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(GZ-11-2022)
Gastbeiträge

► Interview mit GVB-Gründungsberater Max Riedl:

 

Vorreiter der Energiewende

 

Von Florian Christner, Redaktion „Profil“

17 Energiegenossenschaften begleitete der GVB 2021 bei der Gründung – dieses Jahr dürften es deutlich mehr werden. Wieso die Energiewende Genossenschaften braucht, weshalb vor allem Wärmegenossenschaften im Trend liegen und worauf es bei der Gründung ankommt, verrät GVB-Gründungsberater Max Riedl.

GVB-Gründungsberater Max Riedl.
GVB-Gründungsberater Max Riedl.

Herr Riedl, von den 31 neu gegründeten Genossenschaften, die der GVB im Jahr 2021 in seine Reihen aufgenommen hat, waren 17 Energiegenossenschaften. Ein deutlicher Zuwachs im Vergleich zu den Vorjahren. Worauf ist dieses verstärkte Gründungsgeschehen bei Energiegenossenschaften zurückzuführen?

Max Riedl: Der Zuwachs bei den bayerischen Energiegenossenschaften ist in der Tat sehr erfreulich. Bei genauer Betrachtung müssten aber noch viel mehr Energiegenossenschaften gegründet werden, wenn die Energiewende auch nur ansatzweise gelingen soll. Die Ziele von Bund und Freistaat dazu sind ambitioniert, aber die Umsetzung hapert gewaltig. Reichlich Potenzial gibt es nicht nur bei der Strom- und Wärmeversorgung, sondern auch im Verkehrssektor.

Vorreiter und Vorbilder

Energiegenossenschaften sind Vorreiter auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung. Und sie sind Vorbilder für Menschen, die zur Energiewende beitragen wollen. Das fördert die positive Entwicklung bei den Neugründungen. Ansonsten fußt der Trend sicher auch auf der breiten Erkenntnis, dass die Menschheit den Raubbau an der Natur nicht mehr so fortsetzen kann wie bisher. Wir Menschen erkennen, wie unser Lebensstil, der auf der unbegrenzten Nutzung fossiler Energien basiert, unsere Lebensgrundlage zerstört. Durch die zunehmenden Unwetterereignisse wird immer offensichtlicher, dass der Klimawandel Deutschland längst erreicht hat. Auch das trägt zum Umdenken der Menschen bei.

Welche Gründungsdynamik bei Energiegenossenschaften erwarten Sie im laufenden Jahr?

Riedl: Das Gründungsgeschehen im Energiebereich wird dieses Jahr nochmal deutlich intensiver. Derzeit erreichen die GVB-Gründungsberatung sehr viele Anfragen von engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die eine Energiegenossenschaft gründen wollen.

Versorgungssicherheit verbessern

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Preise für Gas, Öl und Kohle weiter in die Höhe getrieben, Engpässe bei der Energieversorgung sind nach wie vor nicht auszuschließen. Viele Bürgerinnen und Bürger, aber auch Gemeinden, setzen in dieser Lage auf erneuerbare Energien aus der Region. Sie sind nicht nur deutlich günstiger und sauberer, sondern auch vor Ort verfügbar. Das verbessert die Versorgungssicherheit und die Wertschöpfung vor Ort. Dadurch wird die regionale Kreislaufwirtschaft gestärkt. Das ist eine große Chance für Energiegenossenschaften.

In welchen Geschäftsgebieten sind die neu gegründeten Energiegenossenschaften aktiv?

Riedl: Der größte Teil sind Wärmegenossenschaften. Die Gründungsmotive unterscheiden sich dabei kaum von anderen Energiegenossenschaften. Heimische Rohstoffe sorgen für dauerhafte, kostengünstige und klimaschonende Versorgungssicherheit – egal, ob es um Strom oder Wärme geht. Außerdem planen Energiegenossenschaften wieder verstärkt Photovoltaik-Freiflächenanlagen.

