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(GZ-3-2023)
Gastbeiträge

► Vereinfachte Beschaffung für Kommunen in Bayern:

 

Neue Möglichkeiten

 

Von Julian Pfeuffer, LL.M.1 Oberverwaltungsrat, München

Kommunen kommt seit Beginn der Corona-Krise im ersten Quartal im Jahr 2021 eine wesentliche Rolle zu.2 Die Umsetzung der von Bund und Ländern vorgesehenen Corona-Schutzmaßnahmen ist vom ersten Tag an auch auf der kommunalen Ebene erfolgt.3 Besonders der Aufgabenbereich der kommunalen Ordnungsbehörden wurde durch die Pflicht zur Kontrolle von Impf- und Genesenennachweisen sowie der Einhaltung der Verhaltensvorschriften der diversen Corona-Verordnungen erweitert.4 Auch als Schulaufwandsträger5 waren die Kommunen bei der Beschaffung von Luftreinigern (mit finanzieller Unterstützung durch die Länder und den Bund)6 gefordert.

Julian Pfeuffer, LL.M.1, Oberverwaltungsrat, München
Julian Pfeuffer, LL.M.1, Oberverwaltungsrat, München

Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine vom 24. Februar 2022, wurden die Kommunen zudem mit den Auswirkungen eines Krieges in Europa konfrontiert. Dies betrifft einerseits die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine und den damit einhergehenden Rechtsfolgen.7 Andererseits sind die Kommunen, wie auch die Verbraucher, den durch den Krieg weiterhin hohen Preissteigerungen am Markt ausgesetzt und müssen diese, anders als Unternehmen und private Haushalte, unter Berücksichtigung des Haushaltsrechts (Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltung) sowie des Vergaberechts berücksichtigen.8

Auch hat die Bundesregierung Maßnahmen zur Energieeinsparung in öffentlichen Nichtwohngebäuden per Verordnung aufgestellt.9 Überdies ist die Sanktionsverordnung (EU) 2022/576 umzusetzen. Insbesondere Art. 5k enthält ein Zuschlagsverbot sowie ein Vertragserfüllungsverbot bei der Vergabe und Durchführung öffentlicher Aufträge und Konzessionen zulasten von Personen, Einrichtungen und Organisationen mit Bezug zu Russland.

Während oberschwellige Vergabeverfahren aufgrund des Zuschlagsverbots durch Prüfung einer Eigenerklärung der Bieter verkompliziert werden, müssen auch sämtliche ursprünglich oberschwellig ausgeschriebenen bestehenden Verträge auf einen Russlandbezug überprüft werden. Die Erfüllung dieser Verträge ist ab dem 11. Oktober 2022 verboten.10

Nicht zuletzt warnt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) auch aus Sicherheitsaspekten seit dem 15. März 2022 vor dem Einsatz der Virenschutzsoftware des russischen Herstellers Kaspersky und empfiehlt den Ersatz durch alternative Produkte.11

Vor diesem Hintergrund kommen nachfolgend beschriebene Erleichterungen im Hinblick auf die Beschaffung speziell den Kommunen in Bayern sehr entgegen.

Erleichterungen in Bayern

1. Vergabeerleichterungen nach Nr. 1.2.11 der IMBek über die Vergabe von Aufträgen im kommunalen Bereich12

Die bayerische Staatsregierung hat am 06.09.2022 beschlossen, den Anwendungsbereich der wegen der Corona-Pandemie und den Ukraineflüchtlingen befristet erhöhten Wertgrenzen für Vergabeverfahren staatlicher und kommunaler Auftraggeber inhaltlich auszudehnen und die Geltungsdauer der Erleichterungen zu verlängern. Zur Bewältigung der Herausforderungen während der aktuellen, wirtschaftlich herausfordernden Krisensituation sollen damit Vergaben im Unterschwellenbereich beschleunigt und für die Vergabestellen flexibler gestaltbar werden.

Folgende Erleichterungen gelten ab dem 17.09.2022:

  • alle Beschaffungen (Bau-, Liefer- und Dienstleistungen) bis zu einem voraussichtlichen Netto-Auftragswert von 25.000 € können durch Direktauftrag vergeben werden.
  • alle Liefer- und Dienstleistungen bis zu einem voraussichtlichen Netto-Auftragswert unterhalb des jeweiligen EU-Schwellenwertes nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 GWB können durch eine Verhandlungsvergabe mit oder ohne Teilnahmewettbewerb oder durch eine Beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb vergeben werden.
  • Die Geltungsdauer der obig genannten Erleichterungen wird bis zum 31.12.2023 verlängert.

