(GZ-5-2022) |
► Bayerische Energiegenossenschaften: |
Bereit für einen neuen Aufbruch |
Von Florian Christner, Genossenschaftsverband Bayern Lange ist es her: Das erste Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wurde im Jahr 2000 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder beschlossen, um „im Interesse des Klima- und Umweltschutzes eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen“, wie es im Gesetzestext des EEG heißt. 2000 lag der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch in Deutschland bei knapp 6,3 Prozent. Heute sind es 45,3 Prozent. Trotzdem sagt Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin: „Bei der Energiewende stehen wir noch ganz am Anfang.“
Dafür führt er eine zweite Zahl ins Feld: Der Anteil der erneuerbaren Energien am sogenannten Bruttoendenergieverbrauch - also der absolute Verbrauch von Strom, Wärme und Brennstoffen in Industrie, Gewerbe, Handel, Dienstleistungen, Haushalten und Verkehr – beträgt in Deutschland aktuell 19,2 Prozent. „Es fehlen also noch gut 80 Prozent, bis Deutschland klimaneutral wird. Wir haben schon sehr viel Zeit mit einer Trödel-Energiewende vertan. Um überhaupt in die Nähe der Klimaneutralität zu kommen, müssen wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien jetzt den Turbo zünden“, fordert der Professor. Bisher ist im EEG gesetzlich festgelegt, dass der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion bis zum Jahr 2030 auf 65 Prozent steigen soll. Die Bundesregierung strebt an, diesen Zielwert auf 80 Prozent zu erhöhen. Dazu soll die installierte Leistung bei der Solarenergie bis 2030 auf 200 Gigawatt steigen. Das wäre gegenüber dem aktuellen Ausbaustand eine Verdreifachung in nur neun Jahren. Die installierte Leistung der Windenergie an Land soll sich im gleichen Zeitraum auf 100 Gigawatt verdoppeln. Professor Quaschning nennt zwei Voraussetzungen, damit das gelingen kann. „Wir müssen beim Ausbautempo Gas geben und wir müssen sehen, dass uns das Energiesystem nicht um die Ohren fliegt, weil die erneuerbaren Energien schneller ausgebaut werden als die Netze, die den Strom aufnehmen sollen.“ Die wichtigsten Hebel, um den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion rasch zu steigern, seien Wind- und Sonnenstrom. Wasserkraft sei hingegen weitgehend ausgeschöpft. Zusätzlich müsse die Regierung schnell Anreize setzen, um einerseits ausreichend Stromspeicher zu schaffen und andererseits den Verbrauch in Einklang mit dem verfügbaren Stromangebot zu bringen. „Wir werden in Zukunft zu bestimmten Zeiten in Solarstrom ertrinken. Um dieses Überangebot sinnvoll zu nutzen, brauchen wir Speicher und zeitlich steuerbare Möglichkeiten des Stromverbrauchs“, sagt Quaschning. Sektorkopplung Als Kurzzeitspeicher eigneten sich Batteriesysteme, weil sie sich häufig laden und entladen lassen, für die langfristige Speicherung von Strom sei die Umwandlung in Wasserstoff oder synthetisches Erdgas („Power to Gas“) besser. Welchen Anteil welche Speicher am Ende abdecken, sei aktuell noch nicht ganz sicher. „Das wird sich wirtschaftlich entscheiden“, sagt Quaschning. Um Angebot und Nachfrage von Strom in Einklang zu bringen, sei es zudem wichtig, die Strom- und Wärmeproduktion enger miteinander zu verzahnen und auch die E-Mobilität mit einzubinden. Sektorkopplung heißt das. „Für eine echte Energiewende müssen wir auch bei der Wärme und im Verkehr weg von Öl und Gas kommen. Um Gebäude zu heizen, bieten sich zum Beispiel elektrische Wärmepumpen an, die je nach Angebot mit Wind- oder Sonnenstrom betrieben werden können“, sagt Quaschning. Ein großes Problem beim Ausbau von Wind- und Sonnenkraft sei derzeit noch die überbordende Bürokratie. Wer als Privatperson oder Unternehmer eine Photovoltaik-Anlage auf seinem Dach errichten wolle, müsse