Sonne und Wind werden wichtigste Energielieferanten

Nachdem Deutschland bei der Stromversorgung das Aus von Kernkraft und Kohle beschlossen hat, werden Sonne und Wind die wichtigsten Energielieferanten. Für die Energiegenossenschaften sind das interessante Geschäftsfelder.

Die neue Bundesregierung möchte die Bürger aktiv an der Energiewende beteiligen. Inwiefern ist das eine Steilvorlage für die Gründung von Bürgerenergiegenossenschaften?

Riedl: Ob das wirklich eine Steilvorlage wird, würde ich lieber abwarten. Im politischen Umfeld werden gerne Begriffe wie Bürgergenossenschaft oder Bürgerenergie verwendet, ohne damit eine konkrete Unterstützung für die genossenschaftliche Rechtsform zu verbinden. Trotzdem hege ich die Hoffnung, dass die Politik ihren Worten endlich Taten folgen lässt und den Bürgern bessere Möglichkeiten einräumt, sich in ihrer Region an der Energiewende zu beteiligen.

Bürgerbeteiligung

Die Gesellschaft übernimmt mit dem Klimaschutz und der Energiewende gigantische Aufgaben, das geht nicht ohne Bürgerbeteiligung. Dazu eignen sich Genossenschaften mit ihrer transparenten und demokratischen Rechtsform nun mal am besten.

Warum ist die Zeit reif für eine Energiewende in Bürgerhand?

Riedl: Bürgerenergiegenossenschaften stehen für die dezentrale Energiewende, indem sie vor Ort Strom und Wärme erzeugen und die Menschen damit versorgen. Wenn die Bürger diese Verantwortung für ihre Heimatregion nicht selbst übernehmen, dann wird jemand anderes einspringen, zum Beispiel ein Konzern. Dieser wird sicherlich seine Rendite oder die Dividende seiner Aktionäre im Blick haben, aber nicht die Interessen der Menschen vor Ort. Gerade bei der Grundversorgung mit Energie sollten aber Nachhaltigkeit, regionale Wertschöpfung und Versorgungssicherheit klar im Vordergrund stehen. Bürgergenossenschaften können das gewährleisten. Im Regelfall ist diese Energie auch noch günstiger. Trotzdem ist es auch für Genossenschaften existenziell wichtig, wirtschaftlich zu arbeiten. Nur billigen Strom und billige Wärme zu liefern, würde dem gesellschaftlichen Anspruch einer Bürgerenergiegenossenschaft nicht gerecht.

Ein Mitglied, eine Stimme

Was spricht für die Rechtsform Genossenschaft, um die Bürger an der Energiewende zu beteiligen?

Riedl: Viele Energiegenossenschaften bieten breiten Bevölkerungsschichten die Möglichkeit, bereits zu moderaten Beträgen Mitglied zu werden und Geschäftsanteile zu zeichnen. So können diese an der Energiewende finanziell teilhaben, ohne zum Beispiel selbst über ein Grundstück oder ein Haus zu verfügen, auf dem sie eine Photovoltaik-Anlage errichten könnten. Auf diese Weise stiften Genossenschaften für Menschen und Energiewende gleichermaßen einen großen Nutzen. Die demokratischen und transparenten Entscheidungsstrukturen nach dem Prinzip „ein Mitglied, eine Stimme“ sorgen zudem dafür, dass alle ihre Meinung einbringen können und nicht einzelne Mitglieder die Richtung vorgeben. Zudem geht es bei einer Genossenschaft primär um die Leistung, die sie ihren Mitgliedern und auch der Gesellschaft anbietet, und nicht so sehr um den finanziellen Ertrag dieser Leistung. Der Geschäftszweck einer Bürgerenergiegenossenschaft ist also nicht, eine möglichst hohe Dividende auf den Geschäftsanteil auszuzahlen, sondern die Energiewende voranzutreiben. Auch das unterscheidet die Genossenschaft von anderen Rechtsformen.