Speziell die Erhöhung des Netto-Auftragswerts für den Direktauftrag ermöglicht den Kommunen eine notwendige flexible Beschaffung. Für die Praxis bedeutet dies, dass kein formales Vergabeverfahren mehr notwendig ist und damit keine e-Vergabe genutzt werden muss (vgl. § 14 UVgO).

Durch die systematische Stellung des Direktauftrags am Ende des Unterabschnitts 1 der UVgO und dadurch, dass er nicht im Katalog des § 8 Absatz 1 UVgO erwähnt wird, wird nämlich deutlich, dass es sich beim Direktauftrag gerade nicht um ein Vergabeverfahren handelt.13

Es ist lediglich der Haushaltsgrundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit aus Art. 61 Gemeindeordnung Bayern zu beachten.14 Dies kann dadurch geschehen, dass der Marktpreis bekannt ist und (kurz) dokumentiert wird (z.B.: bei gängigen Produkten wie FFP-Masken, Verpflegungsleistungen etc.) oder eine kurze (Internet-)Recherche das wirtschaftlichste Angebot belegt. In unklaren Fällen sind formlos drei Angebote einzuholen. Aus Gründen der Gleichbehandlung (Art. 3 GG, Art. 118 Abs. 1 Bayerische Verfassung) soll der öffentliche Auftraggeber zudem zwischen den beauftragten Unternehmen wechseln.15

2. Wegfall der Schriftform aus Art. 38 Abs. 2 GO durch das Bayerische Digitalgesetz (BayDiG) bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen

Durch das Bayerische Digitalgesetz wurde dem Art. 38 Abs. 2 Gemeindeordnung Bayern ab dem 01.08.2022 folgender Satz 4 angefügt:                

"Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen genügt die Textform, soweit eine andere Rechtsvorschrift nichts Abweichendes bestimmt.“              

Ausreichend zur Wahrung des Textformerfordernisses ist damit eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist und die auf einem zur dauerhaften Wiedergabe der Erklärung geeigneten Datenträger abgegeben wird (vgl. die Legaldefinition in § 126b BGB). 

Eine eigenhändige Unterschrift des Erklärenden oder eine qualifizierte elektronische Signatur sind damit nicht mehr erforderlich. Dem Textformerfordernis kann daher beispielsweise auch durch Erklärung mittels Fax oder E-Mail genügt werden.16

Noch interessanter ist es jedoch, dass diese Änderung es den Gemeinden erleichtert, öffentliche Aufträge und Konzessionen nunmehr ohne Medienbruch vollumfänglich elektronisch abzuwickeln.17 Vor Einführung des neuen Satz 4 musste der Zuschlag gem. §§ 127, 168 Abs. 2 Satz 1 GWB in Verbindung mit § 58 VgV bzw. § 43 UVgO nach Art. 38 Abs. 2 S. 1 GO grundsätzlich schriftlich erteilt werden.

Dies führte in der Praxis zu einem Medienbruch innerhalb eines Vergabeverfahrens. In oberschwelligen Verfahren sind für öffentliche Auftraggeber und Unternehmen gem. § 97 Abs. 5 GWB und § 9 Abs. 1 VgV für das Senden, Empfangen, Weiterleiten und Speichern von Daten grundsätzlich die Nutzung von Geräten und Programmen für die elektronische Datenübermittlung (elektronische Mittel) verpflichtend.

Für sog. unterschwellige Vergaben gibt es eine gleichlautende Regelung in § 7 UVgO. § 38 Abs. 1 und Abs. 3 UVgO stellen dabei ausdrücklich klar, dass die elektronische Form den Anforderungen an die Textform genügt. Aufgrund dieser Vorgaben haben sich viele öffentliche Auftraggeber für die Einführung einer sog. e-Vergabe Software entschieden, welche den Anforderungen an die elektronische Datenübermittlung sowie der notwendigen Dokumentation gem. § 8 VgV bzw. § 6 UVgO gerecht wird.18 Während das gesamte formale Vergabeverfahren innerhalb der sog. e-Vergabe abgewickelt werden konnte, musste das Zuschlagsschreiben aufgrund der Vorgabe der Schriftform aus Art. 38 Abs. 2 GO stets schriftlich (d.h.: mit eigenhändiger Unterschrift) erfolgen und dieses Zuschlagsschreiben musste postalisch bzw. per Fax verschickt werden.19