sich mit unzähligen Fördervorschriften und bürokratischen Hemmnissen auseinandersetzen. „Eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach zu errichten darf nicht komplizierter sein, als einen Elektroherd oder ein Auto zu kaufen“, fordert Quaschning. Bei der Windkraft sei die Bürokratie noch viel schlimmer. „Zehn Jahre Planungszeit von der ersten Idee bis zur Realisierung eines Windparks sind keine Seltenheit. Hier sollte die Politik ihre Prioritäten neu setzen und die Genehmigungsverfahren extrem beschleunigen“, sagt der Professor. Viele Naturschutzargumente würden von Gegnern dazu eingesetzt, um Projekte zum Ausbau der erneuerbaren Energien zu torpedieren. „Vogelschlag zum Beispiel spielt beim Bau eines Hochhauses keine Rolle. Bei der Planung eines Windrads ist das ein gewichtiges Argument. Hier gilt es, die Interessen neu zu bewerten.“ Und noch ein Punkt ist dem Professor ein Anliegen. „Wenn die Energiewende vor Ort gelingen soll, müssen wir die Bürger mitnehmen.“ Dazu gebe es viele Modelle. Bürger in Gemeinden mit vielen Windrädern könnten etwa beim Strompreis bessergestellt werden, um die Akzeptanz zu erhöhen. Wichtig sei auch, den Eigenverbrauch zu fördern, zum Beispiel durch Mieterstrommodelle oder Quartierslösungen. Wenn der selbst verbrauchte Strom vom eigenen Dach komme und die Bürger zudem von günstigen Stromkosten profitieren, seien sie eher bereit, solche Projekte zu unterstützen. Nicht zuletzt seien Bürgerenergiegesellschaften das Mittel der Wahl, um die Menschen in die Energiewende einzubinden, zum Beispiel in Form einer Genossenschaft. „Das gibt den Bürgern die Möglichkeit, am Ausbau der erneuerbaren Energien vor Ort unmittelbar teilzuhaben und bei Projekten mitzubestimmen. Das wird in Zukunft noch viel wichtiger werden“, macht der Professor deutlich. Quaschning jedenfalls ist optimistisch, dass die Energiewende in Deutschland endlich Fahrt aufnimmt. Eine gewisse Skepsis bleibt jedoch. „Wir starten auf niedrigstem Niveau. Unsere Klimaschutzziele sind ein Generationenprojekt. Wenn wir wirklich etwas erreichen wollen, muss ein Ruck durch die Bevölkerung gehen“, sagt der Professor. Denn bei aller Aufbruchstimmung in Berlin fürchtet der Professor, dass die Politik an der einen oder anderen Stelle doch in Versuchung geraten könnte, für kurzfristige Effekte den langfristigen Erfolg der Energiewende aufs Spiel zu setzen. Dazu zählt Quaschning Überlegungen, politisch in den Strom- und Gasmarkt einzugreifen, um die explodierenden Preise in den Griff zu bekommen. „Es ist richtig, Menschen mit niedrigem Einkommen zu entlasten. Die Entwicklung zeigt aber auch, wie fatal die Politik der vergangenen Jahrzehnte war und wie abhängig wir immer noch von Gas- und Ölimporten sind. Das ist ein Grund mehr, warum wir unseren Hunger nach fossilen Energieträgern schnell reduzieren sollten.“ Dafür brauche es jedoch Mut und einen klaren energiepolitischen Kurs. Jedes Auto mit Verbrennermotor, das heute zugelassen werde, fahre mindestens bis ins Jahr 2040. Quaschning: „Wenn wir so weitermachen wie bisher und alte Geschäftsmodelle schützen, wird es sehr schwer, die angestrebten Klimaziele bis 2030 zu erreichen.“ Die Bürger ins Boot holen Das Thema Bürger-Energie müsse viel stärker gespielt werden, findet auch Joachim Scherrer, Vorstandsvorsitzender der Bürger Energie Region Regensburg eG (BERR eG). „Wir müssen die Bürger ins Boot holen, sonst wird das nichts mit der Energiewende. Wir Genossenschaften haben die Bürgernähe, um Projekte gemeinsam mit den Menschen vor Ort zum Erfolg zu führen“, sagt Scherrer. Er muss es wissen. Im Juni 2021 stimmten die Bürgerinnen und Bürger in Sinzing darüber ab, ob die Gemeinde die Planung für den Bau von zwei Windrädern stoppen sollte. 