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(GZ-20-2023 - 26. Oktober)
Gastbeiträge

► Zoff um den digitalen Euro:

 

Ein Beispiel für fehlende politische Führungsleistung

 

Ein Kommentar von Dr. Jürgen Gros

Was macht politische Führung aus? Henry Kissinger, der amerikanische Jahrhundertpolitiker, hat eine starke Antwort parat: „Gute Anführer wecken in ihrer Bevölkerung den Wunsch, Seite an Seite mit ihnen zu gehen.“ Daran gemessen versagen Europäische Zentralbank (EZB) und EU-Kommission bei der Realisierung des digitalen Euros. Das legt eine Umfrage des Bankenverbandes nahe. So haben 57 Prozent der Deutschen noch nichts davon gehört, dass ein digitaler Euro eingeführt werden soll. Drei Viertel der Befragten sind der Ansicht, die bestehenden Zahlungsmöglichkeiten reichten aus. Ein digitaler Euro sei nicht notwendig. Alles in allem eine bemerkenswert schwache Resonanz auf ein Währungsprojekt, das die EZB 2020 begonnen und zu welchem die EU-Kommission Ende Juni 2023 ein erstes Gesetzesvorhaben initiiert hat.

Dr. Jürgen Gros. © Barbara Obermaier
Dr. Jürgen Gros. © Barbara Obermaier

EZB und EU-Kommission verbinden mit der Schaffung eines digitalen Euros hehre Ziele. Er soll das Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel ergänzen und auf keinen Fall abschaffen. Er soll zur Akzeptanz des Euros als Zahlungsmittel beitragen und allen Bürgern, insbesondere in Zeiten von immer weniger Geldautomaten und Bankfilialen, den Zugang von (digitalem) Bargeld erhalten. Er soll Online- und Offline-Zahlungen sowie einen hohen Schutz der Privatsphäre ermöglichen. Kostenlos soll er sein, über Banken bereitgestellt und in einer Wallet auf dem digitalen Endgerät verwahrt werden.

Frage nach dem Nutzen

Nicht jeder teilt die Sicht von EZB und EU-Kommission. Sparkassen und Genossenschaftsbanken fürchten um ihr Geschäftsmodell. So sieht eine Vorständin des BVR die Gefahr, dass die Pläne der EU-Kommission zum digitalen Euro „die privaten Banken zum ausgelagerten Filialnetz der EBZ degradieren“ und warnt gar vor der „Teilverstaatlichung des privaten Finanzsektors“. Andere sind konzilianter im Ton. Sie stellen die konstruktive Frage nach dem Nutzen des digitalen Euros für die Bürger.

Angesichts leistungsfähiger Zahlungsdienstsysteme fällt es in der Tat schwer zu erkennen, welche Lücke der digitalen Euro im europäischen Zahlungsverkehr schließen soll. Bislang ist es EZB und EU-Kommission nicht gelungen, die Notwendigkeit des digitalen Euros verständlich zu machen. Floskeln wie „strategische Autonomie“ oder „monetäre Souveränität“ sind für die Akzeptanz des Projektes wenig hilfreich. Sie politisieren das Projekt, lassen es an einem nachvollziehbaren Narrativ mangeln und schaffen damit keine Anbindung an die Lebenswelt der Menschen. Erstens, weil ihnen die strategischen Zielsetzungen niemand praxisnah erklärt und zweitens, weil sie, selbst wenn sie erklärt werden, für die Bürger nicht greifbar sind. Warum auch? Das Zahlungssystem funktioniert in ihren Augen weitgehend perfekt. Damit steht der Zoff um den digitalen Euro beispielhaft für die fehlende politische Führungsleistung bei europäischen Integrationsthemen.

Frühere Politikergenerationen waren in der Entwicklung des gemeinsamen Europas cleverer. Sie organisierten das Machbare, schufen funktionierende Keimzellen, bauten aus Kleinem Großes, sorgten dafür, dass der europäische Mehrwert politischer Vorhaben erlebbar wurde. Der digitale Euro wäre ideal für die Belebung dieses Musters – würde man ihn denn in einem ersten Schritt darauf ausrichten, für bestehende Herausforderungen konkrete Lösungen zu bieten. Die Industrie sucht nach solchen. Im Rahmen der Machine Economy verbinden sich zunehmend Millionen von Maschinen über das Internet und tätigen untereinander Zahlungen, oftmals im Micropayment-Bereich. Hier wäre der digitale Euro eine zielführende Alternative zu ausländischen Zahlungsinitiativen. Unabhängigkeit und digitale Sicherheit der europäischen Wirtschaft würden gestärkt, positive Anwendungsmöglichkeiten geschaffen und damit eine erste Erfolgsgeschichte. Im Sinne konzentrischer Kreise kann der digitale Euro dann immer näher an die Lebenswirklichkeit der Menschen rücken. Ein Richtungsschwenk bei EZB sowie EU-Kommission wäre dafür notwendig. Den einzufordern sollte Aufgabe derer sein, die den digitalen Euro für zukunftsrelevant halten.

Über unseren Autor

Der an der Ludwig-Maximilians-Universität in München promovierte Politikwissenschaftler Jürgen Gros (53) war zwei Jahrzehnte im Management verschiedener bayerischer Verbände tätig, zuletzt als Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern. Schwerpunktmäßig beschäftigt er sich mit finanzwirtschaftlichen und mittelstandspolitischen Themen.

Dr. Jürgen Gros


 

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