb. 3 kann man deutlich erkennen, dass der Investitionsbedarf zur Behebung der vorhandenen Mängel über die Jahre gestiegen ist. Die beobachtete sukzessive Steigerung des Investitionsbedarfs kann auf die zunehmenden Längen an sanierungsbedürftigen Kanälen zurückgeführt werden. Darüber hinaus tragen auch steigende Baukosten zu einer Erhöhung des Investitionsbedarfs bei.

Fazit

Derzeit ist die Sanierungsaktivität bei der der öffentlichen Kanalisation zu gering, der Sanierungsbedarf ist weiter gestiegen und wird künftig noch weiter steigen, wenn nicht gehandelt wird. Um für die Zukunft massive Kostensteigerungen für den Bürger zu vermeiden, wird empfohlen, bereits jetzt die Haushaltsmittel für Kanalsanierungen anzuheben und die Sanierungsquote deutlich zu steigern. Ein Hinauszögern der erforderlichen Sanierungsmaßnahmen würde deutlich teurer werden.

Brigitte Helmreich und Johann Müller,
Lehrstuhl für Siedlungswasserwirtschaft, School of Engineering and Design, Technische Universität München

 

 

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