Selbsthilfeeinrichtungen und lebendige Gemeinschaften

Warum ist es gerade bei Nahwärmenetzen sinnvoll, diese in genossenschaftliche Hände zu legen?

Riedl: Wärmegenossenschaften sind klassische Selbsthilfeeinrichtungen. Sie leisten Hilfe zur Selbsthilfe, indem sie ihre Mitglieder kostengünstig mit Wärme versorgen. Nur die tatsächlichen Kosten werden in den Grund- und Wärmepreis eingerechnet. Ein Dritter wird die Dorfgemeinschaft niemals so günstig mit Wärme versorgen können wie die Bürger selbst. Außerdem halten Wärmegenossenschaften die Wertschöpfung im Ort. Das Geld des Dorfes dem Dorfe, um es mit Friedrich Wilhelm Raiffeisen zu sagen. Weil die Straßen für das Wärmenetz ohnehin aufgegraben werden müssen, verlegen viele Wärmegenossenschaften außerdem noch Glasfaserkabel für schnelles Internet. Auf diese Weise profitieren die Dorfbewohner gleich doppelt von der Genossenschaft. Hinzu kommt: Wärmegenossenschaften werden vom ehrenamtlichen Engagement ihrer Mitglieder getragen. Das reduziert nicht nur die Kosten, sondern trägt zu einer starken und lebendigen Dorfgemeinschaft bei. Auch das ist ein Wert, der nicht unterschätzt werden darf.

Grundsätzliche Werte

Inwiefern schaffen Energiegenossenschaften sonst noch Mitgliedernutzen?

Riedl: Neben der finanziellen Teilhabe der Bürger an der Energiewende und der umweltfreundlichen Produktion von Energie geht es hier um grundsätzliche Werte, und zwar im Wortsinn: Sowohl die Elektrizitätsgenossenschaften als auch die Wärmegenossenschaften in Bayern versorgen Menschen und Unternehmen vor Ort über ihre eigene Infrastruktur mit Strom und Wärme. Das Versorgungsnetz gehört der Genossenschaft – und damit den Mitgliedern, die an ihr beteiligt sind, also in der Regel den Bürgern und/oder Kommunen vor Ort. Bürger und Kommunen können über die Genossenschaft mitbestimmen, was mit der Infrastruktur geschieht. Sie kann nicht in fremde Hände geraten oder durch einen Teilhaber mit Anteilsmehrheit fremdbestimmt werden, wie das bei Konzernen häufiger vorkommt. So laufen Bürger und Kommunen nicht Gefahr, dass ihr Versorgungsnetz kommerziellen Absichten eines Dritten unterworfen wird, der am Wohlergehen der Region kein Interesse hat. In welche Abhängigkeiten das sonst führen kann, zeigen die deutschen Gasspeicher, die sich der russische Gaskonzern Gazprom einverleibt hat.

Eigene Ressourcen nutzen

Auch der Ukrainekrieg zeigt, wie abhängig Deutschland von russischen Energielieferungen ist. Inwiefern können Energiegenossenschaften dazu beitragen, diese Abhängigkeit zu reduzieren?

Riedl: Die Gleichung ist eigentlich recht einfach. Wir in Deutschland und gerade auch in Bayern haben mit Sonne, Wind, Geothermie und Biomasse mehr als ausreichend Rohstoffe, um uns günstig und dauerhaft mit erneuerbarer Energie zu versorgen. Wenn Energiegenossenschaften diese Ressourcen zur Energieversorgung vor Ort nutzen, reduzieren sie gleichzeitig die Abhängigkeit von Energielieferungen aus Krisenregionen. Zudem bündeln Energiegenossenschaften die Finanzkraft der Bürger vor Ort. Das hilft unseren Ingenieuren, mit ihrem Know-how innovative technische Projekte zu entwickeln, die wegweisend für die Energiewende sind. So können Genossenschaften dazu beitragen, die bisherige Abhängigkeit von fossilen Energien aus Krisenregionen zu beenden und durch einen Marktvorteil für die Exportnation Deutschland zu ersetzen.