Der Verzicht auf die Schriftform gem. § 126 BGB bei öffentlichen Aufträgen und Konzessionen harmonisiert nunmehr die Gemeindeordnung mit den vergaberechtlichen Bestimmungen und löst das bis dato bestehende Spannungsverhältnis zwischen dem Vergabe- und dem Kommunalrecht.20

Insofern kann künftig über die e-Vergabe der Zuschlag erteilt werden.21 Hier ist darauf zu achten, dass eine anonymisierte Form der Unterzeichnung nicht opportun ist (nicht möglich ist z.B.: Mit freundlichen Grüßen, Ihre Vergabestelle).22

Auch wenn oftmals im Rahmen von Vergabeverfahren keine Namen von Sachbearbeitern genannt werden, um unerwünschte Kontaktaufnahmen durch Bieter zu vermeiden, so muss zumindest das Zuschlagsschreiben die natürliche Person des Erklärenden unter Angabe der Amtsbezeichnung benennen, um klarzustellen, dass die Erklärung in amtlicher Eigenschaft, also namens der Gemeinde, abgegeben wurde.23

Weiterhin muss die Person des Erklärenden gem. Art. 38 Abs. 2 Satz 3 GO innerhalb der Kommune die schriftliche Verpflichtungsermächtigung (insbesondere hinsichtlich der Höhe des Vertrages) haben.24

Fazit

Das Vergaberecht selbst hat bereits Regelungen implementiert, welche den Umgang mit Krisen meistern.25 Diese Regelungen sehen jedoch stets eine Prüfung des Einzelfalls vor, welche dringend benötigte Verwaltungskapazitäten bindet. Mit den in diesem Beitrag vorgestellten Änderungen wird die Verwaltung der bayerischen Kommunen langfristig (bis 31.12.2023!) entlastet und kann sich den bestehenden Aufgaben widmen. Letztlich darf die wesentliche Funktion des Vergaberechts nicht vergessen werden: Vergaberecht existiert nicht um seiner selbst willen, sondern ist primär die sächliche und logistische Grundlage für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben.26

Julian Pfeuffer, LL.M., Oberverwaltungsrat, München

 

1) Julian Pfeuffer, LL.M. ist Jurist in der Vergabestelle 1 der Landeshauptstadt München. Er betreut unter anderem die stadtweite Beschaffung von Bürobedarf, Drucksachen, Umzügen, strategischen Dienstleistungen, Fahrzeugen, Gebäude- sowie Sicherheitsdienstleistungen. Der Aufsatz gibt ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

2) Zu den Auswirkungen von Corona auf kommunales Handeln siehe die Studie der Fraunhofer-Initiative Morgenstadt: „Auswirkungen der Coronapandemie auf die Entwicklung von Kommunen und Landkreisen in Deutschland“, abrufbar unter publica.fraunhofer.de/dokumente/N-643811.html

3) Ausführlich hierzu der Oberbürgermeister der Stadt Schwetzingen Dr. René Pöltl: Kommunale Pandemiebekämpfung; NJW 2022, 919.

4) Müller: Polizeiliche und ordnungsbehördliche Kontrolle von „Corona-Ausweisen“; NJ 2022, 19.

5) Vgl. beispielhaft für Bayern Art. 3 und Art. 8 Bayerisches Schulfinanzierungsgesetz.

6) z.B.: VISKu12-R: Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Verbesserung des Infektionsschutzes für die Betreuung von Kindern unter 12 Jahren in Schulen sowie in der Kindertagesbetreuung und in den Heilpädagogischen Tagesstätten der Jugend- und Behindertenhilfe sowie FILS-R-N: Richtlinie zur Förderung von Investitionskosten für technische Maßnahmen zum infektionsschutzgerechten Lüften in Schulen – Neuauflage 2021.

7) Ritgen: Aufnahme und Aufenthaltsrecht von Flüchtlingen aus der Ukraine: Die kommunale Perspektive; ZAR 2022, 238.