55 Prozent der Wähler stimmten in dem Bürgerentscheid dafür, die Planung fortzusetzen. Ein Erfolg auch für die BERR eG, denn die beiden Windräder sollen durch die Genossenschaft errichtet werden. „Das Projekt wäre bei dem Bürgerentscheid sicher durchgefallen, wenn wir es nicht als Bürgerwindpark geplant hätten. Niemand möchte ein Windrad vor seiner Haustüre haben, an dem nur ein fremder Investor verdient“, sagt Scherrer. Auch gegenüber den Kommunen müssten die Vorteile der Genossenschaften stärker betont werden, findet Scherrer. Potenzial für eine erfolgreiche Kooperation zwischen Kommunen und Energiegenossenschaften gebe es reichlich, zum Beispiel für Photovoltaik-Anlagen auf öffentlichen Dächern oder für Wärmenetze. „Da gibt es noch so viel zu tun. Energiegenossenschaften sind der geborene Partner der Gemeinden, um solche Projekte mit Bürgerbeteiligung voranzutreiben. Wer sonst könnte das leisten, wenn nicht wir?“, betont Scherrer. Doch obwohl der Bürgerentscheid in Sinzing für die Genossenschaft positiv ausgefallen ist, sieht der Vorstandsvorsitzende der BERR eG bei der Windkraft erheblichen politischen Handlungsbedarf. Scherrer stört sich vor allem an der bayerischen 10-H-Regel. Diese besagt, dass ein Windrad in Bayern mindestens zehnmal so weit von der nächsten Wohnbebauung entfernt sein muss, wie es hoch ist. Diese Regel habe dazu geführt, dass die Windkraft insgesamt negativ bewertet werde und viele Menschen übertriebene Ängste etwa vor Schallemissionen entwickelt hätten. „Der 10-H-Abstand ist willkürlich gewählt. Dahinter standen keine technischen Überlegungen, sondern psychologische. Dadurch wurde viel Vertrauen in die Windkraft zerstört“, klagt Scherrer. Das Kohlekraftwerk Datteln IV im Ruhrgebiet sei 2020 ans Netz gegangen, obwohl die nächste Wohnbebauung keine 500 Meter weit weg sei. Gleiches gelte für das Kraftwerk Irsching bei Vohburg an der Donau. „Von 10 H keine Spur“, sagt Scherrer. Damit die Energiewende gelinge, müsse diese einschließlich der Windkraft wieder ein positives Image erhalten. „Da können wir Energiegenossenschaften mit gutem Beispiel vorangehen“, sagt Scherrer. Der Vorstandsvorsitzende der BERR eG hat aber noch ein weiteres Anliegen: Um die Energiewende wirklich nach vorne zu bringen, müssten die gesetzlichen Vorschriften für Mieterstromprojekte und den Eigenverbrauch von Strom stark vereinfacht werden. „Wir brauchen für solche Projekte ein einfaches Abrechnungs- und Einspeisungssystem“, sagt Scherrer. Das Potenzial sei riesig. „Wir würden gerne viel mehr Dachflächen für Mieterstromprojekte nutzen, aber der Markt ist überreguliert.“ Gerade bei den aktuell horrenden Stromkosten seien Mieterstromprojekte eine gute Möglichkeit, die Stromkosten für die Mieter zu senken. „Wenn alle geeigneten Dächer in Deutschland zu Energiedächern würden, könnten wir uns zudem viele Photovoltaik-Anlagen auf wertvollen Ackerflächen sparen“, sagt Scherrer. In Deutschland sei alles bis zur letzten Steckdose geregelt, während in der Schweiz zum Beispiel die Zuständigkeit des Netzbetreibers und damit der regulatorische Durchgriff des Gesetzgebers an der Grundstücksgrenze ende. Wenn dies auch in Deutschland so wäre, würde das einen Boom für neue Photovoltaik-Anlagen auslösen, ist Scherrer überzeugt. „Erzeuger und Verbraucher könnten ihre Lieferbeziehungen für den vor Ort erzeugten Strom selbst gestalten. Das wäre ein Gewinn für alle Beteiligten und würde auch die Stromnetze entlasten, die für den massiven Zuwachs an erneuerbaren Energien noch gar nicht ausgelegt sind“, sagt Scherrer. Der Ausbau der Stromnetze ist ein gutes Stichwort für Jochen Starke. Er ist geschäftsführender Vorstand der ÜZ Mainfranken eG. Die ÜZ ist der größte genossenschaftliche Netzbetreiber in Bayern. „Wir spüren die Auswirkungen der Energiewende auf unsere Netze sehr deutlich“, sagt Starke. Denn im Netzgebiet der ÜZ Mainfranken eG ist mittlerweile das Realität, was anderen Regionen noch bevorsteht. 