Wie unterstützt der GVB bei der Gründung von Genossenschaften?

Riedl: Der GVB ist ein kompetenter Partner für seine Mitglieder. Vielseitige Erfahrungen in verschiedensten Branchen helfen den GVB-Gründungsberatern dabei, Neugründungen von der ersten Idee bis zur fertigen, im Register eingetragenen Genossenschaft in allen Schritten professionell zu unterstützen.

Vertrauensvolle Zusammenarbeit

„Wärmegenossenschaften benötigen eine starke Gemeinschaft, denn ohne Vertrauen ist eine solide Zusammenarbeit nur schwer realisierbar.“ Welche Besonderheiten gibt es bei der Gründung von Nahwärmegenossenschaften zu beachten?

Riedl: Bei Wärmegenossenschaften ist von Anfang an eine starke Gemeinschaft notwendig, denn ohne das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die der Nachbarn ist eine solide Zusammenarbeit nur schwer realisierbar. Wenn diese erste Hürde genommen wurde, dann geht es an die technischen und wirtschaftlichen Parameter. Wichtig sind vor allem ein bezahlbares Wärmenetz, eine ausreichend dimensionierte Heizzentrale, eine moderne Übergabetechnik sowie ausreichend Abnehmer. Die Wahl des richtigen Planers ist von enormer Bedeutung, bevor die Arbeiten aufgenommen werden. Das sind alles Themen, die wir in der Gründungsberatung ansprechen. Hier empfiehlt es sich, frühzeitig mit dem GVB Kontakt aufzunehmen.

Die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt

Sie beraten Genossenschaftsgründerinnen und Gründer im Auftrag des GVB bereits seit fast 20 Jahren. Worauf kommt es im Kern an, wenn man erfolgreich eine Genossenschaft gründen will?

Riedl: Erfolgreich ist eine Genossenschaftsgründung dann, wenn die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt auf die richtigen Menschen trifft, die gemeinsam etwas bewegen wollen. Ohne die passenden Mitglieder ist die beste Genossenschaftsidee nichts wert.

Wo sehen Sie noch politischen Handlungsbedarf, um die Gründer von Energiegenossenschaften in ihrem Handeln zu bestärken?

Der Gesetzgeber muss die Rahmenbedingungen anpassen

Riedl: Ein Wunsch von mir wird vielleicht bald Wirklichkeit. Genossenschaften beliefern ihre Mitglieder ganz unbürokratisch mit ihrem eigenen Strom. Die Betonung liegt dabei auf „unbürokratisch“, denn bisher hat der Gesetzgeber den Energiegenossenschaften bei der Eigenversorgung der Mitglieder mit Strom viele Knüppel zwischen die Beine geworfen. Aber im Großen und Ganzen sind die Rahmenbedingungen für Energiegenossenschaften und die Energiewende in Deutschland gar nicht so schlecht, da gäbe es schlimmere Beispiele. Insofern halte ich mich an das Motto: Alle sagten, das geht nicht. Dann kam einer, der wusste das nicht und hat es einfach gemacht. Und dieser eine ist vielleicht eine Genossenschaft.

Herr Riedl, herzlichen Dank für das Interview!

Florian Christner, Redaktion „Profil“

 

Am 2.6.2022 findet das 13. Bayerische EnergieForum statt. VBEW-Hauptgeschäftsführer Detlef Fischer ist mit einem Vortrag zum Thema „Klimaneutrales Bayern 2040 – Jede Gemeinde muss liefern!“ vertreten. Sie sind herzlich eingeladen dabei zu sein.

Bitte melden Sie sich an unter www.bayerisches-energieforum.de.

 

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