8) Beispielhaft König/Neun/Görlich: Öffentliche Auftragsvergaben in Krisenzeiten; COVuR 2020, 25; Hattig/Oest: Corona = gestörte Geschäftsgrundlage? - Der gesetzliche Anspruch auf Preisanpassung aus § 313 Abs. 1 BGB, VergabeNavigator 01/22, S. 10 ff.

9) Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über kurzfristig wirksame Maßnahmen (Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung – EnSikuMaV); beispielsweise ist die Beheizung von Gemeinschaftsflächen untersagt, die nicht dem Aufenthalt von Personen dienen. Auch ist die Beleuchtung von Gebäuden und Baudenkmälern von außen mit Ausnahme von Sicherheits- und Notbeleuchtung untersagt.

10) Zum Ganzen: Schröder: Russland-Sanktionen und Vergaberecht; UKuR 2022, 385.

11) Die Warnung kann auf der Webseite des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik heruntergeladen werden (www.bsi.bund.de); Auch die Landeshauptstadt München war Nutzer der Software, siehe Schriftliche Anfrage gemäß § 68 GeschO Anfrage Nr. 20-26 / F 00449 von der Fraktion ÖDP/München-Liste vom 24.03.2022 und die dazugehörige Antwort des Oberbürgermeisters vom 29.04.2022.

12) Informationen zur Änderung der Bekanntmachung über die Vergabe von Aufträgen im kommunalen Bereich zum 17. September 2022 – Rundschreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration vom 6. September 2022; Dieses Schreiben ist auch im Internet unter www.verga-beinfo.bayern.de unter dem Link „Vergaben im kommunalen Bereich“ abrufbar.

13) Erläuterungen zur Unterschwellenvergabeordnung, Bekanntmachung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 2. Februar 2017.

14) o auch § 14 UVgO und Nr. 1.2.10 der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern und für Integration über die Vergabe von Aufträgen im kommunalen Bereich vom 31. Juli 2018 (AllMBl. S. 547), die zuletzt durch Bekanntmachung vom 29. März 2022 (BayMBl. Nr. 200) geändert worden ist.

15) Siehe Fußnote 13.

16) Grüneberg/Ellenberger, 81. Aufl. 2022, BGB § 126b Rn. 3 f.

17) LT-Drs. 18/19572, 100.

18) z.B.: die Landeshauptstadt München mit Stadtratsbeschluss (Sitzungsvorlage Nr. 14-20 / V73339) vom 7. / 14. Dezember 2016; es wurde eine Software von der Firma Administration Intelligence AG beschafft; die Stadt Nürnberg setzt auf eine Lösung der Firma Healy Hudson GmbH.

19) Zur Problematik vgl. Weirauch: Die Form der Zuschlagserteilung nach Einführung der E-Vergabe; ZfBR 2021, 636; Roßner/Gierling/Sokolov: Die Form des Zuschlags – Zu Friktionen zwischen europäischem Vergaberecht und deutschem Kommunalrecht; NVwZ 2020, 1382.

20) BeckOK KommunalR Bayern/Wernsmann/Neudenberger, 15. Ed. 1.8.2022, GO Art. 38 Rn. 45.

21) Sofern eine andere Rechtsvorschrift nichts Abweichendes bestimmt (vgl. etwa § 34 Abs. 1 VS-VGV oder § 18 Abs. 2 VOL/A).

22) Stelkens: Vom Dienstsiegel zur elektronischen Signatur: 100 Jahre Streit um kommunalrechtliche Formvorschriften!; VerwArch 2003, 48 (56); BeckOK KommunalR Bayern/Wernsmann/Neudenberger, 15. Ed. 1.8.2022, GO Art. 38 Rn. 30.

23) So bereits das Reichsgericht, Urteil vom 6.4.1910, RGZ 73, 205, 207 f.; im Ergebnis ebenso Reichsgericht, Urteil vom 10 10. 1919, RGZ 96, 313, 314.

24) BeckOK KommunalR Bayern/Wernsmann/Neudenberger, 15. Ed. 1.8.2022, GO Art. 38 Rn. 42, 43.

25) Vgl. das Rundschreiben des Bundeswirtschaftsministeriums vom 19.03.2020 zur Anwendung des Vergaberechts im Zusammenhang mit der Beschaffung von Leistungen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2.

26) Vertiefend Dörr in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1 4. Auflage 2022, Einleitung: Vergaberecht in Deutschland – Das Recht der öffentlichen Auftragsvergabe im Stufenbau der Rechtsordnung, Rn. 9 ff.

 

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