9.000 Erneuerbare-Energien-Anlagen speisen ihren Strom in das Netz der ÜZ ein. „In unserem Netzgebiet wird mehr grüner Strom produziert, als verbraucht wird. Die Netze unter diesen Umständen stabil zu halten, erfordert hohe Investitionen“, sagt Starke. Die Pläne der Bundesregierung für den Ausbau der erneuerbaren Energien hält er für ambitioniert. Dabei dürfe nicht vergessen werden, die Netze für den Zuwachs fit zu machen. Im Moment hinke der Ausbau dem Bedarf hinterher. „Wir brauchen auch bei den Netzen schnellere Genehmigungsverfahren. Durch die Integration der erneuerbaren Energien ist hier eine Komplexität entstanden, die es uns ermöglichen muss, schneller zu reagieren“, unterstreicht Starke. Ebenso fehle eine netzübergreifende Steuerung des Ausbaus. Früher seien Kraftwerke dort gebaut worden, wo es Bedarf gegeben habe, zum Beispiel im Ruhrgebiet. „So konnten die Kraftwerksbetreiber ihren Strom über kurze Wege direkt zu den Abnehmern transportieren. Erneuerbare-Energien-Anlagen entstehen hingegen dezentral, und nicht mehr notwendigerweise dort, wo Bedarf herrscht. Also müssen wir den Strom erst zum Verbraucher bringen“, sagt Starke. Dafür müsse die bestehende Infrastruktur kräftig aufgerüstet werden. „Wir brauchen neue Leitungen und Umspannwerke. Das ist alles nicht so ohne Weiteres zu erledigen.“ Netzentgelte Ein weiteres Problem: Der Netzausbau kostet viel Geld. Bezahlen müssen dafür die Stromverbraucher über die Netzentgelte. Diese sind jedoch nicht einheitlich, sondern schwanken abhängig von den Netzkosten von Betreiber zu Betreiber. „Weil die erneuerbaren Energien im Wesentlichen auf dem Land ausgebaut werden und nicht in der Stadt, unterscheiden sich die Netzentgelte zwischen Stadt und Land teilweise ganz erheblich. Die Kosten für die Energiewende werden also den Bürgerinnen und Bürgern in den ländlichen Gebieten auferlegt“, erklärt Starke. Der geschäftsführende Vorstand der ÜZ Mainfranken eG fordert eine Vereinheitlichung der Netzentgelte zwischen Stadt und Land. „Die Kosten für die Energiewende darf man nicht nur den Bürgern in den ländlichen Regionen aufbürden, wo Wind und Sonne zugebaut werden. Das ist ungerecht“, sagt Starke. Doch obwohl die Energiewende sehr hohe Investitionen erfordert, sieht der Geschäftsführende Vorstand der ÜZ Mainfranken eG keine andere Möglichkeit, als auf diesem Kurs zu bleiben. „Wenn wir die Energiewende nicht zügig vorantreiben, werden die Folgen des Klimawandels ein Vielfaches von dem verschlingen, was uns die Abkehr von den fossilen Energieträgern kostet. Der Weg ist noch enorm weit, aber am Ende wird das die richtige Entscheidung sein“, ist Starke überzeugt. Das sieht auch Joachim Scherrer so. Nur die Aussage von Volker Quaschning, dass die Energiewende trotz aller Anstrengungen noch immer ganz am Anfang steht, mag der Vorstandsvorsitzende der Bürger Energie Region Regensburg eG nicht unkommentiert lassen. „Wir haben bei der Energiewende schon viel erreicht, und daran haben die Bürgerenergiegenossenschaften einen großen Anteil. Bei besseren politischen Rahmenbedingungen hätten wir sogar noch mehr schaffen können“, sagt Scherrer. In den 2010er Jahren habe es schon einmal eine Aufbruchsstimmung bei Unterstützern der Energiewende gegeben. In dieser Zeit seien auch viele Energiegenossenschaften gegründet worden, so auch die BERR eG im Jahr 2012. Dann aber habe der Gesetzgeber den Ausbau der erneuerbaren Energien mit immer komplizierteren Gesetzen und Vorgaben ausgebremst. Nun brauche die Energiewende einen neuen Aufbruch. Die Bundesregierung habe dafür positive Signale gesetzt. Scherrer: „Es ist an der Zeit, die Bremse zu lösen.“ |
Florian Christner
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